#Wikipedia-#Zensur am Beispiel Billy Wilder

Vorhin kam es mir in den Sinn, nach der Bereinigung der Wikipedia von nahezu allen Hinweisen auf meine Person wieder einmal unter “Billy Wilder” nachzusehen. Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht mit der Gründlichkeit der Zensoren gerechnet, die aus irgendwelchen Gründen hier herumaasen – aus inhaltlich nachvollziehbaren jedenfalls nicht.

Die Hauptsache ist, dass in eine Literaturliste mein Buch “Billy Wilder. Filme – Motive – Kontroverses” (2006) gehört. Wer nicht ganz verblödet ist, wird kein Argument finden, warum dies nicht hier enthalten sein muss. Denn es ist die einzige wissenschaftlich anspruchsvolle Studie über das Werk dieses Film-Regisseurs. Fast alles andere sind nur Ansammlungen trivialer Anekdoten zu Biografie oder Dreharbeiten. Das einzige Buch mit ausführlicherem interpretatorischem Zugang zu den Filmen selbst ist das von Neil Sinyard und Adrian Turner (1980), und zwar eher auf einer sozialhistorischen Ebene, Filme als Spiegel der Zeit. Noch davon ist meine historisch-biografische sowie zeichentheoretische Lesart der Filme in ihrer Tiefenstruktur recht weit entfernt.

Von meinem Buch bereinigt wurde die Literatur-Liste am 30.04.2017. Der Nutzer “Retributive” hatte auch meinen kurz darauf gelöschten eigenen Personen-Eintrag bearbeitet. Bei der damaligen Lösch-Diskussion hatten die Diskutanten zu mehreren z. B. die Rezensionen meiner Bücher in wissenschaftlichen Fachzeitschriften für irrelevant erklärt – eine in “Rundfunk und Geschichte” von Claudia Lillge zu dem Billy-Wilder-Buch, das freundlich auch der renommierte Filmkritiker und -historiker Georg Seeßlen im “neuen deutschland” besprach.

Knapp fünf Monate später fühlte sich ein weiterer Redakteur des Online-Lexikons zu dieser Löschung bemüßigt:

11:01, 20. Sep. 2016‎ Andropov (Diskussion | Beiträge)‎ . . (34.085 Bytes) (-277)‎ . . (ein Interview aus Weblinks in neuen Abschnitt Gespräche sortiert, drei entfernt: weder der Blog noch der Autor des Films sind vom Feinsten, siehe https://filmdenken.de/geloeschter-wikipedia-eintrag-ueber-daniel-hermsdorf/)

Hier geht es offensichtlich um meine frei zugängliche Film-Dokumentation “Skeptische Nachrichten aus einem filmischen Exil”, in der Hauptthesen des Buches wiedergegeben sind. Falls auf arte mal etwas Aussagekräftigeres zum Thema Film-Ästhetik läuft, bin ich für Hinweise dankbar.

Ich will jetzt hier nicht lange weiter herumheulen. Mir geht es dabei wirklich auch nicht nur um meine Person, aber sie scheint mir – einmal ganz unbescheidenerweise – als durchaus prägnantes Beispiel. Was im Fall meines Billy-Wilder-Buches gelöscht wurde, ist wirklich das Einzige, was Lesern einen Zugang zur filmkünstlerischen Schöpfung über den bloßen Inhalt und vielleicht noch etwas Dramaturgie der Filme hinaus eröffnet.

Wilder selbst warnte den Hollywood-Regisseur Cameron Crowe im gedruckten Text von dessen Interview-Buch, es werde doch “nur Unsinn” darin stehen – ein eindeutiges Zeichen, wie oberflächlich und ahnungslos aus Sicht des betagten Veteranen Wilder noch Branchen-Insider wie Crowe sind. Zu dem deutschen Journalisten Hellmuth Karasek sagte Wilder nach vielen Stunden Interview (ich zitiere aus dem Gedächtnis dessen Buch “Nahaufnahme”): “We didn’t even scratch the surface of my caleidoscopic persona!”

Außerhalb meines Buches hat bisher niemand als Leser die Option, einen Werk-Kommentar zu Wilder zu lesen, der die Vielschichtigkeit dieser Arbeiten ansatzweise erkennen lässt. Dies geht weit über realistische Inhalte hinaus. Es gibt semiotische und psychoanalytische Ebenen. Sehr wesentlich ist auch die permanente verborgene Erinnerungskultur zum Holocaust, in dem Wilder seine Mutter und viele seiner Angehörigen verlor. Mein Buch ist ebenso das einzige, das diesen Abgrund unter den heiteren und spannenden Filmstoffen aufzeigt. Wenig anderes kann gemeint sein, wenn wir historische Erinnerung in solcher Hinsicht ernstnehmen.

Aber wir sehen, dass diese zarten Pflänzchen der Theoriebildung und des Denkangebots von irgendwelchen anonymen Flegeln in der Wikipedia gleich wieder kaputtgetrampelt werden. Das einzige erkennbare Ziel dabei ist, dass ein größeres Publikum die Zusammenhänge, in denen es lebt, möglichst wenig durchschauen möge.

Eine wirklich theoretisch anspruchsvolle Debatte über Billy Wilder hat es schon bisher so gut wie nicht gegeben. Menschen ohne Urteilsvermögen und/oder mit bösen Absichten sorgen dafür, dass die Wikipedia immer weniger Informationen enthält, die über in mancher Hinsicht recht primitive Wissensformen hinausgehen. Es stehen sicherlich viele Tausend Literatur-Angaben in anderen Artikeln, die nicht ein einziges Mal in Fachzeitschriften rezensiert wurden. Hier wird also ein willkürlicher Maßstab angewendet – und, wer sich auskennt, sieht, dass zwei Literatur-Beispiele, die der behandelte Regisseur schon selbst als Flachsinn bezeichnete, einer schon eindeutig wissenschaftlichen und fundierten Arbeit vorgezogen werden, weil der jeweilige Autor ein Hollywood-Regisseur und ein in späten Jahren leider oft seicht gewordener früherer “Spiegel”-Journalist ist.

Vor dem Hintergrund der jüdischen Emigrations-Biografie Wilders deucht mich das umso unappetitlicher. Wir sehen hier Maßnahmen, die eher aus totalitären Systemen geläufig sind. Ob sich jemand ohne Gehirnwäsche und/oder Bezahlung durch Geheimdienste wirklich zu solchen ‘Korrekturen’ motiviert fühlen würde? Sicherlich gibt es auch pathologische Psychologien, die daraus Selbstbestätigung ziehen, wo sie anderweitig ausbleibt. Dem sind in einem Lexikon Besprochene heute oft schutzlos ausgesetzt (zumal ohne, wie die bezahlten PR-Agenturen irgendwelcher Pop-Sternchen, laufend eigene Einträge und Erwähnungen zu kontrollieren). Wie wenig ihren Worten zu trauen ist, verrät auch die Profil-Seite über den Zensor “Andropov”:

Einziges Relevanzkriterium von Artikeln sind für mich gute Belege:
„Nie wollte man dem Leser vorschreiben, was ihn zu interessieren habe“ (Kurt Jansson).
Einige Schwierigkeiten hier ließen sich lösen, wenn viele lernen, Uneinheitlichkeit auszuhalten.

Für wie blöd halten die eigentlich ihre Leser? – In jedem Fall hat so etwas eine Wirkung. Mancher Leser wird mein Buch so erst gar nicht finden, weil er die Liste für sorgsam sortiert und relativ vollständig hält. Vielleicht tippe ich es demnächst mal wieder hinein und schaue, was passiert. Sie können es natürlich auch tun (dann mit bestem Dank im voraus).

Und, bitte, glauben Sie nicht, dass dies irgendein Einzelfall ist. (Nicht nur) Geisteskultur in Deutschland ist vielfältigen und aggressiven Angriffen ausgesetzt, die offensichtlich auf eine nachhaltige Zerstörung abzielen. Sie ist schon recht weit gediehen neben allen anderen laufenden Maßnahmen.

Nach wie vor kann auch unsere Petition für mehr Transparenz auf Wikipedia unterzeichnet werden:
https://www.change.org/p/transparenz-auf-wikipedia-wikitransparenz

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. Die Verlogenheit und tendenziöse politische Selektion des Monopolisten Wikipedia ist mittlerweile recht gut bekannt und recherchiert.
    Ich erinnere mich gut an den Fall, wo ein Wiki-Redakteur buchstäblich Tausende von Einträgen verfälscht hat, um die Mär von der Klimakatastrophe zu untermauern. Die Redaktion, als sie ertappt wurde, beeilte sich, zu verlautbaren, jener Redakteur sei “versetzt” worden. Also hätte der Fälscher Tausende Seiten heimlich in der Frühstückspause umgeschrieben und verfälscht?? Man wird schon annehmen dürfen, daß die Redaktion selbst die Fälschung in Auftrag gegeben hat, mutmaßlich gegen gutes Honorar.
    Auf manchen ‘Blogs’ ist nur noch von “WIKILÜGIA” die Rede.

    Nicht genug damit, daß diese gut betuchte Firma sich als schlecht getarntes Propaganda-Instrument darstellt, bezieht sich die beklagenswerte Intransparenz auch auf ihr finanzielles Gebaren. Ein solches Informationsmonster braucht einen riesigen technischen Mitarbeiterstab, Bürogebäude, Großcomputer, Vertretungen in vielen Ländern, eine zentrale Verwaltungshierarchie.

    Und all das wird von Kleinspenden interessierter Studenten bezahlt?

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