#Facebook-Monopolisierung wird verdrängt

Gestern erschien auf Telepolis mein Beitrag “Dem Markt-Kannibalen Facebook knurrt der Magen”:

Wir müssen reden. Und wissen doch, dass es einstweilen gar nichts ändern wird. Zuletzt entwarf Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) neue “Wettbewerbsregeln” – Quasi-Monopolisten wie amazon, Facebook und Google sollen angehalten werden, auf ihren Plattformen Wettbewerber nicht zu benachteiligen. Der scheidende ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm sieht ebenfalls Handlungsbedarf, da Deutschland seine “digitale Souveränität” einstweilen schon verloren habe. Das sind allgemeine Befunde, die bestenfalls zu ganz neuen Mühen der Ebene führen.

https://www.heise.de/tp/features/Dem-Markt-Kannibalen-Facebook-knurrt-der-Magen-4627366.html

Während mein letzter Beitrag über “Container-Begriffe” recht viele Kommentare nach sich zog, ist zum aktuellen Beispiel der Diskussions-Bereich sehr überschaubar.

Es ist für mich nicht zuletzt ein weiteres Warnzeichen, wie es schon Gegenstand meines Artikels ist: Das Problembewusstsein der Öffentlichkeit ist sehr gering, während Monopolisierung und Plattformisierung rasant voranschreiten. Sie haben für die Publizistik weltweit schon große Flächen verbrannter Erde hinterlassen.

Der neueste Kommentar ist dann von dieser Güteklasse:

Nun sind die Urheberrechtsnazis vollkommen irre

Jetzt tun sie schon so, als wären die ganzen Gigantobytes an Selfies und Essensfotos mit Primitivkommentare Urheberrechtsverletzungen.

Ein Kopfschuss könnte Erlösung bringen.

Wenn ich Comics gucken will, kann ich jederzeit bspw. www.titanic-magazin.de eintippen.

https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Dem-Markt-Kannibalen-Facebook-knurrt-der-Magen/Nun-sind-die-Urheberrechtsnazis-vollkommen-irre/posting-35879788/show/

Hier sieht man ein Kommunikationsverhalten, wie ich es in Beispielen gerade auch neuerlich aus einer Facebook-Diskussion (über Windenergie) hier im Blog dokumentiert habe: aggressive Großmäuligkeit ohne Substanz, die sich im Netz breit macht.

Um es hier noch einmal kurz und deutlich zu sagen: Facebook und die anderen Plattformen haben bereits größere Teile eines Wertschöpfungsmodells zerstört. Selbst Familienangehörige von Journalisten haben (nicht zuletzt befördert durch die bestehenden herkömmlichen etablierten Medien-Filterblasen selbst) es heute noch nicht begriffen, was das Leben von Journalisten und anderen Text- und Geistesarbeitern seit nurmehr 20 Jahren begleitet: die Erosion ihres Geschäftsmodells und die radikale Entwertung ihrer Arbeit.

An dem gerade zitierten Kommentar sieht man, welche assoziativen Abläufe bei Ignoranten dazu eingeübt sind: Weist jemand (in absoluter Randständigkeit und Minderzahl von Beiträgen) auf ein immenses, existenzielles medienwirtschaftliches und geisteskulturelles Problem hin, wird er als “Urheberrechtsnazi” beschimpft. (Der bin ich ganz bestimmt nicht, schöpfe ich doch Zitatrechte viel extensiver aus als die meisten anderen und bin für Argumente zur Wissensallmende stets zu gewinnen. Das wäre durch ein paar Klicks zu meinem Namen im Internet auch schnell ersichtlich – aber die Unfähigkeit zu Recherche und Nachdenken beim Kommentator schließt eben auch diese Ignoranz ein.)

Man sieht wohl kaum dieselben assoziativen Bahnungen betr. der Plattform-Betreiber. Sie haben strategisch äußerst klug die Strukturen des Internets usurpiert und werden die über Jahrzehnte entstandenen Öffentlichkeiten und Märkte aller möglicher materieller und immaterieller Güter in immer noch zunehmendem Maße übernehmen – ohne, dass sie vergleichbare Anteile an deren Wertschöpfung hätten. So große Zweifel man an bestehenden Medienstrukturen haben kann (wir reden aber z. B. auch vom Einzelhandel) – weder verläuft dieser Prozess ansatzweise ausreichend politisch begleitet, noch wäre er im herkömmlichen Sinne ‘gerecht’, denn für individuelle Arbeit gibt es oft immer weniger Einkommen, während Plattform-Betreiber, Programmierer und Anteilseigner enorme Gewinne einstreichen, die sie ohne die unbezahlte Arbeit anderer überhaupt nicht erwirtschaften könnten. Sie machen sich u. a. die Barrierelosigkeit des Netzes und Myriaden von Rechtsverletzungen zunutze, die auf praktisch durchführbare Weise niemand ahnden kann.

Der Kommentator wirft also die auf den (Nicht-Handels-)Plattformen wie Facebook oder YouTube ebf. stattfindende Überfluss-Kultur rein privater und läppischer Verlautbarungen (“Gigantobytes an Selfies und Essensfotos mit Primitivkommentare”) ohne Nachdenken in einen Topf mit der von mir zusammengefassten Entwicklung von Öffentlichkeit und Medienmärkten. (Ich selbst habe offensichtlich unter derzeit fast 1.900 Facebook-Kontakten niemand, der die berühmten Katzen- oder Essensfotos teilt.) Es folgt beim Kommentator eine Hass-Rhetorik einschließlich des Bildes einer Exekution (im Sinne des Kommentars meiner menschlichen Person): “Ein Kopfschuss könnte Erlösung bringen.”

Es ist eins von Abermilliarden Zeichen im Netz, die bei einem Moment des Innehaltens uns zeigen, was wir hier gewärtigen: Gedankenlosigkeit und Dummheit gehen über zu Affekten brutalster Gewaltausübung, auch wenn sie hier noch im rein Sprachlichen verbleiben. Der psychologische Mechanismus ist für mich eindeutig: Die Leere im Kopf des Autors dieser Kommentar-Zeilen, seine mangelnde Bereitschaft oder Unfähigkeit, sich auf einen schwerwiegenden und komplexen Sachzusammenhang einzulassen, wird von seiner gestörten Psyche auf den einzigen offensichtlich zur Verfügung stehenden assoziativen Weg umgeleitet: den von (zunächst ‘nur’) sprachlicher Gewalt.

Das von mir angeführte Beispiel Comics wird nicht in der Hinsicht meines Zugangs aufgenommen: Ich kannte bisher keine einzige Bemerkung dazu, dass das Medium des Comics (nicht im selben Maße des Cartoons als Einzelbild) von den Urheberrechtsverletzungen der öffentlichen Plattformen eher ausgenommen bleibt. (Dasselbe gilt nicht für halböffentliche Tauschbörsen, wo die Schwarzkopien massenhaft kursieren.) Statt bei Bedarf auf den Gedanken einzugehen, wendet sich der Leser einfach vom Beispiel ab und bemüht sich, noch einen draufzusetzen. Die dazu erwähnte Satire-Zeitschrift “Titanic” ist in Wirklichkeit ein denkbar schlechtes Beispiel, da sie im Internet nur ein paar Häppchen herausgibt – ansonsten gehört sie zu den ganz wenigen Beispiel mit stabilen Druck-Auflagen. Sie bezahlt ihre Autoren nach wie vor recht gut. Dies hat seine Ursache wohl zunächst darin, dass witzige Satire ein selteneres Gut ist als etwa brauchbarer Tagesjournalismus. Die an Satire Interessierten sind dabei aber auch nicht jene absoluten Massen, durch die auf Facebook journalistische Inhalte inflationär geteilt und teilweise illegal kopiert werden etc., wie von mir im Telepolis-Artikel beschrieben.

Wenn man solche Zeilen hier tippt, sieht man potenzielle Reaktionen natürlich dementsprechend voraus: Sie wirken schnell larmoyant, da sie aus einer Position der Schwäche heraus formuliert sind. Im laufenden System (noch) Integrierte reagieren schnell höhnisch, da sie sich auf der Siegerseite wähnen und die auch für sie bestehenden Gefahren, so lange es geht, gerne verdrängen. Die konsumierenden Laien auf der anderen Seite, zu denen auch der zitierte Kommentator gehört, teilen sich wohl auf in einer übergroße Menge der Desinteressierten und Gleichgültigen, wenige problembewusste Idealisten und denen (die nicht selten in Kommentarbereichen die Lautesten sind), die dieses und andere Themen für Aggressionsabfuhr und gedankenloses Triumphieren im gedankenleeren Raum benutzen.

Ich bleibe bei den Aussagen meines Telepolis-Artikels und sehe die schwache Resonanz eher als Bestätigung seiner höchst berechtigten Anlässe. Wie gesagt: Die Entwicklungen sind weit fortgeschritten. Die Folgen sind für viele, die in der betreffenden Situation immer weniger Gehör finden, seit Jahrzehnten spürbar. Der Rest sind Verdrängung, Unfähigkeit zu Selbstorganisation und politischer Arbeit sowie eine Proletarisierung und Enthemmung mittlerweile selbst vermeintlich verhältnismäßig ‘intellektueller’ Kreise. Dass Letztere selbst oft Opfer langwieriger Des- und Nichtinformation durch etablierte Medien sind, wurde und musste von mir nicht unter der gegebenen Überschrift auch noch erneut angesprochen werden.

Auch für jeden Nicht-Leser eines solchen Beitrags werden sich die besprochenen Problemlagen weiter verstärken; die Folgen werden meist erst bemerkt, wenn es in jeder noch denkbaren Hinsicht zu spät ist, dagegen irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen oder zu unterstützen. Die Erfahrung mit dieser Publikation ist für mich dafür nur noch ein weiteres andersgeartetes Beispiel und betrübliches Symptom.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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