#PEGIDA, #Patzelt und das “gesellschaftlich-politische Zusammenhangwissen”

In der politischen Moderation der Islam- und Zuwanderungs-Kritik befinden wir uns gerade an folgender Stelle. Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt (Uni Dresden) publiziert ein Buch mit dem Titel “PEGIDA. Warnsignale aus Dresden”. Gesellschaftlich wirksam werden möchten er und sein Team damit allerdings nicht. Sie lassen es nämlich für 22 Euro verkaufen, weil sie es sicher gänzlich außerhalb ihrer staatlicherseits bereits bezahlten Arbeitszeit erstellt haben. Die Möglichkeit, das Produkt dieser Tätigkeit als PDF ins Netz zu stellen, wurde scheinbar nicht bedacht. Immerhin gibt es hier aber die wesentlichen Studien gratis auf der Uni-Website. (Entschuldigung, aber – befinden wir uns in einem Notstand? Sollte man diese Kritik nicht äußern?)

Die zwei Öffentlichkeiten

2016-06-14_Patzelt-PEGIDA

Pardon für diese Einleitung, die vom Inhalt wegführt. Sie betrifft ein Kernphänomen der gesamten Debatte: Die deutsche Öffentlichkeit zerfällt zusehends in zwei Fraktionen. Die eine fühlt sich noch relativ gut aufgehoben, liest (angeblich) große Tageszeitungen, kann sich bei Bedarf neu erschienene Hardcover-Bücher leisten und schaut linear fern. Die andere Fraktion informiert sich im Internet, lebt nicht selten unterbezahlt und prekarisiert, findet den Mainstream zunehmend befremdlich und sagt sich von ihm los.

Ob und wie Patzelt und Co-Autoren dies in ihrem Buch behandeln, kann ich nicht sagen. Das Buch wird zwar schon von der Presse beworben, ist aber noch nicht erschienen. Und dann werde ich selbst weder Zeit noch Geld haben, um mich Patzelts Buch zu widmen. – Ich kann aber den Trailer-Sätzen im “Welt”-Artikel von Matthias Kamann (14.05.2016) schon zentrale Botschaften entnehmen:

Mancher Radikalismus bei Pegida könnte mit den beruflichen Neigungen der Anhänger zusammenhängen. Die nämlich sind meist Handwerker, Ingenieure, Naturwissenschaftler. Hierbei haben sie, so der Dresdner Politologe Werner J. Patzelt, zwar eine überdurchschnittliche Bildung. Doch oft mangele es ihnen am “gesellschaftlich-politischen Zusammenhangwissen”, das man für die “Durchdringung” der Pegida-Themen Einwanderung oder Demokratie eigentlich brauche. Daher hätte Pegida bei diesen Themen “Beschreibungs- und Diskursprobleme”.

Das volkspädagogische Konzept lautet also: Neben den “Nazi”-Vorwürfen von CDU bis Linken gibt Patzelt den good cop, der verständnisvoll auf die gegen Islamisierung und Massenmigration Protestierenden eingeht.

Im vorigen Zitat ist in nuce schon die Mischung aus Verschwörungstheorie und Arroganz zu ersehen, die links von Patzelt schnell zu grotesken Ausprägungen eines anti-deutschen Diskurses führt: Man selbst ist im Besitz der absoluten Wahrheit und stellt Andersdenkende als behandlungswürdige Patienten dar. Wie gesagt, Patzelt gibt den verständnisvollen Doktor und macht gewisse Zugeständnisse.

Ich selbst war nie auf einer PEGIDA-Demonstration. Insofern lasse ich mich auch nicht in Haftung nehmen für diese Bewegung, wenn ich dennoch eine andere Position beziehe als ihre pauschalen Kritiker oder auch Patzelt, soweit ich seine Meinung kenne – die der meinen aber schon näher ist.

Wie mit jeder politischen Kraft (die vor der Grenze verbaler und körperlicher Gewalt Halt macht) sollte man ihre Argumente im Einzelnen diskutieren. Ich greife hier zunächst jedoch nur die zentrale politische Botschaft heraus, die derzeit im Wesentlichen von der “Alternative für Deutschland” (AfD) und von PEGIDA und ihren Ablegern vertreten wird: unkontrollierte Massen-Einwanderung ist zu vermeiden; besondere Vorsicht gilt gegenüber Einwanderung aus der islamischen Welt.

Den ersten Teil dieser Botschaft würden sogar noch die meisten politischen Kräfte teilen, die bis in die Linke hineinreichen. Die zweite Hälfte führt zu einer immer stärkeren Beschäftigung der deutschen Öffentlichkeit mit dem Islam und dessen Integrierbarkeit in eine zuvor christlich geprägte Multikultur.

Kurz gesagt: Alle Deutschen, die Verständnis bis Sympathie für die PEGIDA-Demonstranten – oder zumindest zentrale Anliegen – haben, empfinden den Mainstream von Medien und Wissenschaft ihres Landes, den sie mit ihrer Arbeit finanzieren, zunehmend nach Art dystopischer Romane wie George Orwells “1984”. Seltener ausgesprochen, liegt auch der Satanismus mit seiner Umkehrung aller Prinzipien als Konzeption nahe.

Beispiele:

  • Gegenüber den vielfach dokumentierten intoleranten und gewalttätigen Tendenzen des traditionellen Islam werden Deutsche zur Toleranz gezwungen, die selbst nach 1945 fast alles nationale, auch religiöse Selbstbewusstsein als Gruppe aufzugeben hatten (man kann dies als die Endstufe ihrer historischen Abwicklung interpretieren, die mit neuen Mitteln derselben Agenda folgt: Einhegung und schließlich Abschaffung Deutschlands).
  • Trotz vieler Beispiele dafür, dass mit einer zahlenmäßig stark erhöhten Zuwanderung Probleme von Integration und Zusammenleben eher exponentiell als linear wachsen, wird von Linksaußen bis zur CDU-Kanzlerin Angela Merkel eine Agenda von relativ bedingungsloser Massen-Zuwanderung und offener Grenzen vertreten.

Den letzten Punkt sieht im ersten Teil Innenminister Thomas de Maizière scheinbar ebenso, doch wird sich zeigen, ob seine Initiative, für Asylbewerber Residenzpflicht einzuführen, Erfolg haben wird. In der Blogosphäre (“Die Freie Meinung”, 01.02.2016) antwortet man so:

Die Ministerpräsidentin von NRW fordert eine Residenzpflicht für Asylanten, in welchem Wolkenkuckucksheim lebt die eigentlich. Speziell im Ruhrgebiet sind bereits über Jahre Ghettos entstanden, ganze Stadtteile sind mit Bewohner nach unterschiedlichen Nationalitäten belegt. Es ist doch normal, dass Nationalitäten unter sich sein wollen und die neu ankommenden Landsleute zieht es naturgemäß dorthin. Ebenso sind viele deutsche Bewohner aus dem Ruhrgebiet heraus in das Münsterland, Soester Börde oder Sauerland verzogen und füllen jeden Tag die Autobahnen und Züge um ihre Arbeitsstätten in den Großstädten aufzusuchen. Warum ist das wohl so, Frau Kraft? Weil diese Leute gerne jeden Tag 13 Stunden unterwegs sind? Oder gibt es da vielleicht doch noch andere Gründe?

Und damit wären wir wieder beim “gesellschaftlich-politischen Zusammenhangwissen”. Es lässt sich herauslesen, dass Patzelt & Co. den staatlichen Leitlinien treu bleiben, also die regierende Politik nicht als grundsätzlich verfehlt darstellen wollen. Ich gehe davon aus, dass der Begriff jenes “Zusammenhangwissens” in ihrem Buch nur in bestimmten Aspekten beleuchtet wird. Es gibt nicht zuletzt vollkommene Tabus in Massenmedien und Wissenschaft, über die Diskurs-Teilnehmer der Bezahlpresse und Wissenschaft niemals überhaupt anfangen zu diskutieren – auch wenn mit dem Projekt dieses Buches das Gegenteil behauptet wird (nämlich auf die Menschen zuzugehen).

Zirkelschlüsse

Welche Inhalte ich damit meine, wird hier im Blog und in meinen Büchern in vielen – und sehr unterschiedlichen, politischen, kulturellen, historischen, theoretischen – Facetten deutlich. Manche meiner Thesen sind spezieller Art. Manche überschneiden oder decken sich mit dem, was im Internet, deutsch- oder auch englischsprachig, ausführlichst diskutiert wird.

Aus meiner Sicht führen die Debatten über Integration und Migration zu einer Reihe von Zirkelschlüssen, die wortreich überspielt, aber im Mainstream nie zu Ende diskutiert werden. Ich versuche, sie hier nochmal in Stichpunkte zu fassen:

  • Selbst bei verunklärter Datenlage (etwa Nationalität von Kindesvätern, Straftätern oder Religionszugehörigkeit) werden schlechte sozioökonomische und -kulturelle Gesamtbilanzen von Zuwanderung, an erster Stelle von Moslems, gezogen. Nachdem man seit Jahrzehnten ratlos auf diese Entwicklung blickt, wurde mit Merkels “Wir schaffen das” und einer allgemeinen “Refugees welcome”-Hysterie für einige Wochen jede Skepsis (v. a. zentralisiert massenmedial) übertönt. Die Versuche des Mainstreams, auch die akuten ernsten Probleme mit “Flüchtlingen” wegzureden, führen noch in jeder privaten Runde zu teils heftigen Gegensätzen in der Bewertung der Lage, teils auch harten Zerwürfnissen, in denen “Nazi”-Vorwürfe, wie sie der Mainstream einübt, eine Hauptrolle spielen. – Ich brachte die Position der Zuwanderungs-Priester schonmal auf die Formel: “Integration gelingt, weil Integration nicht gelingt”.
  • Basierend u. a. auf philosophischen Positionen des ethischen und rechtlichen Universalismus werden – tendierend zum Rigorismus – abstrakte Forderungen aufgestellt, ohne sie nachhaltig auf reale Folgen und Umsetzbarkeit zu überprüfen. Anschließende Friktionen im Alltag werden per redaktioneller Vorgabe und/oder Selbstzensur in den großen Presseorganen in der öffentlichen Wahrnehmung minimiert.
  • Die, für die das Leben noch relativ geordnet funktioniert (oder jene, die aufgegeben haben), neigen weniger zu einer Beschäftigung mit negativen Themen und Angst-Szenarien. Daneben gibt es eine wachsende Zahl von Bürgern, die in ihrem eigenen Leben harte Probleme gewärtigen. Sie suchen dafür nach Erklärungen und finden im Internet eine andere Informationslage vor. Eine Sammlung von Beispielen der Ausländerkriminalität wie der Twitter-Account “XYEinzelfall” widerspricht den Darstellungen der Linksgrünen und Merkelianer. Er verdichtet das, was derzeit v. a. noch in Regionalzeitungen vereinzelt, in der überregionalen Presse kaum noch vorkommt. (So geht es mit einer Reihe anderer Sachthemen, auf die ich gleich noch beispielhaft zu sprechen komme.)
  • Mainstreamer drücken Abweichlern das mittlerweile stark propagierte Stigma der “Verschwörungstheorie” auf. Bei Nachfragen im realen Leben zeigen vielmehr sie selbst entsprechende Verhaltensmuster: einseitig zu argumentieren, spezielle Einzelheiten nicht zu kennen, Tabus im Erkenntnisgang zu errichten, Fragen nachhaltig nicht zu beantworten usw. – So verhält es sich auch bei der Diskussion über Folgen von Massen-Migration und ihren tieferen Ursachen.
  • Von nicht konfessionell definierten Deutschen wird erwartet, weitgehende Toleranz gegenüber Intoleranz und religiös motivierten Rechtsbrüchen von Gläubigen anderer Kulturen auch und gerade dann zu üben, wenn diese Menschen den Anspruch erheben, von der hiesigen Gesellschaft nicht unwesentlich in ihrer Lebenshaltung unterstützt zu werden.
  • Schon die immens differierenden Schätzungen der Kosten nicht nur der aktuellen “Flüchtlingskrise” belegen eindeutig, dass eine endgültige Aussage über einen volkswirtschaftlichen Nutzen gar nicht gemacht werden kann, während bestehende Indikatoren schon sehr skeptisch stimmen. Und obwohl selbst ein Fachkräftemangel jetzt und in nächster Zukunft unter Experten nicht unumstritten ist, wird als einziges hartes innergesellschaftliches Argument für Zuwanderung die Linderung der Folgen des demografischen Wandels und daraus resultierenden Mangels von Fachkräften und Einzahlern in die Sozialsysteme angeführt.

Ich möchte nun noch einmal an die von mir im drittletzten Punkt erwähnten tieferen Ursachen der Massen-Migration eingehen. Hier liegt sicherlich einer jener Punkte, auf den die Studie nicht ausführlicher eingeht, weil er von Tabus geschützt ist. Ich vermute deshalb auch, dass die Darstellung in Studie und Buch von Patzelt & Co. – dann nach Art der schlechten Verschwörungstheorie – unter Ausblendung wesentlicher Faktoren Sachverhalte und Verhaltensweisen zu beurteilen versucht.

Die Agenda von PEGIDA nach Patzelt et al.

Ich meine damit etwa eine zusammenfassende Textstelle aus der dritten Studie zum Buch:

Typische Pegidianer sympathisieren mit Russland, stehen den USA skeptisch gegenüber, sind globalisierungskritisch und halten Deutschland für sozial ungerecht. Abgesehen vom ausgeprägtem „deutschen Patriotismus“ der Pegidianer zeigen sich hier große inhaltliche Schnittmengen mit klassisch linken Positionen.

Auch hierzu versuche ich einmal wesentliche Punkte möglichst knapp zusammenzufassen, ohne in die inhaltliche Debatte dazu zu gehen:

  • Sympathie mit Russland ist wohl nicht verwerflich. Zum Begriff eines “gesellschaftlich-politischen Zusammenhangwissens” würde es gehören, ein Pro und Contra der Westbindung gegenüber einer stärkeren Orientierung an Russland gut begründet einschätzen zu können. Kann der Normalbürger dies? – Ich habe meine Zweifel. Ein Knackpunkt der Debatte könnte sein, dass gesellschaftliche Eliten für sich die Entscheidung getroffen haben, die USA seien als Verbündeter vorzuziehen. Ob sie diese Position aus rein persönlicher Erfahrung (ggf. auch wegen finanzieller Zuwendung und Förderung durch US-nahe Institutionen) oder allgemeinverbindlichen und nachprüfbaren Erkenntnissen heraus tun, lässt sich kaum beurteilen. Da dies teilweise vielleicht aus diplomatischen Gründen nicht Gegenstand einer breiten öffentlichen Debatte werden soll, bleibt bei der Reglementierung durch den Mainstream der Eindruck, es erkläre sich nicht ausreichend und falle damit hinter die Standards einer so überzeugt behaupteten demokratischen Öffentlichkeit zurück.
  • Skepsis gegenüber den USA und Globalisierungs-Kritik werden zwar aus vielerlei Gründen nachvollziehbar. Sind sie in eine forcierte politische Position gewendet, fallen sie eben unter das Etikett “Anti-Amerikanismus”, der von einem (ggf. “strukturellen”) Antisemitismus via Wall Street und “jüdische Hochfinanz” diskursiv nicht weit entfernt ist. – Welche Rolle spezifisch jüdisch-israelische Interessen in der US-Politik spielen, ist zwar an der größten Washingtoner Lobby-Organisation AIPAC nicht zu übersehen. Der philosemitische Standard in Deutschland funktioniert jedoch nach meiner Beobachtung in der pseudo-logischen Struktur von:
    • Komplexe reale Personal-Strukturen, gruppen- und konfessionsmäßige Zuordnungen berücksichtigend, werden nirgendwo systematisch erforscht (begründeter verschwörungstheoretischer Verdacht: im Sinne der betreffenden Gruppierungen, die real Macht ausüben).
    • Über Finanz-Marktkontrolle, hegemoniale Kriegspolitik und popkulturelle Dominanz der USA wird allseits ausgiebig lamentiert, sie werden in ihren Ursachen, sozial- und wirtschaftshistorischen Gegebenheiten jedoch nur bruchstückhaft erforscht und berichtet.
  • Ob man Deutschland für “sozial ungerecht” hält, hängt wohl sehr von persönlichen Erfahrungen ab. Die Informationen darüber reichen von geringer sozialer Mobilität im internationalen Vergleich bis zu einem Alles-nicht-so-schlimm.

Ich habe en passant in diesen Punkten schon gezeigt, dass damit nicht etwa PEGIDA-Anhänger eine Position vertreten, die aufgrund irgendwelcher Lehrmeinungen als definitiv falsch zu bezeichnen wäre. Der einzige Befund lautet, dass ihre Haltungen aus einem meinungsgeleiteten linksliberalen Mainstream heraus verurteilt werden, während wesentliche Grundlagen nirgendwo – jedenfalls nicht öffentlich zugänglich – systematisch erforscht oder voraussagbar wären.

Als einen weiteren zentralen Punkt muss ich bestärken, dass in der gegenwärtigen Situation die Frage nach dem Religiösen eine Schlüsselfunktion haben muss und wird. Über Jahrzehnte konnte dies über die ergrauenden Köpfe in deutschen Kirchsälen bei noch relativ vielen Karteileichen der Kirchensteuer überspielt werden. Nun treten plötzlich massenhaft Menschen auf, die eine andere Religion mit täglich fünffachem Beten lebendig halten. Teile ihrer Gemeinschaft vertreten ablehnende Haltungen gegenüber anderen Religionen und stellen die Scharia über das jeweilige Landesgesetz. Einzelne Verirrte schließlich glauben ihrem Seelenheil durch terroristische Taten innerhalb einer islamistischen Agenda näherzukommen und sind bereit, sich bei Bluttaten selbst zu opfern.

Eine Sondersituation in Deutschland mit seiner christlichen Prägung und dem in DDR-Zeiten säkularisierten Osten ist also, dass man Fragen zur macht- und geopolitischen Bedeutung des Judentums (einschließlich Holocaust- und Schuldkomplex) und nun verstärkt dem Islam gegenübersteht. Während das Christentum nach seinen – noch bis in die 1950er reichenden – dogmatischen und gruppenisolatorischen Tendenzen heute zu Ökumene, Toleranz, Aufklärung und Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Religionen steht, existieren in Judentum und Islam deutlich konturierte Konzeptionen der Abwertung des Andersgläubigen: als “Goj” oder “Kāfir”.

Abwertung des Anders- bzw. Ungläubigen

Das Judentum führt schon seit längerem ein Abwehrgefecht gegen den Vorwurf, Andersgäubige zu verachten, obwohl die Belege in der schriftlichen Überlieferung dafür zahlreich sind. Dies dürfte ein Punkt sein, den die laut Patzelt & Co. bei PEGIDA vorwiegenden “Handwerker, Ingenieure, Naturwissenschaftler” aus ihrem Weltbild heraus nicht verstehen können. In der Tat lässt sich dies nicht diskursiv vermitteln – nur mit der Vorgabe, dass religiöse Vertreter einerseits Vorrechte beanspruchen, das Recht Anders- oder Ungläubiger jedoch in ihren eigenen Äußerungen beschneiden dürfen. Wir sehen also abermals einen logischen Zirkelschluss, der nicht auflösbar ist. Ein kulturwissenschaftlich verbrämtes Verständnis dafür dürfte sich implizit immer auf sein angeblich überlegenes “gesellschaftlich-politisches Zusammenhangwissen” berufen. Intellektuell kann es in diesen Fällen jedoch nicht redlich sein. Es reduziert sich höchstens auf die Einsicht, dass in ihrem Glauben provozierte Fundamentalisten mit Gewalt reagieren könnten, der man besser aus dem Weg gehen sollte. Die Frage ist jedoch, ob diese Gewalt nicht immer größere Ausmaße annehmen kann, wenn man versucht, ohne nachhaltige Klärung der Grundlagen des Zusammenlebens Menschen all dieser verschiedenen Prägungen in einer Gesellschaftsordnung zusammenzupressen. Problembewusstsein hierfür wird artikuliert; die reale Einlösung hat jedoch unter einfacheren Bedingungen der Vergangenheit oft genug nicht stattgefunden – was eher für die Skepsis der PEGIDA spricht als für Träumer von einer multikulturellen Gesellschaft, die es bisher so nie gab und die nicht zuletzt orthodoxe Religiöse gar nicht wollen.

Zu einer grotesken Interferenz im PEGIDA-Kontext kam es, als unlängst deren früherer Kopf Lutz Bachmann für die ihm angelastete Bezeichnung von “Flüchtlingen” als “Viehzeug” verurteilt wurde. – Ich halte solche Äußerungen auch für vollkommen inakzeptabel. Die grundgesetzlich zugesicherte Rechtsgleichheit wird jedoch verspottet, wenn zugleich eine Religion wie das Judentum beanspruchen darf, ihre eigene Überlieferung im Talmud unwidersprochen zu lassen.

Was ein Lutz Bachmann formulierte, ist im vollen Sinn nichts anderes, als was der “Babylonische Talmud” über Andersgläubige aussagt – so eine Textstelle aus der „Baba Meçiâ“ des “Babylonischen Talmuds”. Sie ist Teil eines Dialogs, in dem es um „Reinheitsgesetze“ geht. Sie ziehen die theologische Frage nach sich, ob ein Jude sich an den Gräbern Ungläubiger verunreinigen könne, worauf ein Rabbi antwortet:

Die Gräber der Nichtjuden sind nicht [levitisch] verunreinigend, denn es heisst: Ihr aber seid meine Schafe, die Schafe meiner Weide, Menschen seid ihr; ihr heisst Menschen, die weltlichen Völker aber heissen nicht Menschen, sondern Tiere.

(Die absurde Rezeptionsgeschichte dieses – nur angeblich gefälschten – Talmud-Zitats zeige ich in “Okkultsymbolik und Machtpolitik” auf.)

Wie andere Religionen – an erster Stelle das Christentum – hat auch das Judentum eine Aufklärung durchlaufen, weshalb solche Aussagen nicht als bis heute allgemeingültiges Gesetz aller Gläubigen angesehen werden kann. Wie jedoch die interne rabbinische Lehre funktioniert und erst recht, wie fundamentalistische und elitäre Gruppierungen innerhalb des Judentums mit diesen traditionellen Haltungen umgehen, ist für uns weitgehend ungeklärt. Ein rigider Traditionalismus lässt nicht vermuten, dass sie an Worten der Überlieferung zweifeln würden. Lapidar heißt es in der Wikipedia über “Orthodoxes Judentum”:

Das orthodoxe Judentum orientiert sich an der schriftlich und mündlich überlieferten Lehre, die in der Tora und dem Talmud niedergeschrieben ist. Es entwickelt diese Grundlagen in den nachfolgenden Werken des rabbinischen Judentums bis heute weiter.

Nur geht die interne Weiterentwicklung eben ggf. nicht einmal den einfachen Gläubigen etwas an. Der Eintrag zum Talmud schwankt zwischen Erklärungen, der Talmud sei “eines der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums” und der lavierenden Schilderung, dass “der Talmud in der Wahrnehmung sehr mit dem Wesen des Judentums selbst identifiziert wurde”.

Die Wissenschaftler um Patzelt wollen nun also PEGIDA-Anhänger darüber belehren, was “gesellschaftlich-politisches Zusammenhangwissen” sei. Fragen sie dabei auch danach, welche Informationen PEGIDA-Anhängern vorliegen, die die Verquickung israelischer und US-amerikanischer Interessen bei den Kriegen im Nahen Osten betreffen – um sich dann inhaltlich damit auseinanderzusetzen? Oder verhalten sie sich vielmehr so, wie sie es der Gegenseite vorwerfen? Dann wäre “Zusammenhangwissen” nur ein weiteres Beispiel für terminologischen Bluff, der so manche Uni-Karriere begründete (für Mathematiker wäre schlicht die Gleichung nicht aufgegangen).

Als Andeutung dessen, was auch hier im Blog laufend besprochen wird, seien die Aktivitäten von George Soros erwähnt. Der ungarischstämmige Jude finanziert großflächig Stiftungen, die mit einer angeblichen Demokratisierung islamischer Länder vielmehr deren Destabilisierung einleiteten. Die aus diesen Konflikten resultierenden Flüchtlingsströme werden von weiteren seiner Stiftungs-Aktivitäten an vorderster Stelle nach Deutschland geleitet. Soros ist auch nachweislich mit dem Rothschild-Kartell vernetzt.

Dies war nun noch ein Beispiel für eine Argumentations-Kaskade, die im Internet-geschulten PEGIDA-Umfeld nicht selten vorkommen dürfte. Sie führt zu dem Verdacht, wenn nicht der Überzeugung, dass auch von jüdischen Interessen beeinflusst ein Migrations-Szenario heraufbeschworen wird, das Menschen so behandelt, wie talmudische Überlieferung es teilweise bezeugt: als Vieh. – Der Rassismus der jüdischen Religion ist jedenfalls heute noch per Heiratsvorschrift in Israel staatliches Gesetz: Juden dürfen keine Nicht-Juden heiraten. Laut religiöser Vorschrift ist Jude im Regelfall nur der, der von einer Jüdin geboren wurde. Im linksliberalen Jargon der Bundesrepublik sind dies ganz klar “Nazi”-Standards, da sie in diesem Punkt inhaltlich den Nürnberger Rassegesetzen vor 1945 entsprechen.

Der Islam verlangt von den Ungläubigen immerhin zunächst nur die Unterwerfung und Konversion. Eine umfangreiche Ressource für das, was Moslems hierzulande gelehrt wird, ist die deutschsprachige “islamfatwa.de”. Zum Umgang mit dem Kāfir ist hier zu lesen: Der gläubige Moslem

fügt ihm kein Unrecht zu in Bezug auf sein Wesen, seinen Besitz oder seine Ehre. Wenn er ein Dhimmi ist (Kafir, der unter der Herrschaft von Muslimen lebt), ein Musta’man (jemand, dem Sicherheit in einem muslimischen Land versprochen wurde) oder ein Mu’aahid (einer, mit dessen Land die Muslime einen Friedensvertrag haben), dann gibt er ihm seine zustehenden Rechte und verstößt nicht gegen seinen Besitz durch Stehlen, Betrügen oder Hintergehen und er darf ihn nicht körperlich schädigen, wie Schlagen oder Töten, weil er durch die Tatsache, dass er ein Mu’aahid oder Dhimmi, oder Musta’man ist, beschützt wird.

Ein nicht-moslemischer Deutscher ist jedoch weder ein Kāfir noch ein Musta’man. Ein Mu’aahid ist einer, mit dessen Land die Moslems einen Friedensvertrag geschlossen haben. Ist dies der Fall – wo und wie wurde er verhandelt? Und wie verbindlich ist er für wen?

Weitere Inhalte der zitierten Seite sind in freundlichem Ton gehalten, machen aber betreffs eines Segens für Verstorbene nochmal den feinen Unterschied gegenüber den Ungläubigen.

Dies sind große Aufgaben für den interreligiösen Dialog. Er kann angesichts der vorläufigen statistischen Realitäten wohl kaum Jahre warten.

Ausblick

Eine Einsicht zur aktuellen Lage scheint mir zu sein, dass bei stark veränderten Faktoren noch immer dieselben Interpretations-Schemata angewendet werden. Religiöse Überzeugungen, Gewalt-Traditionen, andere kulturelle Interessen stellen eine Gesellschaft vor andere Fragen als die bisherigen Akteure, die sich irgendwann doch wieder bei Goethe und Fußball einigen konnten. Eine Reihe bedeutender Aspekte wurden hier noch gar nicht angesprochen. Sie führen zu Grundfragen menschlichen Wesens, von Differenzen, von Formbarkeit und Beharrungskräften der Tradition. Sie sind mit der Gut-Böse-Rhetorik einer vom Führerstaat geläuterten Öffentlichkeit nicht mehr adäquat zu beantworten. Patzelt und Co-Autoren gehen einen noch erlaubten Mittelweg. Ist allen klar, was auf dem Spiel steht?

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

2 Antworten

  1. Peter Hallonen sagt:

    Wenn man politisch für Deutschland und Europa den Weg des Nationalstaats und daraus folgend einer weitgehenden Abschottung – auch einer Unabhängigkeit gegenüber den jüdisch dominierten USA – gehen will, spielt das Judentum aufgrund seiner eindeutigen Minderheitenrolle hierzulande doch eigentlich keine Rolle. Dann finde ich es angebracht, sich ausschließlich auf den Islam zu konzentrieren. Das Problematische am Judentum ist wohl eher als ein Problem von (jüdisch beeinflussten) Eliten anzusehen, während es beim Islam um das Verhalten ganzer Bevölkerungsmassen innerhalb Europas geht. Das betrifft in erster Linie Kriminalität, Abhängigkeit von Sozialleistungen und die Aussicht auf langfristige muslimische Bevölkerungsmehrheiten. Die in Deutschland und Europa lebenden Juden sind wohl, ohne dass ich jetzt Statistiken zur Hand hätte, weder besonders kriminell, noch in besonders hohem Ausmaß von Sozialleistungen abhängig (mit Ausnahme der zahlenmäßig in Deutschland bedeutenderen Juden aus der ehemaligen Sowjetunion) noch besteht die Aussicht jüdischer Bevölkerungsmehrheiten im ganzen Land oder regionalen Teilen des Landes. Weltweit gesehen sind die Juden zudem durch ihre geringe Anzahl in einer absoluten Minderheitenposition, die sie tatsächlich – zumal im feindlichen Umfeld des Nahen Ostens – als gefährdet erscheinen lassen muss, während das in vielen Teilen der Welt vom Islam zunehmend verdrängte oder bedrohte Christentum doch nominell noch als größte Religion gilt und wenigstens eindeutige Rückzugsräume großen Ausmaßes wie in Südamerika hat.

    Politisch dürfte es demnach und aufgrund der in Deutschland besonders markanten Verfolgungsgeschichte mit dem Holocaust wahnsinnig schwierig sein, gegen das Judentum zu argumentieren, wo es doch schon Kritik an der für Deutschland viel evident problematischen Religion des Islam so schwer hat. Letztlich ist das Judentum in Deutschland ja auch autochthon, weshalb es man es im Gegenteil zum Islam selbst akzeptieren müsste, wenn seine Werte der demokratischen Gesellschaft eher entgegenstünden.

    • Stimme in allen wesentlichen Punkten zu. Worauf ich im Text u. a. hinweisen wollte, ist die Tatsache, dass eine mit jüdischen Interessen verbundene globale Machtpolitik teilweise auch nicht ausgeblendet werden kann. Zu dieser wäre zu klären, 1) wer innerhalb der jüdischen Religionsgemeinschaft als ganzer sie eigentlich vertritt; 2) welche mittel- und langfristigen Ziele sie hat. Wenn etwa eine Kriegspolitik im Nahen Osten mit konspirativer Beeinflussung durch Lobby-Organisationen und Geheimdienste zur Massenflucht nach Europa führt, reicht es doch nicht, sich anschließend mit dem hier eingewanderten Islam zu beschäftigen.
      Es scheint mir eine der wichtigsten Machttechniken zu sein, vollendete Tatsachen zu schaffen. So manche syrische Stadt ist jetzt schlichtweg zerstört. “Flüchtlinge”, die eine Weile in Europa bzw. Deutschland sind, werden im Falle einer Befriedung immer seltener zurückgehen (wollen), je länger sie aus der Heimat fort sind. Und eine stark vergrößerte moslemische Bevölkerung in Europa erringt natürlich irgendwann Eigenrechte, auf deren Implikationen ich auch hinweisen wollte. Nach meiner Ansicht sollte man dies nicht still abwarten, um dann zu sehen, wie es nicht-moslemischen Minderheiten dann ergehen soll.
      Ich wäre eher dafür, dass es zu keiner Minorisierung kommt. Das wäre ja nie im Interesse derer, die heute darüber nachdenken. Die praktischen Folgerungen sind im heutigen Diskurs aber leider kaum angekommen und würden zu neuen Interessenkonflikten führen, denen wir so oder aber wohl kaum aus dem Weg gehen können.

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