Wolf Bauer wird sich unheimlich

Unter der Überschrift „Die unheimlichen Erzieher“ nimmt am 27.01.2011 auf „faz.net“ Wolf Bauer als Film- und TV-Produzent Stellung zur gesellschaftlichen Verantwortung seiner Zunft. Das ist streckenweise rhetorisch so geschickt, dass die Leser eine lebendige kritische Öffentlichkeit heraufdämmern sehen mögen, in der Massenmedien zum Bestandteil einer hehren Kommunikationsutopie würden:

Wir müssen genau wissen, was Fernsehen und andere Medien bewirken, was sie anrichten können. Wir sollten uns damit in der Aus- und Fortbildung intensiver als bisher beschäftigen. Wir müssen uns der Diskussion mit der kritischen Öffentlichkeit stellen.

Wer sich mit dem Thema ‚Medienkritik‘ vor dem Lesen eines solchen Artikels schon einmal auseinandergesetzt hat, weiß allerdings: Im Jahre 2011, fast 75 Jahre nach der ersten TV-Ausstrahlung in Deutschland, existiert eine solche Diskussionskultur nur in bestimmten Formen. Die Fan-Kulturen des Internets mit ihren Hommagen und Foren sind die mächtigste Variante. Eine Google-Suche nach Begriffen wie „Medienkritik Verein“ fördert seit Jahren eine einzige Schweizer Initiative zu Tage, die seitdem den Niedergang des Qualitätsjournalismus beklagt. Über Jugendschutz wird v. a. in der ein Jahrhundert währenden Mediengewalt-Debatte in Podiumsveranstaltungen räsonniert. Die überwiegende Zahl von Diskussionen findet unter Fachleuten, in der wissenschaftlichen Welt statt. Eine „kritische Öffentlichkeit“ gibt es als organisiertes öffentliches Gespräch von Medienkonsumenten, ergo wirklich Betroffenen, an keinem (medial, d. h. etwa über Internet-Recherchen erkennbaren) Ort in nennenswert nachhaltiger Weise.

Zu Wolf Bauers Argumentation sei Folgendes bemerkt: Seine wichtigste – und fragwürdige – Strategie ist es, zwei Segmente der TV-Kultur unterschiedslos zu behandeln. Selbst sehr diskussionswürdige High-End-Produkte wie die Serie „24“ oder – bildungsbürgerlicher – Historiendramen wie „Die Gustloff“ (D 2008) oder gar „Holocaust“ (USA 1978) wirft Bauer in einen Topf mit Soap Operas, von denen er – in zwei Sätzen ohne Konkretisierungen – dann zu berichten weiß, in Brasilien hätten „sie dazu beigetragen, das Rollenverständnis der Frau grundlegend zu verändern“.

Auf „filmdenken.de“ wurde vielfach dokumentiert und diskutiert, was Serien wie „24“ oder andere TV-Erfolge ausmacht, außer Erfolge, ‚spannende Erzählungen‘ und ‚Qualitätsprodukte‘ zu sein: Bei Interesse kann man z. B. hier, hier oder hier nachlesen. Was anderes ist mit „kritischer Öffentlichkeit“ gemeint, wenn wir nicht in einem größeren Publikum allem Anschein nach eher unvertraute Sprachgeflechte abdriften wollen? Und die dann längst keine derzeitige „Öffentlichkeit“ mehr sind?

Und was möchte Wolf Bauer also verteidigen, reparieren, verbessern? Die FAZ-Kurzbiografie formuliert, er habe „mehr als achtzig Fernsehfilme, Serien und Kinostücke erstellt“, die Bildunterschrift weist ihn als „Vorsitzenden der Ufa-Geschäftsführung“ aus. Er ist – selbst als Spitzenmann der Branche in einer hoffentlich „kritischen Öffentlichkeit“ bis dato ohne „Wikipedia“-Eintrag – Vorstandsvorsitzender der UFA. Im TV-Kontext ist innerhalb dieses zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Unternehmens die Grundy UFA TV Produktions GmbH maßgeblich. Deren „Wikipedia“-Eintrag versammelt die Endlos-Serien aus der UFA-Produktion, am aktuellsten (immer noch) „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, „Unter uns“ (RTL) und „Verbotene Liebe“ (ARD), diese drei allein seit 1992 mit derzeit ca. 12.200 Folgen.

Zu den Produktionsbedingungen heißt es in demselben Eintrag:

Mehr als 750 Stunden fiktionales Programm produziert das Unternehmen im Jahr. Auf Grund eines speziell an die industrielle Fernsehproduktion angepassten Systems kann das Unternehmen bis zu 42 Minuten sendefähiges Material pro Tag herstellen. In der Spielfilmproduktion werden maximal acht Minuten am Tag produziert.

Diese zeitliche Differenz ist einer der Hauptgründe, warum „TV-Unterhaltung“ nicht „TV-Unterhaltung“ ist. Dies nicht einmal anzudeuten, ist eminenter Teil eines Problems (auf das der Artikel ja selbst offenkundig reagiert). Das Fernsehen ist eine Job-Maschine in einer von Arbeitslosigkeit geplagten Kultur, und es macht – zumindest den Statistiken folgend – Zuschauer zu Arbeitern, die fließbandmäßig zunehmend Mittelmäßiges bis Erbärmliches konsumieren, weil es ihnen vorgesetzt wird. (Und auch davon ‚erzählen‘ Serien wie „24“, obwohl es ‚öffentlich‘ meines Wissens an keiner anderen Stelle als hier offen thematisiert wurde.)

Bauer vollbringt gar das Kunststück, einen der schärfsten Kritiker mit recht allgemein anerkannten medizinischen Referenzen, den Psychiater Manfred Spitzer, vor den Karren seiner Frauenbilder irgendwie verändernden Seifenopern zu spannen:

Manfred Spitzer, einer der profiliertesten Forscher in diesem Gebiet, der sich insbesondere mit der Mediennutzung auseinandersetzt, sagt: „Das menschliche Gehirn lernt immer!“ Der Nutzer entscheidet, mit was er sein Gehirn „füttert“. Und die Medienmacher entscheiden, wie das Menü aussieht.

Im Resümee – nochmal „Wikipedia“ sei Dank – lauten Thesen von Spitzer und anderen hingegen so:

Mehrere Studien deuten darauf hin, dass die Höhe des Fernsehkonsums in der Kindheit mit dem später erreichten Bildungsabschluss in reziproker Beziehung steht (d.h., je höher der Fernsehkonsum, desto schlechter der Abschluss). Außerdem wird hoher Fernsehkonsum mit Übergewicht, Bewegungsmangel und den entsprechenden Folgeerkrankungen in Verbindung gebracht.
Darüber hinaus ist es äußerst fraglich, ob selbst speziell für Kleinkinder konzipierte Fernsehsendungen und Videos deren Spracherwerb unterstützen. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2009 scheinen Kinder unter drei Jahre, auch von speziell auf Kleinkinder zugeschnitten[en] Sendungen zur Förderung der Sprachbildung, kaum zu profitieren: Kleinkinder waren nur dann in der Lage neue Verben zu erlernen, wenn ein Erwachsener sie dabei aktiv unterstützte.

Statt also einmal als Großverdiener im Medienzirkus angesichts eines bethlehemtischen Kinder(psychen)mordes auf Raten, den expandierende TV-Angebote aus dieser Perspektive bedeuten, einzuhalten, drückt Bauer mit den Mitteln verkaufsfördernden schwammigen Goodwills nochmal auf’s Gas. In den oft nahezu ausgestorbenen Parks und Wohnstraßen, in denen Kinder in den letzten ein, zwei Jahrzehnten (so denn geboren) nicht mehr spielen, sondern, so früh wie ihnen erlaubt, eben auch „Unter uns“ gucken (wozu das filmhistorische Gedächtnis ja „Die Mörder sind …“ ergänzt), hält Bauer sich möglicherweise selbst zu selten auf. Wenn dann auch jene, die sich an eine glücklichere, erfülltere Kindheit erinnern, selbst abgestumpft oder ausgestorben sind, ist endgültig die Bahn frei. Wenn man sich dabei als Macher wohl fühlt …

Wolf Bauers Filmografie führt ein paar UFA-Serienfolgen, darunter 10 von „Unter uns“, auf. Von 1982-95 bewies er als Produzent in erster Linie Humor: Fast alle Nennungen sind Kinofilme und TV-Sendungen mit Dieter Hallervorden, beginnend mit „Welle Wahnsinn“ (D 1982), laut DVD-Info von 2009 „Schräge Sketche, Blödel-Hits und überdrehter Humor“ in einer „kurzlebigen Show-Serie“.

Kunden-Kommentar bei „amazon“ – „kritische Öffentlichkeit“ –:

Damals, 1982, als 17jähriger, hatte ich anscheinend einen anderen Geschmack, denn als ich mir jetzt die DVD gekauft hatte und den Klamauk zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder sah, war ich schon sehr enttäuscht.
Bis auf einige, wenige Sketche, ist das meiste in Welle Wahnsinn schon sehr speziell und nicht wirklich lustig.

Bauer arbeitet sich aber eben nicht an seinen eigenen Werken oder konkret an dem Resultat seiner Werke in der Wahrnehmung und Reflexion von Konsumenten ab, sondern lieber an einer Serie wie „Holocaust“, die er noch einmal dafür feiert, Zuschauer dazu zu bringen,

sich mit Menschen emotional zu identifizieren, die auf einer fiktiven Ebene Betroffene der Vernichtungspolitik geworden waren.

2010/11 sind es dann zwei Kino-Großproduktionen, „Teufelskicker“ und „Dschungelkind“, die Bauers Portfolio aufwerten.

So fallen Themen, Anspruch und Eigenproduktion der Vita Wolf Bauers und seines nachdenklichen FAZ-Artikels mehrfach auseinander. Er versucht, mit einer – in der Tat selten so ausgesprochenen – These zu punkten:

Unterhaltende Programme werden in ihrer gesellschaftlichen und politischen Wirkung unterschätzt. Und es geht gar nicht darum, ob wir uns diesen Einfluss wünschen sollten. Er ist Realität.

Um diese „Wirkung“ im Einzelnen ginge es allerdings – hierzu will dieses Blog und das dazugehörige Buch ein paar möglichst genaue und sachbezogene Anmerkungen machen. Sie zeigen, denke ich, was Bauer anspricht, ohne es auszusprechen. Ob er es selbst denken kann, bleibt dabei für seine Leser die Frage. Und was daraus folgen würde/müsste, steht erst recht auf noch unbeschriebenen Blättern.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. 16. Februar 2011

    […] für „Unter uns“ Mitverantwortlichen wie dem „UFA Grundy“-Chef Wolf Bauer nicht gegeben. Einer der vorigen Blog-Einträge hier diskutiert Argumente und Rhetorik eines FAZ-Beitrags von Bauer, an dem zeigbar ist, wie […]

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