Nora Roberts auf den Spuren des Mais
Am 19.08.2010 beendet die ARD ihre Reihe mit Bestseller-Verfilmungen nach Nora Roberts. Diese Folge heißt „Nora Roberts – Ein Haus zum Träumen“ (USA 2009, R: Martha Coolidge). Die Inhaltsangaben der Filme bieten ein Register der handelsüblichen Metaphern für Bewusstseinstrübung und/oder allmächtige Manipulation auf, die aufgrund ihrer Realitätsferne eher Medienwirkungen beschreiben denn irgendetwas sonst draußen in der ‚realen Welt‘: Figuren leiden an Halluzinationen etc.; mysteriöse Bedrohungen werden von einer kleinen Gruppe Aufrechter bekämpft.
Verlogen daran ist, dass die Medienindustrie, die solche Filmprodukte verbreitet, selbst der reale Kern einer solchen Metapher wäre. Sie romantisiert ein Aufbegehren, das in der Wirklichkeit weitgehend zu Ächtung durch erfolgreiche Korrumpierte und zu persönlichem Scheitern führt. Die von Hochglanz-Darstellern verkörperten Sympathieträger erreichen Ziele (der Aufklärung), die ihr Programmumfeld – und letztlich auch ihre eigene Story – gerade zu erreichen verhindert.
Aus den Inhaltswiedergaben:
Allein Nate, Meg und Charlene wollen sich mit dieser allzu leichten Auflösung nicht zufriedengeben. Allen Widerständen und Anfeindungen zum Trotz ermittelt Nate unermüdlich weiter, gräbt in der Vergangenheit, stellt unbequeme Fragen – und bringt damit nicht nur sich selbst, sondern auch Meg in größte Gefahr.
Nora Roberts – Das Leuchten des HimmelsMit viel Fingerspitzengefühl und bisweilen ungewöhnlichen Methoden gelingt es der Polizistin, die einst selbst das Opfer eines Geiselnehmers war, das Schlimmste zu verhindern. Neben ihrem gefährlichen und anspruchsvollen Job findet die alleinerziehende Phoebe dennoch die Zeit, sich liebevoll um ihre kleine Tochter Carly und ihre psychisch angeschlagene Mutter Essie zu kümmern, die an Agoraphobie leidet und daher nicht fähig ist, ihr Haus zu verlassen.
Nora Roberts – Im Licht des VergessensKaum in sein neues Zuhause eingezogen, wird der junge Anwalt von unheimlichen Visionen heimgesucht […].
Erst durch die spirituellen Fähigkeiten von Odette erkennen die beiden, dass die Geister der Vergangenheit keine Ruhe finden – und dass die tragische Geschichte von einst sich nun zu wiederholen droht.
Nora Roberts – Mitten in der NachtEinst war Cilla McGowan ein populärer Kinderstar – doch diese Zeiten sind vorbei. Die hübsche junge Frau will nun den Hollywood-Trubel und den Druck ihrer ehrgeizigen Mutter hinter sich lassen und als Restauratorin alter Häuser in den Südstaaten ein neues Leben beginnen. […] Wenig später fällt Cillas Exmann Steve, der ihr bei der Renovierung helfen wollte, einem nächtlichen Angriff zum Opfer und wird schwer verletzt. Die Polizei geht zwar von einem gewöhnlichen Einbrecher als Täter aus, doch Cilla spürt, dass mehr hinter der Sache steckt. Diese Ahnung scheint sich zu bestätigen, als ihre Großmutter ihr in geheimnisvollen Träumen erscheint und Cilla anonyme Drohungen erhält. Gemeinsam mit Ford versucht sie, den mysteriösen Vorfällen auf den Grund zu gehen.
Durch alte Briefe ihrer Großmutter stößt sie auf Hinweise, dass deren Tod möglicherweise doch kein Selbstmord war. Cilla ahnt noch nicht, dass der wahnsinnige Mörder es nun auch auf sie abgesehen hat.
Nora Roberts – Ein Haus zum Träumen
Neben sonstigen oberflächlich angetippten Wirklichkeitspartikeln (Alleinerziehende, psychische Krankheiten) wird im letzten Beispiel, um das es hier geht, also auch direkt auf „Hollywood-Trubel“ referiert. Lächerlich, da ein solcher die Voraussetzung für die filmische Scheinidylle ist, die bei Coolidge & Co. in ländlicher Gegend und mit hochpreisig eingerichteten Villen und Künstlerateliers als ‚Gegenwelt‘ zum „Druck ihrer ehrgeizigen Mutter“ funktionieren soll.
Was hier und tausendfach in der Filmgeschichte realisiert ist, ist der schizophrene double bind: etwas zurückweisen, obwohl man zugleich selbst davon ausgeht. Entweder, man lehnt „Hollywood-Trubel“ ab – und zieht die Konsequenzen daraus, indem man keine Phantasmen à la Hollywood produziert. Oder man begrüßt sie – dann sollte man keine Filme drehen, in denen die Sympathieträgerin davor flieht und sie an ihrem Fluchtort wiederum reproduziert – wobei hier das Renovieren alter Häuser ein ebenso schmonzettiger (und luxusorientierter) wie metaphorisch belasteter Ausweg ist. Eine solche Handlungskonstruktion ist, obwohl 2009 produziert, ebenso abgestanden wie eine alte Immobilie, die aus zweifelhafter Nostalgie in Stand gesetzt wird.
Da hilft es auch nichts, dass man mit Britanny Murphy ein neues darling auf dem voyeuristischen Markt etabliert. Nach ein paar Kinoerfolgen (eher aus dem sinistren Genre wie „8 Mile“, USA 2002) wertet sie hier eine gehobene TV-Produktion auf. Eine Einstellung aus dem Atelier ihres Nachbarn Ford Sawyer (Jason Lewis), mit dem sie dann auch eine sexuelle Beziehung eingeht, lässt sie dessen Brille auf dem Schreibtisch bei ihrer intimen Annährung symbolisch-stellvertretend für das Publikum ‚beobachten‘:
Screenshot: ARD, 19.08.2010
Sie hat ihm die Brille selbst abgenommen und dorthin verbracht – ein weiteres perfides Detail, das die Funktionalisierung solcher Figuren und Intimitäten durch die Industrie der Phantasmen in der Handlungslogik noch dem ‚Opfer‘ der Blicke selbst zuschreibt.
Interessant als Beispiel für den Rest von Wirklichkeit in den verquirlten Klischees aus dem Hirn von Nora Roberts (Gesamtauflage: ca. 290 Mio. Bücher) ist der Dialog von Cilla McGowan (Murphy) mit dem ermittelnden Polizisten Detective Alvin Wilson (Mark Wilson). Eine als Drohung von der mysteriösen Person am Tatort hinterlassene, mit einem Messer durchbohrte Puppe weist nach dessen Bericht „ein paar Rückstände von Maisstärke“ auf.
Weniger gefragt auf dem Markt für Filmstoffe wäre ein Plot, in dem das Geschäftsgebaren von Werbekunden der TV-Sender ausführlicher beleuchtet würde. (Hier und da wird es das – so muss hier immer wieder angemerkt werden – in vereinzelten Dokumentationen, die jedoch nie so viele Zuschauer wie ein solcher Trivialfilm erreichen. In diesem Fall sind es in der ARD 3,26 Mio.)
Konkret meine ich den Stoff, von dem die Rede ist: „Maisstärke“, im Original des Films „corn starch“, gehört zu jenen Substanzen, die von der Nahrungsmittelindustrie in zunehmendem Maß eingesetzt werden – um Kosten zu senken, damit mehr Produkte zu verkaufen, dabei das Gewicht von Konsumenten ungesund zu erhöhen und sie letztlich krank zu machen. Sie werden überdies nach bisherigen Erkenntnissen kränker, als es bei Nahrungsmitteln mit den gleichen Kalorien sein müsste.
Letzteres erklärt der Mediziner Robert H. Lustig in dem Vortrag „Sugar: The Bitter Truth“ (hier auf YouTube). Das stellt bei 90 Min. Mediziner-Englisch mit Exkursen in die physiologische Chemie schon ein paar Anforderungen, denen aber offensichtlich bis heute über 520.000 Zuschauer im Internet mindestens zeitweise standgehalten haben.
Das Resümee des Mediziners ist, dass die in einer Begriffsverwirrung aus „Zucker“, „Fruchtzucker“, „Fructose“, „Dextrose“, „Maltose“, „Saccharin“ u. a. (hier ganz schön aufgelistet) schnell untergeht, dass die Industrie in den letzten Jahren systematisch die Verwendung und den Anteil von Zuckerarten erhöht hat, die durch ihre besondere Wirkungsweise im menschlichen Körper auf Dauer etwa Leberleiden verursachen können. Der Verzehr von gesüßten Lebensmitteln bewirkt schon bei Kindern dann (unnötigerweise, aber billiger) etwas, das im Endeffekt mit überhöhtem Alkoholkonsum vergleichbar ist. Lustig nennt solchen Zucker – wohl treffend – schlichtweg „Gift“. Es geht dabei etwa um Maissirup – ein Produkt aus Maisstärke, wie im Film erwähnt. (Die Wikipedia resümiert hier vorsichtig die Hauptthesen, wie Lustig sie vertritt.)
Wenn also in Nora Roberts verfilmtem Opus Spuren zu der Täterin führen, die die weibliche Hauptfigur mit Vandalismus und bösen Scherzen terrorisiert und schließlich gar umzubringen versucht, ist deren recht wirklichkeitsfremdes Verhalten in Bezug auf die Realität wohl eher so zu interpretieren: Spuren von „corn starch“ deuten auf ein Verbrechen hin – von dem hier im Weiteren keine Rede ist, sondern das in mystifizierenden 08/15-Plots für das Hauptabendprogramm untergeht.
Um solche Fragen geht es, wenn wir heute über „Realismus“-Konzepte diskutieren. (Georg Seeßlen zählt hier ein paar abstrakte Argumente zum Thema auf.) Der Sumpf der Tagesproduktion aus TV-Studios bedeutet nicht nur für Kritiker – zumal die vereinzelten, die diesen Namen verdienen – eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Die Wirkung der weitgehenden Verwaberung von realen Verhältnissen (Macht, Statistik, Reichtumsverteilung oder eben auch Lebensmittelchemie) in der überall gegenwärtigen Suppe der kruden Fiktionen ist bisher so effizient wie nichts anderes – im Licht des Vergessens eines leuchtenden Himmels, mitten in der Nacht, in einem Haus zum (schlechten) Träumen.
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