Sloterdijks unabgeschlossene Position zum Kulturverlust

Gestern Abend in der Berliner “Urania” bei Peter Sloterdijk effektives Schweigen zu Manfred Ostens Fragen nach geschätzten 200 Mio. Afrikanern als sog. “Klima-Flüchtlingen” bis 2050, ebenso zur Verwestlichung des Islams (wie von Sloterdijk einst in einem laut eigener Aussage “leichtsinnigen Buch” in Aussicht gestellt).

Der Blick in ein neuestes SRF-Interview von Yves Bossart mit dem Philosophen (“Sternstunde Philosophie”, 07.04.2019) führt schon etwas weiter:



Bei 35:26 Min. wird er konkreter. Er sagt betr. des singulär christlich geprägten Samaritertums bis zur Selbstaufgabe, dass unbegrenzte Zuwanderung Selbstzerstörung sei. (Das müsste man Sloterdijk mit christlichen Vertretern ausdiskutieren lassen. Es ist der Befund eines Bankrottes genuin christlicher Denkweise als in der gegenwärtigen Situation selbstmörderisch. Es gibt nur entweder oder – entweder Abwicklung des Christentums in seinem Kern oder den ethnischen und kulturellen Tod.)

Der Interviewer spricht nochmal die “Pflicht auf Abgeben” an und identifiziert z.B. Steuern mit “Gerechtigkeit”, worauf Sloterdijk widerspricht. Letztere könne Ungleiches “allzu gleich” behandeln. Eine Form von Gerechtigkeit sei es z.B., Gymnasien und höhere Schulen zu unterstützen.

42:22 Min.: Unbedingtes Aufenthaltsrecht für Afrikaner führe ins Bodenlose. Der Interviewer hält sofort “humanitäre Pflichten und eine UN-Flüchtlingskonvention” entgegen, was erneut unwidersprochen bleibt, weil der Interviewer beschließt, nun vom Politischen zum Persönlichen wechseln zu wollen.

Wir treffen hier die allgegenwärtige Problematik an, dass aufgrund knapper zeitlicher Formatierung des Eigentliche nie diskutiert wird und das nächste Mal nur wieder vom selben Anfang bis zum unfertigen Ende gesprochen wird.

Auf diesem Stand verbleibt dann ein Publikum, das etwa trotz grundsätzlicher Gefahren für die eigene Existenz in steigendem Maße eine Partei wie “Die Grünen” wählt.

Der junge Interviewer des Schweizer Fernsehens stellt hier in seiner Gesprächsführung einen Typus vor, den das akademische System der westlich geprägten Staaten in Masse hervorgebracht hat. Er kennt nichts anderes als einen verkürzten Gerechtigkeitsbegriff, den zu korrigieren er abermals Sloterdijk hindert. (Gewisse Auftritte seiner eigenen ZDF-Sendung “Philosophisches Quartett” etwa mit Gunnar Heinsohn waren schon ob des späten Sendetermins notwendigerweise homöopathische Gegenbeispiele.)

Die Diskussion müsste noch viel, viel weiter gehen. Natürlich ginge es darum, ob die dem zugrundeliegenden Ideologien nur ein Betriebsunfall dieser westlichen Kulturen sind oder ob sie mit bestimmten Interessen in Umlauf gebracht wurden – und wie. So manche unabhängigen bis verfehmten Buchveröffentlichungen und Internet-Öffentlichkeiten sind schon erheblich weiter gekommen als das, was sich hier abermals Qualitätspresse nennt. Auch in Sloterdijks eigenen Schriften kommt derlei nicht vor – es sind Ausblendungen ganz wesentlicher Fragestellungen zu eigenen Kernthemen – und zum Fortbestand einer solchen philosophischen Kultur überhaupt.

Wenn darüber hinaus die niedergehende Demografie der Industrieländer zum Vorwand für Einwanderungspolitik genommen wird, hätten Sloterdijk und anderen Prominente die Pflicht, die dem zugrundliegenden kulturellen Entwicklungen zu reflektieren. (Was die psychosoziale Dimension familiärer Kultur in Massenmedien betrifft, liegt dies meinerseits in dem Buch “Glotze fatal. Wie TV-Unterhaltung Leben zerstört” seit 2011 vor – und darf vom Mainstream, wie wir sehen, fröhlich ignoriert werden.)

Einstweilen nutzt uns das leider nichts. Man wird an diesen Stellen wohl einfach immer so weiter machen.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

6 Antworten

  1. Vielleicht trägt dies ja zur Klärung der Gerechtigkeits-Begriffe bei. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften informiert:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    die Globalisierung rückt das Thema internationale Gerechtigkeit immer stärker in den Fokus. Letztlich geht es um die Frage moralischen Handelns auf globaler Ebene, um eine globale Praxis, die prinzipiell für alle gerecht ist. Ausgangspunkt der Debatte ist dabei die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit grundlegender Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die zumindest innerhalb demokratischer Nationalstaaten gelten: Inwieweit kann der Anwendungsbereich innerstaatlicher Prinzipien sozialer Gerechtigkeit global ausgedehnt werden? Bestehen auf globaler Ebene andere, gegebenenfalls schwächere Beziehungen moralischer Verantwortung, die entsprechend andere Prinzipien globaler sozialer Gerechtigkeit fordern? Ziel der interdisziplinären Arbeitsgruppe “Internationale Gerechtigkeit und institutionelle Verantwortung” war es, einen interdisziplinären Diskurs anzustoßen, um die institutionellen Bedingungen einer Politik internationaler Gerechtigkeit zu klären. Auf der Abschlussveranstaltung sollen die wichtigsten Ergebnisse des dreijährigen Gedankenaustausches zwischen Philosophie, Politikwissenschaft und Völkerrecht präsentiert werden.

    Präsentation der Arbeitsergebnisse und der Abschlusspublikation der interdisziplinären Arbeitsgruppe “Internationale Gerechtigkeit und institutionelle Verantwortung”
    Freitag, 10. Mai 2019, 18:00 Uhr
    Akademiegebäude am Gendarmenmarkt
    Einstein-Saal, Jägerstraße 22/23, 10117 Berlin

    Der Eintritt ist frei, um Anmeldung wird gebeten bis zum 03.05. unter diesem Link: https://www2.bbaw.de/abschluss-igiv

  2. Ingo Bading sagt:

    Diese Sucht, jemanden “erreichen” zu wollen. Oder diese Sucht, sich einzureden, es wäre notwendig jemanden zu “erreichen”. Wenn Du etwas wesentliches zu sagen hast, ist es nicht wichtig, ob und wer es erreicht. Hat Giordano Bruno besonders viele Menschen erreicht zu seinen Lebzeiten? WAR er wichtig, bedeutsam?

    Im Grunde ist es ein Zeichen dafür, könnte ein Hinweis darauf sein, NICHT bedeutsam zu sein, wenn Du viele erreichst. Jedenfalls würde ich die ganze Sache auch noch mal von der Seite her betrachten. Kann nicht schaden. WER ist es denn, den Du erreichst, den Du erreichen kannst. Man sehe sich die Leute doch an. Ich kriege das Schlottern, wenn ich sie mir ansehe. Die Psychohygiene von heute erfordert es, daß ein gewisser nicht geringer Teil der eigenen Seele zum Menschenfeind wird, zum Verachter des Gegenwärtigen. Und dann pfeift man aber schon lage darauf, etwas zu “erreichen”.

    “Erreicht” wird DANN etwas, wenn Leute offen sind für etwas. Es ist kaum steuerbar von außen, wann ein Mensch wirklich offen ist für etwas. Auf Youtube erhalte ich viele Rückmeldungen. Nur bei ganz wenigen habe ich das Gefühl: WOW, da hab ich jetzt jemanden erreicht insofern, als er SELBSTSTÄNDIG die Dinge weiter denkt (auf philosophischem Gebiet vor allem, auf grundlegendem Gebiet, alles andere ist eh weniger wichtig).

    Und zum Dritten: Ein guter Maßstab ist die Wissenschaft. Da war schon immer nicht das Grundprinzip für Wahrheit, ob man viele damit “erreicht”. Es ist auch nicht das erste Ziel eines guten Wissenschaftlers, viele zu erreichen. Ein guter Wissenschaftler sagt sich: Das Gute, das Wahre setzt sich – früher oder später – durch, das muß mir nicht erstes Anliegen sein, es zu erreichen, daß es sich durchsetzt. Aber es muß mir aller erstes Anliegen sein: gute Wissenschaft zu machen.

    Naaaaaaja.

    Bei Dir streitet wohl der Medienwissenschaftler, der etwas “erreichen” will noch sehr stark mit jenem Medienwissenschaftler, der einfach gute Wissenschaft machen will. Wobei das letztere hinsichtlich der so spät entstandenen Wissenschaftsrichtung, die so wenig an die evolutionären Wissenschaften bislang angedockt ist, eh zweifelhat ist, was es da heißen könnte, einfach gute Wissenschaft zu machen und über diese sich selbst und andere zu informieren.

    • Deiner Logik nach könnte ich mir den Aufwand mit einer Internet-Seite dann ja ganz sparen.
      Ich lese den Ausdruck solchen Missfallens gerne … als Jugendlicher am liebsten in Texten von Thomas Bernhard.
      Ein Prädikat wie Gefallsucht würde ich aber von mir weisen – es geht hier immer nur um vergleichsweise kleine Publika, die überhaupt zu erreichen sind. Dass Wissenschaft keine Mehrheitsfrage ist, ist mir wohl bekannt. Wesentlich ist aber doch, dass man

      • überhaupt Arbeitsmöglichkeiten hat;
      • Resonanz erhält, die zur Weiterarbeit motiviert.

      Ich weiß nicht, was derlei mit “Sucht” zu tun hätte.
      Und es kommt dann noch auf die Inhalte an. Ich nehme an, Du sprichst auch nicht über Kindesmissbrauch, um damit möglichst wenige zu erreichen. Wenn ich damit niemanden erreichen wollte, würde ich mich teilweise mit ganz anderen Inhalten beschäftigen.
      Und Du tust immer wieder so, als könne man sich eine Welt, in der es Massenmedien gibt, einfach wegdenken. Das verfolgt einen doch auf Schritt und Tritt. Sobald man überhaupt in Interaktion ist – und sei es in Kleinstgruppen -, sind das für mich schon essenzielle Fragen und Themen, wenn sie Medien auf verschiedensten Ebenen betreffen.

  3. Ingo Bading sagt:

    Auf deinem Twitter sehe ich grade seit 31. März nur Tagespolitik. Auf Deinem Blog seit unserer letzten “Diskussion des Völkischen” ebenfalls.

    • Ich verstehe Deinen Ansatz – und wir haben über derlei schon gestritten. Es hilft leider quantitativ nur sehr wenig (praktisch effektiv nichts), in irgendeiner Nische des Internets über Dinge zu reden, von denen Menschen heute offensichtlich nur selten wissen, dass sie sie zu interessieren hätten. Der Anschluss an bereits etablierte Themen und Personen ist eine Gegenmaßnahme dazu. Dazu gehört auch, einen die mediale Öffentlichkeit in seinem Fachgebiet vergleichsweise stark bestimmenden Exponenten wie Sloterdijk darauf hinzuweisen, wo bei ihm von einer “Liebe zur Weisheit” wohl kaum mehr zu sprechen ist, wenn der Gedanke unpräzise und nicht ansatzweise zu Ende gedacht ist. Zumal einer, der mit Zeitkritik oder jener an einer “zynischen Vernunft” nicht gespart hat, hätte sich dem zu stellen – er sucht sich aber offenbar nur schwache Gegenüber. Und das ist in seiner 68er Generation kein Einzelfall. Was sie äußerst dünnhäutig nicht vertragen können ist das, was sie als ihre eigene Disziplin wohl immer am stärksten in Anspruch genommen haben: Kritik.
      Aber ich merke schon: Statt Zustimmung dafür zu erhalten, wird man eher selbst kritisiert – und Sloterdijk an anderer Stelle gar nicht mehr, weil in den jüngeren Generationen wohl auch kaum jemand noch seine (oder andere) Bücher liest. Über dieses Programm kulturellen Verschwindens zu sprechen, macht für mich unbedingten Sinn. Manches von Sloterdijks Äußerungen wäre schon wert, erhalten zu werden, doch dafür tut er derzeit leider eher wenig. Er schreibt nur ein Buch nach dem anderen, dessen schieren Umfang unsere Öffentlichkeit überfordert. Auch darüber hätte er zu sprechen – und Autoren zu fördern, die dies tun. Erkennbar ist dies für mich nicht.

  4. Ingo Bading sagt:

    Gut, Daniel, ich fände es besser, wenn Du konkreter würdest, und – zum Beispiel – einfach die Inhalte der Bücher von Kevin MacDonald behandeln würdest, die jetzt vom Ausbeuter Amazon nicht mehr verkauft werden.
    Ich verstehe nicht, warum Du Dich an Stelle dessen an so wenig sagenden Leuten wie Sloterdijk abarbeitest. Wenn Sloterdijk etwas Weiterführendes zu sagen hat, hört man ihm doch gerne zu. Ansonsten hört man doch besser einfach nur weg und beschäftigt sich mit wertvolleren Dingen.
    Ich glaube, das muß die ganze alternative Öffentlichkeit noch lernen, bei wertlosen Dingen einfach WEGZUHÖREN, es nicht zu beachten.
    Jedenfalls sollte darauf geachtet werden, daß die kritische Beschäftigung mit wenig Weiterführendem in einem gesunden Verhältnis steht zu Hinweisen auf Weiterführendes.
    Ich hoffe, daß ich diesbezüglich auf meinen Blogs und auf meinem Videokanal auf einem einigermaßen guten Weg bin, noch längst nicht gut genug.

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung