Dynastien 2 – Albrecht / von der Leyen dies- und jenseits des Bildschirms
Familienpolitik, die etwas taugte, wäre auch Medienpolitik. Ist eine solche aber von der amtierenden Ministerin für Arbeit und Soziales und früheren Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu erwarten? Die politische Wirklichkeit gibt schon die Antwort. In dieser Wirklichkeit nicht unmittelbar ersichtlich sind Tatsachen, die möglicherweise zu einer solchen Situation ursächlich beitragen (dazu gleich mehr.)
Im Video-Teaser zum Buch „Glotze fatal“ sehen und hören wir die Ministerin in der Talkshow „Beckmann“ (ARD) für alle sozial benachteiligten Kinder ein „warmes Mittachessen“ einfordern. An anderer Stelle – wie nicht nur in einem offiziell präsentierten Interview vom 23.08.2010 – kommt dazu noch die Vorstellung von „Spocht“ als idealer Freizeitbetätigung.
Das sind für sich genommen keine falschen Ansätze. Sie betreffen aber nicht alle Faktoren nachteiliger Entwicklungen der Umstände von Erziehung und Familienleben. Dazu gehört prominent Fernsehen in bestimmter Form und zeitlich ausgedehnter Verabreichung.
Vom „Familienmitglied Fernseher“ ist in solchen Zusammenhängen gern die Rede. So der Vergleich in einem älteren Bericht (18.06.1996) von der Universität zu Köln, der die Arbeit von Prof. Dr. Bettina Hurrelmann (Arbeitsstelle für Leseforschung und Kinder- und Jugendmedien, ALEKI) betrifft:
Kleinere Familien mit ein oder zwei Kindern kommen am besten mit dem Fernsehen zurecht. Alleinerziehende und kinderreiche Familien haben dagegen groessere Probleme mit diesem Medium. Haeufig wissen die Eltern nicht ueber das Sehverhalten ihrer Kinder Bescheid. […] Eine Hilfe erhoffen sie sich von speziellen Programmempfehlungen fuer Kinder, von speziellen Kinderkanaelen und von einer verbesserten Kinderprogrammkritik.
Ist derlei in den 14 seitdem vergangenen Jahren eingetreten?
Spezialisierte TV-Angebote für Kinder haben sicher an Zahl zugenommen. Aber hat dadurch der TV-Konsum ab- oder zugenommen? Und wie ist die Qualität der Inhalte solcher Sender zu bewerten?
Darüber könnte man ausführliche Gutachten erstellen, die nicht erstellt werden, weil sie niemand bezahlt. Damit wären wir beim ökonomischen Interesse am Medienkonsumenten Kind. Laut Umfragen beträgt die TV-Konsumdauer in Deutschland im Alter von 3-13 Jahren derzeit im Durchschnitt 91 Min. täglich – bei starken regionalen Schwankungen. In einer amerikanischen Studie wird für diesen ‚Markt‘ in einer Meldung vom 27.10.2009 eine konkretere Antwort zur Frage nach Veränderungen in den letzten Jahren gegeben:
Die TV-Nutzung von Kindern ist innerhalb der vergangenen sechs Jahre auf einen neuen Rekordhöchststand geklettert. Wie ein aktueller Bericht des US-Marktforschungsunternehmens Nielsen http://www.nielsen.com zeigt, verbringen Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren heute im Durchschnitt mehr als 32 Stunden pro Woche vor dem Fernsehbildschirm. Bei der Altersgruppe der Sechs- bis Elfjährigen liegt der entsprechende Wert bei über 28 Stunden.
Ausschlaggebend für die hohe TV-Nutzungsdauer von Kindern seien vor allem eine deutliche Ausweitung der entsprechenden Programmangebote, der Siegeszug neuer Technologien wie etwa Video-on-Demand-Diensten, digitaler Videorekorder und die zunehmende Verbreitung von Videospielkonsolen.
Die gesundheitlichen und psychologischen Konsequenzen werden immer wieder thematisiert – und selten in vorteilhafter Weise. Eine der neuesten Meldungen der amerikanischen Fachzeitschrift „Pediatrics“ vom 11.10.2010 wird von der „Rheinischen Post“ resümiert:
Bei erhöhter Bildschirmnutzung treten bei Zehn- und Elfjährigen demnach häufiger psychologische Probleme auf, darunter emotionale Störungen, Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen und Hyperaktivität. Auf Sport und andere körperliche Aktivitäten als Ausgleich für stundenlange Computerspiele oder Fernsehkonsum könne man nach diesen Ergebnissen nicht mehr bauen, resümieren die Wissenschaftler […].
Ursula von der Leyen wird aber, sofern sie weiter Wähler findet, in ihrer Traumwelt verharren dürfen, in der an Mittachessen und Spocht die Welt genesen mag.
Die Neugier von Klatschjournalisten sollte sich vielleicht einmal darauf richten, in welchem Verhältnis sie zu ihrem Bruder steht. Dieser heißt Hans-Holger Albrecht und kann eine beträchtliche Karriere als TV-Manager vorweisen. Derzeit prangt er prominent auf der Startseite des schwedisch-europäischen Medienkonzerns „Modern Times Group“ (MTG):
Screenshot: www.mtg.se, 28.11.2010
1991-96 war Albrecht für die luxemburgische CLT-Gruppe tätig – und dabei u. a. zuständig für den Start von „Super RTL“ in Deutschland.
„Super RTL“ ist nun – u. a. als Abspielstation von Produktionen der „Walt Disney Company“ – einer der wichtigsten Lieferanten von Kinderfernsehen in Deutschland. Es ist deshalb interessant, dass die Marktetablierung dieses Senders zu Beginn der 1990er Jahre und die gegenwärtige Familienpolitik der Bundesregierung von Geschwistern aus der Familie des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht (*1930), bestimmt wurden und werden.
Man ist versucht, von der Leyens weitgehende Nicht-Erwähnung von TV-Konsum als Faktor der von ihr sonst angeblich bekämpften psychosozialen Entwicklungen mit dem Titel einer Buchveröffentlichung ihres Vaters von 1976 zu beschreiben: „Der Staat – Idee und Wirklichkeit“.
Hans-Holger wird – neben einem gut dokumentierten Skandälchen von 2005 – in der Connection zu seiner Schwester Ursula von der Leyen auch Interessensvertretung für MTG in Sachen Online-Glücksspiel nachgesagt. So weist die Website „boocompany.com“ am 23.04.2009 auf eine mögliche Motivation von der Leyens hin, gegen die Sperrung von Glücksspielseiten im Zuge ihres eigenen Feldzugs gegen Kinderpornografie zu intervenieren:
In den letzten Jahren ist das Unternehmen nach diversen Umstrukturierungen verstärkt in einem neuen Bereich tätig geworden, dem Online-Glücksspiel. MTG erwarb Beteiligungen unter anderem an Bet24.com, einem maltesischen Online-Glücksspielanbieter, der seine Seriösität auf seiner Webseite mit Hinweis auf MTG als Mehrheitseigner unterstreicht[.]
Das ist also ein familiäres Geschäftsumfeld, mit dem sich bei CDU-Wählern kräftig punkten lässt – vor allem, wenn man nicht darüber berichtet.
Die Kultur des Kinderfernsehens, die von der Leyens Bruder zu etablieren half, sollten Sie sich selbst einmal für eine gewisse Dauer ansehen. Ein Blick auf Einstellungen aus dem Nachmittagsprogramm vom 25.11.2010 lässt schon deutliche Gesamttendenzen erkennen: Häufig wiederkehrend etwa ist die Verwendung von technischen Geräten, insbesondere Mobiltelefonen – eine Erklärung für die Manie junger Menschen im Umgang mit hochpreisigen und nicht immer nutzbringenden Kommunikationstechnologien und anderen Wegwerfprodukten (neben der Werbung, wie hier zu sehen, oft in den primären Programminhalten):
Screenshots: Super RTL, 25.11.2010
Auch über grundsätzlichere wahrnehmungspsychologische Implikationen der Bildgestaltung solcher Kinderprogramme gälte es zu reflektieren. Alles glotzt, greint und schreit in vielen der Formate (wie hier schon einmal angemerkt):
Screenshots: Super RTL, 25.11.2010
Es bleibt also abzuwarten, ob sich Arbeits- und Sozialministerin von der Leyen jemals nachhaltig über Medienkonsum von Kindern äußern wird – oder ihren Bruder einen guten Mann sein lässt. (Auch von ihrer Amstnachfolgerin als Familienministerin, Kristina Schröder, war hierzu noch nichts zu hören.) Vereinzelte pädagogisch wertvolle Äußerungen von der Leyens – wie in einem „Spiegel“-Bericht vom 23.12.2005 (also zur rührseligen Weihnachtszeit) zitiert – sind dabei nicht zielführend. In der Abwesenheit einer Gesamtstrategie dokumentieren sie im Gegenteil politisches Versagen.
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