Der #Fachkräftemangel jagt Andrea #Nahles
Zwei Themen werden uns in den nächsten Jahrzehnten begleiten – zunächst immer theoretisch, dann spürbar. Dabei ist es erstens ein Phänomen der menschlichen Aufmerksamkeit, zweitens eins der Strukturen medialer Öffentlichkeit, dass wir uns mit diesen zwei Themen immer noch nicht effektiv und nachhaltig auseinandersetzen. Drittens gibt es Differenzen in der eigenen Erfahrung und in den eigenen Interessen, die einen eher bemüßigen, die Probleme nicht als Probleme benennen zu wollen. Ich meine den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel, nicht zuletzt auch ihren Zusammenhang.
Seit 2010 habe ich fünf Beiträge zu diesem Komplex geliefert, deren Argumente ich nicht wiederholen will. Die hier im Blog vorherrschende skeptische Sicht, die eher sarkastischen und pessimistischen Bewertungen versuche ich immer wieder an der Realität und anderen Argumenten zu überprüfen. Ich habe selbst keine Lust, mir meine Psyche durch eine verzerrte Weltsicht zu verpesten. Aus diesem naheliegenden Bedürfnis wird wohl auch mancher andere eher dazu neigen, sich mit solchen Themen erst gar nicht zu konfrontieren – obwohl sie uns alle angehen, in der Anforderung an eigene Leistungen und in der Erwartung der eigenen Versorgungslage, zumal im Alter.
In einem der früheren Artikel habe ich schon darauf hingewiesen, dass sich das Lager der Experten in zwei entgegengesetzte Positionen spaltet. Deshalb haben sowohl Publizisten wie auch die Zuschauer und Leser journalistischer Beiträge immer wieder die Möglichkeit, entsprechend ihren Neigungen entweder den Schluss „Alles halb so schlimm“ oder „Deutschland schafft sich ab“ zu ziehen. Sind wir damit seit 2010 irgendwie weitergekommen? – Nach meinem Eindruck: Nein, nicht wirklich.
Deshalb schaue ich mir dann auch brav den neuesten Beitrag zum Thema in der ARD an: „Die Story im Ersten: Der Arbeitsmarktreport – Das Märchen vom Fachkräftemangel“ (2014, R: Ulrike Bremer).
Von den in früheren Beiträgen erwähnten Experten treten hier Gerd Bosbach und Karl Brenke auf. Es sind hierzulande die beiden wichtigsten Propheten einer rosigen Zukunft. Ihr Antipode, Klaus F. Zimmermann, kommt nicht vor.
Dementsprechend lautet die Hauptthese der TV-Dokumentation wie ihr Titel: Fachkräftemangel sei ein Märchen, und zwar verbreitet zum Nutzen der Arbeitgeber, nicht zuletzt von Konzernen, die so die Löhne drücken. Das ist wohl auch ein Teil der Wahrheit, wie beim „Deutschlandfunk“ (20.02.2014) nachzulesen ist:
Seit 20 Jahren wandern die Produktivitätszuwächse allein in die Unternehmensgewinne. In den Lohntüten ist davon nichts zu finden – damit fehlt das Geld auch den Rentenkassen.
Der zitierte Artikel sei hier empfohlen, weil er noch eine Fülle weiterer Aspekte aufzeigt. Er dramatisiert auch nicht eindimensional im Sinne eines bloßen Fachkräftemangels, aber er zeigt eine wesentlich komplexere Problemlage auf als die TV-Dokumentation. Liegt das nur an der Differenz TV-Doku/Text? Oder könnte man derlei ebenso für das Fernsehen aufbereiten?
Völlig eindeutig ist auch die Botschaft des Films von Ulrike Bremer nicht. Eine dramaturgische Klammer ist gleich ab der ersten Szene die Erfahrung eines spanischen Pärchens, das nach Thüringen zieht. Der Fachkräftemangel, der laut anderen Erfahrungen und Statistiken derzeit de facto auf dem gesamten deutschen Arbeitsmarkt nicht herrscht, liegt im östlichen Bundesland sehr wohl vor. Dort überaltern seit den ersten großen Abwanderungswellen nach der deutschen Wiedervereinigung ganze Kleinstädte und Landstriche. Jüngere gibt es, wie in dem gezeigten Fall, dann kaum noch innerhalb der Sozialstruktur.
Die von vielen als zumindest eine der Lösungen gefeierte Zuwanderung (für den sozialen Frieden Europas ohnehin ein zweischneidiges Schwert) funktioniert im gezeigten Fall gerade nicht, was ein doppeltes Scheitern dieses Lösungsansatzes unter den gezeigten Bedingungen bedeutet: Weder ist das Problem Fachkräftemangel ganz inexistent, noch kann es einer der versprochenen Lösungen zugeführt werden. Der spanische Facharbeiter wird in dem sozial verarmten Umfeld ohne jüngere Mitbürger depressiv und ergreift nach einem Jahr wieder die Flucht. Sein Arbeitgeber muss, wenn er denn einen Ersatz findet, den Betreffenden wieder neu anlernen.
Es scheint eine Politik des öffentlich-rechtlichen Senders zu sein, diese Problemlage zwar, der ‚Ausgewogenheit‘ halber, aufzuzeigen, doch in der Argumentation nicht voll auszuspielen. Dass ein Fachkräftemangel derzeit im Durchschnitt nicht existiert, steht innerhalb der gesamten Argumentation der Doku unverbunden neben dem Fallbeispiel, in dem er erstens vorliegt und zweitens noch mit dem anderen schwerwiegenden Problem, nämlich des Aussterbens der Bevölkerung in größeren Arealen östlicher Bundesländer, verknüpft ist. – Man würde sich von Seiten der Macher sicher darauf berufen, dass dies ein Thema für eine separate Dokumentation wäre. Mein Eindruck ist aber, dass man vor den wirklich harten und teilweise ausweglosen Problemlagen dann wieder zurückschreckt, weil die Konsequenzen für Bewusstsein und politische Ansätze von einer diffusen anderen politischen Agenda nicht gewollt sind. Diese Agenda setzt sich zusammen aus einem zunehmenden Zwang des Fernsehgeschäfts, nicht nur zu informieren, sondern das Ganze zu personalisieren, möglichst ‚unterhaltsam‘ darzubieten und nach Möglichkeit noch einen positiven Ausblick zu geben, selbst dort, wo er Realitäten eigentlich schon nicht mehr entspricht.
Dass dies in der Doku zum Fachkräftemangel gelingt, beruht wohl auch darauf, dass einer der zentralen Begriffe aus der Debatte zum Fachkräftemangel über 45 Minuten keine einzige Erwähnung findet: die Babyboomer. Wenn diese 2020-25 in Rente gehen, wird das Problem erst richtig virulent. Sie haben satte Versorgungsansprüche, während für zahlungskräftigen Nachwuchs nicht gesorgt wurde. Dieses Thema ist für das Fernsehen schwieriger zu bebildern, da es sich um zukünftige Ereignisse handelt. Wenn man sich dieser Schwierigkeit der Inszenierung aber beugt, gibt man einen wichtigen Mechanismus politischer Vernunft auf: das vorausschauende Denken. Eine Gesellschaft, die ihre mehrheitliche Willensbildung dem unterordnet (eben der Darstellung im TV), muss notwendigerweise immer mehr einem Kind gleichen, das nicht an morgen denkt. Dies nützt nur einigen wenigen, die noch jede Zwangslage und jedes Elend der Mehrheit für eigene Zwecke auszunutzen weiß. Und deren Interessen sind es ganz offensichtlich, denen mit einer solchen Programmpolitik, ob gewollt oder nicht, gedient ist.
Die Verzerrung der Wahrnehmung durch die ARD-Programmpolitik zeigt sich auch daran, dass man einem emotionalisierenden bis larmoyanten Slogan wie „Leben mit dem Tod“ 2012 eine ganze ARD-Themenwoche widmete. Ganz zu schweigen ist in dieser Hinsicht von der großflächigen Bespaßung mit immer mehr TV-Serien und Profisport-Übertragungen, die den Einschaltquoten nach fast das gesamte Freizeit-Bewusstsein der Zuschauer besetzen. Spricht man diese Zuschauer im Privaten dann auf unangenehme Themen wie Überalterung oder Staatsverschuldung an, kommt meist ein halbherziges „Hab ich schon gehört, weiß ich ja“. Gewählt wird beim nächsten Mal dann aber mehrheitlich z. B. eine Partei wie die SPD, deren aktuelle Bundesarbeitsministerin Andreas Nahles am Ende von Ulrike Bremers Doku erwähnt wird. Die Ministerin habe auf Anfrage ein Statement abgelehnt: „Die Ministerin hat sich bislang noch kein Meinungsbild zum Thema Fachkräftemangel bilden können und wird auch bis Herbst dazu noch keine Position beziehen können.“
Es ist die Frage, ob damit nicht ein wenig das ausgedrückt ist, was schon zum Zeitpunkt der Anfrage von der vorliegenden ARD-Dokumentation zu erwarten war: „bislang noch kein Meinungsbild zum Thema“. (Dies würde dann aber Ironie als Grundlage der Verlautbarung des Ministeriums bedeuten.) Ansonsten hört die TV-Sendung damit auf, womit zumindest ein anderer aktueller Beitrag anfangen müsste: Warum wird ausgerechnet eine Politikerin Arbeitsministerin, die dies von sich mitteilen lassen muss? Dass Andrea Nahles damit nicht in die Schlagzeilen gerät und zurücktreten muss, ist leider ein weiterer Beleg, dass es derzeit mit einem Journalismus, der seinen verfassungsgemäßen Aufgaben gerecht wird, nicht mehr weit her ist.
Ich freue mich, dass noch jemand den Film gesehen hat und über diese kritische Aueinandersetzung! Bei der Erwähnung der Babyboomer und dem “nicht ausrecheind(en) Nachwuchs”, für welchen nicht gesorgt wurde, frage ich mich aber schon, ob der Verfasser mitbekommen hat, dass “Mangel” hierzulande bedeutet, dass es weniger als DREI Bewerber oder Bewerberinnen auf ein Stellenangebot gibt – und der “Mangel” sich gerade aus dem nicht (mehr) Vorhandensein eines unüberschaubaren Bewerberpools der Unmut der Arbeitgeber speist. (Was ist eigentlich mit den Ingenieurinnen, die sich teilweise zwei Jahre lang erfolglos beworben hatten – eine von Ihnen als Jahrgangsbeste…) Anscheinend sind also alle Plätze besetzt, wo Renteneinzahlungen generiert werden. Der Mangel in den überalterten, sehr einwohnerschwachen Gegenden wurde in der Doku nachvollziehbar damit erklärt, dass die von Hause aus in Deutschland weilenden “Young Professionals” eben eher nach München wollen, als nach Bitterfeld. Vielleicht sollte die Bundesregierung dort malso schicke Anwerbeprogramme starten, wie die internationalen Projekte. Maßnahmen zur strukturellen Belebung der Gebiete könnten helfen (die jungen, arbeitswilligen Leute ziehen ja nicht ohne Grund weg). Das würde auch mit Steuergeldern und generellem Wirtschaftswachstum die klammen Kommunalkassen entlasten und letztendlich potenter für selbstgesteuerte und – finanzierte Fördermaßnahmen machen.
Pardon für die späte Antwort … Aber nun: Zu den Babyboomern merkte ich ja noch an, dass sie “2020-25 in Rente gehen”. Das ist ein springender Punkt, den ich in der öffentlichen Debatte kaum berücksichtigt sehe. Es wird zu diesem Zeitpunkt plötzlich sehr viel mehr Rentner geben – in einem Rentensystem, das schon seit 40 Jahren staatlich bezuschusst werden muss.
Deshalb halte ich eine Debatte über Fachkräftemangel im Hinblick auf diese nahe Zukunft aufgrund meiner Prognoseinstrumente für notwendig. Der erwähnt Gerd Bosbach redet immer alle Probleme mit Produktionssteigerung weg. Das ist für mich unterkomplex (keine Reflexion über Zuwanderung und Integration oder Geriatrie).
Dass Arbeitgeber ein solches Argument auch für Lohndrückerei nutzen, will ich keinesfalls abstreiten. Das ist ein Punkt, der in einer solchen Doku wohl ganz richtig aufgezeigt wird.
Richtig finde ich auch die Mahnung zur Benachteiligung ‘strukturschwacher Regionen’. Dafür, würde ich sagen, braucht es ein allgemeines Umdenken, zu dem die gegenwärtigen Ideologien und Medieninhalte in der großen Mehrheit nicht beitragen. Großstädte werden als Nonplusultra gehypet, wo man ihre Realitäten einmal kritisch beleuchten müsste. Und für manche Ungleichgewichte zwischen Stadt und Land müsste man eben über geeignetere Fördermaßnahmen nachdenken. An erster Stelle steht aber die Arbeit an einem Bewusstsein der Einzelnen, die (derzeit zumindest) frei entscheiden dürfen, wo sie arbeiten und wohnen.
Insgesamt kommt in der Doku dann aus meiner Sicht eine Mischung von richtiger, halber und falscher Information heraus, die ich gefährlich finde. Aufgrund der Dringlichkeit der Probleme glaube ich deshalb auch, dass wir es nicht bei diesem Hü und Hott sog. Qualitätsmedien belassen können. Das ist eine Haltung, die aus der relativ bequemen Nachkriegszeit stammt und die aufgrund schwindender Sicherheiten und wachsender sozialer Konflikte bald obsolet sein könnte.
Es gibt keinen “Fachkräftemangel”, sondern nur einen Mangel an billigen Fachkräften, die bei gleicher Qualifikation bereit sind, sich noch deutlich mehr von ihrem Arbeitslohn abziehen zu lassen, als die 1200 Euro monatlich, die im Durchschnitt allen 38 Millionen (noch) arbeitenden Zinsverlierern in Deutschland an ihrem vollen Arbeitsertrag fehlen, um den Zinsgewinnern (Großsparer, Sachkapital- und Bodeneigentümer) ihr arbeitsfreies Kapitaleinkommen (unverdienter Knappheitsgewinn) von 550 Milliarden Euro jährlich zu sichern. Da Letzteres exponentiell ansteigt, müssen die Arbeitslöhne immer weiter sinken:
http://deweles.de/files/mathematik.pdf
Unsere seit jeher fehlerhafte Geld- und Bodenordnung und die daraus resultierende systemische Ungerechtigkeit, die Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz, hat bisher jede Volkswirtschaft in der Geschichte der halbwegs zivilisierten Menschheit zerstört:
http://www.deweles.de/files/untergang.pdf
Die Lernresistenz der “hohen Politik” gegenüber dieser “Mutter aller Zivilisationsprobleme” basiert auf einer künstlichen Programmierung des kollektiv Unbewussten, die vor Urzeiten erforderlich war, um den Kulturmenschen durch selektive geistige Blindheit an ein bis heute fehlerhaftes Geld (Zinsgeld) anzupassen, solange das Wissen noch nicht zur Verfügung stand, um das Geld an den Menschen anzupassen, und von der insbesondere jene betroffen sind, die in “dieser Welt” eine “gesellschaftliche Position” erworben haben:
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/11/einfuhrung-in-die-wahrheit.html