Tichys Einblick: Buchvorstellung Thilo #Sarrazin – Die #Ampelkoalition opfert die #Vernunft dem Wunschdenken

Schon zu seinem ersten Buch “Deutschland schafft sich ab” (2010) hatte ich Thilo Sarrazin zugestimmt und damals den Eindruck gehabt, darin teilweise Abhörprotokolle aus meiner Privatwohnung der vorhergehenden Jahre zu lesen. Erst zum Erscheinen bemerke ich nun Sarrazins neuestes Werk, “Die Vernunft und ihre Feinde”. Dessen Untertitel “Irrtümer und Illusionen ideologischen Denkens” korrespondiert im Wording damit, dass ich auf Twitter seit einigen Monaten immer wieder Meldungen mit dem Hashtag #Ideologie versehe. Man kann an der gerade verlinkten detaillierten Suche ersehen, dass ich das seit Oktober 2020 getan habe. Und man sieht, dass dabei unweigerlich auch inhaltliche Sarrazin-Themen angesprochen wurden, wie die Frage der verstärkten Ideologisiertheit den heutigen Mainstream stärker als einen vorherigen zu betreffen scheint. Zusammenfassend kann man dazu anmerken, dass die politische Linke diese Diskussion führen muss (am besten aber mit einem Gegenüber, nicht nur einem narzisstischen Selbst), weil sie selbst seit Marx den “Ideologie”-Begriff so prominent ins Feld führt.

Damit ist ein für mich wesentlicher Punkt dazu angesprochen, der über das Format einer Grundlagen-Argumentation wie in Sarrazins neuem Buch hinausgeht: Die Gegenwart ist gerade in der Wissenschaft, die mit Zeitversatz auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausstrahlt (in der Lehrer- und Journalisten-Ausbildung, im politischen Agenda-Setting), von der Linken und ihrem Interesse an “Ideologiekritik” einerseits und ihren Besonderheiten einer ideologischen Argumentation im eigenen Sinne bestimmt.

Die Wahrnehmung dieser Buch-Novität ist bei mir mit der Ambivalenz verbunden, dass mir das Inhaltsverzeichnis vollkommen einleuchtet. Es dürfte sich um Begriffsbestimmungen handeln, um die es mir seit langem auch geht.

In der diskursiven Auseinandersetzung ist Thilo Sarrazin ‘nur’ aufgrund einer jahrzehntelangen Karriere im politischen Bereich noch halbwegs geschützt: Wendet sich ein Verlag von ihm ab, findet er einen anderen. Heißt es, vom Mainstream werde ein Buch (wie das über den Islam) totgeschwiegen, ist es dennoch ein Bestseller.

Derlei gilt nicht für Diskussionen und Auseinandersetzungen, die im Vergleich dazu Machtlose im Privaten und Öffentlichkeiten wie Vortragsveranstaltungen und Diskussionsrunden oder eben eigenen Blog- und Buch-Veröffentlichungen am absoluten Rand zu führen versuchen. Die Ungehaltenheit des Laudators Uwe Tellkamp etwa um 1.15 h des Videos rührt daher, dass Tellkamp in der Fragestellung von Steven Geyer (Redaktionsnetzwerk Deutschland, also Madsack/DuMont) offensichtlich eine allzu selbstgewisse Mainstream-Haltung erkennt.

Allein über diese Selbstgewissheit der Linken i. w. S. könnte man studenlang räsonnieren, wie über viele der in der Buchvorstellung angerissenen relevanten Themen auch.

Ich möchte hier nur andeuten, dass sich von Arten der Argumentation, die Sarrazin aus meiner Sicht äußerst berechtigterweise anstrengt, eine Vielzahl von Sachdiskussionen führen ließen – zu denen es jedoch nie kommt, weder als öffentliches Format noch überhaupt als legitime Form innerhalb eines heute “etablierten Diskurses”. Und schon in der Befragung eines solchen Begriffs ergäben sich weitergehende Betrachtungen, die ganz schnell in noch untiefere Gefilde führen als diejenigen, die schon in einer solchen Buch-Präsentation an die Grenzen von Einverständnissen und Kommunikation überhaupt führen.

Ich halte dazu im Einzelnen an dieser Stelle nur fest: Ein Desideratum für (dabei heute notwendigerweise oft schon um Jahre bis Jahrzehnte verspätete) Diskussionen wäre der ideologische Status der linken Geisteshaltung selbst. Dass mein kleiner Exkurs zu Marx’ “Kapital”-Begriff von 2018 in meinen wiederholten Versuchen, dies mit mehr oder minder erklärten Linken zu diskutieren, einzig zu Sprachlosigkeit führt, bestätigt mir eher den darin spezifisch ausgesprochenen Verdacht.

Die Stoßrichtung dieses Verdachts wird in der neuesten Gegenwart für mich (und, einzelnen meiner Gespräche nach, nicht nur mir) in nie dagewesenem Ausmaß bestätigt. Mit der sog. “Ampelkoalition”, auf die notwendigerweise der aus der SPD ausgeschlossene Sarrazin gegenwärtig zielt, ist eine politische Konstellation in die formelle Machtausübung gekommen, die innerhalb weniger Wochen zwei Grundpfeiler der als “links” etikettierten Positionen der Partei Bündnis 90/Die Grünen einreißen musste. Werden die Grünen seit Jahrzehnten als Friedenstauben gewählt, exekutiert nun das aktuelle Personal eine transatlantisch abgestimmte Kriegslogik wie zuvor schon der Grüne Joschka Fischer in der Adminstration des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Neu hingegen ist, dass auch noch der grüne Markenkern der Ökologie ohne besonderes Rumoren der deutlich mehrheitlich linksgrün gesonnenen Journalistenschaft mit Voten für Gas-, Kohle- oder sogar Atomstrom in der Bredouille geopolitischer Machtspiele mit dem russischen Präsidenten und Energie-Lieferanten geschliffen wird.

Wer eine solche Paradoxie reflektieren wollte, geriete noch mehr in die verminten Terrains bestimmter Reflexionen über politische Herrschaft und Langzeit-Konzeptionen sowie die Frage, wer auf welche Weise regiert. Dazu hat Uwe Tellkamp in seinem Roman neuesten Datums, “Der Schlaf in den Uhren”, eine konspiratologische literarische Vision entwickelt.

Kaum jemand, der solchen Positionen zuneigt, dürfte heute noch mit der Naivität ausgestattet sein, davon schnelle Erlösungen oder Kehrtwenden zu erwarten. Die historischen Verläufe sind weit fortgeschritten. Die von Sarrazin kontinuierlich adressierte langfristige Islamisierung ist allenfalls in Teilen der deutschen bzw. europäischen Provinz noch nicht eindeutig. Läuft sie weiterhin so, dürften Sarrazins Prognosen summa summarum eintreffen, für die er damals wie heute vom linksliberalen Mainstream gegeißelt wird. (Wer das statistisch anders argumentieren kann, soll es doch bitte tun. Wo wäre das je geschehen? Linke haben einen Affekt gegen Mathematik und Zahlen – das dürfte ein bedauerlicher und eher bestürzender Hauptgrund aus meiner Erfahrung heraus sein. “Laberfächer” sind leider nicht nur ein Klischee. Und das hat bis hin zu blutigen Konsequenzen, die immer noch hartnäckig verleugnet werden.) Als zentraler Ansatzpunkt bleibt nach wie vor festzuhalten, dass Linke stets in die Pflicht zu nehmen sind für ihr multikulturelles Votum einerseits und die Tatsache, dass in einer Multikultur bei sehr unterschiedlichen Geburtenraten sich Mehrheitsverhältnisse ändern und damit auch bestimmte kulturelle Konstellationen – in denen, verkürzt gesagt, bei diesem Thema eine abendländische Aufklärung in dieser Hinsicht einem religiös geprägten Konzept gegenübersteht, dessen Autoren (soweit es sie im Wortsinn überhaupt gibt), hierzulande ja kaum gelesen bzw. im gesprochenen Wort verstanden werden.

Und so könnte ich nun noch weitere Großthemen der neueren Jahrzehnte durchgehen – Feminismus, Ökologie, Political Correctness u. v. a. In Gesprächen und allerlei auch unveröffentlichten Text-Entwürfen ist das vielfach schon geschehen. Was dafür fehlt, wären Öffentlichkeiten, die man selbst in einer komplexen Stadtlandschaft wie Berlin kaum je findet.

Mein eigenes Anliegen betrifft noch weitere Bereiche, Diskurs- und Themenfelder. Was Sarrazin in vielerlei Facetten in seinen Büchern anspricht, hat einen weiteren kulturellen Umraum. Auch für ihn ist es bei näherem Hinsehen (wie ich es verstehe) höchst virulent, wie unsere Gesellschaft von Massenmedien (und dabei globalen Medienkonzernen mit ihrer oft im Nebelhaften verbleibenden Administration) geprägt wird. Und dafür sind dann alle Inhalte dieser Massenmedien relevant. Auch auf dem literarischen Terrain, dass ein Tellkamp beackert, habe ich seit Jahren (nicht nur im Privaten) Fragen aufgeworfen, die selbst in diesem Rahmen kaum oder eher gar nicht mehr besprochen werden können. Ob Menschen dabei Angst um die Wahrnehmung ihrer eigenen Person durch spezifisch ideologisierte Umfelder und Vorgesetzte haben oder letztendlich darum ringen, liebe Gewohnheiten nicht aufgeben oder jemals in Frage stellen zu müssen, wäre schon wieder ein eigenes ausführliches Thema – das zu besprechen ich wesentlich relevanter fände als den Großteil dessen, was ich sonst heute in einer etablierten Medien-Öffentlichkeit zumal der Feuilletons wahrnehme.

Gut, dass es diese Stimme, die wir hier hören, überhaupt noch gibt. Dass die Zeit uns wegrennt und oft schon nicht mehr einholbar ist, dürfte leider jedem klar sein. Es kann zu weiteren äußersten (in diesem Sinne dann aber vielleicht sogar notwendigen) Krisenpunkten führen, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die das nicht unberücksichtigt lassen.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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