#ARD entdeckt #Computerspiel-Sucht in “Play”

Man kennt das in vielerlei Hinsicht: Irgendwann, 20 Jahre später oder so, bemühen sich eine sog. “Qualitätspresse” oder ein “Qualitätsfernsehen” um wesentliche Probleme. Das kann eintreten, wenn es irgendwie unausweichlich geworden ist. Natürlich sitzt man im Golfclub neben den Leuten, die betreffende Waren verkaufen möchten, oder man hält es stillschweigend für richtig, dass, wer schwächer ist, eher noch tiefer in den Dreck gezogen wird.

So verhält es sich aus meiner Sicht mit Computerspielen. Ich probierte es als Jugendlicher einmal mit “Tim & Struppi”, wo man über Stunden eine Bombe nicht entschärfen konnte, um auf das nächste Level zu gelangen. Das reichte mir. Bei einem einzigen späteren Versuch mit “Max Payne” wurde mir körperlich schlecht von der Wackelkamera inkl. Clipping-Fehlern, wenn einem der Betonpfeiler vor die virtuelle Stirn knallte. Und das meiste dieser Art enthält meiner Kenntnis nach weder künstlerische Finessen, für die ich mich interessiere, noch eröffnet es mir Freiheiten der Gestaltung und Assoziation. Es sind vorgefertigte Reiz-Reaktions-Schemata, visuell aufgemotzt durch die “processor-hungry task of creating a convincing tree” (aus dem Gedächtnis zitiert aus Steven Pooles “Trigger Happy”). Und alles, was die Industrie (wie auch im Fall schlechter Filme und erst recht TV-Serien) anzustreben scheint ist: ihre Konsumenten süchtig zu machen.

Darüber hätten sich Wissenschaftler oder Publizisten schon seit langem kritisch äußern müssen, um kulturpolitische Einwirkungen zu fordern. Was sie taten, ist so gut wie nichts – ein ärmliches Zeugnis auch für Menschen, die parallel dazu noch in die letzten Windungen ihrer vermeintlichen theoretischen Empfindsamkeiten und “politischen Korrektheiten” krochen. Wir müssen mittlerweile jedes Substantiv gendern, während die Jugend einen Kopf nach dem anderen mit der digitalen Bazooka blutig zerplatzen lässt. Geht’s noch?

Wer nicht ganz weltfern ist wie kinderlose Karrieristen und Akademiker, weiß also seit Jahrzehnten, dass Kinder und Jugendliche (und auch Erwachsene, die aus ihnen werden) kaum noch klassische Bildung akquirieren, dass sie sich den letzten Mist im “Fernsehen” und seinen Fortsetzungen bieten lassen. Ein Wirkfaktor dabei sind Computerspiele, zu denen schon in vielen Testberichten erwähnt wird, dass sie ganze Tages- und Wochenschichten oder noch viel mehr Lebenszeit fressen.

Und nun dürfen wir mit Hilfe von Drehbuch-Autoren endlich einmal zur Hauptsendezeit bemerken, was abgeht:

Das TV-Drama „Play“ zeichnet den Weg in die Computerspielsucht nach und macht so das Krankheitsbild greifbar. […]

Jennifer (Emma Bading) hat gerade die ersten Schritte im fiktiven VR-Spiel „Avalonia“ unternommen. Mit der Datenbrille streift sie durch die fantastischen Landschaften mit ihren weiten Feldern, den tiefgrünen Wäldern und den im Abendlicht liegenden spitzen Bergen, die an Zauberhüte erinnern, so als wäre es die reale Welt. Real ist bald jedoch nur noch die Sucht nach dem Computerspiel. Das Verlangen, immer mehr Zeit in „Avalonia“ zu verbringen, ständig neue Level zu erklimmen, bis sie nicht nur die Schule vernachlässigt, sondern das Essen und Schlafen vergisst und am Ende sogar zur Gefahr für sich und andere wird.

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/tv-drama-ueber-computerspielsucht-flucht-nach-fantasia/25001156.html
PLAY | © ARD Degeto / BR / Alexander Fischerkoesen

Auch ein solches Fernsehspiel ist der sprichwörtliche Tropfen auf einen sehr heißen Stein. Was nötig wäre, wäre etwas ganz anderes (viel mehr, viel Radikaleres).

Um etwa meine medienwissenschaftliche Karriere zu befördern, hätte ich persönlich, statt einer komplizierten ideen- und filmhistorischen Studie, irgendeine theoretische Bastelei zu Computerspielen publizieren müssen, die niemand wehtut (mindestens dadurch, dass sie kaum jemand verstanden hätte). Meine Entscheidung fiel aus einer Reihe von Gründen anders.

Und so erlaube ich es mir hier anzumerken, nachdem ich schon 2005 einen Artikel auf filmdenken.de publizierte: “Warum ich Computerspiele nicht mag”. Oh, und was finde ich dabei per Google gar aus dem Jahr 2016 auf “giga.de”: “5 Gründe, warum ich keine zeitfressenden Videospiele mehr zocke”. (Wie gesagt: Es ist für mich keine vereinzelte Erfahrung, für Ideen ignoriert zu werden, um 10 oder 20 Jahre später andere Leute dabei zu beobachten, wie sie sie verkaufen – aber beruhigenderweise meist eher in Schwundstufen.)

Ich will dabei niemand seinen Spaß verderben – und kann es sicher gar nicht. Wer bei Computerspielen miteinander Spaß hat, soll das ruhig tun. Die Nebenwirkungen allerdings sind immens. Je nach Annahmen könnten volkswirtschaftliche Kosten in die Milliarden gehen. Schulische Defizite durch Computerspiele sind irgendwann nicht mehr aufzuholen. An erster Stelle steht für mich die Frage, ob diese Spiele jene Zeit wert sind, die sie erfordern. Für jeden, der in seinem Werdegang eigentlich darauf angewiesen ist, neben allerlei anderen Lebensdingen etwa laufend ganze Buchtexte zu lesen, stellt sich diese Frage; umso mehr, je mehr Bücher usw. es zu allerlei Themengebieten und in allerlei Formaten gibt.

Aber ja, es hat schon frühere Studien gegeben und den einen oder anderen dokumentarischen Bericht, auch in der ARD. Die gesellschaftliche Realität ist aber schon seit nicht nur 20, sondern eher 30-40 Jahren eine ganz andere, und sie hat Folgen – im Psychischen, im Sozialen, vielleicht auch im Wirtschaftlichen.

Mir hat es nie eingeleuchtet, warum ich mit einem armseligen Plastik-Controller einen Wettstreit veranstalten soll, den ich mit einer stattdessen vollwertigen körperlichen Erfahrung in allerlei Sportarten besser haben kann. Dieselben Sender und Redaktionen, die ganz selten mal über Computerspiel-Sucht aufheulen, berichten ebenso homöopathisch über die Folgen von Bewegungsmangel (neben falscher Ernährung durch andere sozioökonomische Umstände der wichtigste Faktor für Massenelend unserer Tage).

Die Konsequenz in meinem Leben hat bisher eindeutig gelautet: Für Computerspiele habe ich keine Zeit; alles, was ich dort finden kann, finde ich anderswo besser. Und sollte das die Schlussfolgerung sein, die nun auch die ARD mit ihrem TV-Film “Play” nahelegt, sollten die dortigen Redaktionen noch einmal gründlich nachdenken, was sie schon vor 20 Jahren hätten tun müssen. Dass wir sie auch noch für diesen Bewusstwerdungs-Prozess bezahlen, ist natürlich Ehrensache.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

9 Antworten

  1. Kuhlau sagt:

    Die mentalen Folgen elektronischer Unterhaltung hat nicht nur Spitzer erörtert, sondern z. B. auch die Neurobiologin Gertrud Teuchert-Noodt (ich hoffe, ich habe den Namen hier richtig geschrieben). Sie findet, Spitzer verharmlost… Ihrer Ansicht nach landen wir schon sehr bald in der Steinzeit. Ich bin kein Experte für sowas, finde aber ihre Argumentation ebenso überzeugend wie beunruhigend – obgleich ich natürlich weiß, daß Kulturpessimismus in Deutschland verboten ist. Ein ausgezeichnetes Interview mit dieser Wissenschaftlerin war vor einiger Zeit auf den “Nachdenkseiten” zu finden.

  2. l2012ucas sagt:

    Dieser Bericht bestätigt ihre vorhergegangenen Ausführungen nochmals, obwohl hier nur vom “Schaden für Deutschland” als ökonomische Größe gesprochen wird und die gesellschaftlichen wie sozialen Folgeschäden mal wieder nicht hinterfragt oder berücksichtigt werden.

    https://www.focus.de/digital/dldaily/streit-um-games-foerderung-schaden-fuer-deutschland-wie-die-bundesregierung-die-wut-der-spiele-branche-auf-sich-zieht_id_11150741.html

  3. Die nächste Replik auf Facebook spricht dann u.a. erneut den Vorwurf eines “Kulturpessimismus” aus: “Man darf sich natürlich mit Dingen nicht beschäftigen wollen, aber dann sollte man sich auch mit seinem gewollten Mangel an Sachkenntnis nicht in eine ernsthafte Diskussion einmischen, die wir ja gern führen wollen und auch müssten. Die (teils eher gefühlten) Suchtpotenziale eines Mediums in den Vordergrund zu stellen, ist noch lange keine Kulturkritik, so ähnlich wie nicht jeder ARD Fernsehfilm dem Bildungsauftrag folgt. Es ist eine Meinung, Fiktion und eventuell noch Kulturpessimismus, aber nicht mehr und nicht weniger.”
    Meine Antwort:
    https://www.facebook.com/groups/131402253579323/permalink/2648924758493714/?comment_id=2650334078352782&reply_comment_id=2653300958056094
    Um z.B. über den Zeitbedarf von Computerspielen sprechen zu wollen, muss ich mich mit Binnenstrukturen einzelner Spiele nur dann beschäftigen, wenn ich an einem Beispiel in dieser Hinsicht etwas deutlich machen wollte. – Meine etwas provokanten Nebenbemerkungen sind deshalb nicht “gewollter Mangel an Sachkenntnis” in den Fragen, über die ich sprechen will, sondern eine Weigerung, mich einem solchen Konsumangebot als Konsument zu nähern. (Dass man in Computerspielen teilweise dutzendfach dieselben für mich dann nervtötenden Abläufe absolvieren muss, um irgendwelche ‘nächsten Levels’ zu erreichen, habe ich am konkreten Beispiel nun schon gemerkt, wie in meinem Artikel erwähnt. Das Prinzip hat sich bis heute nicht geändert, oder?)
    Dass mit hohem Aufwand designte Merkmale von Computerspielen Spieler von ihrem eigenen freien Willen hin zu einem fremdgesteuerten Suchtverhalten drängen, muss ich nicht selbst auch nochmal beschreiben, das ist von wissenschaftlicher Seite etwa schon für die Drogenbeauftragte der Bundesregierung geschehen:
    https://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/Drogenbeauftragte/2_Themen/2_Suchtstoffe_und_Abhaengigkeiten/5_Onlinespiele-_und_Computersucht/Downloads/Expertise_Suchtfoerdernde_Faktoren_von_Computer-und_Internetspielen_2017.pdf
    Meine Frage an Ansätze der Game Studies wäre an jeweils geeigneten Stellen, wie sie ihre eigenen Begriffe darauf abstimmen. Ich habe den begründeten Verdacht, dass ein bedeutender Teil der Medienwirkung von Computerspielen (endloses Vertändeln von Lebenszeit, strukturschwache Gestaltungen nach meinem Begriff von Erzählkunst und Bild-Hermeneutik – siehe zu Letzteren aus meiner Sicht meine sieben Buchveröffentlichungen, https://filmdenken.de/buch-webshop-medienkritik-verschwoerungstheorie-physiognomik/) in einem kulturalistischen Großdiskurs nur noch am Rande vorkommt. Man sehe sich ein solches Inhaltsverzeichnis darauf hin noch einmal an:
    https://www.halem-verlag.de/game-studies-ansaetze-computerspielforschung/
    Mir wäre es im Vergleich dazu auch nicht bekannt, dass der Umgang mit Literatur oder Spielfilmen von der WHO als “Krankheit” klassifiziert worden wäre. Für Computerspiele ist dies seit kurzem der Fall:
    https://www.tagesschau.de/ausland/online-spielsucht-krankheit-101.html
    Was sind “(teils eher gefühlte) Suchtpotenziale eines Mediums” anhand vorliegender Zahlen? Das ist aus meiner Sicht ein Irrgänger angeblich ‘differenzierten’ Denkens: Aus ‘Es ist ja nicht immer so’ wird implizit die Suggestiv-Aussage: ‘Es ist ja durchgehend nicht so schlimm.’ Und sofort wird wieder das Feindbild eines bei anderen vorliegenden “Populismus” herbeizitiert. Handelt es sich bei Ihrer Formulierung “(teils eher gefühlte) Suchtpotenziale” nicht selbst um “nachlässig-suggestiven Umgang mit der Sprache” (https://www.ife.uzh.ch/dam/jcr:0f13e510-d60b-44b3-afea-30e32a1efb3d/Aarau_Populismus.pdf)? Wer ‘fühlt’ denn hier was? Hat hier irgendjemand gesagt, dass es nicht auch unproblematischen Umgang mit Computerspielen gibt? Habe ich nicht ausreichend und fortgesetzt belegt, dass die kritischen Befunde zu Zeitbudgets und Suchtpotenzialen kaum umstritten zu sein scheinen und Anlass geben, eine ggf. solche Aspekte nur relativ wenig einbeziehende Medienwissenschaft darauf zu verpflichten? Ich sehe doch sofort in der Reaktion von Gerrit Neundorf, dass Autoren wie Manfred Spitzer als Buhmann fungieren, dem ein positives kulturwissenschaftliches Verständnis von Computerspielen entgegenzusetzen sei, die Spitzers Thesen von einer “Digitalen Demenz” etc. offensichtlich – wieder suggestiv – augenblicklich obsolet erscheinen lassen. (Was ist denn nun falsch an Spitzers Ansatz, wenn die WHO entsprechende Auswirkungen im Allgemeinen erstmal bestätigt?)
    Es ist demgegenüber wohl eher eine Ausblendung von Fehlentwicklungen im kulturellen und sozialen Leben, wenn man versucht, den medizinisch-psychologischen Diskurs über Computerspiele kleinzuhalten, indem man das Gegenüber ohne gegenseitigen nachvollziehbaren Abgleich auf andere Kriterien des Gegenstandes (und nur diese) verpflichten will.
    “Ein riskantes Gaming, so Professor Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, kann mit der Vernachlässigung schulischer Verpflichtungen einhergehen. So liege unter Risiko-Gamern der Anteil derer, die in den vorangegangenen vier Wochen eine Woche oder mehr in Schule oder Ausbildung gefehlt haben, mit 10,9 Prozent fast dreimal so hoch wie bei unauffälligen Spielern.
    Risiko-Gamer berichteten häufiger über emotionale und Verhaltensprobleme, insbesondere über Ängste und depressive Symptome. Klinisch auffällig zeigten sich 42 Prozent aller Risikogamer im Hinblick auf Hyperaktivität. Dies schlägt sich nieder in Konzentrationsmangel, motorischer Unruhe und Impulsivität. Etwa ein Fünftel aller Gamer berichtet von oppositionellen, regelwidrigen und aggressiven Verhaltensweisen.”
    https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/kindergesundheit/article/982349/computerspiele-wann-suchtgefahr-fuer-kinder-besteht.html
    Es ist darüber hinaus erstmal meine Frage an die Game Studies, wo es eigentlich “ausführlichere Arbeiten” gibt, “die eine KULTUR-Kritik von Computerspielen” leisten. Dazu würde es für mich eben gehören, nicht nur auf eine eher deskriptive Weise neue Begriffe für irgendwelche Besonderheiten von Spielen zu entwickeln, sondern ein bei Jugendlichen mind. 2 Std. im Durchschnitt täglich stattfindendes Wahrnehmungs- und Interaktionsereignis auf seine Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit zu befragen.
    Was ist für Spieler (und die menschliche Gemeinschaft) der persönliche Gewinn daran, was wird stattdessen unterlassen und was folgt daraus? Welche Bewertung resultiert daraus für den Beobachter – und zwar nicht in der vorgängigen Ausschließung solcher Kriterien und dem implizten Verbot, überhaupt auf entsprechende Defizite der vorherrschenden Theorien hin zu untersuchen?

  4. Und noch ein weiterer Kommentar in der Facebook-Gruppe “Medienkompetenz in Sozialen Netzwerken” mit dem Schluss: “Mein Mann und ich zocken heute noch, selten, aber gerne mal. Wenn ein Spiel gut gemacht ist, kann es einen fesseln. […] Ich hoffe jedenfalls, der Film weckt keine unnötigen Ängste bei den Eltern von heute. Man kann auch Action-Adventures mögen ohne gleich im Wahn seinen Vater abzustechen.”
    Meine Antwort:
    https://www.facebook.com/groups/medienkompetenz.in.SN/1930645177039262/
    In meinem direkten Umfeld gab es fast nie jemand, der Computer gespielt hat, seit in Kindertagen einzelne den C64 benutzten und schnell die Lust daran verloren. Im Verlauf der Jahre bekam ich jedoch immer mehr Geschichten mit, in denen Menschen sich großflächig nur noch in diese Spielwelten flüchteten. Auch die Statistiken sagen, soweit ich sehe, immer dasselbe seit Jahren. Es geht hier um Zeitbudgets von um die 2 Std. im Durchschnitt täglich nur für Spiele bei den Jüngeren. Ich sehe nicht, wo das eine Verhältnismäßigkeit hat. Wenn gleichzeitig noch die Rede davon ist, dass schon Kinder unter Zeitdruck stünden, kann für vieles keine Zeit mehr bleiben, über dessen Verlust ebf. berichtet wird – z.B. eben auch Bewegung draußen (was ich auch meine, ‘draußen’ zu sehen im Vergleich zu früher).
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/29441/umfrage/taegliche-nutzungsdauer-von-games-pc-und-konsole-durch-jugendliche/
    “Laut der JIM-Studie 2018 spielten Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren von Montag bis Freitag rund 103 Minuten Computer-, Konsolen-, Tablet- und Handyspiele. Jungen spielten dabei mit 146 Minuten deutlich länger als Mädchen (56 Minuten). Am Wochenende spielte Jugendliche beiden Geschlechts rund 22 Minuten länger als während der Woche.”
    Passend dazu heute: https://www.bild.de/ratgeber/kind-familie/kind-und-familie/lehrerblog-schueler-wissen-gar-nicht-mehr-was-bewegung-ist-64539324.bild.html

  5. Gerade fand noch in der Facebook-Gruppe “Medienpädagogik” ein Schlagabtausch mit einem Leser des Artikels statt, der befand: “[I]ch habe schon lange keinen so unreflektierten und egozentrischen, aber dennoch verallgemeinern wollenden Text zum Thema Computerspiel(en) gelesen wie den Ihrigen”. meine Antwort dazu:
    https://www.facebook.com/groups/131402253579323/permalink/2648924758493714/
    Also, ich persönlich würde die ausführlichere Beschäftigung mit Computerspielen nur gegen höhere Zahlungen von Schmerzensgeld durchführen. Das ist mein ganz persönliches Recht. Wem es selbst an Distanz zum Gegenstand fehlt, wird vielleicht so argumentieren wie die, die es stattdessen tun.
    Die Arbeiten etwa von Manfred Spitzer sind ja sehr allgemeiner Natur. Mir sind jedenfalls keine ausführlicheren Arbeiten bekannt, die eine KULTUR-Kritik von Computerspielen überhaupt durchführen. Das, was mir bisher als These begegnet ist, kommt mir meist eher wie eine Liebedienerei bei der Spiele-Industrie vor.
    Das, was Sie hier als ‘Egozentrik’ wahrnehmen, ist, mit Verlaub, vielleicht eher der Kontrast zu der weitgehend unkritischen Grundhaltung, die dazu in Wissenschaft und anzeigenabhängiger Presse bis dato herrscht. Es ist sehr viel Geld dabei im Spiel – die Verluste liegen aber in Deutschland sehr einseitig, denke ich. Den Schaden haben Kinder und Jugendliche hierzulande. Die ökonomischen Interessen daran liegen allein außerhalb von Deutschland (https://www.gameswirtschaft.de/wirtschaft/marktanteil-deutsche-games-2018/). Auch dies wird kaum angesprochen, zeigt aber Ungleichgewichte auf, die in anderer Form von unkritischen Geistern wahlweise überdeutlich, hier aber eben kaum strukturiert diskutiert und theoretisiert werden.
    Die Ursachen für Spielesucht sehe ich u.a. in:
    – mangelndem Problembewusstsein der Erwachsenen aufgrund mangelnder Aufklärung (der beste Service für die Medienindustrie)
    – fehlenden Freizeitangeboten im Realraum
    – wachsenden psychosozialen Problemen bei Minderjährigen (Familie, Schule, Zukunftsaussichten)
    – Arbeitslosigkeit junger Erwachsener
    – suchtorientierter Gestaltung von Spielen inkl. von Bezahlinhalten
    – Verdrängung anderer Medienangebote einschließlich der Lesekultur (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/immer-weniger-kinder-in-deutschland-koennen-richtig-lesen-15739605.html)
    Wo haben sich “Medienwissenschaften” bisher zu derlei ausführlicher geäußert? Wo gibt es funktionierende Anschlussstellen an den politischen Diskurs?
    Aber es ist sicher richtig – diffamieren wir weiter die kritischen Stimmen (Spaßbremsen, Kulturpessimisten, Rückwärtsgewandte und nun also “Egozentriker”) und lassen wir “Electronic Arts” und wie sie alle heißen ruhig gewähren, die Zeichen stehen offensichtlich günstig.

  6. l2012ucas sagt:

    Ich bin mit den Grundaussagen auch völlig d’accord. Meine Gamerphase ist schon etwas her und ich widme mich Videospielen kaum mehr. Vielleicht lag es an meinen damals schon vorhandenen literarischen und geisteswissenschaftlichen Interesse, dass ich auch durch Computerspiele inspiriert wurde, mich durch z.B. das Spiel “Dantes Inferno” mit einem Klassiker wie der “Göttlichen Komödie” von Dante Algheri oder durch das Spiel “Bioshock” mit dem in den USA extrem einflussreichen Werk “Wer ist John Galt?” von Ayn Rand intensiver auseinandersetzte und auch klassische Musik für mich mehr entdecken konnte, wie durch die Reihe “Video Games Live” oder später dem “German Gamemusic Award”. Auch damals lesenswerte Magazine wie GEE oder Edge haben diesen Sektor anspruchsvoll bearbeitet und als kurzweilig kulturgeschichtliche Einführung und Abhandlung kann ich Andreas Rosenfelders “Digitale Paradiese” empfehlen. Das alles ändert aber nichts an dem Faktum, dass unsere Jugend dem Ideal einer humanistischen Allgemeinbildung durch Unterhaltungselektronik immer mehr entgleitet, auch wenn es noch Widerstände gibt, da der E-Sport in Deutschland kürzlich nicht als Sport im eigentlichen Sinne anerkannt wurde.

    https://de.wikipedia.org/wiki/GEE_(Zeitschrift)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Edge_(Zeitschrift)

    https://www.youtube.com/watch?v=fEsbA8EBbos – German Gamemusic Award
    https://www.youtube.com/watch?v=RsY60pEzzeo – Video Games Live

    https://www.youtube.com/watch?v=UUOZRRU_Dyg – die genannten Spiele bzw. Trailer
    https://www.youtube.com/watch?v=Np0jPUg-CCY

    https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6ttliche_Kom%C3%B6die
    https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Atlas_Trilogie_%E2%80%93_Wer_ist_John_Galt%3F

    https://www.perlentaucher.de/buch/andreas-rosenfelder/digitale-paradiese.html

    https://www.swr.de/sport/mehr-sport/esports/Warum-E-Sport-kein-Sport-ist,artikel-dosb-rechtsgutachten-100.html

  7. l2012ucas sagt:

    Trotz ihrer richtigen Ausführungen hat mir der Film für eine Fernsehproduktion durchaus zugesagt. Erstens, setzte er die empfundene Sterilität, Kälte, fast schon Antisozialität der modernen realen Welt kontrastierend zur bunten blumigen sozialen virtuellen Realität gut in Szene, zweitens, stammte die Hauptprotagonistin aus der oberen Mittelschicht, also aus der Schicht, die diesen Phänomenen angeblich meist weniger ausgesetzt zu sein scheint und drittens, bekam man durch die Darstellung der VR-Technologie einen Vorgeschmack auf zukünftigen noch haarsträubenderen Entwicklungen. Darüber hinaus zitierte der Film Robert Oppenheimers berühmte Worte aus der Bhagavad Gita “Jetzt bin ich zum Tod geworden, die Zerstörerin der Welten”. Auffällig viele Programme wie Alexa oder Siri etc. sind weiblich konnotiert. Auch im letzten Tatort “Maleficius” wurde sich mit dem Thema Transhumanismus und seinen ethischen wie metaphysischen Implikationen usw. vergleichsweise kritisch auseinandergesetzt. Auch strotze der Film von religiös okkulten Symbolen, wenn zum Beispiel die weiblichen Protagonisten auffällig ihre Äpfel (Apple) essen und vom Teufel (elitären Satanismus) die Rede ist, der die Menschen dazu gebracht hätte, dass sie glauben er würde nicht existieren usw. Ich gebe zu, dass wirkt im Vergleich zu internationalen Produktionen oft etwas verspätet, gezwungen und hölzern, und lässt in seiner gesellschaftsanalytischen Tiefenbetrachtung zu wünschen übrig, aber es sind durchaus kleine Lichtblicke im Dunkeln der medialen Verneblung der Masse.

    https://www.daserste.de/unterhaltung/film/filmmittwoch-im-ersten/sendung/play-100.html

    https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/sendung/maleficius-100.html

    • Da habe ich keine Einwände. Ich will auch nicht sagen, die Macher hätten nicht die richtigen und besten Absichten. Aber – wie ich im Text schreibe: Der Anlass hätte schon vor 20 Jahren mit höchster Dringlichkeit bestanden. Ich bin mit solchen kritischen Anliegen seit jeher auf absolut taube Ohren gestoßen. Nun kommt viel zu spät ein vereinzelter Film im ÖR. Der Zeitverbrauch durch Computerspiele ist möglicherweise sogar das Hauptthema, wenn es um einige Gegenwartsprobleme geht, die Psychosoziales von Jugendlichen (hier in erster Linie männlichen) und den Bildungssektor betreffen. Über den Kenntnisstand von Germanistikstudenten etc. muss man nicht diskutieren, wenn man nicht hier herangeht. Wirtschaftlich bringt es Deutschland wohl nur Schaden, weil zuletzt der Anteil in Deutschland produzierter Computerspiele auf 4,3 % weiter zurückgegangen ist (https://www.gameswirtschaft.de/wirtschaft/marktanteil-deutsche-games-2018/). Das ist überdies ein Zeichen der kulturellen Kolonialisierung durch die USA, die ihre Waren hier abverkaufen wollen – mit den bekannten oft zweifelhaften Inhalten, in Kino und TV genauso. Der Klartext lautet vielleicht einzig und allein: Kinder und Jugendliche bewegen sich zu wenig, lernen dabei zu wenig (dabei vieles nicht mehr wie früher) und zahlen hohe Beträge für Unterhaltungsprodukte, die zu 95,7 % ins Ausland fließen.

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