Zum Text
über Eastwoods Film findet sich hier eine sortierte Übersicht
von Zitaten aus deutschsprachigen Presse-Rezensionen, die im Netz, zumeist
auch in einer Print-Version in der jeweiligen Tageszeitung publiziert
worden sind.
Die Absicht
ist hier, meine eigenen Aussagen zu dem in Beziehung zu setzen, was in
anderen Texten zum selben Thema zu finden ist. (Bis auf kleine Korrekturen
ist mein Text in Unkenntnis der anderen Veröffentlichungen entstanden.)
Dabei wird ersichtlich, dass auf der ersten Sinnebene des Textes oft entgegengesetzte
Aussagen gemacht werden. Allenfalls auf einer Anspielungsebene können
ähnliche Gedanken der AutorInnen vermutet werden. Dies - ähnlich
den Erwägungen zu Eastwoods Film - hier ausführlicher zu besprechen,
wäre wohl zu viel des Guten.
Auch in dieser
Form mag das Ansinnen pedantisch wirken. Aus meiner Sicht lassen sich
so jedoch einmal exemplarisch zwei Aspekte von Presserezensionen verstehen.
Das eine ist - innerhalb der umfangmäßig beschränkten
Form - eine gewisse Stereotypie von Form und Inhalt. In Konfrontation
mit meinem eigenen polemischen und auch vor Obszönität nicht
zurückschreckenden Text, der in seiner Herstellung keinen weiteren
pragmatischen Anforderungen ausgesetzt war, wird hoffentlich deutlich,
dass in dieser Stereotypie immer auch eine Gefahr lauern kann. Ob diese
Gefahr im Fall von Eastwoods Film groß oder gering einzuschätzen
ist, mag schließlich jeder selbst entscheiden. Wenn - und dies wird
von mir in meinem Text suggeriert und nach Möglichkeit inhaltlich
erklärt - aus den zeichenhaften Strukturen eines Films Bedeutungsebenen
abzuleiten sind, die einer ersten Sinnebene äußerlich sind
oder dieser diametral widersprechen, kann dies jedoch zur Falle werden.
Jeder Film
wird von einer Öffentlichkeitsarbeit begleitet oder von vornherein
so gemacht, dass er durch bestimmte Charakteristika 'auffällt': Starbesetzung,
interessantes Thema, Tabu-Thema, Special effects, Clou am Ende der Erzählung,
exotische Herkunft u.ä. Des Weiteren hat jeder Film Aspekte, die
fast jede/r RezensentIn erwähnen muss. Im Fall von Eastwoods Film
gehören zu diesen beiden Gruppen von Aspekten: Boxer-Drama mit einer
Frau in der Hauptrolle; Sterbehilfe-Thematik; Werk des betagten Regisseurs
und Schauspielers; Oscar-Prämierungen.
Zu diesen
Aspekten finden sich im Folgenden Beispiele aus Presseveröffentlichungen.
Die AutorInnen kommen oft zu ähnlichen Beschreibungen und Schlussfolgerungen;
der geringere Teil von ihnen fällt ein eher abwertendes, wenn auch
respektvolles Urteil über den 'Wert' des Films. In einer solchen
Übersicht vermittelt sich eine Art signaltheoretisches Arrangement:
Filmemacher halten Karten mit Zeichen hoch, auf die RezensentInnen sprachlich
reflexhaft reagieren oder originelle Beiträge liefern.
An dieser
Stelle sei nur ein Beispiel erwähnt, weil es in der folgenden Aufstellung
in mehreren Rubriken verstreut ist. Der Begriff "white trash"
wird mit Bezug auf die Familie der weiblichen Hauptfigur in fast allen
hier zitierten Rezensionen verwendet. Als einziger nimmt sich Daniel Kothenschulte
(Frankfurter Rundschau) die Zeit, über die inhaltliche Valenz dieses
Begriffs für Eastwoods Film nachzudenken: "Man macht sich gewöhnlich
nicht viele Gedanken darum, wenn das amerikanische Lumpenproletariat als
"white trash" bezeichnet wird, 'weißer Müll'. Gespenstisch ist es jedoch,
dies einmal konsequent beim Wort genommen zu sehen. Zwar lässt Eastwood
an der Würde seiner Hauptfigur keinen Zweifel aufkommen, doch die zeigt
er allein als eine Flamme der Erleuchtung, als spirit, der von
Hilary Swank als konzentrierte Anspannung in jeder Szene spürbar gemacht
wird. Ihr Leben habe sich in ihrer Boxerinnenzeit erfüllt, wird sie dem
Mann erklären, der sie zu diesen Glücksmomenten geführt hat. Nun ist es
an ihm, ihr Leben auch technisch zu beenden." (7)
Kothenschulte zieht nicht dieselben zynischen Konsequenzen wie ich, aber
er verweist auf eine metaphorische Ebene des Begriffs, der eine tragische
und menschenfeindliche Bedeutung ahnen lässt, die im Film enthalten
ist.
Außerhalb
der folgenden Kategorisierung sei zudem angemerkt, dass der Umgang mit
Eastwood als Kino-Veteranen von Ehrfürchtigkeit gekennzeichnet ist,
die kein staatlicher Würdenträger in westlich geprägten
Industrienationen in Pressetexten zu erwarten hätte. Polemisch gesagt,
scheint das Rezept dafür, von Journalisten im Alter mit Respekt und
Hochachtung behandelt zu werden, jenes zu sein, mehrere Jahrzehnte mit
einem guten Gespür für Triviales gewaltgesättigte Filme
zu veröffentlichen, um dann ab dem Alter von ca. 65 Jahren eher melancholische
Filme selbst zu inszenieren, in denen die alten Geschichten zwar wiederkehren,
hier aber mit Herzklappenproblemen und Ganzkörperlähmungen verrührt
werden.
Wenn gerade
nicht das nächste Schul-Massaker ansteht, kann man eben unbekümmert
Revolverhelden bewundern. So Katja Nicodemus (Die Zeit) über Clint
Eastwood: "Der Mann, der als Kopfgeldjäger und Cop mit der 44er Magnum
zu unser aller Aufräumer-Fantasie wurde. (...) Und der noch vor drei Jahren
in Blood Work zeigte, dass er immer eine kleine Pumpgun im Kofferraum
hat, da, wo bei anderen die Einkaufstüten neben dem Reserverad liegen:
»Make my day.«" Dabei könnte die Autorin an jener Stelle einmal
Luft holen und nachdenken, wo sie auf Eastwoods letzte Filme unter eigener
Regie zurückblickt und ihn als "an der Polizeigewalt zweifelnden
Sheriff (A Perfect World)" sieht. (3)
Welche "Polizeigewalt" könnte da wohl noch gemeint sein,
wenn nicht die notwendige, die friedfertige Menschen vor Verbrechern schützt?
Vor Verbrechern, die - neben anderen Gründen für Verbrechen
- ihre tödlichen Männlichkeitsfantasmen aus Filmen von Eastwood
& Co. entliehen haben? Was Polizisten als erste am eigenen Leibe spüren?
Und was ist aus der Dunn-Figur im aktuellen Film zu schließen? Diese
ist laut Nicodemus "einer jener Eastwood-Helden, die der Gewalt entstiegen
sind, die in Gewalt denken und sie doch in der Tiefe ihres Herzens fürchten
und verachten." Aber die Gewalt auf der Leinwand aus der Tiefe ihres
Herzens lieben und verehren? Oder die die Filme ihrer schauspielerischen
Vergangenheit zwar mittlerweile als Motor der Gewalt in einer mit Waffen
gespickten amerikanischen Privatsphäre empfinden, dies aber nicht
sagen können? Weil sie dann aufhören müssten? Und stattdessen
Filme machen, die so vergiftet sind wie die letzten Werke Eastwoods? Um
sich auf ihre Weise von dem zu distanzieren, was sie - unter anderem -
getan haben? Was aber kein Rezensent so sieht? Oder meint das Gerhard
Midding, wenn er schreibt: "Es sind kunstvoll verschleierte Wortwechsel,
die die Unergründlichkeit respektieren, die einst Eastwoods Markenzeichen
als Westerner und Polizist war, diese aber längst als rührend anachronistisch
überführen." Und es reicht wohl, wenn andere sich mit schwierigen
Themen befassen: "Die Frage nach Schuld und Erlösung bedrängt Eastwood
stärker von Film zu Film. [...] Aber das Alterswerk dieses einstmals kaltblütigsten
aller Hollywoodstars lässt keinen Zweifel daran; er glaubt an die Unentrinnbarkeit
des Gewissens." (8)
Diese Erwägungen
mögen verquält oder altmodisch wirken, und eine bestimmte Avantgarde
in Wissenschaft und Presse mag sich seit Jahrzehnten auf eine sprachliche
Ebene zurückgezogen haben, die zwar Anklänge von derlei kritischen
Haltungen noch enthält, sich aber nicht dem Vorwurf aussetzen will,
einer 'postmodernen Frivolität' mit stalinistischer Kunstdoktrin
und ideologiekritischen Ambitionen begegnen zu wollen. (Aufgrund hermetischer
Tendenzen in Filmerzählungen und Publizistik schließt hier
die Tabelle - als Höhepunkt des Pedantismus - mit einer Auflistung
von Rechtschreibfehlern.) Wie dem auch sei: Der Eindruck, der in einer
solchen Parallel-Lektüre von Presseveröffentlichungen und ihrer
kritischen Befragung auf ihr inhaltliches, logisches und sprachliches
Verhältnis zum Primärtext entsteht, kann hoffentlich hier und
da überzeugen im Hinweis auf den prekären Status von Zeichenbedeutung
in einer massenmedial geprägten Öffentlichkeit. Man kann hieraus
polemische Schlussfolgerungen ziehen (siehe etwa auf dieser Website meinen
Text Die 1000 Lügen des Kinos).
Es ergeben sich aus meiner Sicht auch komische Effekte, wenn die divergierenden
Lesarten hier aufeinander treffen.
Dennoch ist
die folgende Gegenüberstellung weder Selbstzweck noch ein Produkt
von Langeweile. Die Konsequenzen von Bedeutungsverschiebungen können
individualpsychologisch, kulturell und sozial ernst sein. Für die
Industrie des Films und ihre Produkte mag das gelten, was Jean-Luc Godard
in "Nouvelle Vague" (F / CH 1990) ebenfalls enigmatisch in eine
Sentenz fasst: "Ägypten… Leute, die sich seit 4000 Jahren über uns
lustig machen."
Text
auf dieser Website |
Presserezension |
Die
Erklärung der Metapher geht zum Beispiel so: Eastwood karikiert in
seinem Film die märchenhafte Karriere einer für den Ruhm zu allem
entschlossenen Frau. Dass dies eine Metapher für die Karriere in Hollywood
sein könnte, wäre damit noch nicht plausibel. Kulturjournalisten assoziieren
da lieber eine neue Variante des american dream. |
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Die
junge Boxerin, die den männlichen Zweikampf sucht, um ihrer lieblosen
Mutter und ihrer verlorenen Familie zu helfen, wird vom Leben zerstört,
ohne daß der Film daraus einen anderen Sinn gewönne, als menschliche
Größe im absurden Scheitern zu zeigen.
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Schon
der billig blinkende Titel verweist mit milder Ironie auf die amerikanischen
Sportfilme und Rocky-Geschichten, in denen sich ein Underdog den
Aufsteigertraum zurechtboxt. Million Dollar Baby beginnt
mit der alten amerikanischen Helden-Geschichte.
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Ein
rechter Boxerfilm, wie sie sein Verleih, die Warner Brothers, schon
früher machten, will er zwar nicht sein, dafür aber ein Melodram
des sozialen Ausbruchs.
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Der
Boxfilm ist ein kurioses Genre: Kaum je geht es um den Sport an
sich. Im klassischen Hollywoodkino steht er für die rabiate Variante
des amerikanischen Traums. In seiner Dramaturgie von Aufstieg und
Fall, vom Widerstreit zwischen Integrität und Korruption fungiert
er, dem Gangsterfilm nicht unähnlich, als Gleichnis für die Gesellschaft.
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Man
kann "Million Dollar Baby" in die Boxfilm-Tradition stellen, denn
er handelt von der jungen Maggie Fitzgerald (Hilary Swank), die
den alternden Trainer Frankie Dunn (Eastwood) überredet, ihr die
einzige Chance ihres Lebens zu geben; aber eigentlich geht es nicht
um die Kunst des Faustkämpfens, sondern darum, wie man Achtung und
Selbstachtung erringt. [...]
Eine Weile wandelt "Million Dollar Baby" auf klassischen Tellerwäscher-Pfaden;
hinter dem Sandsack, auf den Maggie verbissen einschlägt, hängt
die uramerikanische Devise "Gewinner bleiben einfach länger dran
als Verlierer". Und ja, das Rezept funktioniert, und Maggie schlägt
sie reihenweise K.O. und erboxt sich ein Häuschen für Mutti und
einen Titelkampf.
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Beginnen
wir zur Stärkung des Gegenarguments bei einem deutlichen, aber peripheren
Element des Films. Der Boxtrainer Frankie gibt sich als Feingeist.
Er interessiert sich für Sprachen, und in der Zeit, als er Maggie
trainiert und auch, als er ihr am Krankenbett Beistand leistet,
lernt er Gälisch. Er gibt ihr den Spitznamen „Mo Cuishle“, nach
dessen Sinn sie ihn vergeblich fragt, obwohl sie einen Mantel mit
entsprechendem Aufdruck bei Kämpfen trägt. Er wird ihr den Sinn
der Worte erst erklären, wenn sie ihren großen Sieg errungen hat.
Wer das nicht skurril nennt, denkt weiter. Es ist nicht so schwierig.
Die Bedeutungspluralität sprachlicher Zeichen wird hier betont.
Man kann in einer anderen Sprache sprechen, und der andere versteht
es nicht, obwohl er einen Namen in dieser Sprache trägt. Eastwood
konstruiert eine sprachliche Barriere zwischen seinen Filmfiguren,
die das Problem der Übersetzbarkeit und sprachlichen Mehrdeutigkeit
auf die Ebene des Filminhalts hebt; darüber hinaus ist seine eigene
Verwendung des Gälischen in seiner Schreibweise fehlerhaft (siehe
http://www.irish-sayings.com/love.php),
was insofern als ein weiterer hinweisender Widerhaken verstanden
werden kann.
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Eastwood
weiß, wo die Kamera stehen und wie lange ein Bild stehen muß, um
seine volle Wirkung zu entfalten. Deshalb kann Frank auch Yeats
lesen und Keltisch lernen, er kann Maggie den Namen "Mo Cuishle"
geben, was "mein Blut" oder "mein Schatz" heißt.
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"Mo
Cuishle" ist der Name, den Frankie ihr gibt (und dessen Bedeutung
sie erst ganz am Ende erfahren wird). Ein amerikanischer Alptraum.
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An
seiner Yeats-Lektüre hat Frankie vielleicht auch seinen Fatalismus
geschärft. Vielleicht liegt es aber auch an den ungeöffneten Briefen,
die sich abends, wenn er nach Hause kommt, auf seiner Türschwelle
stapeln.
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Zur
Entspannung liest er Yeats (auf Gälisch!), denn natürlich ist Boxen
eine intellektuelle Beschäftigung. Wer das nicht kapiert hat, wird
es im Ring sowieso zu nichts bringen.
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Frankie
Dunn ist in vieler Hinsicht ein alter ego des Autors, auch
er pflegt einen verstohlen intellektuellen Zeitvertreib, lernt Gälisch,
um Yeats im Original lesen zu können.
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Eastwoods
unsentimentaler Humanismus, eine abgeschwächte Form von Altersstarrsinn,
gefällt der Filmkritik. In "Million Dollar Baby" hört man ihn sogar
das erste Mal schluchzen. Frankie schleppt auch immer einen alten
Yeats-Schmöker mit sich rum, den er auf Gälisch liest. Wie kauzig.
Weitere Fragen werden nicht gestellt.
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Dunn
nimmt nicht mehr wirklich teil am Leben, will sich auf nichts Neues
mehr einlassen – außer Gälisch lernen vielleicht –, will keine neuen
Kämpfe mehr ausfechten.
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Mörderische
Haken bekommt Maggie von einer Gegnerin ab, die aus Ostberlin kommt,
einer Hälfte der in der historischen Zeit der Handlung geteilten
Stadt (zwei geografische Hälften / zwei Sprachen > clash
as clash can). Sie ist eine ehemalige Prostituierte, womit wir
beim nächsten Thema wären. |
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Diese
überzeugende Konstellation deckt jedoch nicht alle Schwächen des
Drehbuchs zu. Angefangen von Frankies Beziehung zu einem Pfarrer,
die zusammenhanglos im Raum steht, bis zu üblen Klischees, von denen
nur das der osteuropäischen Kampfmaschine genannt sei. Darüber werden
nur eingefleischte Eastwood-Fans hinwegsehen können.
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Durch
den Hinterhalt einer ostdeutschen Gegnerin schwer verletzt, bleibt
Maggie nur ein Vegetieren als Querschnittsgelähmte. So bittet sie
ihren Mentor, sie zu töten.
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Wieder
einmal führt ein abgehalfterter Trainer (Frankie, gespielt von Eastwood)
einen Außenseiter zum Titelkampf, wobei die Besonderheit, dass jener
Underdog weiblich ist (Maggie, gespielt von Hilary Swank), kaum
thematisiert wird. Statt dessen macht sich Eastwood einen Spaß daraus,
Maggies Familie als »White Trash«-Karikaturen auftreten zu lassen
und ihre Hauptgegnerin als Ost-Berliner Ex-Hure grotesk zu überzeichnen.
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So
richtig böse ist in "Million Dollar Baby" eine ostdeutsche Exprostituierte,
die im Kampf um den Weltmeisterschaftstitel dem wütenden White-Trash-Girlie
hinterrücks einen fiesen Schlag versetzt. Billie "The Blue Bear",
gespielt von der viermaligen Kickboxweltmeisterin Lucia Rijker,
ist so unsympathisch gezeichnet, dass sie locker alle Ressentiments
gegen osteuropäische Sportlerinnen bestätigt. Der Witz geht in "Million
Dollar Baby" auf ihre Kosten.
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Lustig
ist damit auch die Szene, in der der manische Kirchgänger Frankie
seinen Pfarrer nach der Bedeutung der unbefleckten Empfängnis fragt.
Filmkultur ist eben eine Kirche, in der nicht wenige täglich die Andacht
besuchen. |
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Sie
führen ein Gespräch über löchrige weiße Socken, zwei alte Grantler,
der eine etwas verkniffener und mürrischer, der andere geringfügig
freundlicher; und sie agieren dabei mit einer leisen Selbstironie,
wie sie auch Frankies Kirchgänge begleitet.
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Tag
für Tag besucht er die Messe, führt mit dem handfesten Pater seine
eigenwilligen theologischen Dialoge - und schlägt sich dabei auf
eine Weise mit Fragen von Schuld und Sühne herum, von denen der
Katechismus nichts weiß.
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Eastwoods
trockener Pessimismus, der fast jeden seiner Filme seit "Erbarmungslos"
(1992) zusammenhält, ist ein seltenes Gut im Hollywood-Film der
Gegenwart, noch seltener sogar als seine zutiefst empfundene Ablehnung
für traditionelle Institutionen wie Kirche und Gesetz.
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Seit
zwanzig Jahren hat er nichts mehr von seiner Tochter gehört, und
genauso lange treibt es Frankie schon in die Kirche.
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Jemand
wie er, sagt der Priester einmal zu ihm, der keine Messe verpasst,
muss schon einen ganz gewaltigen Brocken Vergangenheit zu bewältigen
haben.
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Eine
anekdotische Nebenhandlung, die Frankie als vom Glauben abgekommenen
Katholiken in Gesprächen mit seinem dogmatischen Priester zeigt,
unterstreicht dabei das Statementhafte noch.
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Das
Altern gerät ihm längst nicht mehr zur Koketterie - wenn es dem
skeptischen Katholik Frankie Schwierigkeiten bereitet, sich beim
Beten hinzuknien, dann erzählt Eastwoods Körperspiel auch von der
spirituellen Leere, die seine Figur weder durch die täglichen Besuche
in der Messe noch die hartnäckigen Fragen nach den Glaubensmysterien,
mit denen er den Priester peinigt, zu füllen weiß.
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Und
Frankie, den es jede Woche wieder in die Kirche verschlägt, obwohl
er seinen Glauben längst verloren hat.
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Dunn
provoziert seinen Priester gern – Hey, ich hätte da noch ein paar
Fragen zur Unbefleckten Empfängnis! –, aber der wird ihm in den
entscheidenden Fragen ohnehin alle Antworten schuldig bleiben.
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Eastwood
hadert seit ein paar Filmen mit seinem Gott, den es vielleicht nur
gibt, damit man noch um ein Wunder flehen kann, wenn das Schicksal
längst schon unumkehrbar ist.
Frankie Dunn, den Eastwood spielt in seinem „Million Dollar Baby“,
geht jeden Morgen in die Kirche, aber sie bleibt ein Grabmal Gottes.
Er betet dauernd und findet im Glauben weder Trost noch Zuflucht.
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Die
Sexualisierung weiblicher Gestalten in Filmen filmisch zu thematisieren,
ist auf verschlüsselte (Hollywood) und unverschlüsselte
Weise (Godard) immer wieder geschehen. (Godard wird selten oder
gar nicht gezeigt und muss deshalb durch den Metaphern-Filter eines
Puritanismus, der beim Freudschen Verschieben leider alles nur noch
schmuddeliger macht.) Eastwood verlegt sich also auf die erste Variante
und setzt seine Hauptdarstellerin hinter eine Windschutzscheibe,
von der er selbst an einer Tankstelle die milchige Reinigungsflüssigkeit
abwischt. Der Blick auf die Frau durch die Scheibe im Rahmen, die
rinnenden Sekrete.
Beim „Scheibenwi(s)ch(s)en“ denkt der Filmfreund auch an eine Szene
in Claude Chabrols „Violette
Nozière“, F 1978,
in der eine Frau in ein Auto steigt und - sichtbar durch die Windschutzschreibe
mit Scheibenwischern - beinahe vergewaltigt wird, während auf dem
Soundtrack (Komponist: Pierre Jansen) Jürgen Kniepers Erkennungsmelodie
von Dieter Hildebrandts politischer Kabarett-TV-Sendung „Scheibenwischer“
anklingt – wenn man es so hören will (siehe Real-Video
[206 KB] oder MPG [7 MB]; Copyright).
Mal nicht zu schweigen von der Szene in Lars von Triers „Forbrydelsens
Element“ (The Element of Crime, DEN 1984), wenn Fisher (Michael
Elphick) mit Kim (Me Me Lai) auf der Motorhaube Analverkehr hat,
während sie sich an den in Bewegung befindlichen Scheibenwischern
festhält (Selbstkommentar: „screwing a Volkswagen“).
In diesem Kontext ist auch das fortgesetzte Zitronenkuchenessen
der Filmfiguren Eastwoods bemerkenswert. Hier lässt sich an
Louis Malles "Atlantic City" (USA / CAN / F 1980) denken,
der neben der ersten Szene noch in einer weiteren Sally Matthews
(Susan Sarandon) leichtbekleidet zeigt, während sie sich mit
gepreßtem Zitronensaft einreibt und ihr Nachbar Lou Pascal
(Burt Lancaster) sie dabei heimlich beobachtet, was er ihr später
gesteht.
Um noch einen Augenblick bei der Sexualisierung der Figur Swanks
zu verweilen: Dreimal wird innerhalb dieses Films auf orale Befriedigung
angespielt. Maggie lutscht die kleine Kerze auf ihrem Geburtstagskuchen
ab. Als Bettlägerige muss sie einen Stift zwischen den Lippen halten,
um eine Vollmacht zu unterschreiben. Bei einem ihrer Boxkämpfe hat
Frankie ihr ein merkwürdiges Aufgebot bestellt, der ihrem vom Publikum
skandierten scheinbar
willkürlichen gälischen Namen den würdigen Rahmen verleihen soll.
Eine Kohorte von Dudelsackpfeifern begleitet sie in die Arena, und
Frankie kommentiert: „I got you some pipers.“
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Dann
die Gespräche zwischen Maggie und Frankie im Auto, in der Kabine
oder beim Essen. Kurze Momente einer großen Zuneigung, getragen
von Nähe und unzerstörbarer Loyalität.
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Maggie
braucht Frankie, weil sie einen väterlichen Mentor sucht, der an
sie glaubt. Frankie braucht Maggie, weil seine wirkliche Tochter
seit Jahren alle seine Briefe ungeöffnet zurückgehen lässt. Beide
brauchen einander, weil die Welt eine zugige Boxhalle ist. Sie brauchen
sich so sehr, dass es kaum auszuhalten ist. [...]
Ein Mann, der sich mit seiner Ersatztochter auf ein letztes großes
Abenteuer begibt.
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Den
Trainer und seinen Schützling prägen gestörte Familienbeziehungen.
Maggies White-Trash-Familie ist ein Desaster - und das Boxen für
sie der Weg, das Gefühl zu erlangen, etwas wert zu sein als Person.
Frankie macht dagegen aus dem Boxen eine Sicherheitsphilosophie,
weil seine Tochter nichts von ihm wissen will. Er lehrt die Kunst,
sich zu verbarrikadieren, um nicht getroffen zu werden.
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Sein
Plädieren für Selbstjustiz in seinen jüngeren Filmen Blood Work
und Mystic River konnte man noch als Spleen abtun. Aber gab
es im letztgenannten Film eigentlich noch irgendeinen Grund dafür,
den Vergewaltiger mit einem Priesterring auszustatten, abgesehen
von einer populistischen Provokation? Million Dollar Baby
ist ein Musterbeispiel dafür, was geschieht, wenn einer der größten
Künstler seines Fachs sich selbst an eine fixe Idee verkauft.
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Ein
eigentümlicher Generationenvertrag wird ausgehandelt in Million
Dollar Baby, bei dem die Weitergabe von Erfahrungen sich allmählich
als eine Liebeserklärung zu erkennen gibt. Ihre Reflexe und Worte
belegen die innere Verwandtschaft von Maggie und Frankie. Seit seinem
Western Der Texaner (1974), insgeheim bereits seit den ersten
Episoden des Dirty Harry-Zyklus, kreisen Eastwoods Filme
um die Idee der Ersatzfamilie. Sein Kino ist bevölkert von verlorenen
und adoptierten Töchtern; selbst in Liebesgeschichten wirkt er seither
wie ein mitunter linkischer Mentor.
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Die
Motivation für das Vater-Tochter-Verhältnis der beiden Hauptfiguren
mag dabei etwas schematisch wirken. Doch nicht zuletzt darauf basiert
die unaufdringliche Qualität dieses Films.
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Aber
die Emotionen sind noch schwerer zu ertragen; Dunn verliebt sich,
aber nicht, wie man sich in eine Frau verliebt. Es ist eine väterliche
Liebe, absolut rein, sie verlangt nichts zurück und will vollkommen
sein.
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„Million
Dollar Baby“ ist in vielerlei Hinsicht frischer und kompromissloser
und mutiger als das meiste, was junge Filmemacher zu bieten haben,
und unter anderem wären Maggie und das Frauenbild, das sich hinter
ihr verbirgt, selbst für wesentlich jüngere Filmemacher revolutionär.
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„Million
Dollar Baby“ ist auch hier nicht ohne Ironie. Wie in zahllosen anderen
Szenen der Filmgeschichte werden inszenatorische Kommentare zur visuellen
Präsenz von Hintergründen gegeben. In der Trainingshalle von Scrap
(Morgan Freeman) findet sich etwa das rot geletterte Schild „No visitors
beyond this point“. Entschuldigung, aber wir sehen. (Freemans oscarprämierte
Nebenrolle lässt rassistische Assoziationen durchaus zu, auf die ob
ihrer Abscheulichkeit hier nicht näher eingegangen werden soll.
Er ist der Erzähler des Films, der einzelne Szenen aus dem Off kommentiert.)
Sehr witzig aus dieser Perspektive die Szene, in der Scrap seine in
stinkenden und löchrigen Socken befindlichen Füße in der bildlichen
Randzone hochlegt, woraufhin Frankie ihm sogar anbietet, neue zu kaufen. |
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Eastwood,
der Boss, und Freeman, der Hausmeister, liefern sich knickerige
Diskussionen über das beste Putzmittel und die Philosophie des Sockenlochs.
Ihre Dialoge sind purer Jazz.
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Die
Figuren sind vom Leben angezählt, Scrap, der Spitzname von Dunns
einzigem Freund (Morgan Freeman), lässt sich mit Schrott übersetzen.
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Ein
ebenfalls selbstreferenzieller Motivkreis der Filmgeschichte sind
die Untoten. Hier gehört „Million Dollar Baby“ zu der auffälligen
Häufung von Koma- und Sterbehilfe-Dramen der letzten Jahre. Auch wenn
nicht Komapatientinnen gefickt werden („Hable con ella / Sprich mit
ihr“, E 2002; „Kill Bill“, USA 2003) finden sich dabei Anspielungen
auf Funktionsweisen filmischer und letzthin nekrophiler Fantasien.
Die Paradoxie der lebendigen Anmutung unkörperlicher Schatten auf
der Leinwand kann man auch in die Einsicht Frankies über Maggies Koma
wenden: „By keeping her alive, I’m killing her.“ Darüber
hinaus kann man die unbewegliche Position der bettlägerigen Maggie
auch als bittere Parabel auf die Zuschauerposition im Kino und vor
dem TV-Schirm lesen.
Sprache, die dritte. Das Verb „to shoot“ wird bekanntlich für ballistische
ebenso wie für filmische Verfahren verwendet (wenn „shot“ nicht für
Hochprozentiges steht). Schon in dem Junkie-Drama „The Man with the
Golden Arm“ (Der Mann mit dem goldenen Arm, USA 1955, R: Otto Preminger)
klingt es doppeldeutig, wenn der heroinsüchtige Frankie Sinatra nach
dem nächsten „shot“ giert (und dabei nicht selten im Bild vor pictures
sitzt). Bei Eastwood wird das Wort in zwei anderen Bedeutungen verwendet.
Einmal ist es Scrap, der es im Sinne von „Chance“ verwendet und Frankie
besänftigt, der sich Vorwürfe wegen des schweren Unfalls seiner Boxerin
macht: „Because of you, Maggie got her shot.“ Das sei mehr, als andere
im Leben zu erwarten hätten. Am Ende kündigt Frankie Maggie die erlösende
Dosis an: „I’m givin you a shot and you stay asleep.“ Millionen von
Filmzuschauern erfuhren ihre Art von Sterbehilfe auch schon in früheren
Werken des Schauspielers Eastwood: „Hang ’Em High“ (Hängt ihn höher,
USA 1968, R: Ted Post) etc. |
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Es
ist die Zeit, welche die Geschichte braucht, um begreiflich zu machen,
warum der Trainer und die Boxerin tun, was sie tun; um eine solche
emotionale Wucht zu erzeugen, daß einem die Tränen in den Augen
stehen, weil hier eben nicht irgendeine lehrreiche Parabel von Aufstieg
und Fall konstruiert oder ein sogenanntes relevantes Thema wie Sterbehilfe
verhandelt wird.
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Nach
langem Martyrium erbarmt sich der Trainer und gibt ihr den Gnadentod:
Eastwood spielt das als einen Akt der Reue und Liebe; und sein Trainer
hofft nicht auf Vergebung, er tut das Notwendige und verschwindet
dann, als wolle er sich auflösen. Ist
es Zufall, daß der "Oscar" für den besten ausländischen Film an
den spanischen Film "Mar adentro" (Sea Inside) ging, der ebenfalls
die Befreiung eines gelähmten jungen Sportlers (auch das eine wahre
Geschichte) schildert, der den Tod nach einem Sportunfall herbeisehnt
und ihn durch eine helfende Liebe findet?
Während wir tagtäglich im Fernsehen das qualvolle Lebensverlängern
des Papstes beobachten, der sich für sein Amt heroisch ins Leben
und in öffentliche Auftritte quält, wird jedenfalls die unheimliche
Macht und Ohnmacht der lebensverlängernden Medizin für alle sichtbar.
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Tatsächlich
mutet Eastwood nicht nur seinem Helden, sondern auch uns mehr zu
als je zuvor. Er zeigt den Albtraum, die andere, grausame, trostlose
Seite der Siegergeschichten. Er filmt eine junge Frau, die querschnittsgelähmt
in ihrem Bett liegt, und einen Mann, der ihr nicht helfen kann.
Er zieht uns immer weiter, immer tiefer bis zur Erkenntnis der absoluten
Ohnmacht. Und noch lange, sehr lange, glaubt man, Eastwood, ein
Wunderdoktor oder das Drehbuch müssten noch einen Ausweg finden,
weil uns das Kino an solche Auswege gewöhnt hat. In diesem Krankenhaus
jedoch, in dem Million Dollar Baby alle Farbe zu verlieren
scheint, lässt man alle Hoffnung fahren. Was bleibt, ist ein alter
Mann, der zärtlich und verzweifelt auf einen gelähmten Körper blickt.
Und ein Gewissenskonflikt. Um gottgewolltes Schicksal und würdeloses
Leiden. Um das Recht auf Sterbehilfe.
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sein
Gesicht, das im scharfen Schattenriss manchmal nur noch Schädel
ist
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Scrap
sieht seine Biographie mit Gelassenheit, denn immerhin habe er hat
[sic] seine Chance gehabt ("I had my shot").
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Wie
alle Reizthemen hat auch das Thema Sterbehilfe das Zeug zu einem
guten Kinostoff. Zur Zeit läuft in unseren Kinos noch Das Meer
in mir, ein Film, der nicht überzeugen kann, weil er ganz auf
das Charisma eines geistvollen Individualisten setzt, um den sich
jeder kümmert. Mit der Alltäglichkeit solcher Krankengeschichten
hat das wenig zu tun. Eastwood wählt einen gänzlich anderen Weg,
indem er eine Figur einführt, deren ganzer Lebenssinn in ihrer physischen
Arbeit liegt und die somit ihr Lebenslicht de facto aushaucht,
als sie sich nicht mehr bewegen kann. "Sie wuchs auf und wusste
nur das eine", erklärt Scrap ihre Vorgeschichte aus dem Off, "Sie
war trash". Nun hat der Müll sie wieder.
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Doch
gerade weil Eastwood die trivialen Aspekte seines Stoffes so kokett
hervorhebt, kommen die elegante Einfachheit des Erzählens und die
reife Gelassenheit der Inszenierung umso klarer zur Geltung. Diese
formalen Qualitäten erlauben es ihm wiederum, sich ganz unprätentiös
einer ethischen Frage anzunehmen, wenn der Film sich unerwartet
in ein abstraktes Drama über Leben und Tod verwandelt.
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Eastwood
hat in den letzten Jahren einen fast puristisch zu nennenden Erzählstil
kultiviert. Das ist "Million Dollar Baby" zugute gekommen. Mittellange
Einstellungen, sparsame Musikeinsätze (ein paar hingeworfene Bluesakkorde,
beste Americana) und das zurückgenommene Spiel seiner Darsteller
vermitteln eine Stille, in der bereits eine tiefe Resignation zu
spüren ist. Morgan Freemans lederne Off-Kommentare, seine trockenen
Pulp-Aphorismen verstärken dieses Gefühl noch. "Million Dollar Baby"
besitzt die Schwere eines Requiems.
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Beim
US-Start gab es die Diskussion, wie sich „Million Dollar Baby“ verhält
zum Thema Euthanasie. Es ist ein bisschen schwer, das Thema zuzulassen,
ohne etwas preiszugeben von diesem wunderschönen, traurigen Film.
Es geht um ein Dilemma, aus dem kein ethischer Rat heraushelfen
kann.
So kann man ohnehin nicht herangehen an ein Kunstwerk, das diese
Frage nicht beantwortet und nicht beantworten will – was er macht
aus der Geschichte, die Eastwood erzählt, muss jeder selbst wissen.
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Sprache,
die zweite. Das Thema des Boxens hat in der Filmgeschichte Tradition.
In Eastwoods Film liegt es aufgrund der hier thematisierten Zusammenhänge
näher als in anderen Beispielen, an die wörtliche Konnotation zum
„box office“, der englischen Bezeichnung für die Kinokasse zu denken.
Dass die Filmfigur Maggie auch für den Erfolg am „box office“ kämpft,
wird niemand bestreiten. Den pekuniären Aspekt hebt der Titel des
Films selbst hervor. Und Maggies Angehörige leben in einem trailerhome,
in der ersten Worthälfte das Wort für eine Kinowerbung.
Und die Hauptfigur Frankie ist ein "cut man", der die beim
Boxen aufgeplatzten Wunden versorgt - und trägt damit assoziativ
auch den Filmschnitt in der Berufsbezeichnung.
Weitere Konnotationsreihen kommen hinzu. Eine im Film wiederholte
Weisheit Frankies lautet: „Everything in boxing is backwards.“ Rückwärtig
in diesem Film wie in jedem anderen ist die Ausstattung der Räume.
Hier ergeben sich nicht nur inhaltliche Bedeutungen von Gegenständen,
sondern auch ornamentale und anthropomorphe Konstellationen, die die
Phänomenalität von Filmgeschichte wesentlich geprägt haben. Eastwood
hat zur Betreuung dieser Produktion einen Methusalem des Business
engagiert: Henry Bumstead (geb. 1915) arbeitet seit 1948 an der Ausstattung
von Filmen wie Hitchcocks „The Man Who Knew Too Much“ (Der Mann, der
zuviel wußte, USA 1956); zuletzt waren es nur noch Filme Eastwoods.
„Million Dollar Baby“ ist auch hier nicht ohne Ironie. Wie in zahllosen
anderen Szenen der Filmgeschichte werden inszenatorische Kommentare
zur visuellen Präsenz von Hintergründen gegeben. In der Trainingshalle
von Scrap (Morgan Freeman) findet sich etwa das rot geletterte Schild
„No visitors beyond this point“. Entschuldigung, aber wir sehen. (Freemans
oscarprämierte Nebenrolle lässt hier „crap“ für „Scheiße“ ohne Umstellprobe
lesen, was bei einem schwarzen Darsteller zumindest auf Rassismus
anspielt, zumal wenn dann noch in einer Szene das Klo überläuft und
Scrap ans Wischen geht. Er ist der Erzähler des Films, der einzelne
Szenen aus dem Off kommentiert.) Sehr witzig aus dieser Perspektive
die Szene, in der Scrap seine in stinkenden und löchrigen Socken (socks/sucks,
Gucklöcher, haha?) befindlichen Füße in der bildlichen Randzone hochlegt,
woraufhin Frankie ihm sogar anbietet, neue zu kaufen. In einer Szene
bald danach sitzt links im Bild ein Boxpromoter, von dessen Gestalt
auf den menschenleeren Hintergrund übergeblendet wird.
In einer weiteren signifikanten Szene sehen wir Dunn vor einem Fenstervorhang
in Maggies Hospitalzimmer sitzen. Hier findet sich die visuelle Struktur
eines Hämatoms, das wir zuvor an Maggies Bein gesehen haben, als Textilmuster
wieder, das in diesem Bild neben Dunns sorgenzerfurchtem Gesicht zu
sehen ist - worüber er sich hier sorgt, wird damit vieldeutiger, wenn
man die Symbolik des Vorhang-Motivs (theatraler Raum, Stofftuch als
Bildfläche) nicht ausblendet.
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Es
ist ein gedämpfter Naturalismus, der kein großes Aufhebens von sich
macht wie manche anderen Filme, welche die Kargheit eines Milieus
ostentativ zur Schau stellen.
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Zu
Beginn von Million Dollar Baby taucht seine Gestalt wie aus einer
verschatteten Erinnerungslandschaft auf. Sie ist ganz gegenwärtig
und doch schon Kinomythos, Teil einer Geschichte, die Morgan Freeman
mit gelassener Schicksalsstimme erzählt. Die Boxhalle scheint eine
Art Endbahnhof, betrieben von zwei Freunden, die vom Leben nicht
mehr viel erwarten.
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"Boxen
ist ein unnatürlicher Akt", sagt Freeman aus dem Off, so wie es
sich für jedes Hardboiled-B-Movie gehört, "denn alles passiert rückwärts.
Manchmal ist der beste Punch ein Schritt zurück. Doch wenn du dich
zu weit zurückziehst, fightest du plötzlich gar nicht mehr."
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Frankie
ist ein Verlorener. Maggie eine Heimatlose, eine aus dem Trailerpark.
Dahin, sagt sie Frankie, will sie nie wieder zurück. Also muss er
sie mitnehmen – wenn es sein muss, ganz nach oben.
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Maggies
Kämpfe sind keine ausgefeilten Box-Choreografien, sondern reine
Überlebenskämpfe: raus in den Ring, rein in den Infight und dem
Gegner keine Möglichkeit zum Überlegen geben. Bloß nicht zurück
in den Trailerpark.
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Alle
Boxszenen sind mit einem offensichtlichen Desinteresse am Spannungsgewinn
inszeniert. Die Fights enden meist in der größten Frustration für
jeden Boxfan, dem schnellen K.O.
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Technik
und Strategie des Boxens spielen in Eastwoods Film indes eine für
das Genre ungewohnt tragende Rolle, er handelt von Lernprozessen,
von Regeln, deren Folgerichtigkeit und Weisheit man erst auf den
zweiten Blick begreift. Dem Zuschauer gewähren diese Lebenslektionen
das Privileg, sich nach einer Weile als ein Eingeweihter zu fühlen.
Paul Haggis´ Drehbuchadaption der Kurzgeschichten von F.X. Toole
liefert unverhoffte Innenansichten des Boxsports.
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Der
leise Ton und der ruhige Rhythmus dieser Szenen sind so schlicht,
dass man übersehen könnte, welcher Meisterschaft solch vordergründige
Einfachheit bedarf. Was auch für die zurückhaltende Kameraarbeit
Tom Sterns gilt, dessen sparsame, an barocke Helldunkelmalerei erinnernde
Lichtsetzung die dramatische Szene ganz selbstverständlich wirken
lässt, in der Frankie schließlich über nichts Geringeres entscheidet
als sein Seelenheil.
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Als
Boxfilm ist Clint Eastwoods 26. Regiearbeit eine kleine Offenbarung.
Die Kämpfe sind schnörkellos und direkt wie die Sprache von Tooles
Kurzgeschichten, auf denen "Million Dollar Baby" beruht. Sie dauern
oft nur wenige Minuten und enden mit einem K. o. Keine ausgefeilten
Boxchoreografien, sondern brutale Überlebenskämpfe: Raus in die
Schlacht, rein in den Infight, und dem Gegner keine Sekunde zum
Nachdenken lassen! Wille siegt über Technik.
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Um
nichts in der Welt, hat sie Frankie entgegnet, will sie zurück in
den Trailerpark, zu ihrer übergewichtigen Mutter und der jüngeren
Schwester, die Sozialhilfe für ihr totes Baby kassiert.
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Ein
Mausoleum des Boxsports, für das der Set-Designer Henry Bumstead
zu Recht mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Grünlich-braun strahlt
das modrige Kunstlicht von der Hallendecke und gibt den Blick frei
auf einen Trainingsparcours im fortgeschrittenen Stadium des Verfalls.
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„Statt
vor dem Schmerz zu fliehen, was jeder vernünftige Mensch tun würde“,
heißt es einmal in dem Film über das Boxen, „gehst du ihm entgegen.“
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Beim
Boxen läuft alles rückwärts – manchmal trifft man besser, wenn man
einen Schritt zurücktritt, aber manchmal kämpft man dann gar nicht
mehr. Die Welt um diese Menschen herum ist brutal, und das Boxen
bietet ein Regelwerk, mit dem sie sich nach Kräften zu schützen
versuchen gegen die erwartbaren Schläge und die unfairen – aber
es gibt immer Momente der Unachtsamkeit, für die man bezahlen muss.
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Man
sieht ihn in einer Szene, wie er im Dunkeln sitzt vor dem Fernseher
und einen seiner ehemaligen Schützlinge beobachtet, der ihm davon
laufen musste, um etwas zu werden.
Schattenboxen auf der Couch wird daraus, Frankie geht in jeder Bewegung
mit, als würde es ihn selbst verletzen, wenn einmal die Grundregel
nicht eingehalten wird, die er seinen Boxern einbleut – dass immer
nur die Deckung zählt.
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Diese
Figuren sind aus der Armut, der Chancenlosigkeit in den Elendsvierteln
der Städte geboren. Der Filmausstatter Henry Bumstead hat diese
Ärmlichkeit in einen sehr schönen, von Menschen verwohnten Raum
umgesetzt, Frankies Box-Studio, das mehr Zuflucht bietet als die
Kirche – und später wird man sehen, wie Armut aussieht, wenn man
ihr das Leben und die Liebe ausgetrieben hat.
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Zu
guter Letzt gibt Eastwood der „Popkultur“ seines Landes auch explizit
einen druff. Maggies Mutter besucht mit Tochter und kriminellem Schwiegersohn
erst einmal seelenruhig „Disneyworld“, bevor sie in der Komastation
aufkreuzt – mit dem Ansinnen, ihre Tochter finanziell auszunehmen,
und bekleidet mit einem Sweatshirt des Disney-Konkurrenten Warner
Bros. (Distributor von Eastwoods Film) und deren Trickfigur Woody
Woodpecker. |
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Maggies
Sippschaft ist ein Haufen geldgieriger Nichtsnutze, die man platter
nicht hätte karikieren können. Diese Szenen sind so grässlich geschrieben
und inszeniert, dass man kaum glauben kann, dass sie von einem der
größten amerikanischen Filmemacher stammen.
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Man
macht sich gewöhnlich nicht viele Gedanken darum, wenn das amerikanische
Lumpenproletariat als "white trash" bezeichnet wird, "weißer Müll".
Gespenstisch ist es jedoch, dies einmal konsequent beim Wort genommen
zu sehen. Zwar lässt Eastwood an der Würde seiner Hauptfigur keinen
Zweifel aufkommen, doch die zeigt er allein als eine Flamme der
Erleuchtung, als spirit, der von Hilary Swank als konzentrierte
Anspannung in jeder Szene spürbar gemacht wird. Ihr Leben habe sich
in ihrer Boxerinnenzeit erfüllt, wird sie dem Mann erklären, der
sie zu diesen Glücksmomenten geführt hat. Nun ist es an ihm, ihr
Leben auch technisch zu beenden.
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Wenn
etwa Maggies Hillbillyfamilie als Inbegriff des Sozialschmarotzertums
dargestellt wird, dann zeigt dies sehr deutlich die Toleranzgrenzen
von Eastwoods liberalem Konservatismus auf.
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Gemäß
Peter Sloterdijks Klage in den „Regeln
für den Menschenpark“ (1999) über die „Briefsachen, die nicht
mehr zugestellt werden“, sammelt auch Frankie in „Million Dollar Baby“
die an den Absender zurückgewiesenen Briefe, die er seiner Tochter
geschrieben hat – und für die in der Psychologie der Filmhandlung
Maggie eine Stellvertreterin ist. Und
der gesamte Film ist als briefliche Erzählung konzipiert, erzählt
aus der Perspektive Scraps, dessen Off-Kommentare Passagen eines Briefs
an die Tochter Frankies sind.
Ohne
eine öffentliche Aussprache – Koprolalie? – über die Bedeutungsproduktion
von Filmen wie diesem von Clint Eastwood würde die Tragik eines informationellen
„error-laden transfer“ (Lars von Trier zur Überspielung von Digitalvideo
auf Filmmaterial) auch nach mehr als hundert Jahren flimmernder Leinwände
nur noch fortgesetzt. |
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Um
zu zeigen, was für ein Mann dieser Frankie ist, dafür braucht der
Film nur eine Szene. Er kommt abends nach Hause, er hebt den Brief
auf, der unter der Tür durchgeschoben wurde, er geht an den Wandschrank,
in dem es sehr ordentlich aussieht, er holt einen Karton heraus,
nimmt den Deckel ab und steckt den Brief zwischen die vielen Briefe,
die seine Tochter ungeöffnet an ihn zurückgeschickt hat.
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Die
unbeantwortet retournierten Briefe, die er an seine leibliche Tochter
schickt, sind eine Buße, die er sich allwöchentlich auferlegt. Worin
ihr Zerwürfnis begründet ist, verrät dieser Film, der Geheimnisse
zu wahren weiß, nicht. Allein das Gewicht von Verlust und Verantwortung
will er spürbar werden lassen.
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„Million
Dollar Baby“ ist ein Brief von Eddie an eine Frau im Off, im Schatten
der Geschichte – ein Voice-Over, in dem Scrap von Frankie und Maggie
erzählt, gerichtet an Dunns tatsächliche Tochter, die seit Jahrzehnten
jeden Brief ihres Vaters ungeöffnet zurückschickt.
Scrap erzählt ihr davon, wie Dunn als Vater gewesen wäre, wenn er
einer hätte sein dürfen ... Das Tochtermotiv ist ein immer stärkerer
Motor geworden in den Geschichten, die Eastwood interessieren. Das
ist einmal ein Stilmittel gewesen – die Beziehung, die den Helden
Eastwood als Figur definiert, ihm Tiefe gibt, die Action drumherum
interessanter werden lässt, weil man begreift, was ihn treibt. Er
kreist um dieses Thema seit „Dirty Harry“ – da geht es um ein Mädchen,
das er nicht retten kann –, bis hin zu Laura Linney, die seine Tochter
spielt in „Absolute Power“, die er immer nur aus der Ferne beobachtet,
im Bewusstsein, dass seine Liebe nie ankommt.
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Die
Behauptung wäre: Das sogenannte „Boxerinnendrama“ Eastwoods enthält
wie so viele andere Filme zahlreiche Anspielungen, die man auf das
Kino und Massenmedien generell beziehen kann. Dies geschieht – wie
eben so oft – nicht unmittelbar, sondern metaphorisch. [...]
Nicht, dass ein Billy Wilder all dies und mehr nicht schon so viel
früher, ein Jean-Luc Godard es nicht schon subtiler formuliert hätte
– die Namensliste ließe sich endlos fortsetzen. Eine journalistische
Öffentlichkeit bleibt für die meisten Filme die einzige, in der eine
Reaktion auf diese Diskursbeiträge mit den üblichen Begrenzungen auf
Zeichenzahlen festgehalten wird – jenseits mau verkaufter Filmliteratur,
die es nur zu ausgewählten Regisseuren und Filmen gibt. Statt der
absurden Steigerung von Sendezeiten, der stupiden filmischen Verdopplung
eines zur Banalität erniedrigten Lebens, statt den Metaphernkaskaden,
zu denen neben Filmkünstlern auch jene RezensentInnen neigen, die
es ebenso sehen, aber nicht sagen wollen, wäre im Angesicht eines
Todes, wie Eastwood ihn mit geübtem Zynismus zeichnet, eine Zäsur
zu wünschen. Sonst bleiben alle nach wie vor – wie seit Beginn des
20. Jahrhunderts – im Kino lost in translation. Oder – in den
Worten Scraps, der Frankies Geschichte erzählt – wir bleiben wie der
verschollene Frankie und seine filmischen Gefährten „somewhere between
nowhere and goodbye.“ |
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Keiner
von beiden würde das jemals aussprechen, doch diese Beziehung wird
zum emotionalen Kraftzentrum des Films - bis zum bitteren Ende.
Muß man da noch mal erklären, daß dies kein Boxerfilm ist?
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Aber
auch das beschreibt es nicht ganz richtig, denn sein Film ist so
selbstverständlich, so anrührend, so brutal wahr, so provokativ
ehrlich, daß er gleichzeitig wie ein Stück Natur und wie ein in
sich ruhender Film wirkt, der trotz seiner Provokationen selbstverständlich
ist.
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Die
Vater-Tochter-Geschichte entwickelt sich reibungslos, doch seine
Vorhersehbarkeit reicht "Million Dollar Baby" nie zum Nachteil,
weil Eastwood einen seltenen Humanismus an den Tag legt. Dieser
Humansimus allerdings bedarf auch einmal einer genaueren Untersuchung.
Denn am Ende wird "Million Dollar Baby" kein Siegerfilm sein. Und
über Verlierer richtet in Amerika immer noch eine andere moralische
Instanz als über die Gewinner.
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Nach
"Mystic River" bewegt sich Eastwood mit "Million Dollar Baby" (ähnlich
auch wie in seinen Spaghetti-Western der 1960er- und 1970er-Jahren),
erneut auf dem schmalen Grat zwischen einem fast darwinistischen
Verständnis von sozialem Gemeinwesen und einer extremen Ausformung
von Humanismus. Humanismus als Form letzter Gnade.
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Bei
Eastwood aber stehen die inneren Verletzungen seiner Figuren neuerdings
auch symptomatisch für die Versehrtheiten eines Kollektivkörpers.
In "Mystic River" projizierte er die traumatischen Kindheitserinnerungen
seiner Figuren auf den moralischen Niedergang einer ganzen Nachbarschaft.
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Druckfehler:
"John
Houston" statt "Huston" (1)
"Hillary
Swank" statt "Hilary" (3)
"immerhin
habe er hat seine Chance gehabt" (4)
"Einst
ein viel versprechender Boxer, stand er kurz kurz vor dem großen Durchbruch"
(5)
"Stille
Grösse " (5)
1 - Körte,
Peter: Mit der Faust mitten ins Herz. In: www.faz.net
2 - Karasek,
Hellmuth: Der Unbeirrbare. In: www.welt.de
3 - Nicodemus,
Katja: Die Welt ist eine Boxhalle. In: www.zeit.de
4 - Hesler,
Jakob: Wer wagt, verliert. In: www.filmtext.com
5 - Busche,
Andreas: Letzte Gnade. In: www.fluter.de
6 - Mazassek, Volker:
Vater und Tochter im gepflegten Clinch. In: www.frankfurter-rundschau.de
7 - Kothenschulte,
Daniel: Der Müll hat sie wieder. In: www.frankfurter-rundschau.de
8 - Midding,
Gerhard: Hartgesottene Fürsorge. In: www.freitag.de
9 - Römers,
Holger: Stille Grösse, edle Klarheit. In: www.stadtrevue.de
10 - Busche, Andreas:
Hoffnung wohnt hier nicht mehr. In: www.taz.de
11 - Rodek, Hanns-Georg:
Triumph des Erzählens. In: www.welt.de
12 - Vahabzadeh,
Susan: Immer auf die Fresse. In: www.sueddeutsche.de
(alle Downloads
24. März 2005)
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