Wie Atomenergie Sprache wird

Das Buch-und-Blog-Motto „Wie TV-Unterhaltung Leben zerstört“ verblasst in diesen Tagen vor der Atom-Katastrophe im japanischen Fukushima und dem Bürgerkrieg in Libyen. Eine Ursache der ersteren ist freilich ein zentrales Argument dieses Projekts: Wo Informationssysteme nicht (mehr) differenziert und transparent funktionieren, wächst die Selbstgefährdung von Gesellschaft und Individuum durch uninformiertes Handeln, zumal, wenn mit komplizierten und folgenreichen Techniken hantiert wird.

Was diesen Fall betrifft, würde also eine Betrachtung der Reflexion über Atomenergie in den Massenmedien nottun. Realer Effekt war in den letzten Jahrzehnten (nicht nur in Deutschland), dass eine lobbyorientierte Meinungsbildung vonstatten ging. Wo politische Magazine der Öffentlich-Rechtlichen mit einer meist eher linksorientierten Agenda in Berichten zu Störfällen und Entsorgungsproblemen grünliche Politik förderten, müssen wohl v. a. die im Politikbereich publikumswirksameren Talkmaster für die Zukunft überprüfen, inwiefern sie mit den rhetorischen Strategien von Vertretern der Atomindustrie und ihren parlamentarischen Befürwortern umgehen. Die strukturelle Gewalt, die in gebetsmühlenartigen Vereinseitigungen und aufmerksamkeitssteuernden Wiederholungen gut trainierter Sprechmaschinen liegt, hat wohl noch kaum eine angemessene kulturtheoretische und publizistische Betrachtung erfahren. (Versuche in dieser Richtung auf „filmdenken.de“ finden sich auf allgemeiner Ebene zum Thema Ökologie etwa hier aus dem Jahr 2006, hier von 2008, zu einer Ausgabe von „Maybritt Illner“ mit dem Atom-Thema hier von 2008.)

Und das symbolische Spiel mit den nachhaltigen Wirklichkeiten nimmt seinen Fortgang, wenn etwa am 27.03.2011 in der „Berliner Runde“ des ZDF zu den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg der FDP-Generalsekretär Christian Lindner „eine Wahl, die stark unter dem Eindruck der apokalyptischen Bilder aus Japan stand“, vermerkt – Apokalypse, Bilder, aber keine Kerntechnik. Und sein CSU-Amtskollege Alexander Dobrindt erinnert sich an „die Ereignisse, die man in Japan gesehen hat“, als hätte es auch die letzte Kirschblüte sein können.

Die CDU/CSU schafft es ja seit Jahrzehnten, durch eine Differenzierung derselben Partei in „D“ und „S“ in solchen „Elefantenrunden“ unter sechs Teilnehmern gleich mit zwei Personen aufzuwarten – dem Proporz von Redeanteil zu Wahlergebnis nach, als würden die Stimmen in Bayern doppelt gezählt. Solche Magie ist bei CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe allerdings nicht mehr auf der verbalen Ebene zu verbuchen, wenn er auf die wache Nachfrage von Moderator Elmar Theveßen, ob die CDU ihre langwährende Atompolitik nun plötzlich auf grün umzustellen gedenke, antwortet: „Ich finde es unangemessen, auf Japan danach zu rea… äh, fragen, was wir mit den Grünen ähäh … wie wir uns gegenüber den Grünen positionieren. Die Frage ist: Wie positionieren wir unter dem Eindruck der äh … Ereignisse in Japan unsere Energiepolitik?“

Die den CDSUlern allem Anschein nach von einem Pro-Atom-Rhetorik-Coach empfohlene Neutralisierung zum „Ereignis“ wird in den nächsten Interviews aber vermutlich noch flüssiger herüberkommen.

Auf anderen Sendern ist man schon einen Schritt weiter in der sachdienlichen Behandlung von Zuschauerhirnen. Die TV-Zeitschrift „Gong“ befragt in ihrer Ausgabe 11 vom 11.03.2011 den Sat1-Moderator Ulrich Meyer („Akte 20.11“) zur neuen Talkshow „Eins gegen Eins“ mit Claus Strunz auf seinem eigenen Sender. Hier soll sehr kritisch nachgefragt werden. Der „Gong“ gibt Meyers Prognose für ein solches Format in indirekter Rede wieder: „Dem Publikum von SAT.1 und Co. fehle heute dazu die nötige Konzentrationsfähigkeit.“

Nach den Ursache einer solchen Entwicklung wäre dann in der Tat zu fragen, wenn dies „heute“ so ist – also vorher nicht?

Ein Grund könnte in mangelnder Förderung solcher Interessen und Wahrnehmungsfähigkeiten liegen. Und statt sich dem zu widmen und gegenüber schädlichen Entwicklungen eine Zero-Tolerance-Haltung einzunehmen, ist der öffentliche Umgang mit äußerst zeitintensiven und inhaltlich besonders weltfremden Formaten, die sich an die Stelle sinnstiftenderer Inhalte und Gespräche gesetzt haben, immer wieder von Inkonsequenzen und schändlichen Kompromissen bestimmt.

Während andere Weltregionen in Kriegen und atomar verseuchten Umwelten versinken, nehmen am 26.03.2011 ca. 250.000 Menschen bundesweit an Anti-Atom-Demonstrationen teil. Aber die Speerspitze der Jüngeren, für die „Deutschland sucht den Superstar“ vermutlich einen höheren Stellenwert einnimmt, zählt am 27.03.2011 allein in Oberhausen auch 20.000 Besucher bei einer Autogrammstunde, wobei es wegen Überfüllung bei 60 von ihnen zu Ohnmachten und Knochenbrüchen kommt.

Hier wirft man nun laut „welt.de“ der Stadt Oberhausen „Komplettversagen“ vor. Die Symptomatik solchen und anderen „Nachher ist man immer schlauers“ in Unterhaltung und Ernst wurde von „Glotze fatal“ z. B. anhand der Duisburger „Love Parade“ am 24.07.2010 beleuchtet.

Wir warten dann auf die nächsten Ereignisse, die wir sehen.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. philgeland sagt:

    Wenn das mal kein Zitat wert ist. Die Essenz des Artikels in einem einzigen Satz.

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung