Wir haben nichts anderes vor als Sportgucken

Das Tagesprogramm der ARD vom 07.01.2012 hat eine einzige Überschrift – „Sportschau live“:

Dieser Tage war (hier und hier) schon von den Ablenkungsmanövern auf der politischen Szene selbst zu sprechen, mit denen die Aufmerksamkeit von den essenziellen Ereignissen in der Euro-Zone auf ein paar für Deutschland im Ganzen vollkommen unwichtige Kredit-Manöver von Bundespräsident Christian Wulff gelenkt wurden.

Eine der traditionsreichsten Methoden solcher Ablenkung ist die Berichterstattung über Profisport (siehe auch das Zitat hier), die über wenige Jahrzehnte nie gekannte Ausmaße erreicht hat.

Der Inhalt solcher Übertragungen besteht in einer starken Zeitdehnung, für die sich Moderator Matthias Opdenhövel schon reiflich im sportaffinen Show-Format „Schlag den Raab“ (Pro7) vorbereiten konnte, wie meine Video-Montage zum Thema „Organisierter Zeittotschlag“ zeigt:


Am 06.01.2012 versucht Opdenhövel, die Schwierigkeiten mit der Oberfläche der Absprungrampe bei der Vierschanzentournee zum Psycho-Thriller heraufzuschwatzen: „Ja, das ist natürlich eine Nervenschlacht heute …“ Gezeigt werden immer wieder Einzelheiten der Optimierungsbemühungen an der Eisbahn, dann Interviews mit Sportlern und anderen Beteiligten, die im Kern auch nur sagen können, dass sie halt warten müssen, und zum Ausbau des Gesprächsinhalts etwa gefragt werden, ob sie denn nicht genervt ob der Warterei seien und wie sie sich denn vorbereiten.

Interviewerin Julia (Nachname ist im Internet nachträglich nicht herauszufinden) nimmt im Gespräch mit Ski-Springer Gregor Schlierenzauer dessen ihr bereits bekannte Vorgehensweise bei der Einstimmung auf den Wettbewerb schon vorweg, indem sie seine Gedanken wiedergibt: „Ich muss bei mir bleiben, drumrum alles ausblenden …“ Das scheint auch das Motto einer auf Profisport eingestellten Öffentlichkeit zu sein, die sich in der zweckfreien, aber äußerst langwierigen Betätigung von Profisportlern spiegelt.

Moderator Opdenhövel forciert erwartungsgemäß mit dem Experten Dieter Thoma die Technik des Beredens eines nasskalten Nichts noch einmal:

Ach ja, das wird heute noch ein langer Nachmittag. Aber das Tolle ist ja, Dieter, a) haben wir nichts anderes vor, wir bleiben hier und hadern der Dinge und wir haben ja noch viel anderen Wintersport bei uns im Ersten und schalten jetzt ma rüber nach Altenberg zur Bob-EM und Tom Scheunemann.

Die Sehbeteiligung für diese in Moderationen als „Zirkus“ bezeichnete Veranstaltung reicht vom „Skeleton Weltcup: Damen“ um 9.13 h mit 1,03 Mio. Zuschauer über den „Biathlon-Weltcup 10km Sprint Herren“ um 14.30 h mit 4,47 Mio. zum „Zweierbob-Weltcup: Herren“ um 17.33 h mit 3 Mio.

Rechnen wir die 45 Min. des „Biathlon-Weltcup 10km Sprint Herren“ also einmal in wache Lebenszeit von 16 h täglich um, wurden hiermit einmal wieder 574 Lebensjahre verbracht, in denen auch etwas anderes hätte geschehen können. Aber zumindest in puncto Zeit heißt es offensichtlich noch: Wir ham’s ja!

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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