Das Problem der Historiker mit dem Phänomen #Hitler
Wer etwas länger hinschaut, bemerkt es untrüglich. Und doch ist der Schleier, der in der Geschichtsschreibung des Dritten Reiches über einigen Dingen liegt, für Mehrheiten wohl immer noch undurchdringlich. Daran arbeiten Presse und Wissenschaft, die seit 1945 in Deutschland das Lied der alliierten Sieger singen. Die so zementierten Lügen sind eigentlich fadenscheinig und lassen sich mit einfachen Fragen ins Licht rücken.
Ein gutes Beispiel dafür, wie die Sicht auf den Nationalsozialismus und Adolf Hitler gelenkt und vereinseitigt wird, ist ein Interview mit dem Historiker Thomas Weber in der „Welt“ (02.03.2016):
Weber: Klar, Gefahren gibt es – ich sehe aber eher die Chancen. Auch 70 Jahre nach seinem Tod kann man die Welt ohne die langen Schatten, die Hitler auf die Gegenwart wirft, nicht verstehen. In Deutschland sind wir aber viel zu staatsgläubig und meinen, der Staat werde uns schon helfen, Hitler zu verstehen. Während des Theaters um die Veröffentlichung von “Mein Kampf” haben wir aber ja alle gesehen, dass der Staat damit eben nicht umzugehen weiß. Wenn wir uns jedoch in der Zivilgesellschaft mit Hitler auseinandersetzen wollen, muss das ja über die Medien erfolgen. Und da kommt es halt darauf an, dass das vernünftig gemacht wird.
Die Welt: Die entscheidende Frage bei jeder Beschäftigung mit dem Dritten Reich und seinen Verbrechen betrifft die Verantwortung. Kritiker meinen, durch die Konzentration auf Hitler werde die Schuld der Gesellschaft und Hunderttausender einzelner Täter relativiert. Eine berechtigte Sorge?
Weber: Ja, sicher! Aber genauso groß ist meine Sorge, dass wir das Zwischenspiel Hunderttausender einzelner Täter mit Hitler nicht verstehen können, wenn wir ihn nicht ernst nehmen. Zuletzt war es meist in den Medien, aber auch in der Wissenschaft so, dass Hitler überall auftaucht, aber immer nur als eindimensionale Nebenfigur – fast so wie ein Pappkamerad –, von der man gar nicht so recht weiß, was sie eigentlich soll.
Es wirkt alles wie dahingesagt – doch man kann fast Satz für Satz solche Äußerungen durchgehen, um zu zeigen, wie diese Ideologie der Umerziehung und interessegeleiteten Darstellung funktioniert. Thomas Weber greift in diesem Passus zunächst zu einem rhetorischen Trick der Überlegenheit, verbunden mit einer nicht im mindesten belegten Behauptung nebst eines versteckten Selbstwiderspruchs.
Die Deutschen seien „viel zu staatsgläubig“ und hofften vergeblich auf den Staat, der ihnen Hitler erklären solle. Nun lehrt Weber in Aberdeen, also im Stammland von Imperialismus und Raubtier-Kapitalismus, das sich seiner Massenmorde offensichtlich nicht zu schämen braucht. Für die echte Wohlfühlatmosphäre sorgen u. a. Historiker, die sich bevorzugt um die Schuld anderer kümmern. Deutsche sind ja nicht nur unrettbar schuldig geworden; sie sind auch noch so blöd, an einen helfenden Staat zu glauben. So die erste Botschaft im obigen Zitat.
Nun, gesetzt den Fall, die Deutschen hofften tatsächlich auf den Staat, der ihnen Hitler erklären soll. Wer wäre dann konkret dafür verantwortlich? Eindeutig: staatlich bezahlte Historiker. Sie sind ja die Fachleute. Des in Engeland wirkenden Webers implizite, aber eindeutige Aussage lautet also: ‚Bürger, bezahlt Historiker, aber hofft nicht darauf, dass sie Euch dabei helfen, Hitler zu verstehen. Bürger, zahlt für etwas, was Ihr nicht bekommt. Und lasst Euch dann noch von mir dafür herabsetzen, dass Ihr vergeblich auf das hofft, was Euch eigentlich zusteht.‘
Einen Selbstwiderspruch produziert Weber also deshalb, weil er einerseits seine eigene Überlegenheit gegenüber dummem Volke suggeriert – es in diesem Fall aber mit der Sachaussage verknüpft, dass er selbst jener Zunft angehört, die ihrer Pflicht nicht nachkommt, ausreichende Grundlagen für ein allgemeines Verständnis Hitlers zu schaffen.
Betreffs der Veröffentlichung von „Mein Kampf“ behauptet Weber, dass „der Staat damit eben nicht umzugehen weiß.“ – Ich persönlich weiß eigentlich gar nicht, was Weber hiermit nun sagen will. Das Pamphlet wurde rechtefrei. Es wurde eine historische Edition erstellt, die sich wie geschnitten Brot verkauft. Etwas inhaltlich Neues ist mir in der ganzen Debatte nicht begegnet. Wirklich aufregen muss sich auch niemand, denn man wusste ja auch bisher recht gut, was in dem Buche zu lesen ist. Womit weiß der deutsche Staat in dieser Sache „eben nicht umzugehen“? – Wieder suggeriert Weber Überlegenheit, während der Inhalt seiner Aussage nun einfach unverständlich bleibt (mir zumindest).
Es folgen zwei Null-Aussagen, ebf. versehen mit einer Suggestion des Fachmännischen: Eine Auseinandersetzung müsse „ja über die Medien erfolgen“ und müsse „vernünftig gemacht“ werden. Was denn sonst? Soll sie mit kaputten Buschtrommeln und dabei unvernünftig durchgeführt werden? An wen richtet sich eine solche Aussage? – Das Logischste wäre hier noch, dass Weber sich unbewusst selbst für etwas ermahnt, an dessen vernünftiger Durchführung er offensichtlich noch nicht ausreichend Teil hatte. Und sich demnach eigentlich über sich selbst beklagt, während in seinen Worten die anderen – die Deutschen, der deutsche Staat – angeblich irgendetwas nicht richtig können (was von Weber ebensowenig präzise benannt wird).
Es ist nach so viel Zeilen natürlich Zeit für das nächste rituelle ‚Wir sind schuldig‘, verpackt in der Interview-Frage. Von „Hunderttausenden einzelner Täter“ ist die Rede. Wovon spricht nun „Welt“-Autor Sven Felix Kellerhoff? – Meint er Soldaten, die ihrer Wehrpflicht nachkamen (inkl. Todesstrafe bei Nicht-Erfüllung)? Geht er für den Holocaust von „Hunderttausenden einzelner Täter“ aus? Ich stellte Herrn Kellerhoff und zwei Professoren bei einer Diskussion ja explizit die Frage, ob sie bereit seien, die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs und der Judenverfolgung u. a. auch um die langwährenden gewalttätigen Pogrome etwa in Polen, Ungarn und russisch-sowjetischer Geschichte zu erweitern. Von einer Antwort konnte ich nicht berichten.
Weber versteigt sich in der Übernahme des Begriffs ebenso zur Formulierung eines „Zwischenspiels Hunderttausender einzelner Täter mit Hitler“. Eine ausführliche Diskussion dazu kann an dieser Stelle nicht sinnvoll stattfinden. Es kann lediglich die Frage erneut gestellt werden, was Deutsche 1933-39 zum Aufstieg Hitlers beitrugen und was sie von den später folgenden Entwicklungen dabei wissen konnten. Ein Freimaurer wie Hjalmar Schacht und die internationalen Politiker, die zu Hitler Beziehungen pflegten, scheinen es ja sehr viel besser gewusst zu haben als die „Hunderttausende einzelner Täter“, deren verderbliche Brut nun heute endgültig wird ausgerottet werden müssen. Denn die Verbrechen und Pogrome der anderen sind gerade irgendwie so nicht das Thema, weißte.
Webers aufmerksame Beobachtung der Öffentlichkeit führt ihn dann noch zu dem Befund, „dass Hitler überall auftaucht, aber immer nur als eindimensionale Nebenfigur“. Auch dies kann ich selbst gar nicht mit Inhalt füllen.
Das entscheidende Problem ist aus meiner Sicht, dass zwar außer jenem Okkultismus, den ich in „Saturn Hitler“ in erster Linie bespreche, so gut wie alles Wichtige und Nebensächliche zu Hitler immer und immer wieder berichtet wird – und er deshalb in den meisten Facetten mehr als überreichlich behandelt worden ist.
Weber, der auch an einer kommenden biografischen Neuverfilmung für RTL mitwirken soll, stellt des weiteren fest:
Bisher ist es filmisch nicht gelungen, Hitlers Entwicklung von einem Durchschnittsbürger zum Initiator des Weltenbrandes darzustellen.
Da sind wir sehr gespannt, welche Neuerungen die kommende Produktion mit sich bringen wird. Ein kleiner Tip mit der notwendigen Empfehlung meiner eigenen Recherchen (wie auch anderer, die darin zu Wort kommen, die die Fachhistoriker aber bisher ignorierten): Das ständige Gerede über die medialen Hauptfiguren Hitler, Himmler, Göring oder Heß ließ andere bedeutende Akteure – wohl mit propagandistischem Interesse – verblassen. Von dieser zweiten Reihe von Personen um Hitler führen außerdem zahlreiche Spuren in einer weitgespanntes Netzwerk, und zwar nicht nur deutscher, sondern auch anderweitiger Mitspieler, Förderer und Kriegsgewinnler.
Auch auf meine öffentliche Frage nach Kriegstreibern außerhalb des damaligen Deutschlands vor und nach 1933 wollten mir bei der genannten Gelegenheit Professoren nichts sagen können, ebensowenig auf meinen erzwungenen Zwischenruf, dass doch die meisten schriftlichen Unterlagen über Parteispenden 1945 vernichtet worden sein sollen. Durch eine Reihe bestimmter Hinweise ist der Aufstieg Hitlers keineswegs ein Werk ‚der Deutschen‘ und auch nicht nur der deutschen Großindustrie (die ohnehin, je nach Einzelfall, auch international vernetzt war).
Weber benennt in seiner zuletzt zitierten Darstellung das, was eigentlich längst weitergehend zu klären gewesen wäre, als eine Herausforderung, der nun er sich als gewachsen erweisen wolle. Zu einer integren Geschichtswissenschaft der Gegenwart würde in ersten Schritten wohl aber auch die Herausstellung gezielter Aussparungen im Geschichtsbild bedeuten, die diese Frage heute überhaupt noch so stellen lässt. Wie genau ein „Durchschnittsbürger zum Initiator des Weltenbrandes“ werden konnte, kann man in totgeschwiegenen Büchern schon recht ausführlich nachlesen. Wer eine ganz entscheidende Bedingung des politischen Lebens in der Moderne erkennen will, hat zunächst diese Ernüchterung zu erfahren: dass ein „Durchschnittsbürger“ so gut wie nichts kann, wenn verborgene Akteure dies nicht wollen, nach Kräften finanzieren und mitorganisieren.
So lange man eine solche Finanzierung und konzertierte Förderung nicht ausgiebigst beforscht, werden einem entscheidende Faktoren stets entgehen. Sie in konkrete erzählerische Bilder eines TV-Films zu verpacken, würde alle alliierten Propaganda-Vorschriften für ein umzuerziehendes (ohnehin gerade abzuwickelndes) Deutschland umwerfen. Dennoch kann man auch ohne die vernichteten Akten mit etwas genaueren und aufmerksameren Rekonstruktionen ein komplexeres Bild der damaligen Lage gewinnen, als es bis heute im Mainstream üblich ist. Es ist an den Lesern (und der die Forschung finanzierenden Bürgergesellschaft), sich für das Betrogenwerden oder echte Informationen zu entscheiden. Dies würde ohne Folgen für jene, die ihre Pflichten vernachlässigten und weiterhin ausgiebig und häufig ziellos herumpalavern, nicht bleiben können. Viel Zeit für eine Besinnung bleibt nicht. Vielleicht ist sie schon längst vorüber und wir sehen hier nur noch höhnische Nachspiele.
Letzte Kommentare