Nebenkosten des Autoprogramms

Gesetzt den Fall, man wäre rechtskräftig dazu verurteilt worden, einen halben Tag lang RTL zu gucken und hätte am Spätabend des 14.08.2010 seine Strafe angetreten, wäre der erste Programmpunkt um 23.45 h „Crash and Burn – Heiße Autos, heiße Deals“ gewesen, ein US-Fernsehfilm von 2008 unter der Regie von Russell Mulcahy, der seine besseren Tage wohl mit „Highlander“ (USA/GB 1986) gesehen hat.

Eine erwähnenswerte Leistung des Streifens besteht darin, dass innerhalb weniger Minuten zu Beginn schon Autoverfolgungsjagd, Folterszene mit finalem Todesschuss sowie Striptease-Club abgehandelt sind. Das von Mulcahy mehrfach angewendete Split-Screen-Verfahren hat man in John Frankenheimers „Grand Prix“ (USA 1966) auch schon intelligenter gesehen – zu einem historischen Zeitpunkt, als Autobegeisterung noch etwas unschuldiger war.

RTL flankiert sein Werbeprogramm für Automobile mit reichlich bestätigendem Content. In der Nacht von Samstag auf Sonntag gibt es ab 2.45 h noch zwei Folgen „A-Team“, das neben wiederkehrenden Verfolgungsjagden und Unfällen mit Überschlag zahlreiche Szenen mit Studioaufnahmen bestreitet, in denen die Protagonisten durch die Windschutzscheibe und im Inneren ihres Vans gefilmt werden.

Die „A-Team“-Offensive trägt zudem zur Öffentlichkeitsarbeit für den aktuellen Kinofilm bei – laut einer Kritik von Bert Rebhandl „ein Remake als Totalschaden“. Eine 10minütige Werbesendung betitelt RTL am Sonntagmorgen um 9.10 h als „Das große RTL Special zum Film“. Im Anschluss gibt es noch einmal zwei Folgen – innerhalb von 8 h und 35 Min. also 190 Min. „A-Team“ auf RTL.

In der Folge „Liedercircus“ um 9.20 h darf man einen Crash bestaunen, der beim Verkehrskasper wohl nicht so recht durchgehen würde: Einer der Widersacher des Teams, Zeke Westerland (Joseph Wiseman, am bekanntesten als „Dr. No“ aus dem ersten „James Bond“), wird mit Hilfe eines Bulldozers in seinem rasenden Auto zum Überschlagen gebracht. Nach dem Aufprall auf dem Wagendach zieren seine Schläfe lediglich ein paar Bluttropfen:

Screenshots: RTL, 15.08.2010

Der Automobilismus und die Verharmlosung seiner Folgen gehört also zum Standard des Privatfernsehens. Weniger prominent sind die volkswirtschaftlichen Verhältnismäßigkeiten. Es ist schon schwierig, Zahlen über die Gesamtbilanz auf Produzentenseite zu finden. Der „Verband der Automobilindustrie“ (VDA) präsentiert auf seiner Website keine Zahlen der Gewinne, sondern lediglich der Umsätze. Für 2008 und 2009 sind das, Zulieferer eingeschlossen, im Inland 132 und 112 Mrd. Euro.

Versucht man sich ein Bild von den Folgekosten der Autokultur zu machen, stößt man auf widersprüchliche Zahlen. Die diskursmächtige, aber manchmal von fragwürdigen Redakteuren bearbeitete „Wikipedia“ verzeichnet da Folgendes:

Die volkswirtschaftlichen Kosten von Verkehrsunfällen beliefen sich für das Jahr 2003 auf etwa 32,2 Milliarden Euro[8], dagegen waren es 2004 30,9 Milliarden Euro[9], eine Tendenz, die sich nach den bislang vorliegenden Daten auch in den kommenden Jahren fortsetzen könnte.

Als Quelle der Zahlen ist hier eine Seite der „Bundesanstalt für Straßenwesen“ (BASt) angegeben. In einzelnen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts sucht man vergeblich nach Angaben der Kosten – z. B. in der „Unfallbilanz 2008“, dem „Qualitätsbericht – Statistik der Straßenverkehrsunfälle“ oder der „Unfallentwicklung auf deutschen Straßen“. Bei der Recherche für das Buch „Glotze fatal“ hatte ich hingegen eine Zahl für 2007 gefunden; Quelle: die BASt und das Statistische Bundesamt. Hier werden 62,2 Mrd. Euro Gesamtschaden, davon 48,8 Mrd. für Entschädigungen und medizinische Behandlungen von Unfallopfern, angegeben.

Addiert man hier noch Kosten von Staus hinzu, wird die Jahresbilanz des VDA deutlich übertroffen. So eine Meldung der „Rheinischen Post“ zu Berechnungen des Volkswirts Karl-Hans Hartwig und Äußerungen des Hauptgeschäftsführers des „Bundesverbands der Deutschen Industrie“ (BDI), Werner Schnappauf:

Der volkswirtschaftliche Schaden durch Staus sei mit 102 Milliarden eher noch zu niedrig angesetzt, sagte Hartwig.

Einbezogen sind darin der zusätzlich verfeuerte Kraftstoff, die Schäden durch den höheren CO2-Ausstoß und vor allem die Wartezeiten, wie der Forscher sagte. Pro Tag werden Schnappauf zufolge allein 30 Millionen Liter Kraftstoff im Wert von 50 Millionen Euro im Stau verschwendet.

Auch wenn man die volkswirtschaftliche Relevanz der Autoproduktion noch höher ansetzt als die Bilanz des Branchenverbands, sind die „Nebenkosten“ des Autoverkehrs durch Unfälle und Staus mit ca. 164 Mrd. Euro eine Größe, die so einige Schlagzeilen rechtfertigen würde.

RTL ist mit seinen 17% Marktanteil – und damit als derzeit erfolgreichster Programmanbieter – nur einer von mehreren Akteuren der zu 70% von den Privaten beherrschten TV-Landschaft, die für eine sinnlose Verausgabung von Ressourcen und immense Folgekosten auf Pump werben – direkt und indirekt, durch bezahlte Spots und, noch viel großflächiger, durch Raserei in allen Varianten von der Serie bis zum „Motorsport“.

Für die RTL-Zuschauer, die am Sonntagvormittag rechtzeitig aus dem Gottesdienst zurückgekehrt sind, hält der Sender um 11.20 h denn auch noch für 30 Min. das Finale des „Red Bull Air Race“ bereit. Beim Zuhören erhalten die Wortbeiträge – den realweltlichen Umständen solcher Aktivitäten entsprechend – etwas Endzeitliches. Kommentator Stefan Moser etwa, der dem Sprechtempo nach einen Kaffee getrunken hat, der auf dem Sender gar nicht beworben werden darf, über eine Szene aus dem Teambereich:

„Ja, was winken die da? Schneller wird er dadurch nicht. Aach, stand einer im Bild. Kann ich verstehn. Man will natürlich hier sich beim letzten Rennen nochmal alles ganz genau anschaun.“

Ein deutscher Teilnehmer muss sich mit dem 7. Platz zufriedengeben, ist etwas „enttäuscht“, aber dennoch begeistert vom Event:

„Es war’n sensationelles Wochenende mit den ganzen Zuschauern hier. Is einfach nur … der Wahnsinn.“ – Moderatorin Sandra Thier: „Vielen Dank, Matthias Dolderer. Und gleich, nach einer ganz kurzen Pause, sehen wir uns wieder mit den letzten beiden Flügen des Tages.“

Nachtrag 10.09.2010: Die oben erwähnte exorbitant höhere Angabe zu den Folgekosten von Verkehrsunfällen für 2007 auf einer Website von „mobile-car-communication.de“ dürfte daraus entstanden sein, dass die Autoren Zahlen von 2007 mit Kostenangaben aus anderen Quellen wie der in der „Wikipedia“ zitierten kombiniert haben. Dabei scheinen sie für alle Verletzten die hohen Kosten für Schwerverletzte angesetzt zu haben, obwohl die für Leichtverletzte sehr viel geringer sind, ihr Anteil an der Gesamtzahl der Verletzten aber erwartungsgemäß hoch. So ist das Endresultat wohl um ca. 30 Mrd. Euro überzogen.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. 15. Dezember 2010

    […] Kochs Vater Christoph startet als vierter Fahrer, folgend auf einen Fehlversuch des Sohnes, mit dem nächstgrößeren Fahrzeug – nach anderen Herstellern nun eine Audi-Limousine. (An anderer Stelle wies ich schon einmal auf Peer Schaders Recherchen zum Product Placement des Autoherstellers in „Wetten, dass..?“ hin.) Gottschalk dazu: „Was für ein Gefühl muss das für diesen Vater sein, wenn ihm sein eigener Sohn vor’s Auto läuft?“ So wird TV-Unterhaltung, was Teil einer Desensibilisierung gegenüber der mechanischen Gefahr für menschliche Körper genannt werden kann (hier schon am Serien-Format „A-Team“ besprochen.) […]

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