„Unter uns“ gesagt: schizo
Wir schreiben die Folge 4031 nach Beginn der RTL-Daily-Soap „Unter uns“ (R: Friedhelm von Aprath). Michelle ‚Micki‘ Fink (Joy Lee Juana Abiola) liegt leicht erkältet mit Tobias Lassner (Patrick Müller) auf dem Sofa und bespricht mit ihm eine intrigante Welt unter zahlreichen intriganten Dauerserien-Welten:
Tobias: „Du hast wohl zuviele Gerichtsshows gesehen!?“
Micki: „Jetzt bleib doch mal ernst. Die Wagner bohrt sofort nach, wenn du und Herr Jäger euch nur in einem winzigen Detail widersprecht. Und dann zerreißt sie eure komisch zusammengezimmerte Aussage in der Luft. Glaub mir – gegen die Wagner müsst ihr euch mehr einfallen lassen. Und das schafft ihr nur zusammen.“
Tobias: „Ich weiß nicht.“
Micki: „Aber ich für dich mit. Herr Jäger hasst die Wagner. Und er wird alles dafür tun, um sie fertig zu machen. Und du kennst ihre Methoden. Ihr seid also die perfekte Anti-Eva-Einheit.“
Neben den Bäumchen-wechsle-Dich-Spielchen im Figurenarsenal sind Verschwörung und Gegenverschwörung – im Rahmen von meist amourösen, finanziellen und mehr oder minder kriminellen Transaktionen – einer der inhaltlichen Standards, die hier bedient werden. (Ein Kapitel im Buch „Glotze fatal“ fasst diese Standards anhand von Beispielen zusammen.)
Die paranoide Welt, die ein solches Drehbuch konstruiert, teilt die Menschheit – je nach den Figuren, deren Perspektive wir gerade einnehmen – in böswillige Gegner und diejenigen ein, die sich durch Mittel der Verstellung ihrer Haut erwehren und mit mehr oder minder loyalen Partnern solidarisieren.
Dies ist vielleicht weltgeschichtlich gar nicht einmal unrealistisch. Als Schilderung einer privaten Lebenswelt wird es im Dauermodus zur Karikatur von Charakteren und Beziehungen. Medienpädagogik, die auf das eingeht, was Medienkonzerne einem jüngeren Publikum zuführen, hätte stets nach prägenden Wirkungen solcher Inhalte zu fragen – und inwiefern sie gesellschaftlich akzeptierbar sind. Gier, Selbstsucht, Reichtum, Unehrlichkeit, Geilheit, Untreue, Verlassen und Verlassenwerden sind Konstanten dieser Ideologie. Inwiefern diese gesellschaftliche Realität abbildet oder selbst prägt, müsste Gegenstand von Medienpolitik sein, die diesen Namen verdiente.
Nach der programmpolitischen Selbstreferenz („Gerichtsshows“) geht der zitierte Dialog zur erwähnten Kategorie der Erzfeindschaft über. Dabei wird der Figur der Eva Wagner (Claudelle Deckert) eine Gründlichkeit unterstellt, die man etwa im ‚kritischen Journalismus‘ mehr und mehr vergeblich sucht: Sie „bohrt sofort nach“, wenn sie Widersprüche bemerkt. Bei einer Zeitung wie der „Frankfurter Allgemeinen“ ist dies etwa im Fall eines im Produktionskontext nicht nur für „Unter uns“ Mitverantwortlichen wie dem „Grundy UFA“-Chef Wolf Bauer nicht gegeben. Einer der vorigen Blog-Einträge hier diskutiert Argumente und Rhetorik eines FAZ-Beitrags von Bauer, an dem zeigbar ist, wie Mit-Produzenten endlosen Flachsinns, sind sie einmal zur Selbstäußerung aufgerufen, in rührselige, wenn auch kaum realitätsbezogene und vorgeschoben wirkende Selbstkritik mit abstraktem Anspruch auf Weltverbesserung verfallen. In der Wirklichkeit „bohrt“ an solchen Stellen selten jemand nach, der von Mainstream-Medien bezahlt (und also überhaupt) bezahlt wird.
Die „komisch zusammengezimmerte Aussage“ ist eine weitere süße Selbstreferenz. Das Tagesgeschäft zeitschindender Billigproduktionen besteht in solchem ‚Zusammenzimmern‘ (abgesehen davon, dass hier fast ausschließlich irgendwelche nach Versandkatalogen und/oder Sponsoreninteressen ausstaffierte ‚Zimmer‘ abgebildet werden und nur wenige offene Räume). Hochmut spricht aus einer solchen Referenz nicht; Sarkasmus und Zynismus sehr wohl. Einem Schreiner, der so von seinen Angeboten spräche, würde man keinen Tisch abkaufen. Bei geistigen Gütern scheint es zunehmend eine Voraussetzung für Erfolg zu sein. Fast alleinentscheidend sind Marketing, sexualisierte Körper und Sendeplatz. Für alles andere ist neben Tausender solcher Serienfolgen dann kein Platz mehr – eine Kultivierung geistiger Ödnis und Wirklichkeitsverleugnung mit impliziter Selbstkasteiung.
Die letzte inhaltliche Einheit des Dialogzitats ist Mickis Appell an eine strategische Allianz mit dem Hinweis auf eine Art Geheimwissen. Die Wagner hat ihre „Methoden“, und Tobias kennt sie. Was in der Mainstream-Presse fast nie vorkommt – Reflexion und Debatten über das, was über soviele Stunden hier den „Medieninhalt“ bildet – sind eine Voraussetzung für die aktive Konstruktion solcher Sprachformen (Seriendrehbuch genannt). Die Anwendung dieses Wissens wird innerhalb der Handlung als bedrohlich und obskur charakterisiert: „zerreißt […] in der Luft“, „ihre Methoden“. Hiergegen hilft nur ein erfolgversprechendes Bündnis: „die perfekte Anti-Eva-Einheit“.
Man könnte soweit gehen, in dem Namen „Eva“ einen weiterreichenden Hinweis auf das Filmemachen zu sehen. Einer der prägenden deutschen Regisseure des späten letzten Jahrhunderts war bekanntermaßen Rainer Werner Fassbinder, dessen Initialen „RWF“ in Radu Gabreas biografischem Spielfilm zu „Ein Mann wie EVA“ (D 1984) wurden. Die Titelrolle darin spielt Eva Mattes, die in der Gegenwart wiederum in der High-End-Serie des ARD-Sonntagabends, dem „Tatort“, seit 2000 die „Klara Blum“ gibt.
Oft wiederkehrend in der Film- und Fernsehgeschichte ist die verworrene und chiastische logische Struktur: Selbstreferenziell werden Handlungsmodelle und deren moralische Bewertungen (aus Sicht der Macher: versteckte Selbstkritik) auf die Handlungsebene des Films projiziert. Die ‚Träger‘ dieser Bedeutungen, die auf das Filmemachen und ‑sehen verweisen, wechseln jedoch hin und her: Die „komisch zusammengezimmerte Aussage“ ist ebenso Metapher des Drehbuchs (das ‚in der Luft zerrissen‘ werden kann) wie die „Methoden“ derjenigen, die diese Aussage zu entlarven im Stande sind („die perfekte Anti-Eva-Einheit“).
Eine solche Selbstentlarvung kennen wir aus der Filmgeschichte nicht erst seit „The Wizard of Oz“ (USA 1939), dessen charakteristischen Namen die Bildsprache der „Unter uns“-Folge in einer Lampe versteckt – als um 90° gedrehtes Wort in der englischen Bezeichnung für „Auf Sendung“, „ON AIR“:
Screenshot: RTL, 10.02.2011
Dies ist der andauernde Status von Aufklärung in modernen Massenmedien: Sie ist in ihrem Gegenteil und im tendenziellen Nonsens verpackt. Und in ihrem Weltbezug, ihrem realistischen Sinn sind solche Erzählungen und Dialoge von permanenten Perspektivwechseln und Selbstironien geprägt. Ein hoher Prozentsatz von Bedeutungsgehalt verweist nur auf das Produkt selbst, nicht auf etwaige Wirklichkeiten. Und dabei werden Denkstrukturen auf Selbstwidersprüchlichkeit und Ambiguität getrimmt – in der Psychologie als double bind benannt und „eine kommunikationstheoretische Vorstellung zur Entstehung schizophrener Erkrankungen“.
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