#Doku zum #TTIP – ein Beispiel für guten #Journalismus
Nach meinen Zweifeln an der Güte einer ARD-Dokumentation über den Fachkräftemangel dachte ich: „Man muss auch mal loben.“ Und prompt kommt in der ARD-Mediathek ein gutes Gegenbeispiel vor die Flinte: „Der große Deal – Geheimakte Freihandelsabkommen“. Ein Teil dieser Dokumentation von Kim Otto und Stephan Stuchlik zum sog. TTIP wurde zuvor als Beitrag in der Sendung „Monitor“ gezeigt. Und schon dort war es eher bestürzend als nur vergnüglich, wie der EU-Handelskommissar Karel de Gucht Grundlagen seiner politischen Entscheidungen nicht zu kennen scheint.
Die laut Unterlagen aus EU-Behörden relativ geringen zu erwartenden finanziellen Vorteile für EU-Staaten durch das TTIP sind de Gucht offensichtlich nicht geläufig – er lässt das Interview unterbrechen und sich von den fragenden Journalisten eines Besseren belehren. Die „Süddeutsche Zeitung“ reicht in ihrer aktuellen lobenden Rezension des Films (04.08.2014) noch einen Link-Hinweis nach:
Am Dienstag nach Ausstrahlung der TV-Reportage hat die EU-Kommission die Darstellung in “Der große Deal” zurückgewiesen.
Die betreffende Peinlichkeit ist damit aber nicht bereinigt, wie die SZ durch den bloßen Nachsatz der EU-PR zu suggerieren hilft: In der Zurückweisung wird die Behauptung bestärkt, die befragte Politiker in Regierungsverantwortung auf deutscher und europäischer Ebene derzeit unisono verkünden: dass nämlich bestehende nationale oder europäische Regelungen nicht den Vereinbarungen des TTIP untergeordnet würden. Das hat mit dem Inhalt des Auftritts von de Gucht in der Doku wenig zu tun – man befragte ihn eben nach den volkswirtschaftlichen Aussichten, nicht nach solchen rechtlichen Fragen.
Dass das TTIP für Bürgerrechte und Verbraucherschutz in der EU unschädlich ist, hätte sich in der Praxis erstmal zu erweisen – und wenn es dann nicht aufrechtzuerhalten ist, wäre es zu spät. So verlaufen immer wieder die Vorgänge der Entrechtung von Bürgern der EU und Betroffenen in vergleichbaren Machtbereichen.
Das betrifft die in der EU-Erwiderung zur Doku angesprochenen Richtlinien für Chemikalien ebenso wie das Gesundheitswesen, zu dem es (im zuvor verlinkten Dokument) heißt:
In der Tat sind Gesundheitsdienstleistungen nicht ausdrücklich von den Verhandlungen ausgenommen. Das bedeutet aber nicht, dass die EU hier Liberalisierungsverpflichtungen übernimmt. Auch der suggerierte “Zwang zur Privatisierung” von Krankenhäusern ist falsch. De Guchts stellvertretender Kabinettchef stellte dazu klar: “Nichts in TTIP wird die freie Entscheidung eines Mitgliedstaates darüber einschränken, ob es Gesundheitsdienstleistungen öffentlich-rechtlich oder durch Private organisieren lässt.”
Ein solches Problem dürfte nichts weniger sein als: komplex. Und de Guchts Auftritt zeigt zunächst einmal, dass er selbst eine relativ begrenzte Menge von Informationen nicht verstehend wahrnehmen konnte, bevor er zu diesem Thema vor die Kamera trat. Das lässt schlichtweg nichts Gutes vermuten für Verhandlungen, bei denen auf der anderen Seite Winkeladvokaten stehen, die für Privatunternehmen noch den letzten Profit aus Mensch und Umwelt quetschen.
Wenn Politiker ihrem Amtseid folgen, Schaden etwa vom deutschen Volk abzuwenden, haben sie in einer solchen Konstellation höchste Vorsicht zu wahren. In puncto Gesundheitswesen wären dann erst einmal aufwändige Gutachten erforderlich, inwiefern erweiterte Angebote privater Dienstleister Druck auf bestehende Angebote ausüben, etwa Kunden abziehen und letztendlich ein Leistungsniveau auch für diejenigen senken, die die ursprünglichen Angebote weiter wahrnehmen (die sich ggf. dann nicht mehr rechnen). Des weiteren gibt es sicherlich in vielen der betroffenen Bereiche Ansatzpunkte für Klagen, um innerhalb des Freihandelsabkommens seitens von US-Unternehmen eine Rechtsgleichheit einzufordern, wo zuvor verschiedene Rechtssysteme herrschten. Dergleichen wird ja zum Thema Fracking warnend bemerkt. Zahlreiche Beispiele für das aggressive Verhalten der Industrie und Investment-Fonds kann man in einer Quelle wie „Der Wolf im Freihandelspelz“ nachlesen.
Schon der Habitus von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in der ARD-Dokumentation weckt deshalb den Verdacht, dass hier eine vorgefasste – und nach Lage der Dinge kaum detailliert überprüfte – Meinung als Staatsraison ausgegeben wird. Wer bisherige Erfahrungen berücksichtigt, müsste qua Amtseid als gewählter deutscher Politiker eher Formulierungen verwenden wie: ‚Wir müssen all dies einer sehr kritischen Prüfung unterziehen und werden keine voreilige Genehmigung erteilen.‘ Stattdessen klingen die meisten Äußerungen aus Regierungskreisen und EU-Administration eher wie: ‚Hören Sie auf mit ihren lästigen Fragen. Das wird jetzt so gemacht wie angekündigt.‘
Das weckt zu Recht den Verdacht, dass seitens der Politiker keine Volks-, sondern Interessensvertretung für die Industrie betrieben wird. Auch die Behauptung, die Darstellung der ARD-Journalisten Otto und Stuchlik suggeriere Geheimniskrämerei, wo keine bestehe, bläht sich in Erklärungen auf, wo sie im Kern wieder zusammenschrumpft auf die Formulierung:
Wer die Kommission hier der Geheimhaltung bezichtigt, übersieht also den rechtlichen Rahmen, in denen Papiere eines Verhandlungspartners weitergegeben werden dürfen. Die Beschränkungen des Leseraums bestehen nicht für alle Verhandlungsdokumente allgemein, sondern eben nur für US-Dokumente und konsolidierte Texte, die auch US-Positionen widergeben.
Sagen Sie den USA, dass alle Interessierten die zur Debatte stehenden Argumente und Vorgaben lesen, zitieren und diskutieren wollen. Ansonsten wird nicht verhandelt. Sie haben es auch außerhalb der Luxus-Restaurants von Brüssel nicht nur mit Dummköpfen zu tun.
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