Nazan Eckes als Integrationswunder und Propagandaproppen

Ein aktuelles Interview von „TomBoSphere“ widmet sich der RTL-Moderatorin Nazan Eckes. Gegenstand des Gesprächs ist ihr Buch „Guten Morgen, Abendland. Almanya und Türkei – eine Familiengeschichte“, das 2010 erstmals erschien.

An diesem Interview fallen einige Widersprüche auf, die auch auf den ersten Seiten ihres Buches deutlich werden (s. u.): Irgendwie scheint Eckes alles unter einen Hut bringen zu wollen: Deutschland, Türkei, Tradition, Moderne, Familie, Fernsehen, Islam, Sexyness. Und sie bewegt sich dabei in einem Umfeld, das es nicht gewohnt ist, an irgendetwas, und schon gar nicht einem gut gemeinten Beitrag zur Völkerverständigung, Kritik zu üben.

Ich greife mal zwei Sätze heraus, die zum Kernbestand von Debatten über Nationalität und Integration zählen. Eckes resümiert zum einen die Erziehung durch ihre Eltern, was ihre Herkunft betrifft, im Interview: „Wir haben gesagt: Türkei ist ein tolles Land. Es ist schön, aus so einem Land zu stammen. Man muss sich für nichts entschuldigen oder rechtfertigen.“

Damit wären wir gleich bei einem Knackpunkt, der den Umgang mit Zuwanderung in Deutschland betrifft: In Türken treffen wir auf eine Volksgruppe mit einem starken Nationalbewusstsein. Eckes tritt als Medienprominente hingegen in ihrer neuen Heimat auf, dessen Bevölkerung die gesamte Nachkriegszeit hat lernen müssen: Deutschland ist schuldig, wir sind ein Volk von Völkermördern. Ein solcher Satz ist aus dem Munde eines deutschen Promis vollkommen undenkbar: „Man muss sich für nichts entschuldigen oder rechtfertigen.“

Die in Köln geborene Eckes hingegen darf dies über das Geburtsland ihrer Eltern sagen. Warum? – Ja, warum nur?

Die Antwort lautet: Frau Eckes weiß scheinbar nicht, wovon sie redet. Sie könnte über den Völkermord in Armenien 1915/16 nachlesen und müsste eine solche Äußerung korrigieren. Es gibt andere Prominente, die sich für eine Organisation wie „Amnesty International“ einsetzen. Sollte dies nicht dazu führen, dass mehr Menschen – und zumal solche, die diesbezügliche Äußerungen tätigen wie Eckes und selbst medienwirksam sind – sich mit den Ergebnissen der Arbeit von Amnesty beschäftigen? Man liest dann den Länderbericht zur Türkei für 2011:

Im Berichtsjahr wurden weder die versprochene Verfassungsreform noch andere angekündigte rechtliche Reformen in Angriff genommen. Stattdessen war das Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht, und Demonstrierende sahen sich mit zunehmender Polizeigewalt konfrontiert. Tausende von Strafverfahren auf Grundlage der vage und breit gefassten Antiterrorgesetzgebung erfüllten nicht die Standards für ein faires Verfahren. Bei mehreren Bombenanschlägen kamen Zivilpersonen ums Leben. Es gab keine Fortschritte bezüglich der Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung. Die Rechte von Minderjährigen im Justizsystem waren nicht ausreichend geschützt. Auch die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden sowie von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern waren noch immer nicht gesetzlich abgesichert. Es fehlte weiterhin an präventiven Maßnahmen, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.

„Man muss sich für nichts entschuldigen oder rechtfertigen“, sagt dazu Frau Eckes. Gemessen an den Standards, die hier für deutsche Diskursteilnehmer gelten, dürfte man sie demzufolge getrost als Faschistin bezeichnen: Sie hält pauschal Merkmale eines Unrechtsstaates nicht für kritikwürdig. Wäre es unmöglich, zu sagen: „In der Türkei läuft etwa im Hinblick auf Menschenrechte einiges schief, aber sie ist trotzdem ein schönes Land mit sehr herzlichen Menschen“? Stattdessen hilft Eckes dabei, ein historisch undifferenziertes türkisches Selbstbild der Familienseligkeit (und allenfalls noch in Deutschland zu Unrecht misstrauisch Behandelten) zu stabilisieren.

Vielleicht ist Nazan Eckes so unbedarft, dass sie türkische Probleme mit Menschenrechten übersieht. Das entbindet jedoch nicht von der Frage, welche Rolle sie im bundesdeutschen Medienzirkus spielt. Sie stellt einen Frauentyp vor, der in der türkischen Community wohl noch eher unterrepräsentiert ist: Vertreterin eines nach außen hin vollkommen ‚verwestlichten‘ Lebensstils, freizügig in der Kleidung und – laut Wikipedia – mit gut Mitte 30 noch kinderlos.

Klar, dass im lockeren Tonfall auch auf Gegensätzlichkeiten von Ansichten und Lebensstil im Vergleich Deutschland/Türkei angesprochen wird. Eckes bekennt daraufhin, Ihre Großmutter möge „es immer noch nicht, wenn ich ein zu tiefes Dekolleté trage oder einen zu kurzen Rock, was ich aber auch auf dem Land in der Türkei niemals tun würde – aus Respekt.“

Während jeder deutsche Promi, auf seine Nationalität angesprochen, schnell bei deutscher Schuld angekommen wäre, wenn er nicht gar in einem Holocaust-TV-Drama mitgespielt hätte, führt die Reise ins türkische Selbstbewusstsein sofort zu einem ganz anderen Zauberwort: „Respekt“. Sind im deutschen Bewusstsein alle Angehörigen der Großeltern-Generation Nazis und deutsche Tradition mit größtmöglicher Distanz zu beurteilen, ja, „deutsch“ als Begriff schon fragwürdig, ist im Umgang mit dem Islam auf dieser öffentlichkeitswirksamen Ebene immer wieder zu beachten: ‚Es gibt Dinge, die man nicht anzweifeln darf.‘

Nazan Eckes’ diesbezügliche Aussage ist Dokument einer Spaltung: Man kann nicht vor etwas Respekt haben, das man selbst für Unsinn hält. Entweder, man lebt die Prinzipien, die man selbst vertritt, offen aus und macht anderen deutlich, dass sie diese Prinzipien ebenso zu respektieren haben. Oder man übernimmt andere Prinzipien, weil man sie für richtiger hält. Im Fall von Frau Eckes’ Oma hieße dies: Man kleidet sich selbst, wie es einem gefällt, und macht dem anderen auch keine Vorschriften darüber. Man gibt dem anderen jedenfalls nicht durchweg das Gefühl, er sei im Recht, wenn man anderer Meinung ist.

Das muss an dieser Stelle gesagt sein, weil hierin eine entscheidende Ambivalenz der öffentlichen Rolle von türkischstämmigen Frauen wie Nazan Eckes besteht: Sie tritt für die türkische Community auf, maskiert aber die Bedeutung und die Absichten des Islams. Sie suggeriert, ein ‚westlicher Lebensstil‘ – oder sagen wir eher: ein von Massenmedien geprägter Lebensstil der Nachkriegszeit – könne relativ konfliktfrei mit dem Islam verbunden werden, wenn man nur an der richtigen Stelle ohne weitere Fragen „Respekt“ zeige. Das von ihr angeführte Beispiel demonstriert jedoch das Gegenteil: Der Tradition des Islams allein sei im Zweifelsfall „Respekt“ zu zollen.

Ob dem tatsächlich so ist, müsste man in einer demokratischen und pluralistischen Öffentlichkeit eigentlich nachhaltig diskutieren. Nach meiner Beobachtung passiert dies aber kaum je. Und Frau Eckes ist keine typische und überzeugte Vertreterin des Islams. Sie ist eine Kunstfigur derjenigen, die einen Sender wie RTL organisieren, mit Blick auf ein junges türkischstämmiges Publikum, nicht zuletzt aber auch mit Blick auf ein deutsches Publikum, das nur sehr eingeschränkten Kontakt zu Türken hat, dem aber die nahezu vollkommene Assimilation von muslimischen Migranten als realistische Möglichkeit an einem nicht-repräsentativen Beispiel vorgeführt und einsuggeriert wird.

Blättert man in Nazan Eckes Buch „Guten Morgen, Abendland“ hinein, setzt sich dieser Eindruck nahtlos fort. Dies sei als letztes Beispiel hier angeführt. Das erste Kapitel singt das Hohelied des samstäglichen Frühstücks als Höhepunkt eines erfüllten Familienlebens. Zur Charakterisierung ihrer Mutter wird deren Fähigkeit, den Einkauf von Lebensmitteln zu organisieren, hervorgehoben, gipfelnd in dem Satz: „Denn für uns zu kochen war und ist ihr Leben.“ (S. 14)

Wir warten jetzt einmal darauf, dass Nazan Eckes in einer Talkshow auf überzeugte Vertreterinnen von – an deutschen Unis derzeit großflächig gelehrten – „Gender Studies“ trifft und ihnen dieses Frauenbild genauer erklärt. Es wäre sicher amüsanter als jeder Comedy-Versuch der Gegenwart. (Oder haben Theorie und Realität nichts miteinander zu tun?) Aber diesen Genuss echter Demokratie und repräsentativer Öffentlichkeit wird man uns wohl nicht gönnen. Stattdessen moderiert Eckes „Explosiv – Weekend“ (nicht zu verwechseln mit diesen komischen „Bombenanschlägen“ im Amnesty-Bericht) und beglückt eine rapide schrumpfende deutsche Stammbevölkerung mit Neuigkeiten aus der Glitzerwelt der Massenmedien und des Geldadels.

Es bedarf einmal wieder des Nutzer-Kommentars, um das zu fragen, was eigentlich sog. ‚kritischen Journalisten‘ permanent einfallen müsste, wenn sie ihren Kollegen vom Privatsender begegnen. „NokturnalTimes“ fragt sich auf der „YouTube“-Seite des obigen Interviews (unkorrigiert wiedergegeben):

Schämt Sie sich nicht für RTL zu arbeiten? Einem Sender der systematisch Menschen für die Quote vorführt und verarscht? […] Ziemliches Wohlfühlinterview, anstelle des Gequarkes über ihre Familie, hätte man mal lieber ihren Job genauer hinterfragen sollen, auch wenn sie sich dann nicht so wohl gefühlt hätte.

Einstweilen halten wir also diese Mischung nochmal fest: Deutschland wird sich bei der herrschenden Geburtenziffer in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr über Wasser halten können. Die voraussichtlich weiter anwachsende türkische Community lebt noch in relativ starker Isolation, wie etwa das Fazit einer 2011er Studie des Meinungsforschungsinstituts Liljeberg (neben anderen, positiveren Aspekten) besagt:

Allerdings ist dennoch bei einem nicht geringen Anteil der Befragten eine religiöse Intoleranz zu verzeichnen, die für die Integration hinderlich ist. Dies betrifft zwar ganz überwiegend den familiären Bereich, hemmt aber gerade dadurch die Entwicklung der eigenen Kinder ebenso wie den Kontakt zur deutschen Mehrheitsgesellschaft. In der Folge kommt es zu einer verstärkten Hinwendung zur eigenen Community, zu verbreitetem Desinteresse an der deutschen Umwelt bis hin zur Ablehnung von Anders- oder gar Ungläubigen.

Man fragt sich in diesem Sinn, welche Funktion eine Nazan Eckes in diesem Szenario hat: Soll sie jüngere Türkinnen animieren, sich an ihr ein Beispiel zu nehmen und in Konflikt mit ihrem familiären Umfeld zu geraten? Ist das popkulturelle Programm, das Eckes auf RTL vertritt, ein erstrebenswerter Ersatz für ein zumindest demografisch weit überlegenes Kulturmodell der Türkei? Was wird den sich als ‚deutsch‘ oder ‚westeuropäisch‘ verstehenden Zuschauern von RTL hier für ein Bild des Islams vermittelt? Ist dieses Bild realistisch oder verdeckt es Konflikte, die eigentlich bearbeitet werden müssen, wenn sie nicht zu unkontrollierten Konfrontationen führen sollen? Hindert es Westeuropäer nicht auch daran, die herrschende Tendenz zur Islamisierung auf demografischer Basis zu begreifen? Hält die scheinbare Anpassung an ein scheinbar vorzuziehendes ‚westliches‘ Lebensmodell nicht auch die Deutschen davon ab, darüber nachzudenken, was an RTL falsch ist?

Eines steht jedenfalls fest: So geht es nicht weiter.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. Sabine sagt:

    Ich habe das Gefühl, dass alles, was Nazan Eckes in dem zitierten Filmbeitrag hätte sagen oder nicht sagen können, falsch gewesen wäre. Man kann jedes Wort auseinanderpflücken, hinterfragen, in irgendwelche nicht gesagten Zusammenhänge bringen und es anschließend als unpassend deklarieren. Frau Eckes ist anzuraten, sich künftig bei Interviews zurückzuhalten. Nicht etwa deshalb, weil sie nichts zu sagen hätte, sondern aus Eigenschutz, um anschließend nicht diffamiert zu werden.

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