#Fargo – Szenario eines künftigen Wilden Westens?

Die vierte Staffel der Netflix-Serie “Fargo” wird gerade angekündigt. Der schwarzhumorige Kinofilm der Coen-Brüder ist sehenswert (soweit ich mich erinnere nach 20 Jahren). Hier sind sie ausführende Produzenten der abgeleiteten Serie, die Idee hatte ein gewisser Noah Hawley.

Für schwarzen Humor habe ich eine Schwäche – aber er ist vielleicht auch einer der interessantesten Fälle für ein Nachdenken über dennoch angemessene ästhetische Gestaltung und haltlose Übertreibung, die im Fall von TV-Serien schon alleine in der zeitlichen Ausdehnung und von Mehrfach-Verwertung derselben Plots besteht. Die Inflationierung betrifft zudem bestimmte Extreme, in diesem Fall kriminelle Gewaltausübung.

Gerade in unserer Gegenwart ist dies ein besonderes Thema – denn es gibt einen fortgesetzten Streit darüber, wie Kriminalitäts-Statistiken zu bewerten sind und wie der Einfluss von einzelnen Zuwanderer-Gruppen auf das Gewaltniveau zu beurteilen ist.

Was soll man von Leuten erwarten, die einen solchen Serienstoff konsumieren? – Es ist doch nur eine Aneinanderreihung von Gewalt-Ereignissen und depperten Verhaltensweisen, dabei auch eine Integration von Schwerstkriminalität in vermeintliche Normalitäts-Erfahrungen. Es scheint mir möglich, dass die massenhaften, zumal jüngeren Zuschauer, aber auch die vermeintlich so pazifistischen Altlinken jedwede Antenne für Lebensrisiken und moralische Differenzen verlieren.

Für so manche der an Verbreitung und begeisterter Aufnahme der Serie “Fargo” Beteiligten gilt in ihrer Lebensrealität eine Charakteristik, wie in der Wikipedia-Zusammenfassung zuletzt zu einer Figur bemerkt: “Grimly wirkt verwirrt und meldet den Vorfall nicht.”

Mitte Januar 2006 wird Phil McCormick tagsüber in seinem Büro in Saint Paul von Lorne Malvo entführt, vermutlich wegen Spielschulden. In der Nacht kommt Lorne Malvos Auto auf einer Landstraße bei Bemidji nach einem Zusammenstoß mit einem Reh zum Liegen. Kurz darauf flieht der nur in Unterhose gekleidete Phil McCormick aus dem Kofferraum in den Wald.

In der Stadt trifft Lester Nygaard auf Sam Hess, seinen ehemaligen tyrannischen Highschool-Mitschüler. Sam schüchtert Lester ein, so dass sich Lester aufgrund seiner Nervosität versehentlich seine eigene Nase bricht. Lester begibt sich zur Notaufnahme und trifft dort auf den Profikiller Malvo, der sich beim Autounfall leicht verletzt hat. Dort unterhalten sich die beiden über Sam Hess, wobei Malvo ihm nahelegt, Sam umzubringen, eine Idee, der Lester weder zustimmt noch ablehnend gegenüber steht. Kurz darauf wird Sam von Malvo im Striplokal Lucky Penny umgebracht, da dieser das Gefühl hatte, den Mordauftrag für Lester erledigen zu müssen.

Am Tag darauf untersuchen Police Chief Vern Thurman und Deputy Molly Solverson das Autowrack von Lorne Malvo und finden im nahegelegenen Waldstück den erfrorenen Phil McCormick. Sie untersuchen ebenso den Mord an Sam Hess und erfahren, dass Lester und Malvo sich im Krankenhaus über Hess unterhalten haben. Vern Thurman fährt zum Haus der Nygaards, um Lester zu befragen. Jedoch ahnt er nicht, dass Lester während eines Wutanfalls seine Ehefrau Pearl mit einem Hammer erschlagen hat. Malvo, der von Lester angerufen wurde, um diesem zu helfen, kommt über den Hintereingang ins Haus und erschießt Vern mit einer Schrotflinte. Anschließend verschwindet Malvo, und Lester fügt sich selbst eine Kopfverletzung zu, um den Mord wie einen im Tatverlauf eskalierten Einbruch aussehen zu lassen. Später wird Malvo in Duluth wegen zu schnellen Fahrens von Police Officer Gus Grimly angehalten. Malvo stellt Grimly vor zwei Möglichkeiten: Leben oder Sterben. Malvo fährt weiter, Grimly wirkt verwirrt und meldet den Vorfall nicht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Fargo_(Fernsehserie)

Zu den Ausblendungen der überregionalen Presse und derer, die sie fast ausschließlich zur Kenntnis nehmen, sind Gewalt-Meldungen, die es meist ‘nur’ in die (per Internet leicht zugänglichen) Regionalblätter schaffen. Die Entsprechungen von “Fargo” zur bundesdeutschen Gegenwart lassen sich leichtens aufzeigen: Glücksspiel und sein kriminelles Umfeld, …

Der Berliner Senat und die Polizei haben ihre gezielten Kontrollen gegen illegales Glücksspiel und Bandenkriminalität fortgesetzt. […] Kontrolliert wurden insgesamt 27 Läden und 76 Geldspiel- und Wettautomaten, wie die Polizei am Freitag mitteilte. Die “beachtliche Beanstandungsquote” bei den Automaten habe bei 74 Prozent gelegen. Außerdem seien zwölf Straftaten, meist illegales Glücksspiel, und 43 Ordnungswidrigkeiten festgestellt worden.

https://www.morgenpost.de/berlin/article217031695/Razzia-gegen-Spielhallen-und-Wettbueros.html

… Schüler, die ihre Lehrer bis zum Mordversuch bedrängen, …

Drei Schüler werden wegen versuchten Mordes angeklagt, weil sie im Mai einen Lehrer der Martin-Luther-King-Gesamtschule mit Hämmern töten wollten.

https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/versuchter-lehrer-mord-mit-hammer-schueler-werden-nun-doch-angeklagt-plus-1428757.html

… allgemein zunehmende Gewalt organisierter Krimineller …

Die Zahl der kriminellen Großfamilien in dem Bundesland liegt nicht bei 50, wie lange angenommen, sondern doppelt so hoch. […]

Das Landeskriminalamt [von Nordrhein-Westfalen] stellt eine erhebliche kriminelle Energie in dem Milieu fest. In den Jahren 2016 bis Ende 2018 wurden Clans mehr als 14.200 Straftaten zugeordnet, jährlich etwa 4600. Im Zusammenhang mit diesen Straftaten sind fast 6500 Tatverdächtige aktenkundig geworden; davon sind 20 Prozent weiblich, ein überraschend hoher Wert nach Ansicht der Polizei.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article191003483/Organisierte-Kriminalitaet-Das-steckt-hinter-der-Verdopplung-der-Clans.html

… Auftragsmord …

Er gab den Mord seiner eigenen Ehefrau in Auftrag, weil sie sich von ihm trennte. Vor eineinhalb Jahren wurde der 71-jährige Dusan O. deswegen zu sechs Jahren Haft verurteilt.

https://www.rtl.de/cms/mannheim-dusan-o-wollte-ehefrau-ermorden-lassen-und-wurde-nach-haft-doch-freigesprochen-4373508.html

… sowie impulsive Beziehungstaten:

Nach einem tödlichen Ehedrama muss sich ein 56-jähriger Mann aus Essen seit Mittwoch wegen Mordes und Mordversuchs vor Gericht verantworten. […]

“Er hatte geglaubt, dass er alle Kraft aufwenden müsse, um gegen den Teufel anzukämpfen”, hieß es in der Erklärung. Am Ende habe er “Schatten, Teufel und Schwägerin” offenbar nicht mehr auseinanderhalten können.

Der Angeklagte war 1978 als 16-Jähriger aus Vietnam geflohen und hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft. Wegen einer angeblich bis heute andauernden Traumatisierung war er 2017 vorübergehend in die Psychiatrie eingeliefert worden.

https://www.t-online.de/nachrichten/id_84355476/ehefrau-mit-hammer-erschlagen-gegen-den-teufel-gekaempft.html

Er habe im November 2018 in Laichingen (Alb-Donau-Kreis) immer wieder mit einem Küchenmesser auf sie eingestochen, erklärte der Angeklagte in seinem schriftlichen Geständnis, das von seinem Verteidiger am Montag verlesen wurde.
Der nach eigenen Angaben alkoholkranke Mann will aus Enttäuschung und Wut darüber gehandelt haben, dass seine ebenfalls aus Russland stammende Ehefrau sich von ihm getrennt hatte.

https://www.tag24.de/nachrichten/ulm-laichingen-mord-mann-bringt-ehefrau-mit-kuechenmesser-um-zorn-trennung-bluttat-tot-gericht-1111939

Blutige Beziehungstat in Duisburg: Ein 23-Jähriger soll am Sonntag in Marxloh seine Ehefrau niedergestochen haben. Die Frau (25) schwebt in Lebensgefahr. […]
Der Tatverdächtige war betrunken und gab auf der Wache an, dass er Drogen genommen hätte. Ihm wurde eine Blutprobe entnommen.

https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/beziehungstat-in-duisburg-junger-mann-23-soll-seine-frau-niedergestochen-haben-lebensgefahr-id226490509.html

Nur die sich häufenden schmuddeligen sexuellen Übergriffe von Jungs-Cliquen eignen sich halt nicht so für ein fancy Drehbuch – das lässt man, auf einer kalifornischen Veranda am Notebook sitzend, dann halt einfach weg.

Zusammenfassend taugt also der Netflix-Werbetext ganz gut für die außerfilmische Realität der Zielgruppen:

In Anlehnung an den gleichnamigen Hit der Coen-Brüder werden in dieser Serie mehrere skurrile Bewohner des US-Bundesstaates Minnesota in „reale“ Verbrechen verwickelt.

https://www.netflix.com/de/title/70285785

Ausgerechnet eine deutschstämmige Familie ist es in “Fargo”, die dann laut Wiki-Synopsis für Organisierte Kriminalität herhalten muss:

Die deutschstämmige Familie Gerhardt ist das größte organisierte Verbrechersyndikat in Fargo, das seinen Einfluss im nördlichen mittleren Westen über Jahre hinweg aufgebaut und gesichert hat – sein Einfluss wird aber von zwei Ereignissen bedroht. Der Patriarch Otto Gerhardt erleidet einen Schlaganfall, so dass die Führung der Familiendynastie unsicher ist, da nun auch seine Söhne Dodd, Bear und Rye um die vakante Führungsposition wetteifern. Währenddessen versucht Rye die Richterin Mundt im Diner Waffle Hut, in der Nähe von Luverne, unter Druck zu setzen – da der Schreibmaschinen-Verkäufer Skip ihm den Auftrag dazu gab –, was aber in einem Massaker endet: Rye erschießt die Richterin sowie den Koch und die Kellnerin.

Da verwundert es uns kaum, dass wir in dem oben erwähnten, von Martin Freeman dargestellten Lehrer Lester Nygaard bis hin zur Frisur den gegenwärtigen FDP-Parteichef Christian Lindner wiedererkennen können:

Durch eine blutige Spur markiert, erscheint die Figur Nygaard ähnlich ramponiert, wie man aus einer bestimmten Perspektive das heutige Deutschland durchaus sehen kann. (Liberal bis zum Anschlag, könnte man vielleicht sagen.)

Und wir sind einstweilen heilfroh, dass laut dem von Wikipedia zitierten Konsens der Bewertungs-Plattform “Rotten Tomatoes”

auch die dritte Staffel den schlauen Witz und die aus dem Lot geratene Sensibilität der Charaktere vermitteln konnte.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung