Fernwehografische Entwicklung

„Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong / hab ich Sehnsucht nach der Ferne / aber dann in weiter Ferne / hab ich Sehnsucht nach Zuhaus“ – das stellten nicht nur Freddy Quinn, Stephan Remmler und andere schon fest, sondern auch ein etwas breiter angelegtes Experiment namens „Goodbye Deutschland – die Auswanderer“, das VOX wöchentlich versendet. Den gestrigen Dienstag bewertet die Seite quotenmeter.de enthusiastisch:

Die zuletzt mit mäßigen Quoten programmierte Auswandererserie «Goodbye Deutschland – Die Auswanderer» erreichte durchschnittlich 1,76 Millionen Zuschauer und generierte in der wichtigen Zielgruppe fantastische 11,3 Prozent Marktanteil.

Star der Sendereihe ist derzeit Daniela Katzenberger, die mit dem Gastronomen Martin Koslik ein Café auf Mallorca eröffnet hat. Während hier mit einem blonden Klischee gepunktet wird, bedient sich das Format sonst aber aus den Meldungen von Normalbürgern, die sich auf der VOX-Website bewerben können.

Die dort auszufüllende Frage „Was sind die größten Schwierigkeiten / Herausforderungen in Bezug auf die Auswanderung?“ ist der dramaturgische Schlüssel dafür, in einer Szene wie jener vom 05.07.2010 die frisch Emigrierten in Notsituationen abfilmen zu können, etwa an der Sprechanlage einer spanischen Schule, an der die Worte der dreifachen Mutter („I’m from German“) zunächst kein Fortkommen erlauben.

In der zuletzt erwähnten Folge ist es Gran Canaria, das abschließend als Insel der Betrüger eingeordnet wird, woraufhin die deutschen Auswanderer nach Aufbrauchen ihrer finanziellen Reserven wieder nach Deutschland zurückkehren. Eine weitere Episode zeigt Deutsche in den USA, die bei der Eröffnung eines Deutsches-Schnitzel-Restaurants Schulden des Vormieters übernehmen sollen. Da sind die Probleme der Katzenberger beim Spanischlernen noch eher Makulatur.

Außerhalb der VOX-Mattscheibe öffnet sich ein etwas weiterer Blick. So veröffentlicht dieser Tage etwa die OECD ihren Migrationsbericht. Daraus extrahiert „Die Welt“ den Befund, dass in Deutschland v. a. Migrantinnen profitieren, die eingebürgert wurden und sich daraufhin verstärkt in den Arbeitsmarkt intergrieren:

Dass sich die Erwerbstätigkeit von zugewanderten Frauen deutlich positiv entwickelt, liegt vor allem am höheren Bedarf an Arbeitskräften in der Krankenpflege und bei häuslichen Dienstleistungen.

Aus dem VOX-Programm im Verein mit statistischen Wirklichkeitsbehauptungen zeichnet sich so nach und nach ein facettenreicheres Bild ab: Dem Faszinosum einer Auswanderung (zugleich der wohligen Häme über Misserfolge auf der Flucht) steht eine Sozialstruktur daheim gegenüber, in der die Verwaltung einer immer stärker vergreisenden Bevölkerung zum Wirtschaftsfaktor wird.

„Die Welt“ greift dabei zudem einen positiven unter allerlei Aspekten heraus. Die Kurzfassung des OECD-Berichts wartet noch mit anderen unliebsamen Einzelheiten auf wie:

Zuwanderer sind in konjunkturabhängigen Sektoren tendenziell überrepräsentiert, haben im Allgemeinen weniger sichere Arbeitsverträge, befinden sich öfters in befristeten Beschäftigungsverhältnissen, haben häufig eine kürzere Betriebszugehörigkeit und können Opfer selektiver Entlassungen werden.

Arbeitswelten werden – ob bei Deutschen im Ausland oder Zuwanderern in Deutschland – wie so oft in der privatisierten TV-Sicht sehr selektiv dargestellt. Neben öffentlich-rechtlichen Interventionen nach Art von Günter Wallraff stehen hier mit quotenträchtigerer Vehemenz etwa die übersichtlichen Verhältnisse der Gastronomie – nicht etwa die Arbeitsplätze in industriellen Fertigungsanlagen oder auch die Altenpflege.

„Goodbye Deutschland“ vom 05.07.2010 verabreicht den VOX-Zuschauern einen Mix aus Strandsonne, Wohnungsbaubrache, Küchenrenovierung und Speisekartenstyling, garniert mit dem neuesten It-Girl. Als Zielgruppe scheinen – abseits anderer, vermeintlich sachlicherer Kriterien – Menschen zu figurieren, die irgendwie weg wollen, gerne Essen gehen würden (es aber vielleicht nicht bezahlen können) und – vielleicht – auf der Suche nach einem Arbeitsplatz in dem greifbaren Milieu der Essenszubereitung noch etwas Hoffnungsvolles, Vertrautes erkennen, das über Arbeitslosigkeit, Leiharbeit oder entfremdete Arbeit vielleicht ein paar Momente hinweghilft.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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