Am
22. Juni 2006 wäre Billy Wilder 100
Jahre alt geworden. Sein Leben ist eine Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Seine Filme sind Filmgeschichte. Für die publizistische
und wissenschaftliche Öffentlichkeit scheinen die Koordinaten
für eine Charakterisierung von Wilders Filmen klar zu sein:
Wilder, der Meister der Komödie. Wilder, der in Genres wie
dem Kriegsdrama und der Liebesromanze auf seine Weise Meilensteine
gesetzt hat.
Und
es gibt die Rede von Wilder, dem Zyniker und Medienkritiker.
In Filmen wie „Sunset Boulevard“, „Reporter des
Satans“ oder „Extrablatt“ wird seine Sicht der
Filmindustrie und des Journalismus besonders deutlich. Was kennzeichnet
darüber hinaus in diesen Filmen jene skeptische
Haltung, die in der Form des kommerziellen Hollywoodfilms
darin reüssiert hat, ein kritisches Bewusstsein zu bewahren
und neben den inhaltlichen Themen das Kino selbst in seinem Wesen,
seiner zeichentheoretischen, soziopolitischen,
psychologischen und ökonomischen Realität zu erfassen?
In einer ausführlichen Interpretation der Regiearbeiten Wilders
geht Daniel Hermsdorf dieser und anderen Fragen nach.
Eines
der Ergebnisse dieser Recherche ist, dass die vorgebliche Geringschätzung
Wilders für Sigmund Freuds Psychoanalyse fragwürdig
genannt werden kann. „Setzen Sie sich lieber auf die Couch.“
– „Die Couch? Das wird ja immer gemütlicher hier!“
sagt Captain Pringle
zu Erika von Schlütow in „Eine
auswärtige Affäre“. Doch was Wilder in Kinosälen
und Fernsehzimmern inszeniert hat, ist nicht nur Entertainment.
Es lässt sich sehen als konsequente Befragung der Funktionen
von Fantasie und bildlicher Repräsentation, der psychischen
Dispositionen von Filmemachern und -konsumenten, der Zeichenlogik
des Films als kapitalistischer Massenware und erfolgreichster Kunstform
der Industriegesellschaft.
Dass
Wilders Filme als Ware funktionieren, muss nicht
mehr bewiesen werden. Dass sie jedoch ihren eigenen Charakter als
Ware differenziert thematisieren, ist eine Entdeckung. Und in dieser
Selbstreflexion werden Freuds Definitionen von Traumzeichen und
Symptomen erneut aktuell – als bewusste künstlerische
Kritik der Erzählform des Spielfilms, in der
sich unsere Kultur ihre neuen Mythen mit den Vorzeichen von Vermarktung
und Reproduzierbarkeit erträumt hat.
Eine
große Zahl zuvor selten thematisierter ästhetischer
Strategien des Regisseurs kommt so erstmals zur Sprache –
es ist das Vermächtnis eines brillanten Ironikers und Moralisten,
der bei aller öffentlichen Lobpreisung dennoch oft verkannt
worden ist.
|