Vermögensverteilung schwach ausgesteuert

Heute nacht sendet Phoenix die WDR-Dokumentation „Schön reich – Steuern zahlen die anderen“ von Sascha Adamek, Martin Hahn und Kim Otto. Die Kontrastbeispiele des Immobilienspekulanten und Autors Klaus Barski und einer fünfköpfigen Familie mit Einkommen aus Lokaljournalismus und Krankenpflege führen deutlich vor Augen, dass sich an einer solchen Organisation des Sozialsystems etwas ändern muss.

Das wesentliche Gegenargument ist im Diskurs bestens etabliert: Unternehmertum muss sich lohnen, sonst fehle der Anreiz. So wird auch die Praxis der Finanzämter begründet. Off-Kommentar: „Nur 15% der Millionäre werden in Deutschland richtig geprüft.“ Und ein anonymer Finanzbeamter berichtet:

„Es gibt sogar Einzelanweisungen von Vorgesetzten, dass Prüfungen ab einem bestimmten Mehrergebnis – also nachzuzahlende Steuern, z. B. ab 100.000 Euro – abgebrochen werden. Es ist nicht gewollt, weiterzubohren, obwohl da manchmal Millionen dringewesen wären.“

Die Ungerechtigkeiten in der steuerlichen Absetzbarkeit treten in der Dokumentation offen zu Tage. Was der Kommentartext nicht direkt ausspricht, wird dennoch evident: Dieser wirtschaftlichen Kultur fehlen elementare Begriffe von dem, was Arbeit ist und was sie für das System im Ganzen ‚wert‘ ist. Das Luxusleben aufgrund „cleverer“ Transaktionen am „Markt“ und Bevorzugung durch Steuersystem und steuerliche Exekutive behauptet sich beflissen, ist es gewohnt, dass seine Art von Verhaltensweise belohnt wird – und andere eben nicht. Dass Gesellschaft von den Menschen gestaltet wird, die in ihr leben, ist aus dieser Art von Machtgefüge als Diskurs nahezu gänzlich ausgeblendet – und deshalb auch in der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.

Die Doku wurde 2009 vom WDR um 22 h und in mittäglicher Wiederholung gezeigt, 2010 von 3sat um 20.15 h. Nun folgt die nächtliche Präsentation um 0.30 h auf Phoenix. Die Quoten solcher Sender und Sendungen sind – ich thematisiere dies hier immer wieder – vergleichsweise gering, auch wenn die pluralisierte Senderlandschaft wie in diesem Fall zumindest eine gewisse Nachhaltigkeit gewährleistet. Aber warum wird in solcher Hinsicht nicht einmal um 20.15 h in der ARD – gemäß Weisheiten des „Bild“-Zeitungs-Chefredakteurs – „personalisiert“ und emotionalisiert?

Weitere Anhaltspunkte für das politische Bewusstsein größerer Zuschauergruppen mit Wahlberechtigung gibt ein Blick auf YouTube. Hier hat das erste von vier Segmenten, in die die Doku „Schön reich“ aufgeteilt ist, gut 9000 Abrufe zu verzeichnen. Etwa die Hälfte der Zuschauer hat sich an dieser Stelle auch den Rest noch angesehen.

Vergleicht man dies mit den Abrufzahlen anderer Angebote, die mehr oder minder willkürlich unter „Vorschläge“ rechts im Browser-Fenster auftauchen, erblickt man etwa bei einem Interview mit dem Bundesliga-Fußballer Stefan Effenberg von 2008 aus dem Deutschen Sport-Fernsehen (DSF) eine Zahl von 870.000. Hier heißt es im Frage-Antwort-Spiel von Journalist und Sportler:

„Ich glaub, auch für Sie war das’n ganz wichtiger Sieg und auch’n Erfolg.“ – „Ja, ähm, ich denk mal, in erster Linie für die Mannschaft. Wir haben den Abstand verringert, ähm, sind wieder dran ooond jetzt müssenwer weiter dran arbeiten, weiter dran glauben, denn … denk ich mal, sieht’s auch positiv aus in den nächsten Wochen.

Die Zusammenschau mit der zuvor besprochenen Doku zeigt, welch perfide Ideologie dieser Kultur des Profi-Fußballs in solchen Aussagen zugrundeliegt (ob die Ausübenden das begreifen oder nicht, ändert daran leider nichts): In der Realität sind die, die „weiter dran arbeiten, weiter dran glauben“, im Resultat die Benachteiligten und Betrogenen; „Siege“ und „Erfolge“ mit effektiver Gewinnmarge verbuchen andere. Wer an solchen gesellschaftlichen Verhältnissen etwas ändern wollte, müsste auch verhindern, dass psychische Strukturen des Empfindens und Denkens auf (zwar ergebnisoffene, aber in ihrem spielerischen Charakter fiktive) Inhalte wie Profisport, seine Phantasmen von Unbeschwertheit, Erfolg und Reichtum und die zitierten, gebetsmühlenartig täglich wiederholten Ideologeme von ‚Solidarität‘ (im Gegensatz zu gesellschaftlichen Gesamttendenzen, und hier in einer künstlichen, hochbezahlten Elite von wenigen) umgelenkt werden.

Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass sich die in der Doku aufscheinende Ungerechtigkeit etwa aus den Hinterlassenschaften von Regierungen herleiten lässt, die unter der falschen Flagge von „Christentum“ in solcher Hinsicht Egoismus und Lügenkulturen hegt und pflegt, worauf z. B. der „Freitag“ hinweist:

Die Regierung Kohl hatte 1996 zur Abschaffung der Vermögensteuer die Standardfloskel bemüht, es sollten “Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden”. Ein internationaler Vergleich ergibt jedoch, dass Deutschland schon damals die niedrigste Vermögensbesteuerung unter den G7-Staaten hatte.

An dem Millionär in der Doku „Schön reich“ sind die lebensweltlichen Resultate dieses „christsozialen“ deutschen Sonderwegs zu bewundern. Das ZDF hat in seiner Ausstrahlung der US-Endlosserie „Reich und schön“ am heutigen Tag übrigens im Vormittagsprogramm die Folge 5665 erreicht, die Pro-Kopf-Verschuldung der Deutschen durch die öffentlichen Haushalte das parallel dazu in den Zeitungen für Ende 2010 vorausgesagte Rekordhoch von 20.249 Euro.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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