Wo brennt's denn?

Walter Benjamins Brunzwerk-Aufsatz im Zeitalter seiner Marodierbarkeit


Früher waren Rohlinge Rüpel. Heutige Rohlinge bringen in der legitimen Nachfolge der Punk-Bewegung eine ganze Industrie ins Wanken. Ein Rohling kann nämlich, ganz wie er will, Tina Turner oder Fettes Brot sein. Manche lassen nur noch Wasser und Rohlinge an ihren Sound. Sauberer wird er davon nicht, aber man kann sich die Booklets ja klauen. Haben Sie auch einen Bekannten, der brennt? Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sparen Geld durch ihn. Ihm hat das Gerät indes nur Scherereien bereitet. Dreimal mit dem Computergroßmarktarsch gezankt, Gerät eingeschickt, Kabelsalat im Fertighaus, und was hat er davon? Er kommt von der Arbeit und brennt für Tante Trude unentgeltlich die neue Cher. Und damit Leute wie Frau Cher nicht Hungertücher schlürfen müssen, kassiert die Industrie für leere Speichermedien und Fotokopien extra Geld, das sie in den Künstlervierteln der Metropolen gerecht aus dem Fenster wirft. Da scheint es Zeit, ein wenig Ordnung in die Vielfalt des Urheberrechtsbruchs zu bringen. Unsere Gesetzesinitiative(n):

Pay by-buy
Wir fordern eine Kennzeichnung von Video-Leerkassetten, die gewährleistet, dass durch unsere Einkäufe nur "Kritische Dokumentaristen" und "Kanadische Independent-Filme" profitieren. Auf jeder Verpackung klebt ein Multiple-Choice-Feld, auf dem man angibt, wo die Kopierabgabe hingeht. Wer will, kann ja "Leo Kirch" oder "Leni Riefenstahl" ankreuzen. Mit letzterer Wahl schlagen Sie Frau Riefenstahl gleichzeitig als neue Bundespräsidentin und Mahnmal-Schöpferin vor. So werden junge Talente gefördert.

Freiwillige Selbstübersteuerung
Großzügigkeit ist das Verbot der Stunde. Wenn es bei Ihnen damit nicht soweit her ist - bitte, lassen Sie doch die Kleinverlage und Soundtüftler verdorren! Bestellen Sie bei amazon.com! Die Zukunft ist ja jetzt schon da und heißt Blümchen, Blumfeld oder Chawieé Nein, du. Oder Grisham. Oder Oskar Gräfin Schönfeldt.

Ich glaub, es hackt!
Sie wollen, dass endgültig Schluss ist mit dem Gejammere der Kreativen? Sollen sie dahin gehen, wo die Tantiemen wachsen? Leihvideos sind sowieso austauschbar? Sie haben recht. Schon auf jeder Leercassette ist abendfüllendes Rauschen für vier Personen drauf. Man muss nur zusehen können. Soweit also unser Dreipunkte-plan. Als Konsumbürger werden Sie einwenden, dass dieser Plan reine Camouflage planerischer Inkohärenz war - und vielmehr ganzheitliches Denken auch in der Informationsgesellschaft gefordert sei? Dass dabei der Kopf ebenso wie der Magen der Medien in das komplexe Wechselspiel einzubeziehen sei? Und sie fragen sich, wo denn da der Sinn und die Schönheit blieben? Da streuen Sie ein heißes Eisen in die Wunde. Und nun werden Sie einwenden, dass dieser Absatz reine Camouflage gesamtkonzeptuell-konzeptualistischer Inkohärenz war. Aber wir waren beim Urheberrecht. Was wäre zum Beispiel, wenn es beim Menschen den Kopierschutz in Form von Kondomen nicht gäbe? Stellen Sie sich die alle mal vervielfältigt vor. Es wäre ein bizarrer öffentlicher Erlebnispark der Kopien für den privaten Gebrauch. Und diese Kopien würden auch immer von ihren neuen Stereoanlagen oder Problemen mit den Mitbewohnern krächzen. Oder dass sie das Rauchen aufgeben wollen. Oder wie Arte gestern wieder falsch untertitelt hat. In jedem Fall ergeben sich aus der zunehmenden Kopierbarkeit Probleme. Und das ist das schöne: Es gibt bei aller Redundanz auch immer wieder neue, zuvor gänzlich unbekannte Probleme. Uns ist das alles zu teuer. Und Ihnen?

Daniel Hermsdorf und Benjamin Heßler


in taz-Berlin: S.24 taz Nr. 5921 vom 25.8.1999 Seite 20 Die Wahrheit 112 Zeilen TAZ-Bericht D.Hermsdorf / B.Heßler © Contrapress media GmbH Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags