Themometer: #Finanzkrise, #Migration

Seit knapp zwei Jahren läuft auf der Nachbar-Seite www.netzlesen.de ein statistisches Experiment namens „Themometer“. In den Führungsetagen unserer Meinungsmacher arbeitet man noch mit ganz anderen Datenmengen und Monitoring-Instrumenten, um den Geschmack und die Meinung zu vermessen und zu manipulieren.

Aber immerhin: Am Beispiel eines konservativen („Die Welt“), linksliberalen („Der Spiegel“) und linken Blattes („neues deutschland“) werden anhand mehrerer Themenfelder Tendenzen und Unterschiede sichtbar. Ich beginne hier eine kleine Reihe von Kommentaren zu den Ergebnissen. (Das Experiment wird voraussichtlich in ein paar Wochen erstmal aus Kostengründen ausgesetzt.)

Dazu nehme ich in jedem Beitrag zwei Schlagworte in den Blick. Sie sind in der statistischen Auswertung verbunden mit einem festen Set von Worten, deren ein- oder mehrmaliges Auftauchen in neuen Artikeln der Webseiten als ein Treffer gewertet wird. Man könnte über die Auswahl der Keywords streiten; der Vergleich bleibt aber dennoch objektiv. Es wird überall nach demselben gesucht und ausgewertet.

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Die Ergebnisse bestätigen generell die genannte politische Einordnung der Blätter; dahingehend gibt es keine Überraschungen. Es ist so auf ganz objektive Weise jedoch aufzeigbar, was wir als Meinungsmache, Medienmanipulation oder Bewusstseinskontrolle bezeichnen können: Wer dieses oder jenes Blatt liest, wird in seinem Denken sprachlich fremdbestimmt. Das betrifft den Sprachgebrauch und die mengenmäßige Verteilung von Informationen.

Die beiden hier zu besprechenden Keywords stehen nicht umsonst am Anfang der Auswertung: Finanzkrise und Migration sind zwei der bestimmenden Begriffe der aktuellen politischen Landschaft – und werden es auf unabsehbare Zeit bleiben.

An dem numerischen Wert bzw. dem mengenmäßigen Vergleich durch die Ring-Diagramme (engl. doughnut charts) können wir nun ganz eindeutig ersehen: Wer „Die Welt“ liest, ist für Finanzkrise deutlich mehr sensibilisiert als die Leser der linksorientierten Blätter. In einem sehr ähnlichen Maß gilt das auch für Migration.

Was bedeutet dies? – Man könnte eine solche Aussage als banal abtun. Im nächsten Gedankenschritt ist sie jedoch alles andere als dies. Und wer seinen Alltag und sein Umfeld genau betrachtet, wird vieles bemerken, was damit zusammenhängt. Die Auswertungen des Themometers zeigen, dass die anschließenden sprachlichen Kommunikationen von Menschen, die vornehmlich hier oder dort geprägt werden, von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen abhängen.

Wer „Die Welt“ liest, ist dementsprechend viel stärker bedrückt von den Gefahren der Finanzkrise. Ihm ist es deutlich präsenter, dass Migration in steigendem Maß unseren Alltag bestimmt. „Die Welt“ deckt dabei mit ihrer generell eher konservativen Tendenz – zumal in der großen Menge von Artikeln – ein recht großes Meinungs- und Interpretationsspektrum ab. Dabei kommen aber vorhandene Probleme notwendigerweise deutlicher zur Sprache als in einer geringeren Zahl von Berichten, wie sie in „Spiegel“ und „neuem deutschland“ vorliegen. Dasselbe gilt für die Finanzkrise.

Wer über Politik reden will, muss nicht zuletzt danach fragen, wieviele Menschen wieviel über Politik lesen und sprechen. Da muss man Deutschland keinesfalls schlechtreden. Aber dennoch ist es so, dass eine große Zahl von Menschen kaum Tagesnachrichten wahrnimmt. Eine größere Zahl (hier eine Statistik bis 2011) schaut Nachrichten im Fernsehen und liest Zeitungen; zumal die Jüngeren eher im Internet. Je nach Nutzungsgewohnheit besteht dabei eine Markenbindung, d. h. man hat eine gedruckte Zeitung abonniert oder liest bevorzugt dieses oder jenes Portal.

Schaut man sich dann die statistische Verbreitung der Themen an, wird vollkommen klar: Ein Leser von „Spiegel“ und „neuem deutschland“ wird kaum so differenziert informiert sein über Finanzkrise und Migration wie ein „Welt“-Leser. Für Ersteren ‚finden solche Themen eher am Rande statt‘. Er wird offensichtlich über längere Strecken mit etwas ganz anderem beschäftigt. Eine kritische Wissenschaft der Publizistik hätte sich dann damit zu beschäftigen, was dies denn eigentlich ist.

Das Bild, was so entsteht, bestätigt auch die Krisen-Diagnose für eine Gesellschaft, wie wir sie bisher kannten. Menschen sitzen aufgrund ihrer politischen und medialen Präferenzen schon immer in ihrer filter bubble, die ihnen ihre einmal gefasste Meinung bestätigt. Über die etablierten großen Portale und Kanäle kann dabei recht genau bestimmt werden, wen welche Information erreicht. Dem „Spiegel“ kommt dabei wohl eine ambivalente Rolle zu, da er früher als besonders ‚kritisches‘ und ‚aufklärerisches‘ Blatt galt. So hat er sich als eine der meistbesuchten Seiten auch im Netz etablieren können. Es gibt große gesellschaftliche Gruppen, die sich lesenderweise fast ausschließlich über den „Spiegel“ als Nachrichten-Portal informieren.

Wie sich das verteilt, kann man sich bei „statista“ ansehen. Für Online-Nutzer bestand demnach im Januar 2016 zwischen „Spiegel“ und „Welt“ ein Abstand von 234,2 Mio. gegenüber 95,5 Mio. Besuchen. Dementsprechend sehen wir also, dass die Inhalte des „Spiegel“ sich auf diesem Wege fast 2,5mal so stark verbreiten (hier nicht abzubilden sind dann die meistgeklickten Artikel).

Ich schließe einmal so flapsig ab: Es bestätigt sich auch in der Alltagswahrnehmung, dass für linksliberal orientierte Leser Entwicklungen der Finanzkrise und Massen-Migration noch bis heute ‚eher nebenbei‘ laufen. Ich karikiere einmal: ‚Von Finanzdingen verstehe ich eh nichts‘ ist dabei ein Tenor. Im Fall von Fragen der Migration herrscht im links geprägten Spektrum immer noch eine Laissez-faire-Haltung bis hin zum dezidierten Willen, einen ortstypischen Genpool (unheilbarer KZ-Nazi qua Geburt) systematisch zugunsten liebenswerter Moslems (hochgebildete tolerante Demokraten) auszurotten. Der Konservative, wie er „Die Welt“ liest, wird von allerlei Gefahren und Problemen, die bei näherem Hinsehen auf beiden Themenfelder begegnen, aufgeschreckt bis hysterisiert. – Es kam hier bisher hochgradig auf die Wahrnehmung durch Medien an. Von Schwierigkeiten durch die Finanzkrise wurden bisher auch nur Investoren und Wirtschaftsleute stärker tangiert. Einheimische und Migranten vermischten sich bis zur Gegenwart mehrheitlich in sozial schwächeren Gesellschaftsschichten. Private Kontakte gab es unter Erwachsenen wenn, dann eher im Berufsleben. Das ändert sich in größerem Maßstab erst mit jetzt antretenden Generationen von Werktätigen und Studenten.

Letzteres bedeutet aber auch, dass die reale Erfahrung in solchen Bereichen bisher sehr vielen Menschen fehlte. Sie wird konkret für die Finanzkrise erst dann eintreten, wenn Geldschwemme und Null- bis Minus-Zinsen sich spürbar auf das Leben von Mehrheiten auswirken. Für Migration gilt dies im Hinblick auf Veränderungen in der Wohlstandsverteilung und im Sozialsystem, das nun Kapital auf eine schnell wachsende Zahl von Bedürftigen zu verteilen hat. Nicht jeder profitiert davon, dass mehr Menschen Essen und Kleidung kaufen, staatliches Wohngeld erhalten und ausgebildet werden müssen. (Dies sind auf viele Jahre die wesentlichen Wachstumsimpulse, die von Massen-Einwanderung zu erwarten sind.)

Einstweilen haben „Der Spiegel“ und seinesgleichen die Meinungshoheit. Und wir sehen, dass hierdurch unsere Öffentlichkeit auf die derzeit dringlichsten Fragen sehr unterdurchschnittlich vorbereitet ist. Wenn es Verantwortliche gibt, die genau hierauf hingewirkt haben, war ihr Interesse ein langfristig zerstörerisches, was eine differenziert informierte, bewusst auf Selbsterhaltung hinwirkende Gemeinschaft in Deutschland betrifft. Sie wird von vielen Problemen und Folgen erst erfahren, wenn sie nicht mehr zu verhindern sind. Sie wird versuchen, Probleme mit angeblichen Lösungen zu bekämpfen, von deren Folgen sie ebenfalls bisher zu wenig gehört und gelesen hat. All dies würde Thema in einer Öffentlicheit sein, in der es echte Medienkritik und -wissenschaft schon gäbe.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. Peter Hallonen sagt:

    Dazu passend: Folgender Kommentar zu diesem Tagesschau-online-Artikel (http://meta.tagesschau.de/id/108769/volksverhetzung-so-viele-beschwerden-wie-noch-nie) wurde von der “Moderation” nicht freigegeben.
    “Rechte Sprüche, rassistische Thesen, krude Verschwörungstheorien” – die Zusammenfassung davon ist “Volksverhetzung”? a) Rassistische Thesen sind rassistische Thesen, und sofern sie nicht zu Gewalt aufrufen, vom Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Erfüllen nicht pauschal den Tatbestand der Volksverhetzung. Die These “Europäer sind [laut wissenschaftlichen Untersuchungen] intelligenter als Afrikaner” ist vermutlich oder gilt als rassistisch, aber könnte(!) der Wahrheit entsprechen und darf darum geäußert werden.
    b) “Rechte Sprüche” sind so schlimm wie “linke Sprüche”. Wenn dann bitte auf “rechtsextreme Sprüche” konkretisieren.
    c) “Verschwörungstheorien” sind Theorien, die entweder zutreffen oder nicht und in jedem Fall geäußert werden können.

    Ich halte dies nicht für eine gute journalistische Arbeit, um es milde auszudrücken.”

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