Günther Jauch würde fragen: Wer wird Leser?
Über öffentliche Resonanz freut man sich, wenn man veröffentlicht. Und schlechte Kritiken sind auch Werbungen. Die Rezension zum Buch „Glotze fatal“ aus der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (15.10.2010, S. 21) kann man wohl als ‚gemischt‘ in ihrer Bewertung einstufen. Ein Adjektiv wie „minutiös“ schmeichelt, ein Begriff wie „Generalkritik“ trifft den Punkt. Die abschließende Diagnose von „totaler Humorlosigkeit“ finde ich als Autor des Buches sehr amüsant und kann damit gut leben.
Der gesamte Zeitungstext umfasst 30 Zeilen und ist mit „rg“ gezeichnet, was wohl dem Medienredakteur der Zeitung, Ronald Gläser, zuzuordnen ist. (Das Impressum enthält keine Kürzel. Die gehören da wirklich nicht hin.)
In der Kürze liegt die Unvollständigkeit, und als rezensierter Autor hat man nicht darüber zu entscheiden, wie umfangreich man besprochen wird, das versteht sich. An dieser Stelle nur der Hinweis: Der Autor der Rezension wird ausgerechnet da pointiert, wo er den kritisierten Text scheinbar nicht zur Gänze gelesen hat. Den im Buch enthaltenen Hinweis auf den Widerspruch von Günther Jauchs Millionengehältern zur Abspeisung der meisten anderen Beteiligten mit niedrigen Salären (einschließlich teurer Anrufspiele für Zuschauer sowie des ausbeuterischen Gesamtkonzepts von RTL, also dem Bertelsmann-Konzern) bedenkt der Autor etwa mit der Frage: „Wer hätte das gedacht?“ Dass Jauch, wie Gläser meine Argumentation referiert, „Zeit schindet“, ist kein wesentliches Argument im Buch, sondern im vierten Video zum Buch auf YouTube. Und was in dem Kapitel, das, so die Suggestion des Rezensenten, sich eigentlich jeder ‚denken‘ könne, auf 28 von 33 Seiten beschrieben wird, erwähnt er gar nicht – weil er es nicht gelesen hat?
Die Besprechung der RTL-Sendung „Wer wird Millionär?“ mit Günther Jauch im Buch „Glotze fatal“ stellt wesentlich darauf ab, aus zufällig ausgewählten Sendungen alle eingeblendeten Fragen und Antworten einer literarischen Interpretation auszusetzen – und dazu vereinzelt die Moderation und sonstige Ereignisse der jeweiligen Sendung ergänzend hinzuzuziehen.
Was dabei herauskommt, ist ein bizarres Abbild von Bedeutungsebenen, die oft politisch unkorrekt wirken und v. a. die (meist medienunerfahrenen) Kandidaten in ein sehr unvorteilhaftes Licht rücken. Zweifelhaft wird dabei etwa, dass die immer gleiche Berichterstattung zur Sendung in anderen Medien von einem „Zufallsgenerator“ spricht, der hier die Fragen auswähle. Leser können sich mit Hilfe des Buchtextes von „Glotze fatal“ ihr eigenes – vielleicht ein neues und anderes – Bild von der Sache machen, wie sie auf dem Bildschirm zu sehen ist.
Etwas enttäuschend ist auch, dass in einer Zeitung wie der „Jungen Freiheit“, die als eine der wenigen etwa konsequent den Zerfall von familiären Lebensweisen (oder auch nur biologischer Fortpflanzung überhaupt) in der herrschenden Kultur beklagt, nicht mit einem Wort bemerkt wird, dass „Glotze fatal“ an vielen Beispielen beschreibt, wie eine Gehirnwäsche durch Fernsehprogramme an einem weit verbreiteten Bewusstsein arbeitet, das lebensfeindliche Werte verinnerlicht und zu länger währenden Beziehungen immer seltener fähig ist. (Ich wäre dankbar für Hinweise darauf, wo dies sonst schon geschehen wäre – in den TV-‚kritischen‘ Büchern von Michael Jürgs oder Alexander Kissler wohl nicht in systematischer und exakter Weise. Dies mag vielleicht auch deshalb nicht verwundern, da sie in Verlagen des Bertelsmann-Konzerns verlegt werden und den Markt für Medienkritik bestenfalls mit ‚professionell‘ wirkender Oberflächlichkeit bestimmen.)
Durch eine journalistische Praxis, die derlei nicht nachhaltig beschreibt und auf relevante Kritiken an anderer Stelle nicht aufmerksam hinweist, wird sich auch in Zukunft nichts an RTL und Vergleichbarem ändern. Die Folgen dieser Sorglosigkeit tragen leider auch viele, die sie nicht zu verantworten haben – und leider haben Bücher, die dies zu beschreiben versuchen, in den Worten Ronald Gläsers „sehr wenig Unterhaltungswert“. In der Betrachtung von Medienwirkungen (wie Einsamkeit, Depression, Verschuldung, Gesundheits- und Umweltschäden) wird’s für Rezensenten vermutlich erst so richtig lustig, wie? Grüße in die Hauptstadt!
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