#NSU-Prozess – Blamage für Rechtsstaat und bezahlte #Presse
Die Wahrnehmung des Prozesses zum sog. “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) ist ein Beispiel für das zunehmende Delirium unserer Öffentlichkeit. Seit dreieinhalb Jahren tagt man. Dauernd sieht man in Hauptnachrichten die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, begleitet von ein paar belanglosen Kommentarsätzen. Bei neuerlicher Durchsicht von Berichten kann ich nicht erkennen, was an einem Bericht aus der Anfangszeit mittlerweile unzutreffend wäre (“Frankfurter Rundschau”, 13.05.2013):
Dafür, dass ausschließlich Mundlos und Böhnhardt die zehn Morde begangen haben, gibt es keine eindeutigen Beweise. […] Die Möglichkeit weiterer Tatbeteiligter, schließt die Bundesanwaltschaft dennoch kategorisch aus.
Letzteres kann man wohl bestenfalls skurril nennen. Der Prozess behandelt schließlich immer wieder die Involvierung von Agenten des Verfassungsschutzes. Immerhin ist die Rede davon (“Berliner Zeitung”, 20.07.2015), dass
im Umfeld des NSU-Trios zwischen 1998 und 2011 mindestens 46 V-Leute des Verfassungsschutzes aktiv
waren. Richter Manfred Götzl sieht abschließend aber gar keine Notwendigkeit, im Rahmen des laufenden NSU-Prozesses diese Vorgänge abschließend zu bewerten (“Berliner Zeitung”, 01.08.2016):
Schließlich habe ein mutmaßlicher Täter keinen Rechtsanspruch darauf, dass der Staat seine Tat verhindert, wenn er davon Kenntnis hat.
Das ist beruhigend zu wissen und stärkt das Vertrauen. Mag § 286 StGB Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung dann also in einem anderen Verfahren zum Tragen kommen?
Das “Compact”-Magazin machte ein ganzes Spezial-Heft, dessen Autor Kai Voss schrieb ein Buch. Compact veröffentlichte in diesen Tagen nochmals ein langes Interview mit Wolfgang Eggert, das den Wust von Ungeklärtem und Verdächtigem aufzeigt. Es geht dort etwa um die Beteiligung von Mevlüt Kar, laut diesen Schilderungen ebenso Agent der CIA wie des türkischen Geheimdienstes MIT.
Dass wir im Zeitalter recht gleichgeschalteter Journalisten leben, zeigt ein Blick in “Die Zeit”. Wie in anderen Blättern finden sich Bemerkungen zu wichtigen Aspekten nicht nur dieser Ereignisse, wenn überhaupt, in Leser-Kommentaren. Die Wochenzeitung veranstaltet ein eigenes Blog zur Prozess-Berichterstattung, doch der Name Mevlüt Kar findet dort gerade eine Erwähnung in einem solchen Kommentar:
Solange noch nicht einmal alle Augenzeugen vorgeladen wurden – laut DIA Observations-Protokoll war ja z.Bsop. auch Mevlüt Kar am Tatort – scheint mir die ehemalige Lebensgefährtin eines Onkels des Opfers nicht unbedingt die höchste Priorität zu haben
Auch in diesem Beitrag von Blog-Autor Tom Sundermann (07.12.2015) ist es der Kommentator Per Lennart Aae (anscheinend dieser NPD-Politiker), der ihn mit ausführlichen Beiträgen wortreich angeht (hier und hier). Dabei ruft er andere Leser-Kommentatoren zur Räson, die dem Tenor des einstmals reputablen Blattes auf den Leim gehen:
Denn wie kämen Sie sonst dazu, zu behaupten, eine Verurteilung (wegen Mordes, unterstelle ich mal) sei „sicher mehr als wahrscheinlich“, obwohl die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos, also die unbedingte Voraussetzung für eine Mittäterschaft Zschäpes, nicht bewiesen ist, schon gar nicht die Alleintäterschaft der beiden? Auch an letzterer dürfen bei einer Verurteilung Zschäpes wegen Mordes keine ernsthaften Zweifel bestehen, denn sonst wäre ein auf Mord lautendes Indizienurteil nicht möglich, welches auf einer Anklage beruht, die gerade die Alleintäterschaft Böhnhardts und Mundlos‘ als zentrale Grundlage hat. Wie Sie sicher wissen, ist die Anwesenheit der beiden mutmaßlichen Täter an keinem einzigen Mordtatort nachgewiesen, während andererseits ein mit rechten V-Leuten befaßter Mitarbeiter des Verfassungsschutzes erwiesenermaßen an einem Tatort anwesend war, und bei dem entsprechenden Mord dieselbe Ceska verwendet worden sein soll wie bei den anderen „Döner-Morden“. Das bildet zusammen mit den dubiosen Äußerungen eines leitenden VS-Beamten in Telefongesprächen mit dem betreffenden, am Tatort anwesenden Beamten u.v.a.m. eine starke Indizienkette für die Beteiligung des Verfassungsschutzes an den Verbrechen. Der Prozeß wird zwar nicht gegen den Verfassungsschutz, sondern gegen Zschäpe, Wohlleben und ihre Mitangeklagten geführt, aber wenn die Täterschaft anderer nachgewiesen oder auch nur glaubhaft gemacht werden kann, ist die bisher angenommene, zwingende Voraussetzung für die Mittäterschaft Zschäpes und Wohllebens widerlegt oder zumindest ernsthaft in Frage gestellt. Dann können diese in einem Rechtsstaat auch nicht wegen Mordes verurteilt werden.
Das Blog “Friedensblick” (24.06.2015) kommt deshalb zu dem Zwischenfazit:
Es besteht der begründete Verdacht einer Beweismittel-Manipulation zulasten des Trios und dass Böhnhardt/Mundlos dazu ermordet wurden.
Dies fällt mir bisher an allen Mainstream-Berichten zum NSU auf: Sie schließen sich wesentlich der – zu den Morden als solchen bisher gänzlich unbewiesenen – Schuldvermutung der Bundesanwaltschaft an. Und sie verwenden keine Zeile darauf, bestehende Erkenntnisse daraufhin zu befragen, ob sie zur Version der Anklage besser passen als zu der Vorstellung, zumindest ein Teil der Mordserie sei auf Geheimdienste und mafiöse Strukturen zurückzuführen. Für Letzteres gibt es definitive Anzeichen. Und all dies passt zu der Vorstellung, die Erziehung aller Deutschen zum Selbstekel werde durch die Aufblähung rechtsterroristischer Aktivitäten von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und ihrer Komplizin Beate Zschäpe weiter vorangetrieben.
Dass hierin ein Interesse besteht, lässt sich zunächst ja damit begründen, dass niemand mehr bezweifelt, dass es die rechtsextremen Verbünde und Aktivitäten ohne tat- und zahlungskräftige Mitarbeit sog. Verfassungsschützer des Landes Thüringen in dieser Form nicht gegeben hätte. Neben der schwarzen Schuld-Volkspädagogik an Deutschen könnten als Synergie noch andere Faktoren auf die Konstruktion der offiziellen Version gewirkt haben. So ein Compact-Interview mit dem “NSU Leaks”-Blogger Fatalist (23.04.2016):
Meine Arbeitsthese ist, dass der angebliche Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard am 4. November 2011 in ihrem Wohnmobil in Eisenach ausgenutzt wurde, um ungelöste Kriminalfälle sozusagen zu entsorgen. Nach Studium der Akten ist mein Verdacht, dass es mit dem Tod der beiden eine leere Hülle gab, die von verschiedenen Akteuren befüllt wurde.
Zur Frage nach dem angeblichen Selbstmord von Böhnhardt und Mundlos gibt es einen wesentlichen Strang in der Berichterstattung, der typisch ist für anti-verschwörungstheoretische Propaganda: das Aufbauschen eines verschwörungstheoretischen Verdachts, der schließlich entkräftet wird. Im Gegensatz zu allem anderen Ungeheuerlichen darf die Presse darüber natürlich berichten.
Im NSU-Fall war dies der Hergang des Todes der beiden Terroristen in ihrem Wohnmobil. Mundlos soll Böhnhardt so durch dessen Schläfe erschossen haben, dass der Schuss durch die Decke des Fahrzeugs ging. Danach lud er die Pumpgun durch und erschoss sich selbst durch den Mund. Für eine Weile geisterte dann die zweite Patronenhülse durch die Berichte. Sie habe doch nicht auf dem Boden liegen können, weil dazu ein neuerliches Durchladen erforderlich gewesen wäre. Experten fanden dann jedoch heraus, dass nach einem Schuss die Patrone doch durch eine Öffnung herausgefallen sein könnte (“Frankfurter Allgemeine Zeitung”, 02.04.2014).
Dass Waffenexperten (wie Siegmund Mittag laut N24 via “Huffington Post”, 31.10.2013) das nicht sofort hätten sagen können, verwundert etwas. Dies spricht für eine Zeitungsente, die erst einmal durch die Krimi-Gucker-Gemeinde getrieben werden soll, bevor man sie wirkungsvoll entlarvt. Am besten ist es, wenn es später noch Zweifler gibt, die sich gerade auf dieses Detail beziehen. An ihnen kann dann exerziert werden, dass ein sog. Verschwörungstheoretiker sich nicht zuletzt auf Sachverhalte bezieht, die bereits von sog. ‘echten Experten’ und Qualitätspresse falsifiziert wurden.
Schon im Fall NSU, der bei Gott eine geringere Komplexität hat als etwa 9/11, reicht derlei als Spielmaterial für System-Journalisten aus. Auf alles andere gehen sie nicht ein, während interessierte Leser es mittlerweile im Internet in Hülle und Fülle finden. Im Blog “NSU Leaks” (02.12.2014) wird etwa anhand der Polizeiakten auf fehlende Fingerabdrücke auf allen Waffen hingewiesen – einschließlich des Gewehrs, mit dem Mundlos Böhnhardt und sich selbst erschossen haben soll.
Eine einfache logische und psychologische Frage wird zum Tod der beiden Terroristen nach meiner Beobachtung erst gar nicht gestellt: Warum sollen sie sich nach Durchführung eines Banküberfalls beim Nahen nur zweier Polizisten im Wohnmobil sofort erschossen haben? “Die Welt” (21.05.2014) bemüht sich eifrig um den Lügenpresse-Pokal:
Die beiden Streifenbeamten waren wohl der unmittelbare Auslöser für den Suizid der zwei mutmaßlichen Killer des NSU. Offenbar bemerkten die beiden Bankräuber die Polizisten und sahen keine Chance auf eine erfolgreiche Flucht mehr.
Sollte Autor Per Hinrichs eine Journalisten-Schule von innen gesehen haben, müssen seine Ohrenschützer gut gewirkt haben. Das Adjektiv “mutmaßlich” gönnt er zwar den “Killern des NSU”. Ansonsten fragt man sich aber, woher diese Auffassung des Hergangs eigentlich stammt. Sie drückt sich in den Worten “wohl” und “offenbar” aus, gibt aber dafür weder eine Quelle noch eine anderslautende Einschränkung an.
De facto können wir in der angeblich so gar nicht lügenden Presse also lesen, dass ein Terroristen-Trio 13 Jahre lang im Untergrund lebte. Dabei soll u. a. die Polizistin Michèle Kiesewetter nur zur Erlangung ihrer Dienstwaffe eiskalt getötet worden sein (so die nachträgliche Beschuldigung, die Beate Zschäpe erhebt, siehe “Thüringer Allgemeine”, 02.12.2015). Nach einem geglückten neuerlichen Banküberfall sahen die beiden Männer dann zwei Uniformierte auf ihr Wohnmobil zugehen. Und offensichtlich waren sie von einer Sekunde auf die andere so verzweifelt, dass sie beschlossen, aus dem Leben zu treten, wobei der eine dem anderen den Waffengebrauch überließ. Nach angeblich zehn anderen Morden versuchte man nicht, auf die Polizisten zu schießen oder sie über den Haufen zu fahren. – Was, bitte, hätte sich für die beiden Männer nach einer eventuell geglückten Flucht dann verändert an ihrer Existenz als gesuchte Personen? Was hätte sie zuvor so verzweifeln, aber dennoch einen Überfall zur Geldbeschaffung durchführen lassen, bei dem eine eventuell überwindbare Komplikation sie dann zum sofortigen Selbstmord veranlasst haben soll?
Ich habe das beispielhaft so ausbuchstabiert. Man kann ganze Bücher mit solchen Fragen und Erwägungen füllen. Eine weitere Frage ist nach wie vor, ob man dies mit wirklich plausiblen Erklärungen der offiziellen Version auch ohne effektive Widerrede kann. Oder ob diese Mainstream-Version nicht, wie auch in anderen Fällen, in der monotonen Wiederholung überschaubarer Scheinwahrheiten besteht, die schon bei etwas genauerer Betrachtung als unwahrscheinlich gelten müssen?
Die Eingeständnisse von Beate Zschäpe fasst die Thüringer Allgemeine, wie zuletzt verlinkt, in einem Artikel zusammen. Sehen wir bisher irgendetwas, das dieser Version mit Beweiskraft widerspricht? – Fast alle Beweismittel fanden sich erst nach dem Tod der beiden Uwes im Wohnmobil und in jener Wohnung, die Beate Zschäpe eingestandermaßen in Brand setzte. Kaum etwas wäre leichter im Sinne von Geheimdienst-Operationen, an solche Orte einzelne spätere Beweismittel zu verbringen. Dies gilt für alle, die jedenfalls ich in Presse-Berichten bisher erwähnt finde.
Herrlich immer wieder, wie gewiefte Fachkräfte in Politik und Presse mit einfachen Funktionsweisen neuer Medien nicht vertraut sein wollen. Die “Berliner Zeitung” (20.07.2015) sieht in der Überschrift “Gewichtige Indizien gegen Zschäpe”, weiß dann aber allen Ernstes nur von einem YouTube-Konto “Liese 1111” zu berichten, “das Beate Zschäpe am 11. Januar 2011 angemeldet haben soll.” Ob solche “Indizien”, die es sind, nicht aber eher schwach als “gewichtig” sind, würde ich gegenfragen. Das NSU-Trio soll doch in konspirativer Wohngemeinschaft gelebt haben. Wenn der Internet-Browser eines dort verwendeten Rechners dauerhaft in einem Konto eingeloggt blieb – bedeutet das für die juristische Beurteilung auch nur annähernd einen belastbaren Beweis, dass es die Zschäpe und keiner der beiden Männer war, der so Berichte aus “Aktenzeichen XY” ansah? Und selbst wenn – kann dieses Interesse an weiteren Fällen nicht auch entstanden sein, wenn sie in Wirklichkeit nicht vom NSU begangen wurden? – Dass ein CIA-Hacker doch wohl sogar Log-Daten einer Plattform wie YouTube manipulieren könnte, finde ich nirgendwo erwähnt. Liegt dieser Verdacht nicht sogar nahe?
Noch mit den dürftigsten oder eigentlich rechtswidrigen Mitteln soll in der Dunkelpresse offensichtlich die Version ‘Zschäpe, die Täterin’ zementiert werden. N24 (10.03.2016) versteigt sich dabei in einer Überschrift zu der schlichten Falschaussage “Video überführt Beate Zschäpe der Lüge” – wer nur diese Überschrift liest, erhält sein Quantum Fehlinformation. Und das sind erfahrungsgemäß sehr viel mehr als jene, die den Beitrag anklicken.
Dem Bericht zufolge stieß das Bundeskriminalamt bei der Auswertung einer DVD aus der Wohnung der Gruppe auf Videomitschnitte, die darauf hindeuten, dass Zschäpe die Fernsehberichte über das Attentat am 9. Juni 2004 über Stunden mitschnitt. Demnach wurden die Aufnahmen, die in Teilen später für das Bekennervideo verwendet wurden, zu einer Zeit gemacht, als Mundlos und Böhnhardt noch nicht wieder aus Köln zurück in der Wohnung in Zwickau sein konnten.
Dies ist ein Beispiel für Beweismittel, die leichtens ohne das Wissen der Terroristen in ihrer Wohnung platziert worden sein können – auch punktgenau vor der Situation, in der die Zschäpe das Abfackeln des Hauses für geboten hielt, oder sogar nachträglich. Laut “taz” (10.03.2016) konnte aufgrund der von VHS-Videos auf DVD überspielten Aufnahmen “die Aufzeichnerin dann wohl nur eine sein: Zschäpe”, “wäre die Verteidigungslinie von Zschäpe erschüttert.” Unter Einsatz des bewährten “wohl” schließt sich taz-Autor Konrad Litschko damit der Argumentation eines Opfer-Anwaltes an, den er nach mehrfacher eigener Wertung der neuen Informationen zu Ungunsten Zschäpes auch noch zitiert:
Mehmet Daimagüler, einer der Opferanwälte im NSU-Prozess, sagte, mit den neuen Ermittlungsergebnissen sei die Glaubwürdigkeit Zschäpes „unter Null gesunken“.
Die manipulative Sonderbehandlung für flüchtige Leser kennt neben der irreführenden Überschrift auch die Suggestion am Ende eines Textes – feste Station beim Überfliegen (“Der Spiegel”, 21.07.2015):
Auf einem an die “Lippische Landeszeitung” versandten Umschlag befanden sich ebenfalls Fingerabdrücke von Zschäpe.
Im Artikel von Gisela Friedrichsen wird zuvor aber nicht gesagt, wo noch Fingerabdrücke von Zschäpe gefunden sein worden sollen. Einem neueren Beitrag von “NSU Leaks” (14.10.2016) zufolge gilt für alle 15 Adressaten inkl. der “Lippischen Landeszeitung”:
Es gibt keinen Beweis, dass Zschäpe die Videos verschickt hat. Es gibt nicht mal einen Beweis, dass ein „Bekennervideo“ bei den Adressaten eingegangen ist.
Was für die Lippische Landeszeitung an dieser Stelle nicht einzeln ausgeführt ist, wirkt für die “Nürnberger Nachrichten” schon arg verdächtig: Der Umschlag wurde erst drei Tage nach Zschäpes Verhaftung unfrankiert empfangen.
Wohlgemerkt: Ich will damit gar nicht suggerieren, dass die untergetauchten Neonazis zu diesen Taten nicht fähig oder willens gewesen wären, dass sie nicht mindestens einzelne der Taten auch begingen, dass es nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat, dass Zschäpe zur Milderung ihres Strafmaßes Beteiligungen bestreitet, die doch stattfanden. Der Ehrgeiz von hiesigen Journalisten, das Urteil über eine sozial benachteiligte, vom Links- in den Rechtsradikalismus geschlitterten, schließlich inhaftierten Frau schon vorwegzunehmen, ist jedoch an erwähnten Artikeln allzu ersichtlich. Der von denselben angeblichen Qualitätsblättern bei jeder Gelegenheit perhorreszierte Kopp Verlag bietet gratis schon detailliertere und aufschlussreichere Artikel mit sinnvollen und anderswo ungewohnten Fragen (wie hier oder hier). Zahlreiche “NSU Leaks”-Beiträge zeigen an Prozess-Akten auf, wo Widersprüche bestehen oder nicht ausermittelt wurde. (Beispiele: Fingerabdrücke und DNA-Spuren an DVDs und DVD-Versionen sowie Unregelmäßigkeiten der Verpackung und Adressierung hier und hier.) – Nie würde dergleichen von einem großen Blatt zitiert oder verlinkt.
Eher witzig ist es auch, wenn nur in einem solchen Fall – und etwa nicht bei US-Präsidentschafts-Kandidaten – “Die Zeit” (29.10.2016) zur Zschäpe aus einem psychologischen Gutachten belastend zitiert:
In der Folge attestiert der Gutachter ihr „ein breites Repertoire von situativ angepassten, kontrollierten und variierenden Verhaltensweisen“.
Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie System-Journalisten sich direkt oder indirekt eher mit Macht solidarisieren und sich einfache und eher schwache Opfer suchen, an denen sie ihren – meist dann vermeintlich linksorientierten – Moralismus exerzieren. Sie gleichen darin Terroristen, die sich nach den Zeiten der RAF offensichtlich niemals mehr einen höheren Funktionsträger als Opfer wählten. Warum eigentlich? Um durch die Ermordung mehrerer Döner-Verkäufer die Islamisierung des Abendlandes zu verhindern?
Der Fall NSU ist in höchstem Maße verdächtig, von staatlicher Seite aus für die darauf folgende propagandistische Praxis die Steilvorlagen geliefert zu haben. Eine zu erahnende Logik ist die der false flag operation und einer Strategie der Spannung. Dass dabei Menschen zu Schaden und zu Tode kommen, lag schon nach den bekannten Tatsachen im Kalkül einer Institution wie dem Verfassungsschutz. Er wird sich implizit dabei wohl auf eine Theorie innerer Sicherheit berufen, die davon ausgeht, entsprechende Taten hätten sonst auch, dann aber vollkommen unkontrolliert, stattgefunden.
Es ist mit diesem Wissen dennoch nicht falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass ein politisches Ziel auf dem Wege terroristischer Gewalt nicht zu erreichen ist. Immerhin bieten sich an diesem Schulbeispiel auch Ansatzpunkte dafür, wie eine wache Öffentlichkeit mit Manipulation und Desinformation jedweder Art umgehen kann und sollte. Nur sind wir leider noch nicht so weit, dass es dafür lebensfähige Organe gäbe.
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