Was wollen Piraten?

Am Spätabend des 23.01.2012 zieht die ARD unter der Überschrift „Piraten in der Politik – 100 Tage einer Aufsteigerpartei“ (Autoren: Nicola Graef / Torsten Mandalka) eine erste Bilanz zur Mitverantwortung der „Piratenpartei“ im Berliner Abgeordnetenhaus. Um genau zu sein: Es handelt sich um eine Dokumentation mit human interest, privaten Bekenntnissen und Impressionen. Zu politischen Inhalten ist so gut wie nichts zu hören (vielleicht zu sehen, wenn man so will).

Die mediale Präsenz der Piratenpartei seit der Berliner Wahl macht misstrauisch: Begierig griffen alle Mainstream-Medien das Thema der neuen Partei auf. Schnell wurde immer wieder deutlich: Über eine definitive Programmatik war wenig zu sagen, da diese nur teilweise beschlossen ist. Also stürzte man sich auf die wenigen Äußerungen neugebackener Abgeordneter oder Kuriosa wie einen jungen Mann mit Latzhose und Kopftuch im Parlament. Auch diese Medieneffekte zeigt die ARD. Aber sie fragt nicht wirklich danach, warum gerade dies Medieneffekte sind.

Der inhaltliche Leerlauf in politischer Berichterstattung begegnet immer häufiger. Es ist selbst beinahe schon ein Allgemeinplatz seit den 1990er Jahren – und dennoch der Erwähnung wert, weil für den Fortgang der Dinge essenziell: Die Tendenz geht hin zu Personalisierung und Skandalisierung. Affären um Bundespräsident Christian Wulff, bei denen dem deutschen Steuerzahler allenfalls einige 10.000 Euro abhanden kamen, nehmen in den Nachrichten breitesten Raum ein. Die Vergabe von 500 Mrd. Euro Krediten an Banken zum Zinssatz von 1 % durch die Europäische Zentralbank mit voraussehbarer Reinvestition der Gelder durch die privaten Banken in Staatsanleihen, auf die die Staaten anschließend für ihr eigenes Geld deutlich mehr Prozente zahlen, schien EU-Bürger nicht weiter zu interessieren. Den Gewinn werden Investoren und Banker einstreichen – Teil eines „großen Raubzugs“ (Alexander Dill), wenn nicht vor dem jeweiligen Zahltag doch der Crash kommt. Die „Bild“-Zeitung schreibt darüber keine Schlagzeilen („BRÜSSEL BITTET ZUR KASSE – Bürger beschenken Banker“), sondern schießt zeitgleich mit großem Tamtam den Präsi ab. Hmmm …

In diesem Sinne liegen die Dinge sogar ganz gut für eine Partei, die noch wenig Programm, aber vielleicht den einen oder anderen Aufreger zu bieten hat. Die Äußerung von Piraten-Geschäftsführerin Marina Weisband, ihre Partei könne sich auch wieder auflösen, wenn ihre Inhalte von anderen übernommen worden seien, ist zumindest ausreichend ‚ungewöhnlich‘, um eine Nachricht abzugeben.

Inhaltlich deutet sie imho eine Verkennung an, auf der eine Menge von Fehlentwicklungen der politischen Öffentlichkeit basiert: Wie andere politische Bewegungen im Anfangsstadium scheinen Piraten an reine Ideen zu glauben. Die richtige Idee könne also von beliebigen Personen umgesetzt werden. Die politische Szene lehrt das Gegenteil: Wahlen werden mit Versprechungen gewonnen, die man anschließend nicht einhält. Entscheidend ist, welche Person an welchen Posten gelangt – und dann von kritischen Medien möglichst unbehelligt anders handeln kann, als sie angekündigt hat. Deshalb mag die eine oder andere Idee rhetorisch übernommen werden – auch soziale Gerechtigkeit und ökologische Verträglichkeit sind oft genug nur Worthülsen oder werden auf drei, nun also vier Parteien links der Mitte verteilt, die erst einmal koalieren müssen und z. T. nicht wollen, also protestieren, aber nicht regieren dürfen. Bisher gab es die auf privaten Spenden und medialer Überrepräsentierung basierende Parteienfiktion FDP als Koalitionspartner, um andere Mehrheiten zu sichern, und die CDU nennt sich in Bayern „CSU“ und stellt bei öffentlichen Diskussionsrunden noch einen gleichberechtigten Diskutanten mehr. Welchen Part werden die Piraten in diesem Spiel einnehmen?

Ein weiterer vermutlicher struktureller Irrtum liegt im Fall eines piratischen Kernbegriffs, der „Transparenz“, vor (wenn nicht ohnehin die bloße Lust am Demonstrieren mit Transparenten gemeint ist – Informatik schützt nicht vor Sprachspielen). In der ARD-Doku wird das Wort herauf- und heruntererwähnt. Als Bundeskanzlerin, so Weisband, würde sie alle Sitzungen per Video-Livestream veröffentlichen. Das ist prinzipiell eine gute Idee. Was aber sagen uns die Einschaltquoten von Parlamentsdebatten auf dem Nachrichtensender „Phoenix“? Über sechsstellige Zuschauerzahlen kommen diese wohl kaum hinaus. Weitaus mehr Zuschauer erreichen zum selben Zeitpunkt unsägliche Doku-Soaps und Gerichtsshows auf den Privaten. Bei einem speziellen Interesse wie den Verhandlungen über das Atom-Endlager Gorleben ließ das Bundesumweltministerium für 150.000 Euro den Fachdialog ins Internet streamen. Zuschauer in Spitzenzeiten: etwa 90. Die „YouTube“-Seite des hier präsentierten Videos zählt in drei Monaten 175 Abrufe.

Dies führt uns natürlich zu der allgemeinen Frage, wie politisches Interesse und Bewusstsein zu wecken und zu erhalten sei. Ich persönlich glaube, dass unter den gegebenen Umständen politische Öffentlichkeit weiter schrumpfen wird. Transparenz und Partizipation, wie Piraten sie als direkte Demokratie, nicht zuletzt auf digitaler Basis („LiquidFeedback“), anstreben, bedeuten ein hohes Maß an Zeit, Aufmerksamkeit und Kompetenz beim Endverbraucher.

Man muss es kaum erklären: In unserer Gesellschaft besteht eine digitale Kluft zwischen alt und jung, gebildet und ‚bildungsfern‘ (siehe hier, S. 7ff.). Und mit der sozialen Schere (die auf Bedingungen des gesamten Wirtschaftssystems reagiert) spreizt sich der Gegensatz von Informierten und Nicht- bzw. Desinformierten. Wer weiß, wie man im Internet recherchiert, und bereit ist, Texte mit einem gewissen Umfang und Anspruchsniveau sowie in englischer Sprache zu lesen, hat einen enormen Wissensvorsprung, beinahe ohne finanziellen Aufwand. Wer im Internet die „Bild“-Zeitung ansurft und sich einige „witzige Videos“ auf „YouTube“ ansieht, verbringt im Vergleich mit dem RTL-Programm seine Zeit mit demselben Zeug von einem anderen Anbieter. Innerhalb der kleineren Bevölkerungsgruppe, die nennenswert online ist, sind die Letztgenannten in der Mehrheit. Und wer kümmert sich um die 9 Mio. Analphabeten?

Bevor man mehr direkte Demokratie einfordert, sollte man sich Gedanken machen, wie Menschen in konkreten Fragen überhaupt entscheidungsfähig werden. Pauschal lässt sich sagen, dass sie dafür ihre Zeiteinteilung ändern müssen. Sie werden sich sachbezogenen Informations- und Gesprächsangeboten zuwenden müssen.

Nun in persönlicher Anrede: Wogegen Ihr, die Piratenpartei, qua Programm steht, sind Medienkonzerne, die seit 30 Jahren mit immer mehr Flachsinn beglücken. Solltet Ihr mehr politische Verantwortung übernehmen, werden sich die Lobbyisten von Bertelsmann & Co. schnell um Euch scharen. Und sie werden Euch bald an dem Punkt haben, dass auch Ihr überzeugt seid: Die meisten interessieren sich eh nur für … Ihr wisst schon. Und sie wollen regiert werden. Was man ihnen zu bieten hat, ist ein bisschen mediales Trara, allgemeine Parolen und ab und zu ein Bauernopfer, auf das man zur Triebabfuhr eindreschen kann. Ansonsten gibt es reichlich „Bauer sucht Frau“, und wir sorgen dafür, dass die Armen ärmer und die Reichen reicher, die Einsamen einsamer werden (faktische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte). Ihr werdet nolens volens am Neofeudalismus mitarbeiten, oder Ihr werdet aller Voraussicht nach kaputtgeschrieben werden. Mit Begriffen der „Transparenz“ könnt Ihr als Alibi dienen, wenn sie eine leere Behauptung bleiben. Wolltet Ihr damit ernstmachen, wäret Ihr der Todfeind aller Mächtigen.

Desinformation resultiert z. T. aus dem Überangebot – auch das wissen wir. Solltet Ihr also die Hoffnung haben, nach 30 Jahren Privatfernsehen noch eine nennenswerte Zahl von Menschen zu erreichen, die sich mit einem Sachthema vertraut machen und als Konsequenz eventuell sogar noch Änderungen an ihrer eigenen Lebensweise vornehmen wollen, müsstet Ihr also überlegen, wie Ihr a) Wissen bündelt und aufbereitet sowie b) Vermittlungsformen für reale Menschen findet (keine Bücher oder Internetseiten, die nur wenige lesen).

Ich nenne einmal ein paar notwendige Maßnahmen, die auf Eure politische Agenda gehören. (Sie mögen schon in einigen Mailinglisten oder Wikis vorgekommen sein, die ich hier und da mitlese; als zentrale Botschaft und in dieser Konkretion sind sie mir noch nicht begegnet.) Also:

  • Untersuchungskommission Lobbyismus: Wie verhindern wir die verschwörerische Manipulation öffentlicher Meinung und politischer Entscheidungen durch privatwirtschaftliche und elitäre Interessensverbünde? (Mögliche Ziele: Verbot individueller Parteispenden, Einzahlung in einen gemeinsamen Pool und Abgabe nach Proporz von Wahlergebnissen, steuerlich weiterhin absetzbar; veränderte Vorgaben für Karrierewege zwischen Wirtschaft und direkt relevanten Politikbereichen, ggf. längere Übergangsfristen mit Entschädigung.)
  • Generaloffensive Wissensallmende: Wie aggregieren und organisieren wir Wissen allgemeinverständlich? (Erarbeitung von konsensfähigen Wissensbeständen zu Kernfragen wie Energieversorgung, Sozial- und Wirtschaftssystem unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte; Präsentation von Ergebnissen und Zwischenergebnissen in ausführlichen Themenwochen der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und TV-Sender, zumindest in diesen Zeiträumen Abschaltung von Privatsendern, evtl. Bürgerpflichten zur Anwesenheit bei Informationsveranstaltungen.)

  • Grundsatzkommission Geistige Arbeit: Wie sorgen wir dafür, dass Wissensarbeiter nicht mehrheitlich interessengeleitet argumentieren, weil sie als Unabhängige wirtschaftlich verarmen? Wie sorgen wir dafür, dass nicht Wissensarbeiter bloß unabhängig scheinen, obwohl sie vollkommen in elitär-hegemoniale Strukturen integriert sind? (Eure Verteidigung des Rechtes auf Privatkopie halte ich für richtig. Durch den Überhang naturwissenschaftlich-technisch gebildeter Piraten habt Ihr nach meinem Eindruck massenmedial vermittelte Inhalte kaum im Blick – wie leider auch viele Medienwissenschaftler nach Friedrich Kittler. Es ist schwierig, in diesem Bereich Qualitätsstandards zu definieren. Aber über die „Stunde der Stümper“ [Andrew Keen] im Netz zu reden, tut ebenfalls not. Die durch das kostenfreie Netz arbeitslos gewordenen Publizisten informieren nicht mehr unabhängig, sondern bilden den wachsenden Überhang der Marketing-Agenten.)
  • Untersuchungskommission Effizienz im Wissenschaftsbetrieb: Wie machen wir (über die „Open Access“-Debatte hinaus) wissenschaftliche Erkenntnis massenwirksam? Wie schaffen wir Transparenz in der Vergabe staatlich finanzierter wissenschaftlicher Arbeitsstellen (Qualitäts- und Leistungskontrolle)?
  • Arbeitsstelle für Eliteforschung: Auf historiografischer und soziologischer Basis werden Informationen über Machtstrukturen jenseits demokratisch gewählter Volksvertretungen gesammelt. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Verschwörungstheorien und ihrem Wirklichkeitsgehalt.

Für meine eigenen Interessensbereiche in Geistes-, Medien- und Sozialwissenschaften hätte ich im Besonderen noch anzumelden:

  • Untersuchungskommission Privatfernsehen: Positionsbestimmung demokratischer Kräfte zu Inhalt und Auswirkungen von Sendungen kommerzieller Anbieter. (Eine weitreichende Debatte wäre vonnöten. Mein Beitrag liegt mit dem Buch „Glotze fatal“ vor.)
  • Forschungsverbund Metaphorologie: Empirisch basierte Dokumentation, Erörterung und Vermittlung von Bedeutungsproduktion in fiktionaler und nicht-fiktionaler Rede.
  • Dokumentationsstelle Bewegtbild: Schaffung eines Archivs für Produktionen des Film- und Fernsehgewerbes. (Die bisherige Praxis widerspricht dem Prinzip der Rechtsgleichheit: Jeder Buchverlag ist zur Abgabe von Exemplaren an Zentralbibliotheken auf eigene Kosten verpflichtet. Die finanziell weitaus einträglicheren Medienindustrien der Audiovision produzieren demnach im juristischen Graubereich und entziehen sich dem Zugriff der freien Wissenschaft, die so ihrer gesellschaftlichen Beobachtungsfunktion nicht nachkommen kann. Videosammlungen an Universitäten sind nicht von der Allgemeinheit, sondern als Pflichtexemplare von Medienproduzenten selbst zu finanzieren. Durch zusätzliche Abgaben werden, statt übermäßig luxuriöser Lebensverhältnisse von Medienproduzenten, neue Arbeitsstellen an zuständigen Bildungsinstitutionen und Archiven finanziert. Siehe auch hier zu meinem abgewandelten Begriff der „informationellen Selbstbestimmung“ in diesem Kontext.)

Zwei Tips meinerseits: Allzu ausgiebige Diskussionen über homeschooling würde ich außerhalb von Alaska nicht empfehlen. Und Ihr solltet den Wikipedia-Eintrag über Peter Urbach nicht erst lesen, wenn Ihr an Eurem ersten sicherheitspolitischen Untersuchungsausschuss teilnehmt. Wenn ihr ihn kennt, habe ich nichts gesagt.

Ahoi und auf bald!

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

4 Antworten

  1. SonicBlade sagt:

    Dei Frage ist doch, warum sich viele Menschen keine Parlamentsdebatten anschauen. Hätten wir ein lebendiges Parlament, bei dem über die Sache debattiert wird und am Ende der Diskussion jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen entscheidet, gäbe es sicher gute Gründe einzuschalten. Stattdessen handelt es sich aber meist um ein vorchoreographiertes Theater entlang der Parteigrenzen, bei dem am Ende die Regierungskoliation die in den Ministerien ausgearbeiteten Vorlagen abnickt.

  2. mî†õm² sagt:

    die leute schauen sich keine politik an, an der sie nix verändern können. die S21-schlichtung mit Heiner Geißler war die reichweitenstärkste sendereihe von Phoenix – und das über wochen hinweg. wenn man das gefühl hat, dass man etwas erreichen kann, dann interessiert man sich dafür mehr als sonst.

    der parteispenden-pool ist eine gute idee, dürfte recht bald in LQFB auftauchen.

    das abschalten von privatsendern (erinnert spontan an “V for Vendetta”) wird net funktionieren. die leute würden sich alternativen suchen. im besten fall mal wieder raus in die natur, oder mit anderen menschen reden. im schlimmsten fall sich einfach irgendwas im netz anschauen, was dem geistigen niveau des privaten nachmittagsprogramms entspricht. des pudels kern: warum schaut man sich derartigen schrott an? weil man ab und an einfach etwas braucht, wobei man net denken muss. streß im beruf, streß in der familie, … ähnlich wie beim von dir erwähnten überangebot an informationen gibt es auch ein überangebot an belastung. wer das ignoriert, landet im extremfall im burnout. durch den suizid von Robert Enke haben viele menschen erkannt, dass sie ähnliche verhaltensmuster haben, wodurch aktuell die anzahl der darauf spezialisierten mediziner zu gering im vergleich zum bedarf ist. in den 1990ern wurde balsamicoessig derart geghyped, dass das original schnell ausverkauft war. bis zu 25 jahre muss giuer balsamicoessig in fässern reifen. es wurden alternative ersatzmethoden (reduzieren wie eine soße) entwickelt, die an die qualität des originals net heranreichen. ähnliches ist bei zu schneller und damit zu ungenauer ausbildung der burnout-therapeuthen zu befürchten. und weil das net von heut auf morgen geht, brauchen die menschen das privatfernsehen, um sich zumindest hier ein wenig zu entspannen – auch wenn die meisten sendungen der nachmittagsprogramme absoluter schrott sind.

    homeschooling ist prinzipiell interessant. wenn eltern das gefühl haben, dass ihre kinder in den klassischen schulen net die möglichkeit haben, sich völlig zu entfalten, dann ist es durchaus überlegungen wert, wie man gegen diese defizite vorgehen kann. homeschooling ist eine möglichkeit, ein besseres schulisches angebot eine andere. die derzeitige finanzielle notlage der meisten kommunen läßt die optimierung der staatlichen bildungseinrichtungen in weite ferne rücken. privatschulen sind nur für gutsituierte eltern eine alternative – dagegen spricht jedoch die sich immer weiter öffnende schere zwischen arm und reich. womit am ende nur homeschooling übrigbleibt.

    die bücher, die keiner liest, sind bücher, die net für interessierte laien sondern für experten oder entscheidungsträger (z.b. lehrmittelbeschaffer in schulen) geschrieben wurden. kinder würden andere bücher kaufen. du kennst bestimmt die gehirn-gerechte kommunikation von Vera F. Birkenbihl; falls net, dann auf youtube diverse vidoes von ihr anschauen.

    CU TOM

    • @mî†õm²
      > im schlimmsten fall sich einfach irgendwas im netz anschauen, was dem geistigen niveau des privaten nachmittagsprogramms entspricht.

      Wenn man diesen Gedanken einmal durchspielt, hätte ein TV-Blackout zumindest Signalwirkung, und für viele scheint heute dieses Endgerät und diese Art zu rezipieren immer noch eine unvergleichliche Rolle zu spielen.
      Dass hier einmal über Balsamicoessig geschrieben würde, hätte ich mir nicht träumen lassen, aber der Vergleich hat was. “Burnout” ist nach meinem vorläufigen Stand der Überlegungen zumindest zu einem gewissen Teil ein Konstrukt, jedenfalls ein etwas reißerisches Etikett. Das Feld der Hypochondrien und Autosuggestionen ist weit (was echtes Leiden nicht in Frage stellen soll). Dass es immer mehr Erschöpfungszustände gibt, kann ich nachvollziehen – auch wenn sie relativ ungleich verteilt sein dürften. Entspannung durch schlechteste TV-Programme halte ich da für eine schlechte Wahl der Selbsttherapie – macht doch nur leer und unzufrieden. Könnte durchaus ein weiterer Faktor sein, warum sich jemand insgesamt ausgebrannt fühlt.
      Deine Argumente zum homeschooling finde ich nachvollziehbar. Das, was ich in Mailinglisten dazu mitbekommen habe, erweckte jedoch bei mir den Eindruck recht verstiegener Ansätze (mehr noch als die hier formulierten utopistischen Maximalforderungen). Mein Argument wäre: andere Veränderungsansätze sind dringlicher und evidenter. Ein verbesserungswürdiges, aber funktionierendes System wie die staatliche Schule in Frage zu stellen, wäre nicht mein erster Ansatz. Verschuldungsspirale und Umweltverschmutzung scheinen mir wirklich existenzielle Probleme zu sein. Da sollte man eine Prioritätenliste beherzigen, finde ich, und nach Möglichkeit darauf achten, dass in einer so aufwändigen Bewegung nicht zuviel Energie darauf verwendet wird. (Könnten manche auch mir vorwerfen, aber ich liefere hier seit Jahren ausführliche Begründungen für spezielle Positionen zu Filmfragen, die ihre Tragweite und systemische Relevanz verdeutlichen sollen.)
      Zu S21: Ist ein gutes Gegenbeispiel auf einer Ebene. Ich frage mich nur, warum der große Protest erst losbricht, wenn juristisch recht verbindliche Verträge schon eingegangen wurden. Vielleicht ist es ein Beispiel für Selbstbestimmung, die im letzten Moment doch möglich wird. Im Zusammenhang mit meinem hier fortlaufenden Hinweis auf das Desinteresse an Staatsverschuldung und Abgabe von Hoheitsrechten an zuvor unbekannte belgische Europa-Politiker (jetzt auch in der EZB) frage ich mich aber auch hier: Protestieren die Leute in so einem Fall, weil sie sich die Zahl von Euro-Milliarden, die auf dem Spiel stehen, noch vorstellen können, und im Fall der Euro-Rettungsschirme nicht? Und weil sie sympathischerweise einen Baum schützen wollen, den sie vor Augen haben, aber an anderer Stelle ihre Selbstbestimmung und Freiheit nicht? (Merken wir uns nochmal zur späteren Überprüfung vor, dass Heiner Geißler von Jesuiten erzogen wurde.)

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