Die übertragungswürdige Fragwürdigkeit des Sieges
Der flächendeckenden Sport-Berichterstattung gesellt sich die flächendeckende Doping-Debatte hinzu. Am 02.08. ging es hier um diesbetreffende Kommentare zur Leichtathletik-EM im Barcelona. Am Nachmittag des heutigen 10.08.2010 muss man nach dem zufälligen Einschalten der ZDF-Übertragung von der Schwimm-EM in Budapest um kurz nach 4 keine Viertelstunde warten, um den nächsten ausführlichen Exkurs des Reporters zu gewärtigen.
Der spanische Sieger über 50 Meter Schmetterling, Rafael Muñoz Pérez, hatte es im Vorfeld des Turniers geschafft, für drei Dopingtests als entschuldigt abwesend zu gelten. Im ZDF-Bericht werden Einzelheiten kolportiert: seine Mutter verstehe kein Englisch und habe die Briefe des Weltverbands Fédération Internationale de Natation (FINA) nicht lesen können; der Schwimmer sei mit einem Wohnwagen unterwegs und deshalb nicht zu erreichen gewesen.
Dies sind Beispiele dafür, warum es Comedy, die so genannt wird, in unseren Tagen so schwer hat: Akteure wie Muñoz sind einfach konsequenter. Originell im medialen Kontext auch die Wohnwagen-Geschichte, die an das Konzept der US-Serie „Breaking Bad“ (2008ff.) erinnert – der Held betreibt in einem Wohnmobil eine Drogenküche.
Während Muñoz auf das Siegertreppchen steigt, entzieht der ZDF-Kommentator dem als glanzvoll intendierten Moment simultan seinen Realitätscharakter:
Die FINA hat also von einer Strafe abgesehen. Könnte aber gut sein, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur die Sache vor den internationalen Sportgerichtshof bringt, und dann müsste er – bei entsprechend anderem Urteil – seinen Europa-Meisterschaftstitel, für den er jetzt gefeiert wird, zurückgeben.
Ein Interview mit der Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbands, Christa Thiel (hier in der ZDF-Mediathek), lässt das Thema die Szene noch mehr bestimmen, bringt jedoch keine Klarheit. Die Dame kennt die ausführliche Begründung der FINA noch nicht (ist aber vermutlich des Englischen mächtig). Thiel:
Wenn er zweimal derartige Leistungen bei der Weltmeisterschaft erbracht hat 2009, gehört er zum „RTP“ [„Registered Testing Pool“], d. h., das ist der höchste Test-Pool der Welt. Und dieser Test-Pool ist auch Maßstab für die nationale Anti-Doping-Agentur Spaniens. D. h., er muss, das ist denkgesetzlich unmöglich, dass er dort nicht im höchsten Test-Pool ist, sodass es ja dann auch Tests gegeben haben muss, äh, der nationalen Anti-Doping-Agentur. Entweder waren die erfolgreich, sprich: Man hat ihn gefunden, oder es gab gar keine. Also – es wirft zumindest einige Fragen auf.
Lobenswert, dass das ZDF sich so ausführlich um die „Fragen“ kümmert. Sie wirken wie Erosionserscheinungen in einem vormals ehernen und ruhmreichen Szenario. Noch während der Worte Thiels sehen wir Fotografen den grinsenden Sieger ablichten, was so den Charakter einer kriminellen Inszenierung erhält – im laufenden Live-Programm.
Allerdings bleibt es bei diesem Hauptereignis bei den zweifelnden Fragen. Von einer Pressekonferenz ist die Rede, auf der sich Muñoz unbequemen Fragen werde stellen müssen. Wann und wo diese stattfindet, wer sie überträgt oder zumindest nachträglich über sie berichtet – erfahren wir hier nicht. Eine Google-Anfrage mit „muñoz pressekonferenz schwimm-em“ hilft auch nicht weiter. Hauptsache, wir haben gezweifelt.
Dass man im Umfeld einer Europameisterschaft nicht im Vorhinein auf einen solchen fragwürdigen Fall aufmerksam wird und Unklarheiten darüber ausräumt, ob ein Schwimmer aus dem „RTP“ denn nun überhaupt getestet worden ist oder nicht, wäre eine ebenso notwendige Frage.
Und insgesamt ist dies eins von vielen Beispielen, dass es dem Profisport mit seinem „Doping-Problem“ so geht wie vielen anderen Funktionsbereichen der Gesellschaft: Irgendetwas ist in Gang gekommen und hat hohe Geschwindigkeit erreicht. Man kann und/oder will es (noch) nicht stoppen, obwohl man merkt, dass es nicht so weitergeht.
In einem ZDF-Website-Bericht aus Agenturmeldungen liest sich dies so:
Munoz war trotz drei verpasster Dopingtests um eine Sperre durch den Weltverband FINA herumgekommen. . “Ich bin sehr glücklich über diesen Titel. Ich habe ein reines Gewissen und habe mir nichts vorzuwerfen”, sagte er.
Vielleicht ist der überflüssige Punkt vor den Anführungsstrichen genau jener, den man an anderer Stelle erst einmal setzen müsste.
Letzte Kommentare