2 x Realitätsverweigerung bei SPD-Veteranen

Die Strukturen von Irrtümern und Lügen in unserer politischen Öffentlichkeit sind hartnäckig und schwer zu bekämpfen. Ob sie wirklich schwer zu verstehen sind, sei hier einmal mehr gefragt. Die relative Undurchdringlichkeit von Problemen, der Frage nach ihren Urhebern und den Möglichkeiten, Probleme wie ihre Verursachung effektiv zu vermeiden, wird wohl v. a. durch eins verursacht: die Abwesenheit der richtigen Fragen und Hinweise. Das gilt in besonderem Maß beim einem Denkmal wie Helmut Schmidt, Bundeskanzler a. D., aus anderen Gründen bei einer Galionsfigur des verbliebenen linken SPD-Flügels, der an Positionen der „Linken“ grenzt, nämlich Albrecht Müller.

Versuchen wir’s chronologisch: Die Rede, die Helmut Schmidt am 04.12.2011 auf einem SPD-Parteitag hielt, streift in einem staatsmännischen Überblick eine Reihe unverändert drängender innergesellschaftlicher und internationaler Probleme. Hier ist lediglich darauf hinzuweisen, wie Schmidt mit diesen Problemen rhetorisch umgeht, welche Fragen und Perspektiven er dabei ausklammert. Denn dies ist höchst symptomatisch für wohl nahezu den gesamten Mainstream-Diskurs einschließlich der Mehrheit und der Führungspersonen der „Linken“.

Ich möchte nur einige Punkte hervorheben und kurz kommentieren: Zur Finanzkrise nennt Schmidt als Verantwortliche die „Finanzmärkte“ und ihre „einstweilen ganz unkontrollierte Macht“ (17:20 Min.). Genau wie die Schmährede auf „Banker“, die das Wahlvolk zu lieben scheint, hat derlei auf Dauer wenig Erkenntnisgewinn. Es gibt schließlich keine Entität von „Finanzmärkten“, die handeln würde, sondern es sind einzelne Akteure darin. Dies gilt auch für die Tatsache, dass es einzelne sind, die einvernehmliche systemische Veränderungen nachhaltig blockieren – auch hierzu von Schmidt so wenig, als hätte seine Tochter Susanne kein Buch über die City of London und den dortigen „Markt ohne Moral“ geschrieben.

Ich möchte an dieser Stelle lediglich bemerken, dass man schon mit wenigen Klicks im Netz mehr lernen kann als von einem Allgemeinplatz wie ‚den Finanzmärkten‘. (Dazu in Folge in diesem Blog und in anderen Veröffentlichungen mehr.) Später spricht Schmidt ebenso nebulös von der „globalisierten Banken-Lobby“. Der reine Hohn auf Menschen, die Schmidt als Politiker wie Journalist seit Jahrzehnten über existierende Machtverhältnisse täuscht, gipfelt dann in dem Satz: „Ich will Sie nicht mit weiteren Details belasten.“ (53:20 Min.)

„Und er ist jetzt mit seinem Latein am Ende – das will ich jetzt nicht vertiefen“, heißt es auch in der Rede von Oskar Lafontaine („Die Linke“) am 14. Juni 2012 in Berlin (3:30 Min.). Hier ist der noch amtierende italienische Ministerpräsident Mario Monti gemeint, den Lafontaine als einen „Hauptschurken“ bezeichnet. Die Investment-Bank Goldman Sachs wird von ihm nicht erwähnt, was für Linke aber noch kein No-Go wäre. Die rhetorisch verbotene Zone beginnt bei den Besitzern einer solchen Bank, und an dieses Verbot halten sich alle, die in Massenmedien mit großer Reichweite zu Wort kommen.

Auch Lafontaine trifft eine sehr richtige, aber leider nur sehr allgemeine Feststellung: „Die Schulden der Staaten sind das Geld der reichen Leute.“ (11:20 Min.)

Dass das Betrugssystem des Euro noch etwas komplizierter und perfider funkioniert, wie es Systemmedien konsequent verschweigen, ist im „Krisen-Abriss“ nachzulesen. Dasselbe gilt für die kurze Ausführung von Schmidt in der zuvor andiskutierten Rede, wenn er über deutsche Exportüberschüsse und deren Nachteile für europäische Nachbarn räsonniert (29:00 Min.). Dass er damit die systemisch  gegebene Nutznießung weniger elitärer, auch innerdeutscher Gruppierungen (sofern sie sich noch als Teil eines Gemeinwesens verstehen) verklausuliert, ist nur das eine. Darüber hinaus erhebt Schmidt dann noch den Zeigefinger, um, statt zum Schuldenross auch den an seinen Milliardengewinnen schleppenden Reiter zu nennen, die „Deutschen“ als nebulöses Kollektiv dazu zu ermahnen, sich nicht wieder und weiterhin bei ihren Nachbarn unbeliebt zu machen.

Und so kommt Schmidt dann auch zu der schweinepriesterlichen Konsequenz für Europa: „Aber zwangsläufig wird auch eine gemeinsame Verschuldung unvermeidlich werden.“ – Wie gut, wenn der eigene vierte Herzschrittmacher schon abbezahlt ist. Dass Schmidt selbst zu den ersten in der seitdem nicht abreißenden Reihe deutscher Finanzminister mit Rekord-Neuverschuldung gehört, wird in der abgöttischen Verehrung seiner Person als Ersatz für nicht vorhandene eigene Großväter fast durchweg vergessen. (Zur möglichen Entschuldigung zählt allenfalls, dass Schmidt selbst im Verlauf seiner Karriere nur eingeschränkte Spielräume hatte und als Angehöriger der Kriegsgeneration immer noch bestimmte Rücksichten walten lässt, die in seinem Fall vielleicht und zum Teil persönlich verständlich sein können.)

Im Laufe der Rede fordert Schmidt gar einen „Aufstand des Europäischen Parlaments“ zur Etablierung einer „Aufsicht über Banken, Börsen und deren Finanzinstrumente“. Wie selbstbetrügerisch müsste eine weitgereiste Person wie Schmidt sein, um die wahren korrupten Verhältnisse im EU-Politzirkus, nicht zuletzt die Selbstbedienungsmentalität verwöhnter Parlamentarier fern ihrer Wähler, nicht zu kennen? Zu hohen Beliebtheitswerten reicht solche leere Rhetorik jenseits der Realitäten aber immer noch, wie wir sehen. Da Schmidt seine eigene Rolle in der Etablierung eines hochverschuldeten Europas sicher nicht gerne öffentlich besprochen sehen wird, erklärt er denn auch die Staatsverschuldung Deutschlands als „durchaus im Bereich der internationalen Normalität“ liegend (27:20 Min.).

Leider nur mit Akzentverschiebungen fällt die Aufarbeitung der Lage bei dem nach links gerückten Mitarbeiter Willy Brandts und Helmut Schmidts, Albrecht Müller („NachDenkSeiten“), aus. So manches Zutreffende – und zu Allgemeinplätzen von Politikern präzisierende – wird in einem solchen aktuellen Interview mit Ralph T. Niemeyer verlautbart, v. a. was Medienmanipulation durch Interessensgruppen betrifft. Zu den Themen Überalterung und Staatsverschuldung macht sich aber auch bei Müller die große Sorglosigkeit breit. Wenn es einem passt, bezieht man eben in der Beurteilung der Tragfähigkeit eines Sozialsystems eine Staatsverschuldung nicht ein, deren Zinsen exponentiell steigen (wenn kein Tilgungswunder geschieht, wofür aber auch ein Müller kein Argument liefert). Ebensowenig wird die für eine ansatzweise Linderung der Überalterung notwendige Migration mit ihren weiteren Implikationen angesprochen (auch dies ein Thema im „Krisen-Abriss“).

Müller beruft sich auf den Volkswirtschaftler Richard Hauser (ab 19:00 Min.), der 2003 in seiner Abschlussvorlesung dargelegt habe, dass

ein Produktivitätszuwachs von knapp über einem Prozent, und den hatten wir immer, dass der ausrecht, um alle Gruppen, die Alten, die Arbeitenden und die Kindergeneration, mindestens so gut zu stellen, wie sie heute sind.

Auch hier kein Wort zur Staatsverschuldung und ihren zukünftigen Auswirkungen auf die Staatsfinanzen, außerdem ein Vertrauen auf planbares und kontinuierliches Wirtschaftswachstum, das sonst nur FDP-Wirtschaftsminister an den Tag legen, die nicht noch den letzten Unternehmer mit dem Euro-Crash verängstigen wollen.

Wer Stimmungsmache transparent machen will, muss also beide Seiten beleuchten: die neoliberalen Handlanger von Spekulanten, die nur langsam aus sog. Verschwörungstheorien ins Allgemeinwissen rücken; sowie Akteure links der Mitte, die ebenso Argumentationen zu einzelnen Hauptschuldigen (gemeint sind nicht die Prügelknaben an der Front wie Monti) vermeiden, wie sie auch Überalterung und Staatsverschuldung strategisch verschweigen und entdramatisieren.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

4 Antworten

  1. Chris sagt:

    Würde mich ja mal brennend interessieren, wem die großen Banken eigentlich genau gehören. Bei der FED sollen es ja wiederum private Banken sein, aber eine wirklich gut recherchierte Aufstellung habe ich noch nirgendwo finden können. Würde mich nicht wundern, wenn da in Deutschland irgendwann altbekannte Namen wie Von Metzler, Aldi Brüder und wie sie alle heißen auftauchen. Ackermann usw. sind doch nur die Schalterangestellten..

    • Das Feld muss ganz klar weiter bearbeitet werden (eigentlich seit Jahrzehnten von bezahlten sog. „Wirtschaftsjournalisten“). Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt dazu hier auch keine gesicherten Aussagen vornehmen, und manche Angaben aus dem Netz erweisen sich bei der Recherche als zumindest unüberprüfbar und z. T. aus immer denselben Quellen stammend, deren Belege nicht ausreichend sind. Als einen Hinweis zur weiterführenden Lektüre nenne ich einmal Eustace Mullins, „Secrets of the Federal Reserve“ (http://www.whale.to/b/mullins5.html). In historischer Perspektive hat sich wohl G. Edward Griffins „The Creature from Jekyll Island“ als recht haltbar erwiesen (deutsche Ausgabe hier). Ebenfalls beim Kopp Verlag die aktuelle Buchveröffentlichung von Ron Paul. Für andere brauchbare Referenzen bin auch ich dankbar.

    • Murksel sagt:

      Ich denke da würden auch Namen auftauchen wie z.B. Rothschild,Rockefeller,Blankfein,Sorros usw.

      • Es gibt halt Quellen wie Lupo Cattivo, der überall eine Rothschild-Beteiligung behauptet. Googlet man einzelne der Angaben, findet man aber nur – und z. T. auf Englisch übersetzt – wieder genau diese Behauptungen ohne weiteren Beleg. Goldman Sachs etwa ist offiziell an der Federal Reserve Bank beteiligt, wie schon ihre Website mitteilt. Dann kann man schauen, wem Goldman Sachs gehört, etwa hier: http://de.finance.yahoo.com/q/mh?s=GS. Darunter ist die Citigroup, die aus der Rockefeller-Linie stammt, sowie JP Morgan Chase, die ebenfalls aus der Fusion einer Rockefeller-Bank stammt. Andere Großinvestoren sind Capital World Investors, The Vanguard Group und State Street Corporation. Greift man einmal State Street heraus (hier die Aufstellung beim Nasdaq), ist einer der wichtigen Anteilhaber Barclays. Deren Vorstandsvorsitzender Marcus Agius (Amtszeit: 2006-12) ist mit den Rothschilds verschwägert. Eine solche familiäre Beziehung deutet erstmal Loyalitäten an. Die Eigentumsverhältnisse sind aber selbst bei Anteilseignern wieder kompliziert. So gehört State Street nur z. T. sich selbst, laut Nasdaq sind wichtige Anteilseigner die Rockefeller-Ölkonzerne Exxon und Chevron. An welchen Akteuren etwa Rothschild welche Beteiligungen hat und wie diese sich auswirken, wäre eine echte Forschungsarbeit.

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