Verknappung der Peak-Oil-Debatte
Im Golf von Mexiko ist dieser Tage die Versiegelung der Ölquelle einer explodierten BP-Bohrinsel immer noch nicht gelungen – Warnzeichen für eine von Rohöl umfassend abhängigen westlich geprägten Kultur. Wer im Privaten Gespräche zum Thema führt, stößt schnell an die Grenze des Wissens bzw. Wissbaren: Optimismus und Pessimismus stehen einander unvereinbar gegenüber und können sich jeweils auf fürsprechende Experten berufen.
So bildet es auch die Dokumentation „Bis zum letzten Tropfen – Vom Ende des Öls“ von Matthias Sdun und Jürgen Webermann ab, die die ARD am gestrigen 14.07.2010 um 23.45 h sendete. (Die ARD-Website hält den Beitrag lobenswerterweise vor.)
Der Ton der Dokumentation ist, ausgehend vom Titel, dem Pessimismus zuzurechnen, wie auch der Ankündigungstext zusammenfasst:
Bei VW in Wolfsburg rechnen die Forscher damit, dass wir künftig mehr Fahrrad fahren müssen. Und ein niedersächsischer Landwirt befürchtet gigantische Engpässe in der Nahrungsmittelproduktion, sollte nicht mehr genug Öl für alle da sein. Seine Kernbotschaft: Wir müssen endlich aufwachen, um das Schlimmste zu verhindern! Denn die Zeit, uns auf die Ölkrise einzustellen, wird langsam knapp …
Neben vorwiegend skeptischen Experten kommt jedoch auch Christof Rühl, Chefvolkswirt bei BP, zu Wort: „Also, für mich als Ökonomen ist das ’ne Frage von Preis und von Angebot und Nachfrage. Die Ressource selber ist nicht begrenzt, von daher ist das Unfug. Zum Übrigen, Peak-Oil-Theorien gibt’s seit über 120 Jahren, seit’s den Ölpreis gibt.“ Matthew Simmons, ehemaliger Berater der US-Regierung, setzt dem in einem anderen Interview Aussagen entgegen wie: „Das ist eine große Illusion.“
Wem man hier glauben soll, wird zwar nahegelegt, kann aber nicht letzthin bewiesen werden, wenn Rühl behauptet, es würden entgegen anderen Behauptungen immer neue Vorkommen gefunden. In den 45 Min. des Films kann ein anderes mit dem Ölverbrauch verbundenes Problem, die CO2-Emission und der aller Wahrscheinlichkeit nach damit verbundene Klimawandel, nicht auch noch diskutiert werden – obwohl damit etwa Behauptungen Rühls ebenfalls stehen oder fallen.
Was schon die ARD-Annonce beklagt („Wir müssen endlich aufwachen“), wird durch die Programmpolitik der ARD selbst jedoch nachhaltig verhindert: Sie sendet den Beitrag zur Schlafenszeit, und ein Blick auf die Einschaltquoten des Abends ist bestürzend: 4,19 Mio. Zuschauer verfolgten um 20.15 h mit, wie Uwe Ochsenknecht in „Der Bulle und das Landei“ mit seiner Polizistenwumme blödelnd durch die Pampa hampelt. Der Quotenabsturz ist an diesem Abend deutlicher als an anderen: 2 Mio. wollen um 21.45 h noch „Deutschland, deine Künstler“ über den Rockstar Peter Maffey sehen, um 23.05 h eine weitere Folge dieser Reihe über die Filmregisseurin Doris Dörrie nur noch 720.000. Für „Bis zum letzten Tropfen“ bleiben um 23.45 h dann ganze 420.000 Zuschauer.
Noch verpeilter nimmt sich der Programmkontext eines so wichtigen Themas auf anderen Sendern aus: Wie eine ferne Ahnung der verdrängten Energiedebatte in der ARD wartet um 22.20 h Kabel1 mit „Get Carter – Die Wahrheit tut weh“ auf. VOX sendet ab 22.15 h gleich eine Doppelfolge der Leichenschnippler-Krimiserie „Crossing Jordan“, um Dauergucker vom Griff in die DVD-Kiste abzuhalten. Auf Sat.1 darf ab 22.20 h mit „Ladykracher“, „Pastewka“ und „Die dreisten Drei – Die Comedy WG“ einfach nur gelacht werden. (Da tankt es sich am nächsten Tag entspannter.) Nachrichtensender wie N24 wärmen Halbwissen auf („9/11 – Die Verschwörungstheorien“, 23.05 h) oder suchen das Böse nicht beim Homo sapiens, sondern lieber im Tierreich („Tierisch Extrem: Killer“, 23.10 h).
Wenn die ökologischen Mahner Recht behalten, sehen wir uns im TV also fleißig bei der Selbstvernichtung und ihrer gleichzeitigen Verleugnung zu – wobei die Subtexte und Doppeldeutigkeiten auch des Trivialen ebenfalls treffende Charakterisierungen der Lage abgeben. Die Frage bleibt, ob sie jemals ihr Publikum erreichen.
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