Zur Aufmerksamkeitsökonomie für den ESM

Das allgemeine Gefühl der Bundesbürger in Bezug auf die Euro-Krise dürfte sich derzeit immer noch auf einem Level bewegen, das vergleichbar demjenigen ist, wenn man auf der Landstraße ein Kleintier überfahren hat: Es hat gerade etwas geruckelt, aber die Tachonadel bleibt stabil auf 100.

So fühlt es sich aber auch nur an, weil sich an der Zusammensetzung von Mainstream-Medieninhalten im Vergleich zu den vorherigen Jahren bis dato wenig geändert hat. Die Situation in der Europäischen Union durchläuft in diesen Wochen eine wesentliche Transformation, die aller Vorraussicht nach auch für deutsche Bürger in den kommenden Jahrzehnten zu spürbaren Veränderungen führen wird.

Detailliert und verlässlich aufzuarbeiten, was Inhalt der geplanten „Stabilisierungsmaßnahmen“ und „Rettungsschirme“ ist, wäre eigentlich Aufgabe zumindest der öffentlich-rechtlichen Medien – auch wenn diese viele Millionen Wahlberechtigter mittlerweile gar nicht mehr oder kaum noch erreichen. Nach meiner Beobachtung findet selbst dies nicht statt.

Im Netz kann man v. a. in spezialisierten Blogs und einer auf Kritik des Staats- und Wirtschaftssystem ausgerichteten publizistischen Szene differenzierte Informationen einholen. Während also Millionen Steuerzahler fragwürdigen Personen wie dem „Volksmusiker“ Stefan Mross (Sie wissen, der, der nicht so berühmt Trompete spielt, wie er ist) ihre Aufmerksamkeit schenkt, fristen die Berichte des Börsenexperten Michael Mross auf seinem Blog „MMnews“ ein vergleichsweise wenig massenwirksames Dasein.

In einem aktuellen Beitrag von Thomas Bachheimer auf „MMnews“ ist die Beurteilung des ESM („Europäischer Stabilitätsmechanismus“) erwartungsgemäß deutlicher als in den Hauptnachrichten. Hier ist die Rede von „abstruser Elitendiktatur“ und „nicht demokratisch legitimierten (Ent)-Macht(ungs)-Instrumenten“. Die Vorgänge, die in den Systemmedien meist nur wenige Minuten oder wenig beachtete Artikel in Wirtschaftsrubriken einnehmen, werden hier etwa so wiedergegeben:

  • Nach der Ratifizierung werden Regeln fixiert, die die Gesamtsumme steuern – bei den 500 bleibt es ohnehin nicht. Es wird erhöht und danach noch gehebelt werden.
    […]
  • Der ESM, die ausführenden Organe, sein Eigentum, seine Finanzmittel, seine Vermögenswerte und seine Akteure genießen umfassende gerichtliche Immunität (was wiederrum bedeutet: der ESM kann klagen aber nicht verklagt werden.)
  • Alle Unterlagen bleiben geheim.
  • Gemanagt wird das Ganze von einem Gouverneursrat bestehend aus Finanzministern (was nichts anderes bedeutet, als dass Personen aus den Reihen der Verursacher dieses diktatorische Finalisierungsinstrument in den Händen halten).
  • Das Vermögen der Bürger kann jederzeit von diesem Gremium abberufen werden und zur Umschuldung herangezogen werden.
  • Wohl kaum ein Normalbürger würde solchen Implikationen zustimmen. Sich dieser weitreichenden und über Jahrzehnte wirksamen Vereinbarungen bewusst, würden hierzulande wohl viele Millionen Menschen auf die Straße gehen. Der einzige Grund, warum dies nicht passiert, dürfte der sein, dass sie 1) nicht mitbekommen, was die von ihnen gewählten oder zumindest stillschweigend akzeptierten „Volksvertreter“ juristisch bindend unterschreiben und 2) sie sich den Folgenreichtum der verkürzt öffentlich kommunizierten Inhalte von ESM & Co. nicht konkret vorstellen können.

    Wilhelm Hankel
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    Für die letzten Monate bis wenigen Jahre könnte man eine umfangreiche Dokumentation stellen, mit welchen relativen Unwichtigkeiten die Nachrichtenrubriken stattdessen zur Ablenkung gefüllt wurden. Ein bayerischer Adliger hatte eine katastrophal zusammengekleisterte Doktorarbeit abgegeben und war Minister geworden. Ein in seiner Freizeit etwas genusssüchtiger Katholik hatte nach reichen Freunden gesucht, Geschenke angenommen und war schließlich Bundespräsident geworden – um nur einmal jene zwei Skandal-Personalien zu nennen, die ein monströses Medienecho bewirkten. Eine große Zahl kluger Köpfe wurde angeleitet, über derartige Fälle umfangreich zu kommunizieren, ja, Internet-Plattformen einzurichten, um den Unsinn, den Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Doktoreltern vor die Füße kippte, akribisch durchzuackern.

    Warum gibt es Vergleichbares wohl nicht zu einem Thema wie dem ESM? Die Antwort lautet wohl: Systemmedien konditionieren die Aufmerksamkeit der Bürger auf Unwesentliches, Aufgebauschtes, strategisch Skandalträchtiges, das aber noch halbwegs ‚verstehbar‘ ist. Wie das Spiel an internationalen Finanzmärkten und in einem seit Jahrzehnten währenden Prozess der Machtkonzentration internationaler elitärer Gruppierungen verläuft, übersteigt offensichtlich in Manchem das bürgerlich-konservativ und sozialliberal erzogene Vorstellungsvermögen.

    Stutzig scheint es wenige zu machen, dass die Ungezogenheiten ihrer Zöglinge Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff ihrer Partei, der CDU, noch nicht einmal Image-Probleme bereiten. Weil „Mutti“ Merkel immer noch klingt wie die vertrauenswürdige Pfarrerin von der Kanzel um die Ecke, sind die Widersprüche solcher Charaktere zu einem konservativ-christlichen Programm scheinbar in allen relevanten Wählerschichten schnellstens wieder vergessen. Und für die Zeit, die das „GuttenPlag“ und Wulffs Party-Gschpusis die Gazetten füllte, realisierten dieselben Wahlbürger auch nicht, dass die wichtigste Musik derzeit in Brüssel spielt. Und dass weitere Schritte für einen Entzug der demokratischen Selbstbestimmung überschaubarer Personenverbünde wie den „Deutschen“ hin zu einer undurchsichtigen EU-Bürokratie nun unwiderruflich vollzogen sind.

    Die letzten Sendungen der ARD-„tagesschau“ sind hierfür ein schändliches Beispiel der Vernachlässigung journalistischer Informationspflicht. Am 14.03.2012 wurde die Zustimmung Deutschlands zum ESM parlamentarisch abgesegnet. Das „Handelsblatt“ bemerkt, ungeklärt seien „parlamentarische Kontrolle und die genaue Haftungssumme für Deutschland“ .

    Was bestimmte an diesem Tag die Berichterstattung der „tagesschau“? Nun, zwei ‚unerwartete‘ Ereignisse waren eingetreten: In Nordrhein-Westfalen wurden Neuwahlen erforderlich, weil ein Teil des Landeshaushalts vom Parlament nicht akzeptiert wurde (Top-Nachricht). Zweite Nachricht: ein Busunfall in der Schweiz mit 28 Toten. Und auch die Verurteilung des kongolesische Milizenführers Thomas Lubanga durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat für europäische Bürger eine mindere Relevanz. Noch das „zweite Hilfspaket für Griechenland“ ist der „tagesschau“-Redaktion wichtiger als die Verabschiedung des ESM. Und dessen Erwähnung fällt dann äußerst knapp aus:

    Das Bundeskabinett hat heute das Gesetz für den künftigen dauerhaften Rettungsschirm ESM auf den Weg gebracht. Er soll im Juli starten und den Hilfsfond EFSF ablösen. Nach bisherigen Plänen soll der ESM Notkredite von maximal 500 Milliarden Euro an angeschlagene Euro-Länder vergeben können. Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen.

    „Hilfe“ und „Rettung“ sind die Lieblingsworte der Nachrichtenredakteure in diesem Zusammenhang. Auch in der „tagesschau“ vom 13.03.2012 wurde nicht etwa kontextuell auf das anstehende Ereignis schon einmal hingewiesen. Vielmehr wurde registriert, dass eine der guten Absichten für die EU-Finanzpolitk, eine Finanztransaktionssteuer, „vorerst vom Tisch“ sei. Als zweites ging es um den Gewinneinbruch der Bundesbank durch die Euro-Krise. Solche Ereignisse müssen gemeldet werden – aber wo werden Absichten und tatsächliche Folgen sowie mögliche Risiken und Wahrscheinlichkeiten aufgrund bisheriger Entwicklungen wirklich systematisch sortiert?

    Der erwähnte Michael Mross (um den es hier schon einmal ging) wird als Teil-Aussteiger aus der kommerziellen Börsen-Berichterstattung nicht müde, den Wahnsinn zu betonen, dessen Teil er etwa als Experte für den Nachrichtensender „n-tv“ war.

    (Über mögliche Interessen an von ihm empfohlenen Gold-Ankäufen will ich hier nicht spekulieren.) Nachrichtensendungen wie die „tagesschau“ befragen auch zu anderen Themen durchaus einmal „Experten“, die ihre Bewertungen abgeben. Warum nicht hier? Es handelt sich wohl um einen weiteren von vielen Fällen falsch verstandener ‚Neutralität‘ von Nachrichten, die in Wirklichkeit Meinungsmache und tendenziöse Präsentationsform ist.

    Sehen wir also zu, wie sich der Verlauf des Prozederes bis Mitte Juni mit der Verabschiedung des ESM durch Bundestag und Bundesrat abrundet. Dass TV-Sender bis dahin Bürgern umfassend und wirkungsvoll erklärt haben werden, was dies bedeutet, ist nicht zu erwarten.

    Daniel Hermsdorf

    Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

    Eine Antwort

    1. Robert sagt:

      Der Artikel schildert völlig richtig die Berichterstattung der Medien. Von den zahlreichen Analysen von deutschen und internationalen Ökonomen findet sich in den Medien keinerlei Niederschlag. Wer sich informieren will, hier die Linksammlung zum ERSM http://www.robertmwuner.de/materialien_euro_literatur_schirm_ESM.html

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