Scientology als Metapher? Mindestens.

Lawrence Wrights Artikel „The Apostate“ (The New Yorker, 14.02.2011) beschäftigt sich mit der Abwendung des Drehbuchautors und Regisseurs Paul Haggis von „Scientology“. Wer sich ein präziseres Bild dieser Organisation erhofft, wird in dem umfangreichen Text oft enttäuscht. Bemerkenswertes fällt – ja keine Seltenheit – eher nebenbei ab.

Die Sekte, die mit ‚Stars‘ wie Tom Cruise und John Travolta für sich wirbt, basiert auf einem etwas undurchsichtigen Programm – insofern täte Reflexion not. Das Hauptwerk ihres Begründers L. Ron Hubbard, „Dianetik“ (1950), ist ein verschwafelter bis kruder Mischmasch aus psychoanalytischen, kybernetischen und parapsychologischen Versatzstücken sowie eher verschrobenen Eigenkreationen und driftet gern mal ins Naiv-Komische ab:

Unser Geist bringt mit Hilfe seines „Zubehörs“ – den Wahrnehmungen, den Gedächtnisbanken und der Phantasie – Antworten hervor, die ausnahmslos genau sind und die nur durch Beobachtung, Erziehung und Gesichtspunkt modifiziert werden.
Und die Grundabsichten dieses Geistes sowie die Grundnatur des Menschen, wie sie beim Geklärten feststellbar sind, sind konstruktiv und gut, ausnahmslos konstruktiv und ausnahmslos gut, wobei die Lösungen nur modifziert werden durch Beobachtung, Erziehung und Gesichtspunkt.
Der Mensch ist gut.
Entfernen Sie seine Grundabberrationen, und mit ihnen verschwindet das Böse, das die Scholastiker und die Moralisten so gern gehabt haben.

(Hubbard, L. Ron [1984]: Dianetik. Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit. Das Handbuch der dianetischen Verfahren. Kopenhagen [OA., am.: 1950], S. 30)

Was führt also dazu, dass es von „Scientology“ seit den 1990er Jahren immer wieder heißt, ihre Mitglieder seien dabei, weite Bereiche der Wirtschaft zu unterwandern? Die Weisheit der Schriften ihres Begründers kann es ja nicht sein.

Wie andere Sekten und sektenähnliche Vereinigungen dürfte die Mitgliedschaft bei „Scientology“ Vorteile durch Netzwerken erbringen. Dies ist auch das einzig deutlich Erkennbare in Wrights Artikel im „New Yorker“. Autor und Regisseur Paul Haggis kämpfte sich aus dem sozialen Abseits an die Spitze des Filmgeschäfts. Dazu trugen Kontakte zu anderen Scientologen in der Branche maßgeblich bei.

“There was a feeling of camaraderie that was something I’d never experienced—all these atheists looking for something to believe in, and all these loners looking for a club to join.”
Recruits had a sense of boundless possibility. Mystical powers were forecast; out-of-body experiences were to be expected; fundamental secrets were to be revealed. Hubbard had boasted that Scientology had raised some people’s I.Q. one point for every hour of auditing. (Quelle)

Wesentliche Teile des Wright-Artikels bestehen immer wieder in angeblichen Vorkommnissen und deren Dementi durch Scientologen, etwa Gerüchte über gewalttätige Verhaltensweisen etwa des derzeitigen Anführers David Miscavige. Oder erst kolportierte und dann in Frage gestellte Anekdoten wie jene von den Dreharbeiten zu „War of the Worlds“ (USA 2005):

Haggis says that when he appeared on the set Spielberg pulled him aside. “It’s really remarkable to me that I’ve met all these Scientologists, and they seem like the nicest people,” Spielberg said. Haggis replied, “Yeah, we keep all the evil ones in a closet.” (Spielberg’s publicist says that Spielberg doesn’t recall the conversation.)

Alles bleibt mysteriös. Was – wenn man der Sachebene des Berichts denn traut – halbwegs objektiv übrigbleibt, ist der Eindruck, dass Scientology sich an eine Klientel von halbwegs Verlorenen und/oder Ausgeschlossenen richtet, die sich ihr Heil von der Sekte versprechen. Das wäre ein Allgemeinplatz, wenn es nicht auch charakteristisch für das Glücksrittertum innerhalb der Medienproduktion wäre.

Von Tom Cruise heißt es in dem Artikel , er habe durch Scientology seine Legasthenie („dyslexia“) überwunden. Die Frage stellt sich allerdings, ob ein Mensch mit dieser Vorbelastung fähig ist, den Charakter und die Inhalte einer solche Vereinigung selbst differenziert und realistisch einzuschätzen – bevor er ihr zum Opfer fällt und dann mit Status-Artefakten bei Laune gehalten wird. Derlei als Qualitätsmerkmal einer angeblichen Therapieform hervorzuheben, offenbart doch zugleich die tendenzielle intellektuelle Wehrlosigkeit eines Auditing-Kunden wie Cruise.

Ein „filmdenken“-Artikel zu Paul Haggis’ neuerer Drehbuch-Arbeit „Million Dollar Baby“ (USA 2004, R: Clint Eastwood) sollte veranschaulichen, auf welchen metaphorischen Levels ein solcher Autor agiert. Das hat mit Hubbards zitiertem Gutsein-Geschwafel nun wahrlich nichts zu tun. Und so wird es sogar in Wrights Artikel am Rande deutlich:

Though Haggis is passionate about his work, he can be cool toward those who are closest to him. Lauren Haggis, the second daughter from his first marriage, said that he never connected with his children. “He’s emotionally not there,” she says. “That’s funny, because his scripts are full of emotion.” (Quelle)
Haggis was struck by another paradox: “Here I was in this very structured organization, but I always thought of myself as a freethinker and an iconoclast.” (Quelle)

Die „filmdenken“-Rezension zu Eastwood/Haggis’ Film vom März 2005 war betitelt mit „Gepunchte Metaphern“. In der Rückschau auf angebliche Erlebnisse bei Scientology berichtet Haggis kryptisch über sein Studium von Hubbard-Texten:

In a moment, he returned. “Is this a metaphor?” he asked the supervisor.
“No,” the supervisor responded. “It is what it is. Do the actions that are required.” (Quelle)

Wer sich also mit einem Film wie „Million Dollar Baby“ beschäftigt, wird gewahr, dass es einer wie Haggis nunmal sehr oft mit Metaphern zu tun hat. Die geschilderte Szene erhält dadurch einen eher trotteligen Touch. Oder war Haggis damals noch nicht so weit?

Von Scientologen-Suaden und auch jenen ihrer – echten oder vermeintlichen – Kritiker sollte man sich also nicht einlullen lassen. Mindestens diejenigen, die in irgendeinem sog. „Thetanen“-Status etwelcher Hausnummer angekommen sind, werden Metapher und realen Referenten schon auseinanderhalten können. Oder es ist alles noch irrer, als es irgendeine Wissenschaftologie sich erträumt.

(Mit Dank an B. für den Link zum Artikel des „New Yorker“.)

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. Dirk Leinher sagt:

    In diesem Zusammenhang sollte auch der Brief der Schwester von Paul Haggis an Herrn Remnick (Cheredakteur vom New Yorker) gelesen werden.

    Sent: Wednesday, February 16, 2011 5:35 PM
    To: David Remnick (The New Yorker, Chief Editor)
    Subject: Paul Haggis/The Apostate, Feb. 14

    Sehr geehrter Herr Remnick,

    Ich beziehe mich auf Ihr Profil über Paul Haggis (The Apostate vom 14. Februar). Wie Sie wissen bin ich Paul’s Schwester und ich unterhielt mit ihm enge persönliche und berufliche Beziehungen während der ersten 18 Jahre seiner Karriere.
    weiter auf:
    http://religo.ch/2011/06/08/paul-haggis-die-andere-sicht-zu-seinem-scientology-ausstieg/

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