Wertperspektive zum #Islam – #Religion im Dialog?
Das neue Jahr schwenkt nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ zunächst ganz auf das Thema Islam(ismus), was die öffentliche Debatte betrifft. Da stehen zahlreiche Fettnäpfchen herum, sind die Empfindlichkeiten „religiöser Gefühle“ eine Besonderheit des politischen Diskurses. Und die Untat von Paris ruft allen demokratischen Beteiligten ins Gedächtnis: Freie Rede kann zu mörderischen Taten von Verwirrten führen. Das Risiko, durch Selbstmord-Attentäter religiöser Prägung umgebracht zu werden, ist in Westeuropa angekommen.
Wie erfrischend ist es einmal mehr, zu diesem Thema statt den Talkshow-Funktionären Gerd-Lothar Reschke in seinem Projekt „Wertperspektive“ zuzuhören („Meine Betrachtungen zum Islam“). Das ist eine vollkommen unaufdringliche, technisch unaufwändige Form, in der ein Mensch etwas mitteilt: reale Erfahrungen, abgewogene Gedanken ohne lächerlichen Zeitdruck. Es ist ein Beispiel dafür, was Medienkonsumenten schließlich dazu führt, von „Lügenpresse“ zu reden, wenn sie die Differenz-Erfahrung des Internets gemacht haben (bzw. der lesens- und sehenswerten Nischen desselben): Erhebt dort ein intelligenter Mensch ohne die widerlichen Mechanismen von verdeckter Steuerung, Selbstzensur, Lobbyismus und product placement die Stimme, klingt dies gleich ganz anders. Und es hat nicht einmal etwas zu tun mit „Wutbürgern“ oder „Verschwörungstheorie“ im schlechten Sinne. Aber es zeigt – fortlaufend in Reschkes Projekt –, worin Wahnsinne unserer Gesellschaft, Denkfehler und Selbstbetrug des Einzelnen bestehen.
Wenn ich das sehe, frage ich mich z. B.: Warum fühlt sich in diesen Wochen und Monaten eigentlich kein Theologe bemüßigt, sich einmal vor die Webcam zu setzen und seinen Beitrag zum innergesellschaftlichen Dialog zu leisten? Es ist berechtigt, reale Begegnungen zu favorisieren. Kirchen können und sollen darauf hinwirken, dass Menschen in ihre Räumlichkeiten kommen, um solche realen Erfahrungen zu machen. Das Ergebnis ist aber seit vielen Jahren das Schrumpfen der Zahlen von Kirchen-Angehörigen und Besuchern von Gottesdiensten, wohl auch der kirchlichen Veranstaltungen generell. Das Christentum schaut mehr oder minder seiner Abschaffung in Europa zu. Die Zahl der Themen, die die christlichen Kirchen in einer wirklich öffentlichkeitswirksamen Diskussion brachliegen lassen, ist Legion. Darin liegt ein Grund für den Verdacht, dass neben schnöden persönlichen Vorteilnahmen der an einer solchen Institution Beteiligten auch politische Einflussnahmen vorliegen, die eine solche diskursive Rolle der Kirchen verhindern. Wo sind hier selbstloses Interesse, Wahrheitssuche, intellektuelles Engagement?
Seitens des kirchlichen Führungspersonals mag die Zurückhaltung hier und da verständlich sein, weil es sich um ein politisch total vermintes Gelände handelt. Aber es gibt auch – wer’s besser weiß, kann gerne kommentieren – wenige Pfarrer oder einfache Gläubige, ebensowenig universitäre Theologen oder Religionswissenschaftler, die hierzu eine nennenswerte Eigeninitiative entwickeln – schon gar nicht über ihre abgeschirmten Spielwiesen hinaus. Habe dazu bei YouTube einmal „Islam Kritik“ und „Islam Christentum“ eingegeben. Ich finde immerhin einen ausführlicheren Vortrag von Pater Josef Herget CM von 2012, den man aus aktuellem Anlass hochgeladen hat. (Mehr Beiträge sieht man ad hoc eher von muslimischer Seite, die das neue Medium gezielter für die Ansprache nutzt.)
Ich will damit nicht sagen, dass Reschkes Aussagen hier und zu anderen Themen immer der Weisheit letzter Schluss sein müssen – er betont richtiger- und sympathischerweise immer seine persönliche Sicht der Dinge (was nicht wenige „Professionelle“ fragwürdigerweise rhetorisch anders gestalten). Ein konfrontativer und sensibler Punkt in dem obigen Video ist es, eine letztliche Unvereinbarkeit des Koran mit einer laizistischen rechtsstaatlichen Ordnung zu thematisieren. Die Frage ist, ob dies tatsächlich der Fall ist. Und im Anschluss drängt sich sogleich die Frage auf, warum eine solche Frage bei laufender Einwanderungspolitik öffentlich nicht in aller Deutlichkeit gestellt wird.
Reschkes eigene Position und eigenes Vorgehen fordern interessanterweise bei näherem Hinsehen tendenziell denselben Vorwurf heraus: Nicht selten beklagt er, von anderen abgelehnt, z. B. als Verschwörungstheoretiker bezeichnet zu werden bzw. seine Positionen so eingeordnet zu sehen. Seine Haltung zum Geldsystem ist ebenfalls nicht integrierbar in den Status quo. Allerdings manifestiert sich ja nun täglich in Hauptnachrichten, wo die Unvereinbarkeiten des Geld- oder Euro-Systems mit sich selbst liegen. Der Rest ist in der politischen Praxis Sachzwang – und auch an diesem Punkt könnte und müsste man in anderer Richtung weiterdiskutieren. Denn es gibt Ursachen für diese Sachzwänge und nicht zuletzt Nutznießer, die vielleicht nicht ganz unbeteiligt an den Ursachen sind.
Entscheidend ist freilich die Bereitschaft zum Dialog. Damit tun sich hierarchische Institutionen, seien es Kirchen oder Rundfunk-Sender, nach einer jahrhundertealten Tradition von Gebühren und ideologisch generierten Schein-Notwendigkeiten oft noch schwer. Die Frage zur Integrierbarkeit, die Reschke aufwirft, betrifft ja auch diesen Punkt. Kann man so überhaupt miteinander reden? Ehrlich gesagt, habe auch ich meine Zweifel. Und ich habe die Befürchtung, dass ein echter Dialog in eher weniger als mehr bewährter Aufschieberitis bei rasant verlaufenden realen Entwicklungen kaum je stattfindet.
Nicht unwichtig ist auch der erste thematische Abschnitt des Videos, in dem Reschke ein eher konservatives Rollenbild der Geschlechter favorisiert. Auch dies müsste ein zentrales Thema der Debatte sein: Der Islam hat sich in den letzten Jahrzehnten auf einer ganz existenziellen Ebene in seiner Lebenspraxis als überlegen erwiesen. Er hat menschliche Gemeinschaften nicht zum Aussterben hingeführt und verursacht offensichtlich nicht soviele psychische Probleme, die die westliche Gesellschaft anschließend von Sozialarbeitern und Psychotherapeuten – nicht selten wirkungsarm – behandeln lässt. Wenn diese Entwicklung anhält, wird sich irgendwann – nicht morgen, aber innerhalb von Jahrzehnten – in der Tat die Frage stellen, wer überhaupt noch vorhanden wäre, der gegen einen totalitären Machtanpruch von Religion Einspruch erheben wollte.
Von wem wir wofür in einer solchen Debatte instrumentalisiert werden, sobald wir darüber sprechen, können wir nur erahnen. Verhindern können wir es nicht, wenn es der Fall sein sollte. Es geht darum, alle Beteiligten zu erkennen und fortwährend anzusprechen, solange sie sich der Interaktion ohne Explosivstoffe und Schusswaffen verweigern oder hinter politischen Strohleuten verstecken. Es gibt freilich angebliche Theologien, die dies eher verhindern.
Letzte Kommentare