Das verbieten wir uns

Wie Deutschland das Abgewöhnungswürdige entrechtet und neue Zeiten anschlägt


Gut 3000 Jahre sind vergangen, seit Moses Bescheid bekam. Seitdem hieß es immer wieder: Du sollst nicht falsch Zeugnis ausstellen wider deines Nächsten Frau, du sollst nicht auf wild machen, du sollst nicht etc. pp. Aber kaum hat man sich an die engen Vorgaben der Verbandsleitung gewöhnt, sinnt Deutschland schon wieder auf Updates. Die Präzedenz-Untersagten erscheinen zunächst gut gewählt: Kanarienvögel und Neonazis gehören in der Tat zu den großen Bremsern auf dem vermeintlichen Weg nach vorn. Ähnlich unmenschlich wie Picken und die Hatz auf Mitbürger ist allerdings auch der Versuch, Menschen und Zwitscherer in einen Topf zu werfen - selbst in Zeiten, wo allenthalben in die Pfanne gehauen wird oder unbeherrschtes Tirilieren zu vernehmen ist. Experten befürchten seit jeher, dass das Verbot nur seine Übertretung heraufbeschwört. Neonazi-Eltern haben dementsprechend Diskussionen über aktuelle Frisuren oder legere Sommerkleidung längst aufgegeben. Dem Problem wäre nur durch eine konzertierte Aktion von Modemachern und Kundschaft beizukommen: Wenn eine große Zahl von Menschen für drei oder vier Monate auf lockeres Aussehen verzichten würde, um in Tarnhosen, Spezialjacken und rasiertem Schädel die Uniform zu inflationieren, wäre schon bald eine Underdog-Mode zu erwarten, die mit Sandalen verschiedenster Ausprägung, duftigen Jackett-Farben und wallenden Mähnen ihre Umwelt schockt, ironisch Ritter-Wehrsport kauend, dabei grinsend, als wäre das alles nur ein großes Spiel. Die Methode Mimikry zieht bei Kampfhunden freilich nicht. Überdeutlich deren mangelnde Dialogbereitschaft, allzu durchschaubar brutale Varianten der Futtersuche. Mit dem bloßen Verbot von napfster.com dürfte es nicht getan sein. Ungarn erinnert man sich an frühere Verfehlungen: die Indizierung der “Vogelhochzeit” machte die volksverhetzende Goth-Oper für die gefährdeten Jugendlichen erst wirklich interessant. Die Unterbringung von Kanarienhunden und Rottschnäblern in schwedischen Käfigen verschlingt derweil ähnliche Summen wie die Prozesse gegen CDU-Politiker, und Maulkörbe für die vielfliegenden Zweibeiner symbolisieren aufdringlich den im Blätterwald herrschenden Leinenzwang. Um derlei Probleme zu überspielen, setzt die Bundesregierung derweil auf ganz andere Gebote. Mit UMTS-Lizenzen soll der Gedankenaustausch zwischen den Kreativen des Erdballs noch reibungsloser gestaltet werden. In- und ausländische Bieter überbieten sich gebotsmäßig, und nicht das leisteste Kanarienbellen dringt an das schlanke Ohr von Emissären aus den Häusern Vodamobil und Viledacom und anderen Veterinären der IT-Branche. (Mehr darüber in Stephen Kings berühmtem Roman “IT”, erhältlich als Buch.) Die Verbannung der SAP vom Neurechten Markt erscheint demgegenüber uninspiriert, läppisch. Was also tun? Dringend zu empfehlen wäre es sicherlich, mit sog. “Schnellgerichten” nicht den guten Ruf der 5-Minuten-Terrine zu beschädigen, selbst wenn in Bayern Eieruhren anders ticken. Gut beraten wäre Deutschland auch, wenn es rechtzeitig den Braten röche und die Ursachen der Gewalt in der Vielschichtigkeit suchte. Dort, in der unweiten Übersehbarkeit abendlichen Beißkrampfes, Bier-Triebs und angeborener Nestbeschmutzung, verirrte sich eine erkleckliche Anzahl von Analyse-Scouts auf der Suche nach jungen Gesetzes-Talenten und abwechslungsreichen Vorschriften. Solcher Eifer erfasste auch Verbots-Tester Martin Semmelrogge. Bei einem Treffen am Rande irgendeiner Pressekonferenz schwärmte er vom “besten Verbotssommer seit FCKW”. Optimismus pur, bei klarem Glas formuliert, szenenhaft in Stand gesetzt, rührend prononciert. Semmelrogge glitzerte: “Meinen Schleier lasse ich immer im Geschäft, ich trage ihn nur tagsüber. Wir sind schließlich nicht im Iran, und ich bin keine Frau.” Seine Haut leuchtete rosig von den lange zurückliegenden Dreharbeiten zu “Das Boot”. Da, dadadada, dadadada --- duhüi --- duhühi --- dideljampampam.

Daniel Hermsdorf / Benjamin Heßler
Montage: augenfall