Jetzt wird es wieder „spannend“ – #Assange #Journalismus

Heute trailert „Der Spiegel“ einen Artikel über „WikiLeaks“-Gründer Julian Assange mit diesen Worten an:

spiegel_2016-02-04_assange

Schon die Überschrift ist ein unauffällig-auffälliges Beispiel für Erklär-Journalismus, unangenehm deshalb, weil die sinnvolle Beziehung von Journalisten zu ihrem Publikum droht, sich in ihr Gegenteil zu verkehren. Leser sollen ausdrücklich ‚lernen‘, warum („Darum“) etwas angeblich interessant sei. Auch die drei Kurzsätze, die zum Klick auf den Artikel-Link verleiten sollen, drängen die Interessanz des Folgenden derart auf, dass man eigentlich weiß: Was so interessant gemacht werden muss, ist es ganz bestimmt nicht:

Verlässt er wirklich sein Exil? Was steckt hinter der Aktion? Die Fakten im Überblick.

Die erste Frage sagt uns im Prinzip schon, dass es eigentlich noch nichts Definitives zu berichten gibt. Das ist eine der beliebten Methoden des kommerzialisierten Journalismus: Man muss den Stoff strecken, in dem man vorher, währenddessen und nachher berichtet. Für den Rezipienten wäre eigentlich nur das interessant, was schließlich geschah, nicht das, was ein Journalist eventuell vermutet, ggf. als Meinung über etwas äußert, was vielleicht passiert, dann aber vielleicht doch nicht etc.

Die zweite Frage suggeriert, dass es hier etwas gebe, was der Leser nicht gleich selbst zu ersehen imstande sei. Der Journalist bekräftigt indirekt seine eigene Kompetenz und die Notwendigkeit seines Angebots.

Der abschließende Satz stärkt dann die Marke des angeblich ‚faktenorientierten‘ Journalismus und die Vermittlung von „Überblick“, von dem bei einem Presseorgan wie dem „Spiegel“ leider wirklich nicht die Rede sein kann, auch wenn wir alle von solchen aufwändig betriebenen Plattformen für den aktuellen Zugriff auf Weltnachrichten einstweilen abhängig sind.

Was in der Branche als Professionalismus gelten mag, gründet also auf einer relativ subtilen Manipulation des Lesers. Man kann sich vorstellen, wie derlei an Journalisten-Schulen gelehrt wird: Portionieren Sie Information! Preisen Sie verlockende Enthüllungen! Betonen Sie Qualität und Objektivität! – Das wäre weniger der Erwähnung wert, wenn es nicht bei genauerer Betrachtung den eigentlichen Tatsachen der Art von Berichterstattung widersprechen würde. Deshalb ist es dann als sprachliche Kosmetik zu bezeichnen.

Man stellt sich auch vor, dass ein Fall wie der von Assange von Medien-Konzernen am Reißbrett auf einer Zeitleiste geplant wird. Von der Vorbereitung von Prominenz über Aufstieg und Skandal zum Fall des Protagonisten. Assanges Werdegang führt nun zum Absurdum eines endlos gedehnten Schwebezustands des Aufenthalts in der venezuelanischen Botschaft in London, in dem buchstäblich nichts passiert, nachdem Hollywood zu recht frühem Datum den unabgeschlossenen Lebenslauf schon zu einem Spielfilm verwurstet hat. Nicht zuletzt ist das ein fragwürdiger Umgang mit der Zeit des Publikums.

Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, verdient einer wie Julian Assange, der in einer solchen Zwangslage festhängt und ggf. falsch beschuldigt wird, natürlich die Aufmerksamkeit. Aber das ist in manch anderem Fall leider gerade nicht so – auch bei Menschen, die durchaus Bedeutendes zu sagen haben und denen Unrecht widerfährt.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung