It’s all Hannover now (Baby Blue)

Die geheimen Pläne der Birgit Bräuel, geb. Breuel - das “Expo Rescue Pack”

Weltausstellungen haben ihren eigenen Kopf - dieser ernüchternden Pille können sich die Macher der Expo 2000 nicht mehr länger verschließen. Die kostenintensive Umstellung der Expo-Leitung nach der Rechtschreibreform (Bräuel statt Breuel) war kaum verkraftet, da rissen bereits die ausbleibenden Besucherströme ein Milliardenloch ins Sparschwein. Doch wer Breuel zu kennen glaubte, wurde von der Bräuel überrascht. Das unentschuldigte Fernbleiben von Amerika, den Rationalisierungs-Spleen der Arbeitsvermittlungsfirma Adecco und den spröden Charme von Hannover wollte die Mutter der Ausstellung nicht auf sich sitzen lassen und platzte mit einer Presseerklärung in die Diskussion, die Kritiker samt und sonders verstummen machen könnte. Zu den stimulierenden Klängen der frisch gegründeten Mädchenband “Die abstürzenden Registrierkassen” verlas die Lara-Croft-Bewunderin Bräuel vor Pressevertretern ein sonderbares Menü des unverfrorenen Optimismus. Wir fassen ihre Breitband-Antibiotika für den Expo-Haushalt zusammen:


Variante LongPlay: Verlängerung der Expo 2000 auf zwanzig Jahre plus. “Bei auf diese Weise entzerrtem Terminplan sitzen wir die nötigen 40 Millionen Besucher doch auf einer (Ex-)Pobacke ab”, spricht Bräuel die Klammer prononciert mit. Wenn jeder von ihnen dann noch 500 Euro für Eintrittskarten und Süßkram ausgibt, würden sich die knapp vier Milliarden Mark Investitionen rechnen. Die Zinsen, so der Bund, übernähme er.

Variante ScientOlogy: Man kommt in die Expo rein, aber nicht wieder raus, bis die eigenen Rücklagen, Immobilien und Wertpapiere nachweislich alle sind. Gleichzeitig gezielte Desinformation des nicht innerhalb des Expo-Geländes befindlichen Publikums.

Variante Houellebecq: Ausweitung der Expo-Zone auf das gesamte Bundesgebiet, Gebühren für Bürgersteignutzung, “Tageslichtsteuer” etc. pp.

Variante HalfIsMore: Zusammenlegung von je zwei Länderpavillons. “Spätere Heirat nicht ausgeschlossen”, so Bräuel mit trockenem Wein. Die vakanten Flächen werden als Luxus-Campingplätze genutzt. Ein dazu gehöriges künstliches Meer macht für Urlauber Urlaub “sinnlich erfahrbar”.

Variante NetWorkOut: Die Zahl der Exponate wird zugunsten von Internet-Cafés in jedem Pavillon auf das Nötigste reduziert. An kostenpflichtigen Terminals ersurft die Computer-Generation die nötige Kohle für Bräuel. Auch eigene Computerspiele dürfen mitgebracht und getauscht, nicht aber verkauft werden. Das Bargeld bitte für die Surf-Automaten aufbewahren!

Variante KidsGetReady!: Volkssturmartige Mobilmachung, bei der nach Bräuels Vorstellung ein Expo-SEK zum Einsatz kommen soll, um renitente Jugendliche mit der nötigen Überzeugungskraft ins Expo-Jugendcamp zu “bringen”. Nachteil: Die Verweildauer ist auf zwei Tage begrenzt, bei neuerlichem Einchecken droht dem Nachwuchs ein live übertragener Jux mit versteckten Kameras. Wetterfeste Kleidung muss beim Eintritt vorgewiesen werden.

Variante FeelFree: Gratis-Verteilung sog. Expo-Wundertüten an alle. In jeder siebten Tüte befindet sich ein Rentenbescheid, in den übrigen eine amtsrichterliche Vorladung in einen der Expo-Pavillons. Einen kleinen Vorgeschmack darauf gab es in Gestalt eines Off-Events: die internationale Frauenkonferenz zum Thema Bananenhandel des Expo-Watch-Büros am 13. und 14. Juni.

Variante Old&Young: Forcierte Anwerbung von Besuchern unter und über 20 Jahren ohne falsche Scheu vor Altersgrenzen. Besonders die 23-, 24jährigen hat die Bräuel dabei im Blick.

Variante ICan’tExPoSatisfaction: Auf dem Gelände der Expo wird Gratis-Ecstasy aus der Asservatenkammer verteilt. “Das könnte uns für die 14- bis 17jährigen interessanter machen, als wir es bis jetzt überhaupt erhoffen durften”, erläutert Bräuel in ihrer sensationellen Kampfansage. “Jugendliche müssen ihre Grenzen erst kennen lernen, probieren viel aus. Ecstasy ist als Expo-Einstiegsdroge ideal.” Variante GoTwipsy: Die Besucher werden während des Ausstellungsrundgangs “twipsy” gemacht. Wer seine Verwandten und Freunde auch noch erkennt, wenn sie twipsy geworden sind, darf bleiben. Alle, die twipsy bleiben, arbeiten fortan für das “System Bräuel”.


Glasklar: Die Expo 2000 hat Oberwasser. Miesmacher mäkeln zwar immer noch trotzig an Petitessen herum, doch die 153 Tage von Hannover werden wohl “die schönste aller Zeiten, die schlimmste aller Zeiten”. Für einen reibungslosen Ablauf der Ausstellung wird Bräuel per Handy von der Aschenbahn sorgen- schließlich laufen parallel ihre Vorbereitungen für Olympia 2012 auf vollen Touren. Dabei sein heißt bei allem.


Daniel Hermsdorf / Benjamin Heßler
Montage: augenfall
junge Welt
12./13.6.1999