Landtagswahlen: Veränderte Mehrheiten, kein Politikwechsel – #ltwbw #ltwrlp #ltwsa
Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sind durchweg nicht überraschend: Wilfried Kretschmann (Die Grünen) gewinnt als beliebter Ministerpräsident noch hinzu. In BW ist damit eine schwarz-grüne Regierungskoalition eine denkbare Variante. Die übrigen Ergebnisse vereinen für Koalitionsverhandlungen prinzipiell alle Parteien außer der „Alternative für Deutschland“ (AfD), die in SA im Moment 24,4 % prognostiziert erhält.
Damit ist es nicht falsch, wie die Berichterstatter des Fernsehens von teilweise schwierigen zu erwartenden Koalitionsverhandlungen zu sprechen, die in RP zu einer Ampel-Koalition führen könnten. Für SA fasst der „Focus“ zusammen:
Nur für eine Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen würde es reichen. Doch: Derzeit ist die FDP draußen. Sollten die Grünen auch noch rausrutschen – dann hätten Linke und AfD in etwa genauso viele Stimmen wie CDU und SPD zusammen.
Wenn, wie gerade bei „Anne Will“ (ARD), Ursula von der Leyen (CDU) betont, 80 % der Wähler hätten sich demnach gegen die AfD und also für eine relativ konsensuelle Flüchtlingspolitik ausgesprochen, so übergeht sie im Fall von SA nicht nur 4 %, sondern spricht bei der dortigen, deutlich erhöhten Wahlbeteiligung von 61,8 % in absoluten Zahlen von 49,44 %. Dass die verbleibenden fast 40 % der Nichtwähler nicht noch den Anteil der AfD und anderer deutlich erhöhen würden, halte ich für unwahrscheinlich. Natürlich wägen Wähler ab und geben auch den Altparteien zu einem Teil ihre Stimme, obwohl sie in der Flüchtlingskrise eine andere eigene Meinung favorisieren. Zuletzt wurden für Ostdeutschland 49 % angegeben, die Angela Merkels Flüchtlingspolitik wieder Zustimmung schenkten – wieder mehr gegenüber Zahlen aus dem Februar 2016 von 44 % (die ich hier einer anderen Quelle entnehme). Der Zuspruch für Merkel trat also ein, als sie ihre vorherige Haltung änderte – nicht, dass die vorherige Haltung überzeugt hätte.
Solche Sachverhalte willkürlich umzudefinieren, ist politischer Alltag – der Glaubwürdigkeit und Kontinuität dient es nicht. Auch Informationen hier im Blog sollen nicht bedeuten, dass ich für ad hoc auftretende Flüchtlingsströme selbst eine Lösung ohne Verlierer anzugeben hätte. Der Hinweis auf Nachhaltigkeit zielt vielmehr auf eine Anmahnung historischen Bewusstseins, das erst für spätere Situationen Konsens erwirken könnte. Dieser ist historisch-politisch auch mit Härten verbunden – die viele Menschen auch sonst in ihrem Leben spüren, aber nicht immer zahlungskräftige Stiftungen von Wall-Street-Spekulanten im Rücken haben, um sie zu artikulieren und durchzusetzen.
Was wird also geschehen? Es werden sich Systemparteien zusammenfinden, die Koalitionen bilden, deren Stabilität sich dann zeigen wird. (Über Restwahrscheinlichkeiten von Neuwahlen wird nicht berichtet.) Frauke Petry von der AfD betonte heute in der ARD, dass man auch in der Opposition gestalten könne. Auch wenn dies nicht falsch ist, so bleibt es bei der Regierungskompetenz von Parteien außer AfD und Linken in den drei Bundesländern, in denen heute gewählt wurde.
Für die AfD ist es nach meinen Beobachtungsinteressen spannend zu sehen, ob sie neben einer stärkeren Präsenz ihrer Argumente vom bestehenden Mainstream wieder eingedämmt werden kann. Dazu braucht es dann konkrete aktuelle Entwicklungen, die z. B. darin bestehen könnten:
- inhaltliche oder praktische Fehler unerfahrener Politiker aus den Reihen der AfD
- Skandalisierung neurechter Argumente, die in der Debatte vorgebracht werden
- Skandalisierung eines AfD-Politikers aufgrund seiner Vergangenheit oder aktuellen Fehlverhaltens (juristische Vergehen, bisher unbekannte, politisch-extremistische Umtriebe)
Ich habe in einer Reihe von Aspekten darauf hingewiesen, dass bei durchaus berechtigten politischen Anliegen, die ich bei der AfD sehe, ich Anzeichen einer geheimpolitischen Steuerung auch dieser neu entstandenden Partei durchaus sehe. Dies dämpft Hoffnungen, dass bestehende Machtgefüge sich substanziell verändern könnten. Die Optionen einer geheimpolitischen Steuerung bestehen dann entweder in der Verwässerung veränderter politischer Inhalte oder in einer Umkehrung des Aufwärtstrends, wofür dann die genannten drei Ereignistypen in Frage kommen (einschließlich ihrer publizistischen Ausschlachtung natürlich, wofür die bestehenden Medienstrukturen bereitstehen). An der die AfD begünstigenden Flüchtlingskrise als äußerem Umstand wird sich leider wohl so schnell nichts ändern.
Update 16.03.2016: Hätte nicht gedacht, dass das so schnell geht. Mit Datum von gestern berichtet „Welt“-Autor Uwe Schmitt bzgl. der dritten erwähnten Demontage-Option für die AfD:
Nun werden pikante Details einer Schweriner AfD-Stadtvertreterin bekannt: Petra Federau soll in Abu Dhabi für einen Begleitservice Schönheiten vermittelt haben.
(Teil 3) Viel schwerwiegender dürfte eine weitere Auswirkung solcher (ggf. fälschlicherweise) als radikal/extrem angesehener Äußerungen wie der zum Schusswaffen-Gebrauch an der Grenze sein. Wer sich einmal vom etablierten politischen System abgewendet hat und als Alternative nur noch eine Partei vorfindet (in diesem Fall die AfD), hat dann nur zwei Handlungsoptionen: Wenn er diese Position eigentlich für falsch hält, kann er entweder wieder zum Nichtwähler werden oder wählt die Partei trotz dieser von ihm für falsch gehaltenen Position. Im Falle sich zuspitzender Krisensituationen ist politische Enthaltung aber schwerlich eine motivierende Handlungsweise. Wenn man aber einmal Partei ergreift für die politische Alternative, wird man auch diese vormals kritisch gesehene Position letztlich offensiv vertreten müssen, da Defensive in der politischen Auseinandersetzung immer ein Nachteil ist. Auf diese Weise könnte eine Partei, die ein Monopol als die einzige Alternative hat, ihre Wählerschaft gezielt radikalisieren. Das ist dann aber nicht die Schuld dieser neuen Partei, sondern darauf zurückzuführen, dass die Krisensituation irgendwann tatsächlich nur noch eine radikal andere als wirksame Politik zurücklassen könnte.
(Teil 2) Zum Zweiten verschiebt eine solche Äußerung die Bandbreite an Positionen: Während es zuvor am einen Rand der öffentlichen Auseinandersetzung hieß, man könne eine (grüne) Grenze im Falle eines Massenansturms gar nicht sichern und ein Schusswaffeneinsatz aufgrund des zu befürchtenden Vorwurfs der Inhumanität gar nicht als Möglichkeit auch nur in Erwägung gezogen und angesprochen wurde, so erscheint dieser Schusswaffeneinsatz nun als Möglichkeit, die man ablehnen kann oder nicht. Vielleicht wurde auf diese Weise erreicht, dass der Eindruck, man könne gar nichts gegen die Masseneinwanderung an der Grenze ausrichten, reduziert wurde. Möglicherweise fällt es dann verantwortlichen Politikern gegenüber der Medienöffentlichkeit leichter, zwar den Schusswaffeneinsatz abzulehnen, aber harmlosere Grenzsicherungsmaßnahmen umzusetzen. Spätestens durch Mazedoniens Grenzzaun ist natürlich der deutschen Öffentlichkeit bewiesen worden, dass diese Art der Grenzsicherung sehr wohl effektiv sein kann, also die Unmöglichkeit der Sicherung einer grünen Grenze widerlegt ist.
(Teil 1) Interessant zu erfahren wäre, ob die Schusswaffen-Äußerung von Frau Petry (und danach von Frau Storch) eigentlich dem Wahlerfolg der AfD eher geschadet als genützt hat und ob dies auch für zukünftige Argumente gelten dürfte, die zur Skandalisierung der AfD beitragen könnten. Rein auf das Argument bezogen war sie meiner Meinung völlig unnötig (was Frau Petry sicher weiß), da aufgrund des Stands der Technik Grenzsicherungsmaßnahmen sowie polizeiliche Maßnahmen möglich sind, die den Gebrauch von lebensgefährdenden Schusswaffen an der Grenze – ausgenommen tätliche Angriffe bei direktem Kontakt zwischen einem einmal eingelassenen Migranten und einem Polizisten – unnötig machen. In Mazedonien kamen jüngst Gummigeschosse zum Einsatz, als es den Versuch der Grenzstürmung gab. Was kann Frau Petry also mit ihrer Äußerung bezweckt haben? Zum Einen ist es eine konsequent ehrliche Äußerung, weil man offen erklärt, wozu man im denkbar ernstesten Fall bereit zu handeln wäre – auch wenn es ankommt, als sehe man diesen als realistisch an.