Oliver Schlaudts problembereinigter Begriff von #Migration

Im aktuellen “Merkur” ist ein Beitrag des Philosophen Oliver Schlaudt (Universität Heidelberg) enthalten: “Homo migrans: Schlaglichter aus der Dunkelheit der »Deep History«” (zeitlich begrenzt online frei verfügbar). Der Tenor ist eindeutig – und jedem Diskutanten zum Thema seit vielen Jahren von linksliberaler Seite bekannt.

Diese »globale Neuverteilung der Weltbevölkerung« (Mbembe) war weder Beiwerk noch Nebenfolge der Entstehung der modernen Welt, sondern deren Bedingung. Auch in Zukunft wird uns die Migration beschäftigen, denn Modernisierungsprozesse waren und sind oft auch ökologisch verheerend. Migrationsströme von enormen Ausmaßen werden die Folge sein. Die Weltbank sagt in einem aktuellen Bericht voraus, dass in den kommenden drei Jahrzehnten mindestens 140 Millionen Menschen gezwungen sein werden, aufgrund der durch den Klimawandel bedingten Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen den Wohnort zu wechseln. […]
Durch das Anwachsen der kulturellen Erbschaft wurden innovative Modifizierungen und Weiterentwicklungen stimuliert, und die Intensivierung der sozialen Kontakte verstärkte wiederum die Effekte des social learning.

https://www.merkur-zeitschrift.de/2020/01/06/homo-migrans-schlaglichter-aus-der-dunkelheit-der-deep-history/

Schlaudt breitet seine Gelehrsamkeit aus, die für sich genommen immer interessant ist. Man fragt sich aber (nicht ‘nur’), ob Wissenschaftler dieses Schlages aktuelle Berichterstattung überhaupt mitverfolgen. Das hat dann noch nichts mit “neurechts” oder “Verschwörungstheorie” zu tun. Denn eine Formulierung vom “Anwachsen der kulturellen Erbschaft” wird nach jahrzehntelanger Zuwanderung etwa aus moslemisch geprägten Ländern nach Deutschland und Europa laufend Lügen gestraft – es hat mit wissenschaftlichen Wahrheitskriterien schon in einer einfachen Betrachtung eigentlich nichts zu tun, oder?

Das ARD-Polit-Magazin “Report Mainz” etwa wartet dieser Tage auf mit dem Video-Beitrag “Warum sich in Deutschland geborene Türkischstämmige immer häufiger zurückziehen”:

Rund drei Millionen Menschen in Deutschland sind türkischstämmig – viele von ihnen sind in Deutschland geboren. Sie sind hier aufgewachsen und zur Schule gegangen, beherrschen die Sprache perfekt. Und dennoch ziehen sich immer mehr in die türkische Community zurück.

In fast jeder Kommunikation mit linksorientierten Akademikern trifft man nach meinem Eindruck eine weitgehende Ignoranz und Unkenntnis aller wesentlicher Probleme von Integration an. Ist dann ein Statement zu solchen Themen wie “Migration” allgemein gefragt, wie in diesem Aufsatz Schlaudts, weicht man aus in generalisierte abstrakte Bestimmungen einerseits, andererseits historische und aktuelle Beispiele ‘gelungener Integration’ und ‘kultureller Bereicherung’, die jedoch nichts mit großflächigem Bildungsversagen, systemischen Überforderungen mit fremdsprachlichen und oft bildungsfernen Zuwanderergruppen und einer Vielzahl von Fällen brutalster physischer Gewalt zu tun haben, die unsere Gegenwart prägen.

Der linke “Tagesspiegel” berichtet am 07.01.2020:

Der Schulplatzmangel hat eine neue Qualität angenommen – zumindest im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Hier können zurzeit knapp 90 potenzielle Schüler nicht unterrichtet werden, obwohl sie schulpflichtig sind.
In allen Fällen handelt es sich um Kinder und Jugendliche, die mangels Deutschkenntnissen Anspruch auf Förderung in Kleinklassen mit bis zu zwölf Kindern hätten. Es stellte sich allerdings heraus, dass sich unter den rund 60 Schulen im Bezirke keine einzige gefunden hat, die bereit wäre, diese zusätzlichen Kinder aufzunehmen. Die Schulleiter argumentieren mit Platzmangel und vereinzelt auch mit fehlendem Personal.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/hilferuf-an-die-schulleiter-berlin-kann-nicht-alle-kinder-beschulen/25394408.html

Findet man hierzu auch nur einen Nebensatz in dem schon ausführlicheren wissenschaftlichen Beitrag von Oliver Schlaudt? – Der Begriff “Islam”, der für die millionenfache Zuwanderung in Deutschland der letzten Jahren einer der wesentlichen ist, taucht kein einziges Mal auf. Auch “Religion” findet sich allen Ernstes nur im Rahmen einer Formulierung der hier oben angesprochenen gegenwartsvergessenen Gelehrsamkeit mit Bezug auf die italienische Renaissance und Pico della Mirandola:

Pico verweist auf den göttlichen Ursprung des Menschen, und die Versuchung ist groß, diese Antwort in die säkulare Religion unserer Tage zu übersetzen, indem man auf einen evolutionären Ursprung verweist: Menschen können dies eben dank ihres außergewöhnlichen Gehirns.

Eine solche “säkulare Religion unserer Tage” gehört demnach offensichtlich zu jenen kollektiv eingeübten Illusionen von sog. “Intellektuellen”. Sie verkennen ebenso die statistischen Dimensionen von Zuwanderung, die Bedeutung von Geburtenziffern wie auch die Persistenz archaischer religiöser Weltbilder, die im Islam einen quantitativ und qualitativ wohl gänzlich anderen Charakter hat als im Fall der Zuwanderung von Hugenotten oder Osteuropäern nach Deutschland etc.

Zur Integration von Moslems in Europa will etwa die Bertelsmann Stiftung positive Entwicklungen betonen und die bestehenden Schwierigkeiten in einer zu korrigierenden mangelnden Integrationsfähigkeit von Europäern sehen – jene Argumentationsfigur, die im linksliberalen Mainstream wohl immer noch beherrschend ist.

Die zugewanderten Muslime und ihre Nachkommen haben, wie alle anderen Einwanderer, bereits enorme Integrationsleistungen erbracht – und das, obwohl sie mit entscheidenden Hürden und Widerständen auf ihrem Weg zu kämpfen haben. Dazu zählen strukturelle Hürden etwa im Bildungssektor und auf dem Arbeitsmarkt. Im Falle der Muslime kommt dazu die mangelnde Anerkennung ihrer Religiosität, die, wie unsere Untersuchung zeigt, ihre Teilhabechancen mindert.

https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_LW_Religionsmonitor-2017_Muslime-in-Europa.pdf

Das Titelfoto der Studie ist allerdings ein Beispiel nicht zwangsläufig unfreiwilliger Komik:

Sobald es um eine substanzielle “Anerkennung ihrer Religiosität” von Nicht-Moslems in der einzigen erkenn- und überprüfbaren Programmatik des Islam geht, mag man sich über die wenigen überhaupt existierenden öffentlichen Kommunikationen erst sein eigenes Urteil bilden:



Bei Oliver Schlaudt liegt, wie schon angerissen, eine Typologie des Geisteswissenschaftlers unserer Tage vor, der aus bestimmten in sich schlüssig scheinenden Betrachtungsweisen heraus die angedeuteten problematischen Realitäten in Bausch und Bogen ignoriert. Zu seinen Buchveröffentlichungen gehört ein Titel wie “Die politischen Zahlen. Über Quantifizierung im Neoliberalismus” (2017). Der Feind ist mit dem “Neoliberalismus” klar benannt – die Stoßrichtung damit politisch links(liberal).

Politische Vorentscheidungen, zweifelhafte Annahmen, bisweilen bare Absurditäten bestimmen den Mechanismus, durch welchen eine zahlengläubige Gesellschaft beständig die Illusion nährt, Politik sei im Grunde überflüssig, da die richtigen Entscheidungen durch die “Fakten” bestimmt seien und letzte Fragen hinlänglich durch den Markt beantwortet würden.

https://www.perlentaucher.de/buch/oliver-schlaudt/die-politischen-zahlen.html

Wie hier nur an Beispielen anzudeuten, besteht jedoch zu dem von Schlaudt im aktuellen Beitrag besprochenen Thema von “Migration” in ihren tatsächlichen Ausprägungen zunächst ein laufender heftiger Streit, inwiefern Statistiken korrekt seien – und zwar in beiden Richtungen, zugunsten und zu Ungunsten der These, Massen-Zuwanderung (nicht allein) von Moslems und die schon bestehenden, schneller als die europäischen Bevölkerungen wachsenden Zuwanderergruppen seien in der Tendenz ohne gravierendste Probleme schließlich integrierbar. (Man sehe sich – wie hier im Blog immer wieder angesprochen – die regionalen Beispiele in Deutschland, das Ruhrgebiet oder Berliner Stadtteile wie Neukölln an – und behaupte dann allen Ernstes, bei entsprechend hohen Anteilen von Moslems sei das hiesige Sozialsystem selbsterhaltend und die Gewaltkultur unproblematisch.)

Kann man meinen beispielhaften Argumenten und Beispielen folgen? Schließen wir daraus, dass es im gegenwärtigen Uni-System eine ausreichende Qualitätskontrolle für Positionen wie die Oliver Schlaudts gibt? Wenn nicht – was folgt dann daraus? Wer kümmert sich darum – und in welchem Verhältnis steht dies etwa zur Öffentlichkeitswirkung einer Bertelsmann Stiftung, deren Ergebnisse ebf. anhand der einzigen für reale Personen sicht- und erfahrbaren Realitäten stets aufs Neue überprüft werden müssen, wie schon ihre zitierte Rhetorik eher einer Tendenz folgt denn anhand berichteter Gegebenheiten die primär realistische sein muss?

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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