Erwünschte Ausweglosigkeit der #Asyl-Debatte (2/2)

Ich erlaube mir hier, so zu tun, als hätten wir die Zeit, die wir jetzt nicht mehr haben. Aber ich kann nicht das nachholen, was wir eigentlich gemeinschaftlich hätten tun müssen: uns über die Wirkfaktoren und Prognosen für Zuwanderungsdruck ausführlich zu informieren und dann Regelungen zu verabschieden, an die man sich im Fall der Fälle zu halten habe. Letzteres natürlich auch innerhalb der Europäischen Union, in der nun einige Staaten sich auf das berufen können, was eben nicht rechtzeitig diskutiert und vereinbart wurde: verbindliche Regelungen für den Fall eines Ansturms von Asyl-Bewerbern.

Warum ist das nicht geschehen? – Mir scheint dies eine wesentliche Frage zum jetzigen Zeitpunkt zu sein. Nach meinem Eindruck wird sie aber kaum gestellt. Schaut man sich einmal an, wie „Die Welt“ das Thema bespricht, so fallen am 02.09.2015 zwei Artikel auf, die die Website nebeneinander präsentiert: „Es ist gut, dass es so viele gute Menschen gibt“ von Jennifer Wilton und „Der Ruf nach Einwanderung ist eine Art Kolonialismus“ von Henryk M. Broder. Der erste Artikel ist eine Streicheleinheit für jene, die ihre Kraft und Zeit in der Notsituation einsetzen. Im Vorlauftext schon das Resümee:

Die Bilder dieses Sommers zeigen Tausende von hilfsbereiten Deutschen. Sie haben einfach getan, was der Staat angesichts so vieler Flüchtlinge nicht recht hinbekam.

Die Frage danach, warum „der Staat“ scheinbar nicht wusste, was in der Wissenschaft und in nächtlichen Talkshows schon vor Jahren besprochen wurde, sehe ich in solchen Mainstream-Organen wenig (oder gar nicht) gestellt.

Broder verschiebt den deprimierenden Ausblick ans Ende seines Artikels, der einer Absage an seine Redaktions-Kollegin Jennifer Wilton gleichkommt, die auf das akute Krisen-Management mit menschlichem Faktor fokussiert:

Deswegen sollte man die aktuelle Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen nicht überschätzen. Willkommensfeste zu organisieren und Kleiderspenden zu verteilen ist eine Sache, auf die Dauer Verantwortung zu übernehmen eine andere.

Kommt hier darauf an, ob man beide Artikel liest und bis wo …

Broder zeigt an aktuellen Zitaten die politische Notlage. Gunnar Heinsohn umriss in einem „Philosophischen Quartett“ 2010 dramatisch die Langzeit-Folgen – hier in meiner Video-Montage über Todes-Motive dies- und jenseits der Fiktion, „Tatort, Tod und tolle Bilder“ (das Video springt an die Zeitstelle bei 1:20 Min.):

Fast gleichlautend also die inhaltliche These der Überschrift bei Broder: „Der Ruf nach Einwanderung ist eine Art Kolonialismus“.

Bleibt immer noch die Ausgangsfrage, warum das nicht an-, geschweige denn ausdiskutiert wurde. Der Schlüssel zum Verständnis liegt darin, dass es mehrere Blockaden für einen öffentlichen Diskurs gibt. Dies betrifft die Komplexe ‚Zuwanderung‘ und ‚demografische Entwicklung‘. Ich hänge hier mit Pfeil den Diskurs-Blocker an den jeweiligen Punkt, der in Bedingungen einer Mediendemokratie und der herrschenden Political Correctness besteht:

  1. Rente und Altenpflege sind bei stark abnehmender Bevölkerung endgültig nicht mehr finanzierbar ← Politiker meiden Negativ-Themen ohne garantierten Hoffnungsschimmer
  2. Verstärkung von Familienleben bedeutet für den Einzelnen Karriere-Hemmnisse, finanziellen Verzicht und weniger Hedonismus ← ebenfalls Negativ-Thema; notwendige Forderung nach Selbstbeschränkung an Wähler
  3. Die durch den Feminismus geänderte Rollenverteilung steht auf dem Prüfstand ← reduzierter Zuspruch durch weibliche Wähler; Nazi-Vergleich zum „Mutterkreuz“
  4. Die Rede über Zuwanderung bezieht sich immer auch auf Nationalität und Ethnizität ← Tabuisierung des Nationalen und Ethnischen durch Extremismus und Genozid in der Nazi-Zeit
  5. Noch seltener geführt sind Diskussionen über Geopolitik und Langzeit-Strategien supranationaler Organisationen und Netzwerke, die auf Krisen Einfluss nehmen, sich ggf. sogar durch geheimdienstliche Operationen gezielt verstärken ← Vermittlung von camouflierenden Sprachregelungen und Schweigegeboten an Politik und Presse in Think Tanks; Ausgrenzung von Veröffentlichungen als „Verschwörungstheorie“

Es sind mittelfristig erwartbare Krisen, die durch regime change in Libyen und Ägypten, Kriege in afrikanischen Nachbarländern, Destabilisierung in Afghanistan, im Irak und in Syrien forciert wurden, teilweise in Form des war on terror nach 9/11. Hiervon kann nicht gesprochen werden, ohne diplomatische Sensibilitäten gegenüber den USA zu verletzen. Deshalb unterbleibt es auf der Ebene der Bundespolitik, ob willentlich oder in Ignoranz für eine Reihe von Wirkfaktoren der Migration einschließlich ihrer Hintergründe.

An dieser verfahrenen Lage in einer eingeschränkten demokratischen Kultur wird sich unter den gegebenen Bedingungen vorläufig nichts ändern. Vielleicht wird es eher in Richtung polizeistaatlicher Maßnahmen gehen – weil die entstehende Situation dafür einen praktischen und rechtlichen Anlass bieten. Auch in Folge-Situationen, die noch kein Bürgerkrieg sind, können lediglich die Spannungen notdürftig ausgeglichen und eingehegt werden. Flüchtlingsheime werden in größerer Zahl neu eingerichtet werden, Menschen werden in Deutschland bleiben, wenn sie Recht auf Asyl haben. Wenn harte Krisen in ihren Heimatländern anhalten, wird sich ihr Aufenthalt über Jahre hinziehen oder auf Dauer gestellt werden.

Über das komplexe Muster von Folgen in Sozialsystemen und gesellschaftlichem Miteinander kann ich hier nicht ausführlicher spekulieren. Es stehen mit Flüchtlingen den westlichen und nördlichen Ländern Erlebniswelten und Nöte gegenüber, die für sie kulturell teils Jahrhunderte, im Hinblick auf Krieg 70 Jahre zurückliegen. Schon der Versuch, hierfür eine gemeinsame Sprache zu finden, garantiert nicht seinen Erfolg.

Teil 1 des Artikels finden Sie hier.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

5 Antworten

  1. Peter Hallonen sagt:

    Ich finde es interessant, welche Deutung des aktuellen Flüchtlingsstroms sich jetzt in einem Teil der alternativen Öffentlichkeit durchzusetzen scheint. Zumindest insoweit man darauf von einem Interview Willy Wimmers bei KenFM (https://www.youtube.com/watch?v=bDWJOkRP0Ic) und einem Artikel bei den NachDenkSeiten (http://www.nachdenkseiten.de/?p=27429) schließen kann.

    Es heißt hier, die syrischen Flüchtlinge würden gezielt nach Deutschland gelassen, weil dem Land unter Führung von Präsident Assad die gutausgebildete Mittelschicht weggenommen und es so in die Knie gezwungen werden soll. Manches scheint dafür zu sprechen wie eben die bevorzugte Behandlung von Syrern (Aussetzung des Dublin-Ankommens). Aber zum Einen: Welche wahnsinnige Absicht soll dahinter stehen, die syrische Regierung zu stürzen? Welcher ernstzunehmende geopolitische Experte erwartet für diesen Fall eine Stabilisierung der Situation anstatt einem totalen Chaos oder – mindestens genauso schlimm – einer Machtübernahme des IS? Zum Anderen: Wäre der forcierte Wegzug der gutausgebildeten Mittelschicht eine geopolitische NATO-Strategie, würden dann nicht auch die USA und Großbritannien viel mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen? Um das zu forcieren, könnte man ihnen eine Reihe von Anreizen wie ein üppiges Begrüßungsgeld bieten. Genau das passiert aber gerade nicht.

    Sofern es sich bei den Flüchtlingen um eine geostrategische Waffe handelt, dann scheint diese aber speziell auf Deutschland zugeschnitten zu sein. Natürlich würde ein hoher Bildungsstand der syrischen Flüchtlinge die Integrationsprobleme hier ein Stück weit lindern. Ob das ausreicht, wird sich zeigen, da die Integration auch bei gegebener Integrationsfähig- und -willigkeit seitens der Flüchtlinge an mangelnden Kapazitäten hier in Deutschland auf kurze und mittlere Sicht scheitern könnte. Und wenn sie auf kurze und mittlere Sicht scheitert, scheiter sie womöglich ganz, da es vorher zu unhalbaren Problemen kommt.

    • Kann ich alles mitgehen. KenFM mit Wimmer hatte ich heute auch geschaut. Ich will mich an dieser Stelle der Spekulation enthalten – und teile Ihre Zweifel an der Argumentation. Aber in der Tat lassen sich manche Entwicklungen am besten erklären, wenn die gängigen – und teils ja auch so offiziell verlautbarten – Absichtserklärungen der Deeskalation und Friedensstiftung ins Gegenteil verkehrt werden. Das Orwellsche Neusprech ist ja ein ebf. häufig von den Alternativen angeführtes Beispiel für das, was wir erleben.

  2. mistkaeferchen sagt:

    ES IST SCHADE DAS ICH DIESE SEITE AUF MEINEM TABLETT NICHT LESEN KANN. WEIL ICH DIE SCHRIFT DIESER SEITE NICHT GROSS STELLEN KANN. ICH HABE EIN GUTES TABLETT, ALLE ANDEREN SEITEN FUNKTINIERT DAS, ES LIEGT WOHL AN DER EINSELLUNG DIESER SEITE VOM VERFASSER. SCHAAAADE. ICH MUSS EINE LUPE BENUTZEN UM HIER LESEN ZU KÖNNEN. DAS IST MIR AUF DAUER ZU ANSTRAENGEND.

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