V. Klimawandel im Bildersturm

30.04.2007


Die Katastrophenmeldungen des Öko-Diskurses reißen nicht ab. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat - nach jahrzehntelangem Schlummer ihrer Partei mit industriefreundlicher Hinhaltepolitik - den vermeintlichen Ernst der Lage erkannt und verkündet in öffentlichen Statements, es sei nun schon "fünf nach zwölf", was Aktionen gegen die Klimaveränderungen betreffe. Claudia Roth (Die Grünen) nennt sie dafür in Pressekonferenzen die "Klima-Queen", die sich recht spät der Parolen jener politischen Gegner bedient, die mit solchen Inhalten bis vor kurzem nur zaghafte Publikumserfolge erzielen konnten.

Die BILD-Zeitung schreibt gelegentlich etwas von "Klima-Schock" oder "Patient Erde", lässt das Thema dann aber wieder wochenlang liegen und widmet sich lieber ausführlich der "Formel 1" und der Frisur von Britney Spears. Was die individuelle Wahrnehmung betrifft, kann man als Nicht-Meteorologe höchstens mit Sicherheit sagen: Seit ca. 10 Jahren bleiben die verschneiten Winter aus, in denen man als Kind noch Schlittenfahren ging. In den letzten Jahren setzt der Sommer immer früher ein und erreicht tropische Temperaturen auch im zuvor nicht gerade wärmeverwöhnten Deutschland. Gefühlter Klimawandel besteht also, und die in der Presse kolportierten Aussichten sind grauselig: nicht kalkulierbare Konsequenzen im Öko-System, Wassermangel, Gesundheitsschäden bei Menschen z. B. im Bereich Kreislauf und Allergien etc.

Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat einen Aktionsplan vorgestellt, der Deutschland zum Vorreiter in der Reduktion von Energieverbrauch und CO2-Ausstoß machen soll. So weit, so gut.

Die Frage bleibt, ob sich das Konsumverhalten der Massen entsprechend entwickeln wird. Mit gesetzlichen Vorschriften und Öko-Steuern könnten dabei wirtschaftliche Zwangssituationen enstehen, in der die Umweltverpester nicht mehr anders können als nicht zu verpesten. Beobachtet man die Diskussionen um benzinsaufende Fahrzeuge, stimmen die Schachzüge zu ihren Gunsten jedoch schnell skeptisch: zu ausgefeilt ist wohl das Lobbying der Autoindustrie, zu schwierig auch die Antwort auf die Frage, wie welche Arbeitsplätze erhalten werden können, wenn nicht durch sinnlosen Energieverbrauch in großen Spielzeugen, die Autos zu einem bestimmten Prozentsatz sind. Welche Institution wird wohl einmal eine Statistik finanzieren, die Auskunft darüber gibt, wie viele Spaß-Fahrten es gibt? Wie ist die Reglementierung von individuellem Verhalten denkbar, wenn nicht durch Eingriffe in eine sakrosankte Entscheidungsfreiheit - die aber letzlich ein Verbrechen an den eigenen biologischen Nachfahren ist, wenn sie deren Lebensgrundlagen zerstört?

Blickt man in kulturelle Begleitumstände dieser Debatte, stellt sich jedenfalls der Verdacht ein, dass es zu nachhaltigen Veränderungen ein steiniger Weg sein wird. Die Zeitökonomie der öffentlichen Berichterstattung beschränkt die Hinweise auf die katastrophischen Tendenzen des Öko-Systems auf ein Minimum - einzelne Nachrichten und Spartenprogramme (siehe etwa die Erläuterungen zur TV-Tierkultur auf dieser Website), die man als Zuseher beliebig wegschalten kann.

Vollendeter Wahnsinn im Verhältnis zur seriösen Debatte stellt sich etwa im Programm des Nachrichtensenders "N24" ein. Während eine vernünftige Maßnahme die massen- und dauerhafte Bewerbung alternativer Fortbewegungsmittel wie des energieneutralen Fahrrards wäre, existiert dieses feine technische Gerät im Fernsehen v. a. durch den Radsport. Und dieser ist in - man muss schon sagen: - den letzten Jahren prominenter wegen der Meldungen über Fälle von Doping denn wegen sportlicher Leistungen. Letztere werden - auch nachträglich - zunehmend in ihrer Sportlichkeit in Frage gestellt und vielmehr als Drogeneffekte deutlich. Weil die berichterstattenden Massenmedien und ihre z. T. korrupten Funktionäre ein starkes Interesse an der Vermarktung von Radrennen haben, wird die Absurdität der Veranstaltung selten und selten ausführlich deutlich ausgesprochen: Millionen von kaffee- und biertrinkenden Zuschauern vor TV-Bildschirmen, hechelnde, gedopte Körper auf Rennrädern. Dieselben Millionen, die sich Fahrräder im Fernsehen ansehen, sieht man jedoch selten selbst Fahrrad fahrend im Stadtbild, wo sie lieber vereinzelte Radfahrer totfahren oder alle paar Jahre Parteien wählen, die sich für Benzinverbrauch, den Zerfall urbaner Strukturen und gegen Fahrradwege einsetzen.

Schön illustriert diesen Zustand ein Bild aus den "N24 Nachrichten" mit Moderator Norbert Anwander vom 30. 4. 2007:


N24 - Nachrichten
Moderator Norbert Anwander und Doping-Meldung

N24

Anwander verliest die Meldung über den italienische Rad-Profi Ivan Basso, der von seinem Rennstall "Discovery" wegen "Dopingverdachts" suspendiert worden ist. Dies ist die letzte Meldung, und der Moderator leitet über zum Wetterbericht. Dieser beginnt mit einer Werbung des Billigfliegers "Air Berlin":


N24 - Nachrichten
"Air Berlin"-Werbeclip vor dem Wetterbericht

N24

In der Abfolge von Nachrichten und Bildern folgt also auf den vermutlich gedopten Fahrradfahrer im TV-Bild die von einer Werbeagentur designte dynamische Einstellung eines Flugzeugs. Werbeträger dieses Programms ist also eine Firma, der die ökologisch orientierten Kräfte in unserer Gesellschaft vorwerfen, sie erhöhe durch Dumpingpreise die Zahl derjenigen, die sich - gerade im Kurzstreckenbereich - für einen Flug anstelle weniger energieintensiver Fortbewegungsmittel entscheiden. (Siehe dazu etwa eine Presseerklärung des BUND, ein Interview der Umweltbundesamts oder eine Meldung der "tageszeitung".)

Glaubt man der Klimaforschung, leitet also die Produktwerbung einer Firma den Wetterbericht ein, für deren veränderten Inhalt z. T. jene Art von Industrie und ihre Konsumenten verantwortlich sind, die ihn nun mitfinanzieren. Die Wetterkarte zeigt das wolkenfreie Deutschland im April 2007:


N24 - Nachrichten
Wetterkarte

N24

Die Temperaturen sind nicht so hoch wie in den letzten Tagen. So kommentiert die Wetter-Moderatorin Petra Schuller: "An Höchstwerte von maximal 24 Grad muss man sich nach der heißen Zeit erst wieder gewöhnen, aber glauben Sie mir - das ist um diese Jahreszeit echt gesünder." Solche Worte sind ein Beispiel von vielen, wie das Journalistische ins Seelsorgerische kippt: Hier wird die merkliche Klimaveränderung - von der uns erzählt wird, sie sei auf unser Konsumverhalten zurückzuführen - als leidiger äußerer Umstand sprachlich verfremdet. Nicht der kausale Zusammenhang von Umweltverschmutzung und Hitzewelle lässt sich hier noch erahnen, sondern das Wetter erscheint eher als ein von allem anderen unabhängiger äußerer Umstand, an den man sich eben irgendwie "gewöhnen" muss. Das letzte Wort des Sinnabschnitts entlässt die Zuhörer dann mit einem positiven Akzent ("gesünder") - wenn man das "ge" und nicht den "Sünder" hören will.

Interessant ist dabei nicht nur die Gestik der Moderatorin (siehe das folgende Bild), sondern auch die maskenhafte Kulisse, vor der sie posiert. Dies wird in einer schematischen Nachbearbeitung deutlicher; als unbewusster Effekt anthropomorphisierter Bildwelten muss ein solcher Effekt weiter diskutiert werden. (Zu Maskenstrukturen in Filmbildern siehe hier auch einen thematischen Essay.)


N24 - Nachrichten
Wetterfee Petra Schuller und der schematische Background der Studio-Deko

N24

Auf den Wetterbericht folgt dann die Magazinsendung "Studio 24". Deren erster Bericht führt auf die "Essener Motor-Show". Moderatorin Claudia von Brauchitsch verkündet: "Jedes Jahr pilgern Tausende von Auto-Verrückten ins Ruhrgebiet, um Autokult extrem zu erleben." Nach dem Schnitt folgt dann das folgende linke Bild: Tänzerinnen bereiten sich in ihrer Garderobe auf ihren Striptease neben Automobilen der Tuning-Leistungsschau vor. Die leicht be- und zunehmend entkleideten jungen Damen sind ein Leitmotiv des Berichts.


N24 - Nachrichten
Wetterfee Petra Schuller und der schematische Background der Studio-Deko

N24

Auch wenn für ein paar Sekunden "Eco Tuning" und ein Chip das Thema ist, der bis zu 1,5 Liter auf 100 km einsparen soll - das Interesse der Besucher liegt, wenn nicht bei den weiblichen Körpervorführungen, dann offensichtlich bei der kostenintensiven Ausstaffierung des geliebten Automobils mit allerlei Zubehör. Kommentartext: "4,4 Milliarden Umsatz in diesem Jahr - und ein Ende des Wachstums ist vorläufig nicht abzusehen." Unmittelbar darauf folgt eine Einstellung, in der am Ende einer kurzen Fahrt nach rechts deutlich der Bestandteil eines Auto-Tunings aus Neonröhren ins Bild gerückt ist. Leuchtend prangt die Zahl "666" im Bild - die Zahl des teuflischen Tiers aus der biblischen Apokalypse, mit der so viele Horror-Fabeln das Satanische anrufen.

Es fällt schwer, hier noch interpretatorisch zu Werke zu gehen: Der Auswuchs der Auto-Kultur erklärt sich selbst - in diesem Fall als Teufelskult. Jedenfalls spielt er mit dessen Symbolen, und nach dem Kenntnisstand der öffentlichen Debatte haben wir es beim Verbrauch fossiler Brennstoffe ja mit etwas zu tun, das unsere Welt nachhaltig schädigt - und damit, wenn man in der religiösen Symbolik argumentiert - 'Teufelswerk' ist.

Eine "Wertedebatte", wie sie Kanzlerin Merkel zu Beginn ihrer Amtszeit einmal einforderte, hätte sich mit so etwas wohl zu befassen und auch die praktischen - z. B. gesetzgeberischen und pädagogischen - Konsequenzen daraus zu ziehen. So lange massenhaft wirksamer öffentlicher Diskurs und politische Absichtserklärung derart divergieren, hat der Teufel allzu leichtes Spiel.


Daniel Hermsdorf

Fernsehen > Stream of Unconsciousness

filmdenken.de-Index

  filmdenken.de-Index