“Welt”-Quatsch zur Tötung von #Hitler als Baby

Als “Szenarien, die unheimlich faszinierend sind”, wertet schulbuchmäßig Philipp Nagels seinen Beitrag in der “Welt” (15.11.2016) auf. Eines davon:

„Would you kill baby Hitler“ ist daher im angelsächsischen Sprachraum eine beliebte Variante, um die Schwierigkeiten, die mit Zeitreisen in die Vergangenheit einhergehen, zu diskutieren.

Ja, über Zeitreisen denkt jeder irgendwann mal nach. Sie führen zu wohl unlösbaren logischen Problemen, was u. a. bewirkt, dass in praktischer Hinsicht das Nachdenken darüber eines ist: vollkommen müßig. Das muss noch keine fiktive Spielerei verbieten, für die ein solches Szenario in Erzählung oder Spielfilm immer wieder Vorlagen bildete (die aber auch nicht endlos kreativ variierbar sind).

Angwendet auf den Fall Hitler ist eine Hinlenkung politisch-historischer Reflexionen zu solcher Fantastik besonders abwegig:

  1. Es gibt keine praktische Relevanz. Der Lauf der Geschichte war, wie er war. Wer in Zukunft besser tot wäre, kann man heute zumindest als Normalsterblicher nie voraussehen.
  2. Die gedanklich-hypothetische Anwendung auf den Fall Hitler setzt voraus, dass allein die Person Hitler entscheidend für einen idealerweise abzuändernden Lauf der Geschichte gewesen wäre.

Ein Argument, das in Varianten die Mainstream-Presse zum Thema Verschwörungstheorien prägt, lautet in der “Wikipedia” so:

Armin Pfahl-Traughber und Helmut Reinalter sehen als Grundlage solcher Verschwörungsideologien und -mythen ein dezidiertes und vereinfachendes Welt- und Geschichtsbild an, das auf der Grundannahme basiert, Strukturen der sozialen Wirklichkeit könnten durch Handlungen von Personen direkt steuernd beeinflusst werden; diese Handlungen werden monokausal als alleinige Ursache des zu erklärenden Unglücks angesehen.

Nagels referiert aus einer VOX-Dokumentation im Prinzip die argumentative Anwendung dieser Kritik: dass nicht das Töten Hitlers die von ihm angeblich allein verursachten Tragödien verhindert hätte. Der Autor kommt dann aber selbst zu dem Schluss:

Hätte es Hitler nicht gegeben, hätte möglicherweise ein anderer, ähnlich veranlagter Mensch die Macht ergriffen und undenkbare Verbrechen gegen die Menschheit begangen – so in etwa die Idee. Ein kontroverser Ansatz, dem man nicht zustimmen muss.

Nein, müssen muss man hier gar nichts. Aber begründen sollte man können. Gerade die Beschäftigung mit dem Fall Hitler zeigt die allenthalben geförderte strukturelle Überschätzung einer Einzelperson – in Ausblendung aller anderen Faktoren und nicht zuletzt der als menschlicher Akteur Beteiligten.

Dies ist eine simplifizierende Verschwörungsideologie, die der Mainstream angeblich bekämpfen will. In Wirklichkeit vertritt er sie selbst – im Interesse derer, von denen nicht gesprochen werden soll.

(Dasselbe Darstellungsproblem des Falls Hitler habe ich etwa schon zur Biografie von Peter Longerich angesprochen.)

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. proclamat sagt:

    Man könnte auch George Soros als Baby töten, es würde am Lauf der Welt nichts ändern.
    Man müsste eher das Zins-Schuldgeld-System als Baby töten… 🙂
    Hmm, das wäre dann wohl die “Gier” in jedem von uns.
    Man müsste die Gier in jedem von uns als Baby töten!
    Was ist das Baby der Gier, die Gier als Baby, das Ei der Angst?
    Die Befürchtung zu kurz zu kommen, nicht satt werden zu können?

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