Dirk Niebels mystisches Teppich-Theater

Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel (FDP) gibt seit einigen Tagen Journalisten die Gelegenheit, eine Affäre von absoluter Nichtigkeit zur Schlagzeile zu machen.

Ein Teppich im Wert von 1.400 Dollar wurde von Niebel während seines offiziellen Besuchs von einem Händler in Afghanistan gekauft. Da das Textil später ein Flugzeug des Bundesnachrichtendienstes (BND) nach Deutschland transportierte, umging Niebel den Zoll und sparte 4.040 Euro für die Beförderung durch einen privaten Dienstleister. Formaljuristisch verantwortlich scheint BND-Chef Gerhard Schindler zu sein, der die Verladung des Teppichs organisierte, dabei jedoch angeblich davon ausging, es handle sich um ein Gastgeschenk für den Spitzenpolitiker.

Solch eine Vorteilnahme mag aus Gründen der Transparenz öffentlich gemacht und geahndet werden, soweit dies möglich und nötig ist. Im Prinzip ist die Mini-Affäre Niebels vergleichbar mit den etwas größeren Kalibern der jüngst vergangenen Skandale um Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff (beide CDU): Sie bedeuten für die deutsche Öffentlichkeit nichts Wesentliches, rufen aber kleinbürgerliche Affekte der Missgunst und Straflust auf den Plan.

Bei einem Ministergehalt von ca. 13.000 Euro und monatlichen Nebeneinkünften zwischen ca. 20.000-30.000 Euro sollten sich die äußeren Zwänge, einen Teppichtransport für 4.000 Euro einzusparen, in Grenzen halten. Dass man ihn sich dennoch absichtlich spart, mag sein, ist jedoch, wie gesagt, für die Öffentlichkeit von recht geringer Relevanz.

Weil die Arbeit von Nachrichtenredaktionen angeblich oft darin besteht, Neuigkeiten nach „Relevanz“ zu beurteilen, sollte dieses Ereignis also irgendwo in den Kurzmeldungen aufgetaucht sein. Stattdessen publizieren Zeitungen einen Artikel nach dem anderen, und die Hauptnachrichten des Fernsehens berichten ebenfalls.

Wie in den Fällen zu Guttenberg und Wulff ist zunächst zu konstatieren: Billiger kann man Ablenkung nicht haben. Manchmal investieren interessierte Kreise Millionen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Hier reichen 1.400 Euro, ein paar möglicherweise abgesprochene Aussagen und Erklärungen sowie ein Ablauf der Dinge, der letztendlich niemanden als offenkundig mutwilligen Täter erscheinen lässt. Die Affäre wird planmäßig im Wüstensande verlaufen, nachdem dieser wochenlang ordentlich aufgewirbelt wurde.

Der deutsche Staat befindet sich dieser Tage durch die Euro-Krise in einer existenziell bedrohlichen wirtschaftlichen Lage, die Langzeitfolgen der kommenden Fiskalunion und des Rettungsschirms ESM können tiefgreifend und extrem belastend werden. Das löst zwar diffuse Angst aus, doch eine differenzierte Debatte wird öffentlich nicht geführt. Dass überhaupt Journalisten, Zeitungsleser und TV-Zuschauer dieser Tage Niebels Teppichtransport Aufmerksamkeit schenken, zeigt, dass sie ihre Aufmerksamkeit nicht sinnvoll steuern.

Und zu diesem Teppich-Theater gehört auf der ästhetischen Ebene, dass hier drei Elemente zusammentreffen, die für „Kino Okkult“ aufhorchen lassen: ein orientalischer Teppich, ein modernes Flugzeug, ein Geheimdienst.

„Ich verstehe nichts von Teppichen“, wird Minister Niebel vom „stern“ zitiert (11.06.2012). Eine solche Selbstbeschränkung ist immer verdächtig, da sie ein indirektes Mittel der Demütigung des Gegenübers sein kann. Oder, wie Matthias Horx sagen würde, „wir spiegeln“ (die Dummheit des Anderen).

Wovon die Mainstream-Berichterstattung über zahlreiche Ereignisse ‚nichts versteht‘, sind proto-künstlerische, oft okkult(istisch)e Codierungen (wie in diesem Blog fortlaufend diskutiert). Im Buch zu 9/11 wird ausführlich gezeigt, wie die Vorgeschichte der Attentate des 11. Septembers 2001 (die über Osama Bin Laden von afghanischem Territorium ausgegangen sein sollen) in exotistischen Fantasien von Filmen wie „The Thief of Bagdad“ (Der Dieb von Bagdad, GB 1940) spielt. In diesem Film geht es um ein fliegendes elektrisches Pferd, das einem Machthaber geschenkt wird, doch der motivische Kontext liegt auf der Hand: Fliegende Teppiche gehören zu den bekanntesten Bildern der orientalischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Und moderne Flugzeuge sollen, von Afghanistan aus befehligt, von Arabern in das World Trade Center gesteuert worden sein.

Wenn dem Teppich-Theater eine Inszenierung zugrundeliegt, organisiert es eine erwünschte Beschäftigungstherapie für viele, die eigentlich Wichtigeres zu tun hätten: neben Journalisten auch Politiker, die sich mit Geheimdienst-Aktivitäten beschäftigen. Die bisweilen hanebüchenen und ungeklärten Umstände der Anschläge von 9/11 mit ihren 3.000 Toten und folgenden Kriegseinsätzen haben bisher keine Rechtsstaat-Hysteriker gleich welcher politischer Couleur hinter ihren mit Steuergeldern gewärmten Öfen hervorlocken können. Die Trümmer des World Trade Center wurden schnell und unauffällig für immer entsorgt; ebenso nach einem politischen Mord 1978 in Deutschland Beweismittel wie die Turnschuhe der RAF-Terroristin Verena Becker, die mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeitete.

Doch solche Zusammenhänge und Ereignisse gehen die Öffentlichkeit ganz offensichtlich nichts an. Stattdessen tagt das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages (PKGr) zur Überwachung der Nachrichtendienste am kommenden Montag in einer Sondersitzung zur Teppich-Affäre.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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