Informationen zum Buch
       Billy Wilder.  Filme – Motive – Kontroverses
       von Daniel Hermsdorf

       Bochum 2006, Paragon-Verlag, 290 S., 18 €
       ISBN: 978-3-932872-16-7

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Am 22. Juni 2006 wäre Billy Wilder 100 Jahre alt geworden. Sein Leben ist eine Geschichte des 20. Jahrhunderts. Seine Filme sind Filmgeschichte. Für die publizistische und wissenschaftliche Öffentlichkeit scheinen die Koordinaten für eine Charakterisierung von Wilders Filmen klar zu sein: Wilder, der Meister der Komödie. Wilder, der in Genres wie dem Kriegsdrama und der Liebesromanze auf seine Weise Meilensteine gesetzt hat.

Und es gibt die Rede von Wilder, dem Zyniker und Medienkritiker. In Filmen wie „Sunset Boulevard“, „Reporter des Satans“ oder „Extrablatt“ wird seine Sicht der Filmindustrie und des Journalismus besonders deutlich. Was kennzeichnet darüber hinaus in diesen Filmen jene skeptische Haltung, die in der Form des kommerziellen Hollywoodfilms darin reüssiert hat, ein kritisches Bewusstsein zu bewahren und neben den inhaltlichen Themen das Kino selbst in seinem Wesen, seiner zeichentheoretischen, soziopolitischen, psychologischen und ökonomischen Realität zu erfassen? In einer ausführlichen Interpretation der Regiearbeiten Wilders geht Daniel Hermsdorf dieser und anderen Fragen nach.

Eines der Ergebnisse dieser Recherche ist, dass die vorgebliche Geringschätzung Wilders für Sigmund Freuds Psychoanalyse fragwürdig genannt werden kann. „Setzen Sie sich lieber auf die Couch.“ – „Die Couch? Das wird ja immer gemütlicher hier!“ sagt Captain Pringle zu Erika von Schlütow in „Eine auswärtige Affäre“. Doch was Wilder in Kinosälen und Fernsehzimmern inszeniert hat, ist nicht nur Entertainment. Es lässt sich sehen als konsequente Befragung der Funktionen von Fantasie und bildlicher Repräsentation, der psychischen Dispositionen von Filmemachern und -konsumenten, der Zeichenlogik des Films als kapitalistischer Massenware und erfolgreichster Kunstform der Industriegesellschaft.

Dass Wilders Filme als Ware funktionieren, muss nicht mehr bewiesen werden. Dass sie jedoch ihren eigenen Charakter als Ware differenziert thematisieren, ist eine Entdeckung. Und in dieser Selbstreflexion werden Freuds Definitionen von Traumzeichen und Symptomen erneut aktuell – als bewusste künstlerische Kritik der Erzählform des Spielfilms, in der sich unsere Kultur ihre neuen Mythen mit den Vorzeichen von Vermarktung und Reproduzierbarkeit erträumt hat.

Eine große Zahl zuvor selten thematisierter ästhetischer Strategien des Regisseurs kommt so erstmals zur Sprache – es ist das Vermächtnis eines brillanten Ironikers und Moralisten, der bei aller öffentlichen Lobpreisung dennoch oft verkannt worden ist.