#Twitter oder X – es reicht (vorerst) mit Musks Launen

Hier eine Anmerkung ausgehend von einem seit längerem bestehenden technischen Problem von filmdenken.de (v. a. der Startseite) im Zusammenhang mit Elon Musks Umgestaltung von Twitter/X.

Die filmdenken-Startseite bestand nun über längere Zeit in einer Kombination von WordPress-Inhalten und Twitter-Einbettungen. Mir gefiel das gut, ich konnte aktuelle Kommentare schnell in Kurzform geben und auf der eigenen Seite zur Erscheinung bringen. Dies geht technisch nicht mehr, seit Elon Musk bei Twitter übernahm: Einbettungen dieser Art wurden deaktiviert, anschließend wohl nur für zahlende Kunden wieder freigeschaltet.

Milliardäre wie Musk dürften unterschätzen, dass Normal-Nutzer jetzt nicht bei Hinz und Kunz monatliche Abos für “nur” 10 Euro abschließen können. Unter größeren Wettbewerbern wie Musik-Plattformen, Zeitungs-Websites, erst recht aber den zahllosen emsigen Einzelkämpfern, die ihre Zuhörer, -schauer und Leser zu Patreon für eine regelmäßige Förderung zu locken versuchen, müsste man je nach eigener Finanzkraft eine Auswahl treffen. Rein statistisch sollte jedem kühlen Rechner klar sein, dass das deshalb auch für die größeren Anbieter nur eingeschränkt funktioniert. (Natürlich bleibt es dabei beim the winner takes it all – große Anbieter haben immer noch am meisten Zulauf und trampeln die Kleinsten unweigerlich platt.)

Was Musk da tut, mag also in mancher Hinsicht betriebswirtschaflich naheliegend sein; visionär und dem besseren Geist des Internets entsprechend  ist es keineswegs. Eine Monetarisierungs-Idee wie blaue Häkchen nur für zahlende Nutzer konnte man noch durchgehen lassen. Diese per Algorithmus unweigerlich zuoberst in den Timelines der Empfänger ranken zu lassen, unterläuft aus meiner Sicht das, was die Plattform bisher so interessant machte. (Mein Unverständnis galt seit jeher der deutschen Öffentlichkeit, die das so viel weniger nutzte als Facebook.) Mich interessiert, was zu einem Thema gesagt werden kann, und nicht, wer auf X einen blauen Haken bezahlen kann. Wer die Plattform so umgestaltet, macht sie kaputt – und ich fürchte, dieser Punkt ist nun schon irreversibel erreicht.

Nun wird auch noch experimentiert mit Bezahl-Modellen für Basis-Funktionen:

Zunächst in Neuseeland und auf den Philippinen können neue Nutzer des Dienstes erst mit einer Gebühr von einem US-Dollar pro Jahr Beiträge veröffentlichen sowie Posts anderer zitieren oder weiterverbreiten. Kostenlos kann man X nur passiv nutzen: Beiträge lesen, Videos ansehen, anderen Nutzern folgen.

https://www.bz-berlin.de/welt/twitter-nachfolger-x-testet-einschraenkungen-fuer-gratis-nutzer

Der zitierte Artikel erläutert, warum das schon rein praktisch zu den erwähnten Anliegen der Spam-Bekämpfung eine Milchmädchen-Rechnung sein könnte. Es zeigt im Übrigen aber auch die äußerst ungute Tendenz der digitalen Feudalherren an, eines überhaupt nicht ins Kalkül zu ziehen: Die Nutzer solcher Plattformen sind nicht nur Konsumenten, sie sind schon durch ihre reine Anwesenheit ein Asset; sobald sie etwas beitragen, auch noch aktive Mitarbeiter.

Mitarbeiter auch noch dafür zahlen zu lassen, dass sie arbeiten dürfen – das ist eine der Grundtendenzen dieser schönen neuen digitalen Welt. Ob sie zugunsten von Multi-Milliardären auf Dauer gestellt werden kann, halte ich für zweifelhaft.

Dass die Gratis-Mentalität des Internets ihre zerstörerischen Seiten hat, versteht sich. Aber in einer menschlichen Verhältnismäßigkeit halte ich sie für eine geringere Sorge als die Begehrlichkeiten irgendwelcher Investoren, deren Eigeninteressen nun einmal an erster Stelle nichts mit Geisteskultur zu tun haben, sondern mit ihren eigenen Luxus-Bedürfnissen, ihrer Machtgier und teilweise auch ihrer Gedankenlosigkeit, mit der sie schließlich sogar ihr eigenes Geschäftsmodell zerstören.

Im Fall von Musks X ist für mich erstmal die Konsequenz, dass ich nach einem Vorversuch die Einbettung auf der Startseite auf Mastodon umstelle. Die Wiedergabe der dortigen Messages ist leider grafisch weniger ansprechend. Posten werde ich solange parallel auch auf Twitter, solange das kostenlos ist.

Es sind weitgehende Restriktionen des Internet-Betriebs je nach Zeitumständen denkbar. Derzeit quillt es immer noch über vor endlosen, bei guter Auswahl auch wertvollen Inhalten. Dass jemand, der immer 10.000 Artikel im RSS-Reader hat und noch andere Plattformen nutzt, ein Problem hätte, sich täglich mit interessantem Content heillos zu überfordern, sollte ein Musk doch nicht annehmen. Sollte er darauf angesetzt worden sein, die neben Facebook mächtigste Plattform zur selbstbestimmten Veröffentlichung, Verbreitung, Vernetzung und Findbarkeit zu zerstören, darf man ihn als einstweilen sehr erfolgreich bezeichnen.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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