Pädathygate vs. Chart of Doom, Fukushima und Gold

Wir können uns nicht um alles kümmern – Du, Sie, ich, wir. Da gibt es ein Grund­gesetz von 24 Stunden abzüglich Schlaf und anderer Arbeit. Das Zeitfenster von ein paar Stunden teilen sich die trending topics der Massenmedien. Zuletzt war es die Wulff-Affäre, die größten Verdacht erregte, jene Lücken mehr als zu füllen, die neben dringlicheren, aber eher unlösbaren Problemen klaffen.

Journalisten brauchen Arbeit, weitsichtige Verantwortliche wollen keinen Ärger mit Journalisten. Gibt es also Initiativen, Journalisten Arbeit zu verschaffen, ohne weitsichtigen Verantwortlichen Ärger zu machen? Indem man z. B. weniger weitsichtigen Verantwortlichen Ärger macht, über die dann berichtet werden kann? Es macht im Fall von Sebastian Edathy (SPD) diesen Eindruck, wenn man sich vergegenwärtigt, dass er seine grenz-kinderpornografischen Einkäufe im Internet sogar über Server des Bundestags geordert haben soll. Entweder, so etwas ist kompletter fake (dann müsste es aber irgendwann irgendeine auch äußerlich erkennbare Vergütung für den Betroffenen geben). Oder mit Edathy ist ein tatsächlich so veranlagter Mann in eine solch hohe Position gekommen. Dann wäre dies für Geheimdienste oder andere Späher wahrscheinlich schon früher erkennbar gewesen, wenn sie seinen Datenverkehr überprüften. Der zum Leiter des NSU-Untersuchungsausschusses gemachte SPD-Politiker hätte dann schon länger auf einer Abschussliste gestanden.

Der Pädathygate-Skandal ist in dieser Hinsicht ein perfektes Programm: Sein Thema ist nicht irrelevant, ja, kann eigentlich von gar niemand Gutwilligem zurückgewiesen werden. Es gibt einerseits eine eindeutige moralische Dimension vor: Ächtung von Kinderpornografie und Missbrauch. Dann gibt es noch die Variante, den Verdächtigen vor einer Vorverurteilung in Schutz zu nehmen. Darüber hinaus können weitere Initiativen angeschlossen werden: ein Untersuchungsausschuss zu den Taten des Leiters eines Untersuchungsausschusses, stärkere Überwachung des Datenverkehrs usw.

Diese Abwägungen zu treffen, Schlussfolgerungen zu ziehen und konkrete Initiativen zu fordern, gibt der Presse, Politikern und Experten reichlich Gelegenheit, ihre Ansicht zu äußern, die sich in einem solchen Fall in wenige der angedeuteten Varianten auffächert. Hinzu kommen die nach und nach ans Tageslicht gebrachten Details: Wer wusste wann von was? Wer hat wann mit wem telefoniert und was gesagt – und durfte er das? Kandidat A wirft Kandidat B falsches Verhalten vor, Kandidat C nimmt Kandidat A in Schutz.

All das haben wir in den letzten Wochen gesehen und gehört. Die angebliche pädophile Neigung Edathys ist nur ein Beispiel eines andauernden Problems – das eigentlich zu jedem Zeitpunkt angegangen werden könnte. Nun hat es, zum Leidwesen eines mutmaßlichen Schuldigen, einen Namen erhalten, wurde personalisiert, wie das Marketing es für alle Dinge nahelegt.

Zur selben Zeit gibt es ein wirklich historisch relevantes Großereignis, über das laufend berichtet wird: die Proteste auf dem Maidan-Platz und dem politischem Umsturz in der Ukraine. Daneben erfolgt aus derselben geografischen Region die Übertragung der Olympischen Winterspiele von Sotschi, die für Interessierte sehr lange Sendestrecken der übertragenden Fernsehsender bereitstellen.

Und dann gibt es die schwelenden, dabei brandgefährlichen Phänomene, die nicht verschwiegen werden können, die aber auf Dauer keine Nachricht abgeben, wie wir sie tagtäglich lesen, sehen und hören wollen. Zu einer häufiger besprochenen Nachricht wurde – wohl auch durch die Konjunktur in sozialen Netzwerken – der Chart of Doom, der die Parallelen unserer (finanz)wirtschaftlichen Situation mit jener unmittelbar vor dem großen Börsen-Crash 1929 vor Augen führt. Immerhin wurde so wieder einmal zur Nachricht, was im Prinzip Gegenstand einer landesweiten Bewegung von öffentlichen Diskussionen und der Notfall-Vorsorge sein müsste: die Finanzkrise.

Es könnte sein, dass wir mit der mysteriösen Situation unserer Gold-Vorräte auf US-amerikanischem Territorium eine schon jetzt dramatische oder geradezu aussichtslose Lage in puncto Staatsfinanzen fast übersehen. Und die Nachrichten aus dem japanischen Fukushima mit seinen havarierten Nuklearreaktor-Blöcken sind so niederschmetternd, dass man den Fatalismus der öffentlichen Aufmerksamkeit fast schon wieder verstehen kann.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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