Hochgejubeltes Zerreden
Auch wenn Debatte und Berichterstattung im Fall Thilo Sarrazin sich nachgerade zum Exzess entwickeln, scheinen mir folgenden Einzelheiten noch erwähnenswert:
Die TV-Zeitschrift „Gong“, zur WAZ-Mediengruppe gehörig, sieht den Diskussionsverlauf in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ am 01.09.2010 gänzlich anders als ich hier in einem der vorigen Blog-Einträge.
Gong, Nr. 37, 10.09.2010
So heißt es in dem Artikel (Autorenkürzel: „CD“) u. a.:
Tatsächlich entlarvte vor allem ARD-Mann Plasberg Sarrazin eindrucksvoll als Scharlatan, der sich seine Thesen nach Gutdünken zusammenreimt. Mit simpelsten Recherchen zerfledderte Plasbergs Mannschaft zentrale Aussagen des Buchs. Und eine Wissenschaftlerin, auf deren Arbeit sich Sarrazin stützt, erklärt, dieser habe „Grundlegendes nicht verstanden“. Sarrazin stottert, stammelt, reagiert trotzig.
Letzteres hat man so gesehen. Der Rest dieser Passage aus dem „Gong“ liest sich eher wie eine PR-Meldung des WDR bzw. der ARD zu ihrer erfolgreichen Talkshow, die in diesem Fall selbst mit verkürzten und tendenziösen bis polemischen Beiträgen – im Einklang mit den auf den Autor Sarrazin angesetzten anderen Talkgästen – das Thema eher zerredete denn konstruktiv diskutierte. (Näheres dazu von meiner Seite in dem erwähnten Blog-Eintrag.)
Wer also den „Gong“ liest – ob er die Sendung selbst gesehen hat oder nicht –, erhält einen ganz konträren Eindruck. Von mir zuvor nicht erwähnt, lässt sich etwa auch die im „Gong“ nicht namentlich erwähnte „Wissenschaftlerin“, Elsbeth Stern, in ihrer Abgrenzung zu Sarrazin hinterfragen. Schon die in „Hart aber fair“ eingeholte Interview-Äußerung laviert und betont lediglich, dass Intelligenz nicht schlicht vererbt werde und die Intelligenzforschung einen komplexeren Zugang zum Phänomen habe. Es wirkt so, als wolle sie sich für die extreme politische Positionierung Sarrazins nicht vereinnahmen lassen, was prinzipiell verständlich ist. Aber auch das Nachhören eines ergänzenden und ausführlicheren Interviews im Deutschlandfunk verschafft dem Hörer keine Klarheit darüber, was sie selbst einer allgemeinen Aussage, dass, statistisch gesehen, 50-80% der Anlagen zu kognitiver Intelligenz vererblich seien, entgegenzuhalten hat. (Und dies ist dann in der Tat relevant für die Beurteilung der Zukunftschancen einer Gesellschaft, die Zuwanderer evtl. zunehmend aus Armutsregionen mit langwährend niedrigem Bildungsstand zu erwarten hat, aber dringend auf hochqualifizierte Arbeitnehmer zur Ausgleichung ihres Geburtenrückgangs angewiesen ist – siehe auch meinen vorhergehenden Beitrag.)
Diesen Eindruck von der Sachlage bestätigen andere Bildungsforscher, Heiner Rindermann und Detlef Rost, in einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 07.09.2010:
Sarrazins Thesen sind, was die psychologischen Aspekte betrifft, im Großen und Ganzen mit dem Kenntnisstand der modernen psychologischen Forschung vereinbar. Hier und da ließe sich sicher eine abweichende Gewichtung vornehmen. Massive Fehlinterpretationen haben wir aber nicht gefunden.
Die Überschrift des „Gong“-Artikels, „Heimliche Handlanger“, sagt also allem Anschein nach mehr aus über das Verhältnis der TV-Zeitschrift zur ARD, auch wenn sie – etwas schief, denn „heimlich“ ist dies nicht, nur vermutlich ungewollt – auf die notwendigerweise entstehende Publicity für Sarrazin durch seine Kritiker hinweisen soll.
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