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Daniel Hermsdorf, Benjamin Heßler
Was wir einmal vermissen würden
Den, der zurückschaut, überrascht von hinten,
was da kommen mag. In unserem Fall immerhin: das Ende der Welt, wie
wir sie gerade erst kennen- und liebengelernt haben. Ganz gleich, ob
wir es Y2K oder millenium bug nennen, ob wir Experten bemühen,
die den Computern die Doppelnull abgewöhnen eitles Trachten.
Das Desaster ist im besten Sinne vorprogrammiert. Aus die mouse. Zeit
für den finalen Flashback. Über die letzten 2000 Jahre zu
sprechen, heißt immer auch, über Brüche zu sprechen.
Es ist ein Drahtseilakt, gleichzeitig zu raffen und ins Detail zu gehen,
den Blick des/der Allmächtigen mit den eigenen Dioptrien zu versöhnen.
Unser Blickwinkel: eurozentristisch und dabei nüchtern abwägend;
der Rest sind Geigen.
Nach Jahrtausenden dumpfen Keulenschwingens, schwindelerregender Hochkulturen
und uneffizienter Pyramidalbauweise, nach dem Erlernen unansehnlicher
Keilschriften und anhaltendem Anbeten von Steinmetzarbeiten, nach Äonen
ziellosen Auseinanderdriftens der Kontinente, mit jenem frischen Blubb
individueller Grausamkeit erhob sich schließ1ich der eingebildete
Gigant, den wir Geschichte nennen.
An die triefenden Mundwinkel ihrer Prototypen mögen sich heute
die wenigsten Menschen erinnern, bestand doch der größte
Innovationsschub der Zeit "davor" in der Frage: "Hast
du mal Feuer?"
"Let's go living in the past" manchmal kann es so einfach
sein! Das Vergangene ist zwar per definitionem "vorbei", aber
wenn man lange genug hinschaut, nachfragt, ausgräbt oder sich einfach
nur treiben läßt, kann man sie im warmen Licht der Jahrtausenddämmerung
entziffern: die Spuren des Gewesenen, wie sie leiben und leben.
Dritter Teil (und Schluß)
5. Bürger King
Nun scheint es an der Zeit, auf den Strukturwandel der Öffentlichkeit"
(Heinz Haber) oder auch Paradigmenwechsel" (Paul Kuhn) einzugehen,
der gleichsam unserer modernen Welt das Placet gab. Die gemeinte gesellschaftliche
Entwicklung bestand in einem beständigen Changieren von wirtschaftlichen
Einflüssen, geistesgeschichtlichen Eingebungen und den vielen Einfällen
einzelner, die den Ereignissen eine Richtung vorgaben.
Die Hindustrialisierung, nach den Lehmbruckschen H-Bilitationen von
vielen Historikern spröde als Industrialisierung" kolportiert
und so ihrer metaphysischen Dimension beraubt, ergriff, wenn man dies
so sagen kann, Europa und weite Teile der Welt. Durch die Erfindung
eines aufwendigen Inhalationsgerätes erschloß der Brite James
Watt den Produktionsmitteleignern das Nirvana des freien Marktes. Noch
heute feiert diese Urform der Dampfmaschine unter Homosexuellen und
Rentnern fröhliche Urständ.
Den Mitgliedern der damaligen Gesellschaft gab die Dampfmaschine freilich
zum ersten Mal Gelegenheit, denen da oben" so richtig den
Marsch zu blasen. Von den Privilegien früherer Jahre blieben nur
noch mickrige Tarifverhandlungen und das erzwungene Recht der Arbeitgeber
auf Aussperrung bei vollem Lohnvergleich.
Technik um Technik wurde neu erfunden, Maschinenparks verstellten bald
die Sicht auf die schönen Gartenanlagen, die der Vorväter
Aug schmeichelten. Immer mit dabei: die Menschen, die diese Geräte
erdachten und bedienten.
Im sozialen Gefüge brummte es. Bürger" nannte sich
jetzt eine
verschworene Gemeinschaft, die es mit ihren schnieken Schwalbenschwänzen
und übertriebenen Kopfbedeckungen immer wieder in die up-to-daten
impressionistischen Tupfereien schafften und langfristig für Massentourismus
und elektrische Zahnbürsten verantwortlich werden sollten.
Während Sparguthaben wuchsen und die ersten Kaufhäuser ihre
Pforten öffneten, wandten sich die Empfindlicheren unter den Bürgern
der Dichtkunst zu, um die Zustände gewissen Unwohlseins in sozialen
Korsetts auf akademisch anerkannte Weise zu sublimieren. Als hätten
sie die Bedürfnisse kommender Generationen vorausgeahnt, legten
sie Studien schmerzhafter Bewußtwerdung und ausführliche
Rundgänge durch städtisches Ambiente schriftlich nieder. Alltäglichkeiten
wie Masturbation oder dramatische psychische Vorgänge wie die kindliche
Regression mußten aufwendig in Metaphern umgegossen werden, Nebensächlichkeiten
kamen zu nie geahnter Geltung. Viele derartige Romane sollten aus Anlaß
späterer Verfilmungen wieder aufgelegt werden.
Das Zeitalter war zugleich geprägt von schmerzhaftem Fernweh. Die
ersten Clubreisen der Europäer wurden schnell blutiger Ernst. Noch
heute sind aus vielen ehemaligen Kolonien üble westliche Sitten
nicht wegzudenken. Sicherlich hatte die Unterwerfung anderer Völker
auch Vorteile: Billigen Rohstoffen blühte eine lange Karriere als
Geste der Höflichkeit der ärmeren Länder gegenüber
den Industrienationen.
Auch machten auf diese Weise viele Menschen ihre erste Begegnung mit
dem Dauerbrenner Jesus, den aufmerksame Leser schon aus dem ersten Teil
unserer kleinen Rückschau kennen. Während nun Bewohner Afrikas
ihre Fetischregale entrümpelten und Querbalken an Totempfähle
pflockten, blühte in der Alten Welt der Handel mit Exotika. Spätfolgen
waren der Kubismus, auf Umwegen die Jazz-Musik und Hautlotionen, die
mit Aloe-Vera-Anteil werben.
Und die Weltgeschichte? Sie erinnerte sich erstmals auch wieder an das
andere Geschlecht". Beflügelt von den Einlassungen nachdenklicher
Intellektueller, die den Theoriekomplex Gleichheit" erneut
ins Rollen brachten, machten die sympathischen Diskurs-Youngster aus
der Frauen-Riege auf sich aufmerksam.
Auch technisch begabte Weibsbilder wie Marie Curie sollten in den Sprachgebrauch
eingehen. So läuteten sie die Jahrhunderte dauernde Rückkehr
zum Matriarchat ein. Daß die Erde über weite Strecken der
Frühgeschichte von resoluten Frauenzimmern beherrscht worden war,
sollten erst viel spätere Forschungen ergeben.
Über Zehntausende von kaum dokumentierten Jahren waren die Männer
unter der Fuchtel gestanden; daß der Eisenzeit unmittelbar die
frostige und ellenlange Nudelholzperiode vorangegangen war, sollte vor
allem die feministische Geschichtsschreibung noch lange leugnen.
Im 19. Jahrhundert hieß es für die Frauen jedoch erstmal,
Boden gutzumachen. Strategisch besetzten sie die Schemel in den Literatenkemenaten,
um in reißerischen Bestsellern im Thelma & Louise"-Stil
die bürgerlichen Konventionen in Frage zu stellen. Bald war in
Teilen Europas demokratisches Stimmrecht Usus, und der Mix der Geschlechter
war angerührt, der einmal im hermaphroditen Allround-Klon enden
sollte.
Zeitgleich mit den ersten Bewegungen der Frauen ließen sich die
meisten Maskulinen jedoch nicht beirren. Schnauzbartträger wie
Bismarck beherrschten die öffentliche Szene. Männer - ob sie
Karl Marx und Charles Baudelaire hießen oder ein großer
Zar waren - wurden ohne Ansehen der Person gehaßt und verehrt.
Das 19. Jahrhundert zerfiel jedoch ungeachtet der geographischen Differenzen
in mehrere Zeitabschnitte. Der fin de siecle mit seiner heiteren Gelassenheit
könnte uns sicherlich am ehesten zum Vorbild werden vorausgesetzt,
wir verabschieden uns von der Gegenwart.
6. Anfang vs. Ende 20th Century rocks!
Als sich das Jahr Null zum 1946. Mal jährte, entstiegen dem menschlichen
Genpool in der musikalischen Arbeiterstadt Swimmingpool gleichzeitig
vier prächtige Burschen. Nach gut zwanzig Jahren hatten sie auch
einen Namen für das gefunden, was sie ihrer Meinung nach waren:
Beatles".
Damit war auch der Grundstein für die einzige wahre Umwälzung
des Jahrhunderts gelegt. Das Epische Theater" (sprich: Weltkrieg
Zwo) stellte erstmals wieder die Einheit von Zeit, Ort und Handlung
in Frage, die nach dem ersten großen Schlagabtausch (dem Vater
aller Dinge") eingekehrt war. Was z.B. in Washington, D.C., beschlossen
wurde, war zehn Stunden später in Hiroshima Wirklichkeit, also
ganz woanders.
Wegbereiter der musikalischen Neuerungen war sicherlich ein unscheinbarer
Fiesling aus Braunau am Inn. Mit seinen grauenvoll angelegten Werken
(Verbrechen gegen die Menschlichkeit", Abschied von
der Vernunft", In Stahlgewittern") hielt er nicht nur
der Menschheit den Spiegel vor, sondern entwickelte auch Praktisches
wie den Stereo-Sound und Taktisches wie den Pakt, den er mit dem versierten
Organisten Joseph Stalin improvisierte.
Von den Höhenflügen des überschätzten Komponisten
Hitler hatte man in den Orchestergräben der Ostfront natürlich
nichts. Musizieren wurde hier bald zur Nebensache, und viel zu vielen
erklang der Schlußakkord in Moll.
Doch der Braunauer Kakophile ließ sich durch Tonartwechsel nicht
beirren - Hauptsache, laut". Seine Formation NSDAP sorgte
nicht nur für vorübergehende Ruhestörung, sondern war
gleichsam die erste allgemeine Verunsicherung.
In Graceland, Tennessee entwickelte kurz darauf der bahnbrechende Philosoph
der Epoche seine skeptische Lehre. Elvis the Pelvis verneinte strikt,
daß nach Bayreuth Musik überhaupt noch möglich sei,
um sich jedoch selbst in dem Song Don't be cruel" zu widerlegen.
Seine Schnulzen On green Dolferl Street" und Dialektik
der Aufklärung Hotel" brachten dann auch die letzten Kritiker
zum Verstummen bzw. Erwerb von Vinyl.
Zur selben Zeit im Hamburger Star Club", Wirtschaftswunder
was born. Zu den Klängem der jungen Beatles schwofte Ludwig Erhardt
mit seinen Schicksea und der damals schwule Adenauer, die Mutter
der Republik". Bald widmete man dem Bruttosozialprodukt schwärmerische
Songs wie Du machst Geld, yeah, yeah, yeah" und baute die
Boomrepublik auf. Noch Jahrzehnte schwang im Bundestag die Unbekümmertheit
jener Jahre mit.
Auch die in den Drögen 60er Jahren" proklamierte Neue
Ernsthaftigkeit" wäre ohne die Beatles kaum denkbar, führten
sie doch bei dem legendären Closed-Roof-Festival in der Nähe
der New Yorker Kleinstadt Woodstock eine strenge Kleider- und Sitzordnung
ein. John Lennon, der Fool on the hill" des Forellen-Quartetts,
dachte den Gedanken zu Ende und erklärte, es sei kein Platz
mehr für Platten". Er war es auch, der in dem Kult-Film der
Shower-Power- Bewegung Psycho" als männlicher Hauptpart
brillierte. Mit seinem Reinlichkeitswahn versetzte er das Kinopublikum
in Ekstase. Zweieinhalb Stunden exzessives Duschen im Splash- Screen-Verfahren
hatte es noch nie gegeben. Fortan war Lennon auf die Rolle des schüchtern
duschenden Muttersöhnchens festgelegt, bekam jedoch keine Filmangebote
mehr. Erst Jahre später war er wieder trocken.
Die
Erfindung der CD und die Gitarristenhatz der McCartney-Ära waren
die Folge. Maßstäbe, die auch in der libertären BRD
den Nerv der Zeit trafen. Hatte man den wirtschaftlichen Aufbau noch
mit Love & Peace über die Bühne gebracht, wichen die Schlaghosen
nun baghwanitischen Sackgewändern Ch-ch-ch-changes."
(D. Bowie)
Ein schockhaftes Erlebnis sollte dann einen Endpunkt ganz eigener Art
setzen. In Denver, NY, erschoß Mr. President" Lee Harvey
Oswald den joggenden Lennon aus einem offenen Wagen heraus. Die zufällig
anwesenden Kamerateams filmten den Moment aus zehn Perspektiven
der erste von vielen Blindenstürzen der Mediengesellschaft.
Währenddessen hatte es Trommler Ringo Starr in den vietnamesischen
Dschungel verschlagen. Er war auf eine Einladung Richard Wasser"
Nixons hereingefallen, die Urlaub in freundlicher Umgebung inkl. Schlankheitsfarm
versprochen hatte. Der vormals Dickste der Fat Four" kehrte
ausgemergelt zurück und drehte unter den Pseudonymen vieler großer
Hollywood- Regisseure Kriegsbewältigungsfilme mit Überlänge.
Aber wo war Ronald Reagan? Er deckte sich gerade im örtlichen Supermarkt
mit Cola ein, die er an einer Pferdekoppel stehend austrinken wollte.
Doch daraus wurde nichts. Auf dem Rückweg zu seiner Farm verfuhr
er sich und landete in einer Garage in einem anderen Kuhdorf.
Die Weite der Prärie gewohnt, fand Reagan sich in der dunklen Garage
nicht ohne weiteres zurecht. Solche Not machte den Sohn einer Farmerin
und eines Schwachsinnigen erfinderisch, und bevor er am nächsten
Morgen den Ausgang fand, rüstete er die Garage mit einem Beleuchtungskörper
aus, der sich später als der erste Monitor mit VGA-Modus herausstellte.
In nächtlicher Betriebsamkeit ließ der fingerfertige Reagan
auch einen dazu passenden Personalcomputer zurück, dessen Vermarktung
die inzestuöse Brut der Garagenbesitzer sehr bald reich machen
sollte.
Ronnie hingegen hatte andere Pläne. Er stattete die elterliche
Farm mit einem ausgeklügelten System interstellarer Abwehrraketen
aus, die noch heute den Weltraum verschönern.
Irgendwann hatten jedoch sogar die Farmerin und der Schwachsinnige die
Blöcke satt. Sohnemann wurde verwarnt, versohlt und ging dazu über,
in einem kalten Krieg die Aufmerksamkeit von Jodie Foster zu erlangen.
Das Schweigen der Lämmer" ist hierfür symptomatisch.
Für eine Übergangszeit übernahm ein zwielichtiger Buschmann
in den USA das Luder. Er heiratete Barbie und wurde folgerichtig Präsident.
Er soll auch Ringo Starr animiert haben, seinen Sohn Kenneth zu nennen.
Die deutsche Wiedervereinigung im gleichnamigen vormaligen Zwei-Länder-Eck"
entlockte auch hier manchem ein gutturales Hört, hört!"
Sadamned!" hieß es fortan bei jeder Kleinigkeit
ein Fluch, der auch Buschmanns Nachfolger im Amt leicht von den Lippen
kam. Der graumelierte Saxophonist konnte schließlich alle Zweifel
der Welt von seiner weißen Weste iiberzeugen. Danach zog er sie
lässig aus und sich zurück.
Prognosen für die Zukunft darf man an dieser Stelle wohl nicht
wagen zu gewagt war schon der Versuch, sich zu erinnern, und
gründlich abwägen sollte man alles und jedes. Dies kann nicht
bedeuten, daß Phantasie" verboten sei; allerdings sollte
man sich, wie allseits empfohlen, nicht allzu lange unter der schwarzen
Sonne der Erkenntnis aufhalten.
Ihr
Kommentar
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