Heinrich Himmler, Hedwig Potthast, Anne Frank – kein Dreiecksverhältnis
Bombastischer geht’s nimmer: „Die Welt“ von gestern machte online zum wiederholten Mal mit ihrem Special zu Heinrich Himmler auf. Ist auf der Startseite schon das Foto von Himmlers Sekretärin Hedwig Potthast in Blutrot getaucht, knallt auch der obere Bereich des Inhalts bildschirmfüllend in dieser Farbe, zudem mit einem verschlagen wirkenden, feist lachenden Himmler. Den Gestus bestimmen also Dämonisierung und Sensationalisierung. Daneben läuft das wohlfeile Programm: ‚Top-Nazis als moralische Prügelknaben‘.
Wenn es gegenüber allen, bei denen es gerechtfertigt ist, in Zukunft so kritisch wird – danke an die Redaktion für journalistisches Ethos. Aber bitte nicht auf Dauer erst 70 Jahre später, wenn es keinem mehr wehtut. Dass die Nazi-Führer an Verbrechen beteiligt waren, ist yesterday’s news. Noch viel gäbe es zu berichten, was damals geschah. Doch dann ist nicht mit allseitiger Zustimmung zu rechen.
Berichte über Heinrich Himmler sind ja gerade durch einen Fund von Briefen nachrichtenwert, der auch in der „Welt“ die Grundlage bildet. Das bringt noch einmal die nicht unbekannte zeitgeschichtliche Begebenheit zur Sprache, dass Himmler mit Hedwig Potthast ein Verhältnis und zwei Kinder hatte.
Was an dieser Stelle interessiert, ist die Ähnlichkeit von Hedwig Potthast zu Anne Frank, jenem Mädchen auf der anderen Seite des Holocaust, verstorben 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Es sind solche grausamen Ironien, die in der historischen Betrachtung, nicht zuletzt des Nationalsozialismus, oft zu Tage treten. Der für Massenmord politisch Verantwortliche wendete sich einer Frau zu, die äußerlich einem der heute prominentesten Regime-Opfer glich. Zeitgleich mit dem Schicksal des in die Niederlande geflohenen, versteckt gehaltenen, schließlich internierten und so umgebrachten jüdischen Mädchens glaubte Heinrich Himmler, mit einer zweiten Frau seine vermeintlich „arischen“ Gene zwei weiteren Kindern schenken zu sollen.
Auf der Ebene einer physiognomischen Rassenlehre, wie Himmler und das Nazi-Regime sie vertraten, war also schon zu diesem Zeitpunkt klar, dass die Rede von „jüdischer Physiognomie“ im Hinblick auf Realität und Verhalten Hitlers und seiner Mitstreiter keiner Überprüfung standhielt.
Hatte jemand dafür gesorgt, dass Himmler ausgerechnet jene Frau traf und lieben lernte, die einer von Himmlers Schergen ermordeten Jugendlichen, Anne Frank, in der historischen Rückschau einmal ähneln würde? In solchen Fragen helfen oft die existierenden Berichte der Geschichtswissenschaft nicht weiter. Der Himmler-Biograf Peter Longerich schreibt über den Werdegang der Hedwig Potthast hin zu dem Vater ihrer Kinder dies:
Anfang 1936 war Hedwig Potthast Himmlers Privatsekretärin geworden, zuständig unter anderem für die Verteilung von Geschenken des Reichsführers sowie für dessen Patenschaften. Die damals 23 Jahre alte Frau, Tochter eines Kölner Kaufmanns, hatte nach einer Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondentin 1933 in Koblenz Arbeit gefunden. 1934 wechselte sie ans Gestapa [Geheimes Staatspolizeiamt, D.H.] Irgendwann kamen Himmler und Hedwig Potthast sich näher […].
(Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biografie. München, 3. Aufl., S.482)
Abhilfe schafft hier kein Sachbuch der Geschichtswissenschaft, sondern ein Blog-Eintrag zu einem zeitgeschichtlichen Roman des ehemaligen „Bild“-Chefredakteurs Udo Röbel. Bei Röbel heißt es dazu:
Sie hatte nach Ende ihrer Ausbildung auch schon eine Stelle in Aussicht, als Heinrich Himmler „ein fleißiges deutsches Mädchen“ suchte…
Kurt Freiherr von Schröder, Teilhaber am Bankhaus Stein und Gründungsmitglied des „Freundeskreis Reichsführer SS“, kannte ein solches, und so bezog Hedwig Potthast am 2. Januar 1938 ihren Schreibtisch in Himmlers Büro.
Vier Wochen später kam es zu einer ersten privaten Unterredung zwischen beiden: Zu ihrem 26. Geburtstag schenkte Himmler Hedwig Potthast einen Kasten Pralinen.
Lenkende Person war also der Bankier, in dessen Haus die Regierungsübernahme Adolf Hitlers vorbereitet wurde. Zwischen jenen Kriegsverbrechern, die sich umbrachten oder hingerichtet wurden, und jenen, die das Regime ans Laufen brachten und stützten, aber im Hintergrund verblieben, bestehen jedoch feine Unterschiede. Von Schröder geriet zwar zunächst in Internierungshaft, kam aber, nach einigen öffentlichen Debatten, mit einer sicher erträglichen Geldstrafe davon. „Seine letzten Jahre verbrachte er auf dem Gut Hohenstein bei Eckernförde.“ (Wikipedia)
Ob eine ausführliche Biografie des Kurt von Schröder jemals geschrieben wird und welche Grundlagen sie hätte, muss dahingestellt bleiben. (Vor der nächsten Biografie eines der Nazi-Prominenten sollte man sich gut überlegen, wo hier noch Arbeit Not tut und was fördernswert ist – gesetzt den Fall, man ist an Erkenntnis interessiert und nicht an Propaganda und Verstopfung von Informationskanälen.) Nicht besonders viel wissen wir von gesellschaftlichen Beziehungen eines von Schröder, soweit sie nicht einem eher dürftigen Geschichtsbild entsprechen. Deshalb bleibt von solchen Paarungen – im mehrfachen Sinn – nur der Schemen von sozialen Beziehungen und Ereignissen zurück, die weitgehend im Dunkeln liegen.
Letzte Kommentare