Okkultismus des Finanzsystems

Was ist an Geldgeschäft und Börse mystisch? Warum bearbeiten wir hier Themen aus dem Tagesgeschehen der Politik und Wirtschaft in einem kulturwissenschaftlichen Modus?

Der folgende Bericht aus der österreichischen Sendung „€CO“ (ORF) illustriert in einigen Punkten zentrale Merkmale des herrschenden Finanzsystems. Wir wollen einmal nicht in Beschreibungen als „Wahnsinn“ und „Irrwitz“ schwelgen, was in einer Hinsicht wohl zutrifft.

Zu Beginn hören wir hingegen eine telefonische Transaktion mit, die den hoch abstrakten Charakter der Verrichtungen eines Investment-Bankers veranschaulicht: Zahlenkolonnen, knappe sprachliche Bezeichnungen. Es ist eine eigene Poesie, eine Zeichenproduktion, die zur Welt allerlei Beziehungen unterhält: direkte (Guthaben kann in langlebige Güter gewandelt werden; virtuelle Schulden schlagen auf die Realwirtschaft durch) und indirekte (Trades bleiben virtuell bis zu erwähnten realweltlichen Anschlüssen; Buchgeld wächst und schmilzt in reinen Rechenoperationen und Buchungen).

Und dies ist eine entscheidende Interferenz mit Aspekten der Ästhetik und des Okkultismus: Trader produzieren zunächst nur Tastendrücke und sprachliche Äußerungen, d. h. Zeichen, was sie mit Künstlern verbindet. Und während andere Zeichenpraxen im Berufsleben stärker zu einem pragmatischen Zweck tendieren (Arbeitsanweisungen; selbst noch Werbung, die an Konsumenten appelliert; Buchhaltung, die erbrachte Arbeitsleistungen und Güter abrechnet), ist die astronomisch erhöhte Menge virtuellen Kapitals auf den globalen Geldmärkten bis auf wenige Prozent ein Zeichen, das faktisch auf der Welt gar nichts bedeutet – nur im Verhältnis zu dem wenigen Buchgeld, das schließlich ein materielles Gut und eine reale Handlung be-deuten. Man kann darin z. B. eine Art Magie sehen, die wie in Beschwörungsformeln etwas Reales herbeiführen soll. Und strukturell bleiben die meisten Zahlenspiele der hektischen Arbeitstage an der Börse vor der Öffentlichkeit verborgen. Sie sind nur kurzzeitig auf Bildschirmen für menschliche Akteure in Zahlen und Buchstaben überhaupt sichtbar, sie materialisieren sich nur vorübergehend wie ein okkultes Phänomen.

Die andere Seite sind reale Transformationen im Leben. Ein Euphemismus, wenn einer der Interview-Partner von seinen Kollegen sagt, sie wollten bis zu einem Lebensalter von 45-55 „ihr Schäfchen im Trockenen wissen“ (Manfred Kunert, Ex-Bankenvorstand, Ex-Treasurer). Später im Beitrag ist für einen Banker mit Aussicht auf 10 % Provision davon die Rede, „dass er mit einem guten Jahr ausgesorgt hat wahrscheinlich für zwei Generationen.“ (Gerald Podhorsky, Broker)

Das kann man landläufig Zauberei nennen, doch wir wissen, dass es nach gängigen Moralvorstellungen eher mit Diebstahl oder Betrug im großen Maßstab zu tun hat, auch wenn es nach geltender Rechtsprechung legal sein mag.

Hier ist zunächst aber der Aspekt interessant, dass die Geldmarkt-Transaktionen ein symbolisches Programm der Herrschaftsform sind, für die auf Seiten der Kunst die Bildenden Künste und das Kino stehen – die einen eher elitär, das andere massenwirksam. Auch die ästhetischen Disziplinen basieren auf Logiken des Okkulten in durch Codes verbarrikadierten abgeschirmten Bereichen. Und nicht nur durch die Finanzierung von Kunst und Kino gibt es mehr Interferenzen zwischen diesen Funktionsbereichen, als es zunächst den Anschein hat.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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