Krisen-Abriss – Update für das Euro-Desaster
Politische Zeitgenossenschaft war wohl selten so ambivalent wie gerade jetzt. Zwar sind zumindest für ökonomische Rahmendaten offizielle Zahlen öffentlich abrufbar. Dies führt dazu, dass wir wissen: Gut 2 Bio. Euro Staatsverschuldung in Deutschland werden bei allen Kostenfaktoren und Forderungen kaum je abzubauen sein. Wir wissen: Die wirtschaftliche Lage in anderen Euro-Ländern ist desolat und wird in der Verschuldungsdynamik noch dramatischer. Hinzu kommt, dass „Rettungsmaßnahmen“ darauf bauen, dass über Jahrzehnte – wenn nicht Jahrhunderte – gewachsene Strukturen, Gewohnheiten und Ansichten sich schlagartig ändern.
Dazu vernehmen wir als Ambivalenz im Wesentlichen zwei Extreme: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beschwört und beteuert ein ums andere Mal den guten Willen und voraussichtlichen Erfolg der Geldpolitik der Bundesregierung und der Europäischen Zentralbank (EZB), nun umzusetzen im „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM).
Konkret sagt Schäuble für Deutschland voraus, es werde schon 2014 einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen („Der Spiegel“, 27.10.2012). Bis 2017 würden 100 Mrd. Euro mehr Steuereinnahmen erwartet („manager magazin“, 29.10.2012).
Das andere Extrem sind Vorkommnisse, über die Schäuble offensichtlich nicht so gerne spricht. Denn was würde bewirken, dass Deutschland einen ‚ausgeglichenen Staatshaushalt‘ hätte? Dazu gehören niedrige Zinsen für deutsche Staatsanleihen, die ein Nebeneffekt der Eurokrise sind. Und diese Krise birgt nun einmal erhebliche Risiken und bereits feststellbare Kosten für den deutschen Staat. Vergünstigungen einerseits sind also mit Risiken und definitiven Kosten andererseits verknüpft. Aber, wie praktisch, über die tatsächlich eintretenden Verluste sind sich noch nicht alle einig. Deshalb muss Schäuble so lange nicht darüber reden, wie es nicht in den Büchern steht.
Wir müssen abwarten, ob Schäubles Prognosen für sich genommen eine belastbare Grundlage haben oder, im Nachhinein betrachtet, Nonsens sein werden. Doch schon heute muss wenigstens gefragt werden: Darf Sprachklima-Politik so durchsichtig sein? Denn die Erfahrungen der letzten Jahre lassen nichts Gutes ahnen: Schäubles Rhetorik ist vorderhand charakteristisch für jene Beschwichtiger, die uns in die Schuldenunion quatschten. Ob dies bloße Dummheit der Staatenlenker war oder verborgenen Strategien folgt, ist an anderer Stelle zu besprechen (eine andere logische Möglichkeit neben diesen beiden Optionen gibt es jedenfalls nicht). Ein Status quo ist bestimmbar, und der ist, gesamteuropäisch gesehen, erstmal verheerend.
Dies und anderes zeige ich im „Krisen-Abriss“, einem neuen Buch im filmdenken-Programm, das neben der gedruckten Ausgabe auch hier gratis als E-Book in diversen Formaten erhältlich ist. Wer’s noch schneller braucht, kann sich dieses 10minütige Video anschauen, um die Hauptthesen des Buches zu checken:
Den aktuellen Stand betreffend ist mit der „WirtschaftsWoche“ (24.09.2012) anzumerken:
Zum ESM-Kapital von 700 Milliarden Euro steuert Deutschland 21,7 Milliarden an Bareinlagen und 168,3 Milliarden Garantien bei. Im Extremfall kann der Bundeshaushalt also mit 190 Milliarden Euro belastet werden. Diese Obergrenze für die deutsche Haftung muss nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts völkerrechtlich sichergestellt werden.
Hier fungiert also die hochrichterliche Entscheidung als vorläufige (nicht nur) rhetorische Abschwächung der tatsächlichen Gefahr. Wieviel selbst diese gewichtige Vorgabe in neuen verschärften Krisenfällen wert sein wird, muss ebenfalls die Zeit erweisen. Um das Wissen über Risiken und Sachstände in jenen Situationen, über die konkret zu urteilen ist, scheint es jedoch, demselben Bericht der „WirtschaftsWoche“ zufolge, abermals nicht gut bestellt zu sein. Das Thema ist Griechenland:
Zudem sorgte ein „Spiegel“-Bericht über eine angebliche Lücke von 20 Milliarden Euro im Haushalt des pleitebedrohten Euro-Landes für Aufregung. Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben keine Kenntnisse über den Umfang des aktuellen Athener Haushaltslochs.
Aber ausgeglichene Haushalte lassen sich pro forma ja erstmal ganz gut in Aussicht stellen, bis die nächste Wahl gewonnen ist. Wie das mit den Prognosen eben so ist. Das „Handelsblatt“ (25.09.2012) weiß über die derzeitige gesamteuropäische Entwicklung zu berichten:
Für 2012 erwartete die EU sogar eine Rückkehr zum Wachstum, das BIP sollte um 1,1 Prozent zulegen. Inzwischen zeichnet sich ein weiterer Rückgang um sechs bis sieben Prozent ab.
Die Staatsfinanzen und Wirtschaftslage in Deutschland sollen ja irgendwie auch mit der Situation in anderen Euro-Ländern zusammenhängen. Wenn Sie den zentralen Mechanismus des Selbstbetrugs deutscher Finanzpolitik der letzten Jahre noch nicht kennen, lesen Sie gerne im „Krisen-Abriss“ weiter.
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