Was hätte ein #Bundespräsident #Steinmeier über #Corona zu sagen?
Eigentlich bin ich es sehr müde, solche Fälle abzuarbeiten. Die Muster sind natürlich immer ähnliche – nun aber durch “Corona” modifiziert, verschärft, stärker immunisiert gegen Kritik durch die Drohung mit einer schweren Krankheit.
In der Bild am Sonntag äußert sich heute Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Halten wir uns an die Regeln, reduzieren wir noch einmal unsere Kontakte.
https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/mehr-als-100-000-corona-tote-in-deutschland-bundespraesident-steinmeier-schreibt-78375048.bild.html
Ich spreche hier an erster Stelle für Freiberufler, Selbstständige (in privater Hinsicht auch Alleinlebende). Zu dem größten Irrwitz meiner eigenen biografischen Erfahrung gehört, dass von der Praxis meist weit entfernte universitäre Lehrende unsereinen in eine Berufswelt überleiteten, in der ganz andere Aspekte primär sind als im Uni-Curriculum enthalten. Dabei war meine Studentengeneration der 1990er Jahren die erste, die man zur “Generation Praktikum” zählt. Die Realitätsfremdheit unserer Lehrer bestand darin, einerseits brav in das Horn “Ihr müsst Praxiserfahrungen sammeln” zu tuten, andererseits aber eine tendenziell narzisstische Elfenbeinturm-Mentalität zu pflegen, in der von Studenten letztlich gefordert wurde, mit einer Gründlichkeit Lehrinhalten selbstständig zu folgen, die im Laufe des längeren Lebens der Lehrenden bereits exponentiell angewachsen waren; dieser Druck unter der neoliberalen Schröder-SPD-Regierung nochmals verschärft dadurch, dass man nicht nur die Theorie-Vorlieben der Uni-Dozenten zu bedienen, gleichzeitig explodierende Neuveröffentlichungen zu lesen hatte, sondern auch noch zur berühmten eierlegenden Wollmilchsau der digitalen Produktionsmittel einerseits und der marktorientierten Verwertungsformen andererseits werden sollte. Und zur Selbstorganisation des flexiblen Arbeitnehmers sollte man dabei unermüdlich “netzwerken”, also Veranstaltungen und private Treffen in großer Zahl besuchen, um dort anderen Menschen zu begegnen.
Wie nimmt sich dagegen Steinmeiers Biografie aus? Er ist eine reine Uni-Pflanze. Seinem Wikipedia-Eintrag zufolge verbrachte er sein ganzes Arbeitsleben in Büros von Universitäten und politischen Institutionen. Als Akademiker verstieg er sich offensichtlich in linksradikale Positionen für eine Zeitschriften-Redaktion, die der Verfassungsschutz beobachtete und die von der DDR finanziert war. Als politischer Funktionär wandelte er sich dann zu einem spin doctor der neoliberalen Agenda seines Parteichefs Gerhard Schröder. Die dritte Einheit dieses Politikerlebens ist das Genre der bedächtigen Bundespräsidenten-Prosa, die aus allerlei rituellen oder aktuellen Anlässen mahnende, beschwichtigende, ermutigende Worte reiht.
Nun also folgt er einer Gesundheitspolitik, die die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus mit Impfungen einzudämmen versucht. Damit werden z. T. Umstrukturierungen der laufenden Digitalisierung forciert, was betriebswirtschaftlich langfristig Sinn machen dürfte, wie jede industrielle Revolution aber Opfer fordert. In Politikerreden werden diese meist mit einem verständnisseligen Nebensatz gewürdigt.
Was sich kein Bürger, mithin Betroffener klaglos gefallen lassen muss, ist, dass Politiker wie Steinmeier eine Vorgehensweise wie “Kontaktvermeidung” als scheinbares Heilmittel ohne weitere Differenzierungen dazu proklamieren.
Eine Administration, die diese Bezeichnung verdient, hat ja nicht nur selbst zu fordern, sondern auch zu liefern. Was bringt sie denn? Sie wird ggf. irgendwann eine Art von Grundeinkommen einrichten müssen (wie Experten auch heute nochmals in Springers Welt erwägen) – eben in großflächigerer Ermangelung von bisher bekanntem Wirtschaftsleben überhaupt.
Kontaktvermeidung bedeutet nicht nur für die Heranwachsenden ein nun schon jahrelanges Erfahrungsdefizit, das voraussichtlich als lebenslange Traumatisierung in unseren Gesellschaften weiterwirken wird. Absehbar sind verstärkte soziopsychologische Konflikte, Depression und Suchtverhalten – wie auch generell bei Arbeitslosen, Marginalisierten, teils durch gescheiterte Geschäftsideen Verschuldeten etc.
Wenn ein Steinmeier sich unter Anleitung von Medizinern, die die “Corona”-Agenda für richtig halten, nun zu einer solchen einfachen Empfehlung hinreißen lässt, sollte er sich doch eigentlich klar sein, dass die bloße Forderung nach einer solchen Vermeidung menschlicher Begegnungen u. a. diese Gefängnis-Situation nicht nur von Jüngeren befestigt. Für die Älteren, die i. w. S. Werktätigen, muss ich Konsequenzen hier sicher nicht nochmal ausbuchstabieren. Wer in eher systemrelevanten durchorganisierten Strukturen arbeitet, hat oft Mehraufwand, aber teilweise noch Sicherheiten durch “Corona-Hilfen” (die die kollektive Verschuldung treiben) und Erleichterungen durch mögliche Modus-Änderungen (home office).
Die Selbstständigen treffen bekanntermaßen andere Härten. Das sind andere bei Gewerbetreibenden als etwa bei Dienstleistern im kulturellen Bereich. Seit langem wird auch dahingehend über die Kreativbranchen gejammert – aber absehbar werden sie keine sonderliche Lobby in der staatlichen Politik haben.
Freiberufliches Arbeiten hat in hohem Maße mit Beweglichkeit und Außenkontakten zu tun. Dies spielt sich nicht, wie in dem für Steinmeier offensichtlich gewöhnten Modus, in Parteigremien und etablierten Veranstaltungsformaten ab, die man zur Not mit Mundschutz, Abstandsregeln, als Video-Konferenz abhalten – sowie im Zweifelsfall mit Ausfallhonorar einfach canceln kann.
Macht Steinmeier aktuell den Eindruck, als könne er für die ihm anbefohlenen Bürger in dieser Hinsicht differenzieren und eine wenigstens rudimentäre Komplexität der sozialen und wirtschaftlichen Situation abbilden, an der er mit einem Interview wie dem oben zitierten aktiv als Meinungsmacher mitwirkt?
Ich muss das aus meiner Wahrnehmung heraus verneinen. Bis zu Roman Herzog schien mir die Institution des Bundespräsidenten plausibel. Mit Joachim Gauck zog ein mir unerträglicher beflissener Predigt-Ton, eine selbstverliebt-süßlich-weltfremde Schönfärberei in diese Institution ein. Auch Steinmeier hat in meinen Ohren einen Tonfall, der von der ersten Sekunde an unauthentisch wirkt. Man hört heraus, dass er die Mentalitäten der movers and shakers kennt. Wie hart die anstehenden Umwälzungen für wen sein werden, können wir nur erahnen und mutmaßen. Wie realistisch ein Steinmeier diese sieht, ebenso. Es kann sein, dass er einen noch relativ milden Verlauf der Digitalisierung und wirtschaftlichen Neuordnung unter dem Siegel von “Corona” sicher voraussieht und die alte Ordnung bedächtig-palliativ säuselnd ausleitet. Es kann sein, dass er wie viele Politiker vor ihm erst die wirklichen Machtverthältnisse mühsam über Jahrzehnte kennenlernen musste, ihnen nun nicht mehr entkommen kann und ohne eigene Expertise darauf vertraut, dass ‘man’ es wohl schon wieder richten werde im Interesse der Vielen. Es kann auch sein, dass Steinmeier sich in größerem Umfang über ein massenhaftes Leiden und Sterben klar ist, das in einem Gefüge von Globalisierung, Bevölkerungswachstum, ökologischen Katastrophen, “Bekämpfung des Klimawandels” und nun einer angeblichen weltweiten “Pandemie” über die nächsten Jahrzehnte vonstatten gehen wird.
Wo es früher bedächtige, ernste, differenzierte, sanft fordernde Worte waren, die man von Bundespräsidenten erwartete, sind in meiner Wahrnehmung die Äras von Gauck und Steinmeier bestimmt von einer teilweise delirierend realtitätsfernen, im Kern rhetorisch einreduzierten, wenn nicht sogar verkitschten Sicht- und Darstellungsweise.
Man könnte doch vielleicht auch verdichtete sprachliche Formen dafür finden, dass derzeit Kolonnen von Nicht-Medizinern (und -Statistikern) in Windeseile zu Fürsprechern drakonischer Maßnahmen unter Aushebelung von Grundrechten werden; dass eigentlich wohl niemand wird sagen können, ob die Folgen einer v. a. Menschen ab dem Alter von 60 oder 70, in höchstem Maße aber mehr als 80jährige (im Fall eines ihnen angebotenen, aber versagenden Impfschutzes) bedrohenden Infektionskrankheit ohne flächendeckende Impfungen, Hygieneregeln und Kontaktverbote in der Summe ‘schlimmer’ wären (in Varianten nicht für dieselben Betroffenen) als die “Corona-Maßnahmen”, die aktuell die offiziellen Vertreter der Ärzteschaft und in ihrem Gefolge alle Spitzenpolitiker und Funktionäre fordern.
Der bundespräsidiale Stil von Steinmeier (wie in Abwandlung schon von Gauck) besteht für mich in einer vorläufigen Endstufe des Verlustes seriöser, nachvollziehbarer politischer Kultur. Wer sich das gefallen lässt, muss durch Jahrzehnte einer infantilisierenden medialen und politischen Kultur gegangen sein, in der zunächst unter dem Deckmantel von Political Correctness und anderen Theoriemoden (die über die Universitäten ausgerollt wurden) ein größerer Anteil selbstbestimmten kritischen Denkens demontiert und diffamiert wurde. An dem Endpunkt dieses Verlustes geistiger Selbstbestimmung und diskursiver Vielfalt (im Mainstream, der gegenüber der Stimmen-Pluralität des gleichzeitig als “verschwörungstheoretisch” stigmatisierten Internets heute meist nur noch naiv und öde wirkt) steht das Bild von Menschenschlangen, die vor Impfzentren darauf warten, sich verschiedene Stoffe mit einer Metallnadel injizieren zu lassen, angeleitet von “Prominenten”, die erst für “einen Pieks” die wiedergewonnene Sorglosigkeit versprachen, um nun in einer diffusen Erwartung von Dauerimpfungen unbekannter Anzahl von Mensch und Zeitraum zu enden, während weder Krankheits-Diagnosen, kurz- und langfristige Impffolgen, praktische Umsetzungen theoretischer Hygienevorschriften und damit verbundene Verhältnismäßigkeiten wirklich transparent wären – oder überhaupt sein können, was eine integre politische Rhetorik nicht mutwillig zu vernebeln, sondern anzusprechen hätte.
Steinmeier entblödet sich nicht, nach der erwähnten, von Anfang an völlig durchsichtigen Salami-Taktik der sich äußerst lukrativ auf Dauer stellen wollenden Impf-Industrie abermals das ‘Brechen einer Welle’ und ein ‘In-den-Griff-Bekommen der Pandemie’ zu beschwören:
Bewahren wir uns die Zuversicht, dass es uns gemeinsam gelingt, die vierte Welle zu brechen und die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Das wünsche ich unserem Land und Ihnen allen persönlich.
Wo die Fähigkeit fehlt, sich schwierigen und komplexen Realitäten überhaupt nur diskursiv zu stellen, bevor es in eine allseits beschworene “gesellschaftliche Aushandlung” ginge, flüchten Politiker allzu gern in ein Pathos, das den Willen zur Kritik bei Zuhörern dämpfen kann – hier die Rede von den Toten. Was lebendig sein könnte, wird gar nicht angegangen; was tot ist, wird ohne Risiko für den Sprecher verbal hin- und hergewendet und schwülstig beweihräuchert:
Welches Leid, welche Trauer, welcher Schmerz. Wir als Gesellschaft dürfen davor nicht die Augen verschließen. Wir schulden den Toten unser Angedenken.
Wie gesagt: Ich reagiere auf Steinmeiers Aussage hier so besonders allergisch, weil dies in meiner eigenen Biografie die definitiv bigotte und selbstwidersprüchliche Haltung von Älteren bzw. der diversen Administrationen darstellt, ohne erkennbares eigenes klares Bewusstsein erstens laufende Entwicklungen zu ignorieren, nicht oder kaum zu thematisieren (z. B. information overload, Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, globale Konkurrenz über das Internet, erhöhte Arbeitsbelastung und schlechtere Bezahlung durch digitalisierte und neoliberal gestreamlinete Arbeitsfelder), um nun in einer tendenziell narzisstischen Verbieteritis des Berufspolitikers “Kontaktverbote” auszurufen für die, von denen über Jahrzehnte mit aller Macht ein unablässiges Kontaktaufnehmen und Selbstorganisieren gefordert wurde.
Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen dürfte eines der größten sozioökonomischen Themen der letzten Jahrzehnte sein – mit Steinmeier als einem administrativen Mitwirkenden an erster Stelle in der Schröder-Regierung. Findet man von ihm überhaupt eine einzige Äußerung dazu? Ich gerade nicht:
https://www.google.de/search?q=frank-walter+steinmeier+prekarisierung+arbeit
Wer dazu keine Worte findet, füllt ein solches Amt nicht aus. Er simuliert es nur, und dies in seinem sprachlich-stimmlichen Habitus in einer für Betroffene schlichtweg unerträglichen scheinsouveränen Art und Weise. Wird hier so weitergemacht, wird von einem eher wachsenden Teil des Publikums nicht mehr zugehört (jedenfalls dort, wo nicht Verblödung herrscht).
Zu den damit einhergehenden strukturellen Vergewaltigungen gehört, dass eine Armada von perzeptiv und kognitiv offensichtlich eingeschränkten Wissenschaftlern und Publizisten bereitsteht, um die so angesprochenen weiter absehbaren Folgen des Politikverdrusses anschließend als Radikalisierung oder Verschwörungstheorie an den Pranger zu stellen. Dies alles sind Konturen eines seit Jahrzehnten gewachsenen, nun aber schrittweise weiter verschärften Systems der Gedankenkontrolle, Manipulation und der sich selbst gegen Kritik immunisierenden, sich scheinheilig als “transparent”, “demokratisch” oder “pluralistisch” gerierenden, unter dem Druck von Globalisierung, Kostenoptimierung und Digitalisierung aber selbst schrumpfenden und stressierten Funktionseliten.
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